Adhäsionsverfahren: Feststellungsklage hinsichtlich bereits entstandener und zukünftiger Schäden; Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags
Gesetze: § 249 BGB, § 253 Abs 2 BGB, § 403 StPO, §§ 403ff StPO, § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO
Instanzenzug: LG Aachen Az: 95 KLs 19/14
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten M. wegen gefährlicher Körperverletzung und wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Den Angeklagten D. hat es wegen tateinheitlich begangener Beihilfe zum versuchten Totschlag und zur gefährlichen Körperverletzung unter Einbeziehung eines früheren Urteils zu einer Einheitsjugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Außerdem hat das Landgericht festgestellt, dass die Angeklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Nebenklägern alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Schadensereignis vom zu erstatten, soweit Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind. Schließlich hat es festgestellt, dass „diese Schmerzensgeldansprüche“ auf einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung beruhen. Im Übrigen hat es von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
I.
21. Der Ausspruch über die Adhäsionsanträge des Adhäsionsklägers S. ist teilweise abzuändern.
3a) Die Strafkammer wollte nach den Urteilsgründen „jeweils ein Grundurteil erlassen“, das sie aber wie ein Feststellungsurteil tenoriert hat. Der Senat berichtigt insoweit die Urteilsformel, soweit es um den Anspruch des Adhäsionsklägers S. auf Ersatz aller immateriellen Schäden geht.
4Insofern hatte er eine auf ein Schmerzensgeld in Höhe von 175.000 Euro nebst Prozesszinsen gerichtete Leistungsklage erhoben, über die das Landgericht durch Teilurteil dem Grunde nach zu seinen Gunsten entschieden hat. Ein Vorbehalt für den Fall des Forderungsübergangs auf Sozialversicherungsträger (§ 116 Abs. 1 SGB X) oder andere Dritte (§ 86 Abs. 1 VVG) ist in dem Grundurteil nicht auszusprechen, zumal ein Forderungsübergang beim Schmerzensgeldanspruch grundsätzlich nicht in Frage kommt.
5b) Hinsichtlich der bisher entstandenen und künftigen materiellen Schäden hat der Adhäsionskläger S. einen Feststellungsantrag gestellt, der nur zum Teil zulässig und begründet ist.
6aa) Hinsichtlich der bereits entstandenen materiellen Schäden hat der Adhäsionskläger S. weder geltend gemacht noch ist aus seinem Vortrag ansonsten ersichtlich, welche Schäden bereits entstanden sein könnten und warum er nicht in der Lage ist, diese Schäden schon jetzt zu beziffern. Für die Feststellungsklage mangelt es insoweit an dem erforderlichen Feststellungsinteresse (vgl. mwN).
7bb) Hinsichtlich der künftigen materiellen Schäden, die angesichts der erheblichen Verletzungen des Adhäsionsklägers S. in Betracht kommen, aber von ihm noch nicht beziffert werden können, ist ein Feststellungsausspruch zulässig und in der Sache gerechtfertigt. Bei schweren Verletzungen kann ein Anspruch auf Feststellung der Ersatzpflicht für künftigen Schaden nur dann verneint werden, wenn aus der Sicht des Geschädigten bei verständiger Beurteilung kein Grund bestehen kann, mit Spätfolgen wenigstens zu rechnen (vgl. , BGHR ZPO § 256 Feststellungsinteresse 43). Das ist hier nicht der Fall.
8Die Anspruchsvoraussetzungen liegen vor. Insoweit bedarf der Ausspruch nur der Einschränkung für den Fall des Forderungsübergangs auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte.
92. Soweit sich die Revisionen gegen den Adhäsionsausspruch zugunsten der Adhäsionsklägerin N. richten, sind sie begründet. Deren Adhäsionsantrag genügt nicht den Zulässigkeitsanforderungen gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Daher ist von einer Adhäsionsentscheidung zu ihren Gunsten abzusehen.
10a) Die Adhäsionsklägerin N. hat zunächst beantragt, die Angeklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes „Teilschmerzensgeld“ zu zahlen. Das reicht nicht aus.
11§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verlangt die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Er steht der Zulässigkeit eines unbezifferten Klageantrags nur dann nicht entgegen, wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden. Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss zwar kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Das Bestimmtheitsgebot verlangt aber zumindest die Angabe der Größenordnung des begehrten Betrages, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang der Streitgegenstand haben soll (vgl. , NJW 1982, 340). Deshalb fehlt es an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Kläger keine Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes macht (vgl. , NJW 1984, 1807, 1809). Das gilt erst recht im Fall einer offenen Teilklage.
12b) Soweit die Adhäsionsklägerin N. weiter beantragt hat „festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Nebenklägerin alle absehbaren und nicht absehbaren Folgeschäden aus dem Schadensereignis vom zu ersetzen“, ist dieser Antrag - von der fehlerhaften Datierung der unerlaubten Handlung abgesehen - unklar. Was unter allen „absehbaren und nicht absehbaren Folgeschäden“ zu verstehen sein soll, für die Schadensersatz begehrt wird, hat die Adhäsionsklägerin nicht erklärt. Daraus ist bereits nicht zu entnehmen, ob es um den Ersatz künftiger materieller oder immaterieller Schäden gehen soll und wie sich diese Klage zur Teilklage auf ein Schmerzensgeld verhält.
II.
13Die Revision des Angeklagten M. ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit sie sich gegen den Schuld- und Strafausspruch richtet. Die rechtsfehlerhafte Annahme von Tateinheit der gegen die höchstpersönlichen Rechtsgüter der Nebenkläger gerichteten Handlungen beschwert ihn nicht.
14Die Kostenentscheidung zum Rechtsmittel des Angeklagten M. beruht auf § 473 Abs. 4, § 472a Abs. 2 StPO.
III.
151. Die Revision des Angeklagten D. ist im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Der Ausspruch über die Jugendstrafe kann dagegen keinen Bestand haben.
16a) Das Landgericht hat angenommen, dass „in Übereinstimmung mit dem Votum der Jugendgerichtshilfe Jugendstrafrecht anzuwenden“ sei. Mangels Erläuterung ist dies nicht nachprüfbar.
17b) Die Notwendigkeit der Verhängung einer Jugendstrafe ist im Urteil nur damit erklärt worden, dies gebiete „bereits die Schwere der Schuld“. Auch dagegen bestehen rechtliche Bedenken. Der Schuldgehalt der Tat bei der Begehung durch heranwachsende Täter, auf die das Jugendstrafrecht Anwendung findet, ist jugendspezifisch zu bestimmen. Die „Schwere der Schuld“ im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG wird daher nicht vorrangig anhand des äußeren Unrechtsgehalts der Tat und ihrer Einordnung nach dem allgemeinen Strafrecht bestimmt. Vielmehr ist auf die innere Tatseite abzustellen (vgl. Senat, Urteil vom - 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407, 408). Die Urteilsgründe setzen sich damit nicht auseinander.
18c) Schließlich begegnet der Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
19Gemäß § 18 Abs. 2 JGG bemisst sich die Höhe der Jugendstrafe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist. Die Urteilsausführungen lassen nicht erkennen, dass das Landgericht dem Erziehungsgedanken Bedeutung beigemessen hat (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 503/14, NStZ 2016, 105). Es hat alleine auf das Tatunrecht abgestellt und nur Strafzumessungserwägungen aus dem allgemeinen Strafrecht genannt. Die verhängte Einheitsjugendstrafe hat es deshalb als „tat- und schuldangemessen“ bezeichnet. Unter erzieherischen Gesichtspunkten hätte es zum Beispiel - gegebenenfalls - auf eine positive Entwicklung eingehen müssen, die der Angeklagte seit der Tat genommen hat (vgl. Senat, Beschluss vom - 2 StR 376/12, StV 2013, 758). An derartigen Erwägungen zum Erziehungsbedarf fehlt es in den Urteilsgründen.
202. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch zum Nachteil des Angeklagten auf den Rechtsfehlern beruht. Deshalb verweist er die Sache insoweit an das Landgericht zurück.
Fischer Krehl Eschelbach
Ott Zeng
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:250816B2STR585.15.0
Fundstelle(n):
WAAAF-82675