Vorausleistung auf Erschließungsbeitrag; Grenzen der Erschließungseinheit
Leitsatz
1. Mehrere zusammenhängende Erschließungsanlagen bilden nur dann eine Erschließungseinheit im Sinne des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB, wenn alle Anliegergrundstücke ausschließlich über eine einzige dieser Erschließungsanlagen (Hauptstraße) mit dem übrigen Straßennetz verbunden sind. Die gemeinsame Abrechnung darf zu keiner Mehrbelastung für die Anlieger der Hauptstraße führen (im Anschluss an 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 und vom - 9 C 1.12 - BVerwGE 146, 1).
2. Grenzt ein Grundstück an zwei Abschnitte einer Erschließungsanlage, ist es bei der Aufwandsverteilung jeweils nur mit dem Anteil zu berücksichtigen, der dem Verhältnis der Frontlängen an dem einen bzw. anderen Abschnitt entspricht. Das gilt dann nicht, wenn die Gemeinde eine im Bebauungsplan ausgewiesene Straße nur auf einer kürzeren Strecke angelegt und ihre weitergehende Ausbauabsicht aufgegeben hat (im Anschluss an 8 C 14.92 - BVerwGE 95, 176).
Gesetze: § 133 Abs 3 S 1 BauGB, § 130 Abs 2 S 1 BauGB, § 130 Abs 2 S 3 BauGB, § 125 Abs 3 BauGB
Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 5 A 637/13 Urteilvorgehend Az: 6 K 1065/10 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten um Vorausleistungen auf einen Erschließungsbeitrag.
2Die Klägerin ist Eigentümerin von Grundstücken in einem Gebiet, das in einem von der Bahnlinie L.-T., der Bundesstraße ... und der Verbindungsstraße S.-P. gebildeten Dreieck liegt. Ein Bebauungsplan aus dem Jahr 1992 setzt dort im Wesentlichen Gewerbegebiete sowie Verkehrsflächen fest. Im Jahr 2004 wurde die östliche, an die Verbindungsstraße angrenzende Teilfläche durch einen vorzeitigen Bebauungsplan der Beklagten überplant, der dort auch Industriegebietsflächen ausweist und bei der Darstellung der Verkehrsflächen dem Bebauungsplan von 1992 folgt. Das Teilgebiet wird von fünf Straßen durchzogen. Die E.-Straße und die weiter südlich parallel geführte V.-Straße münden ostwärts in die erwähnte Verbindungsstraße ein. Zwischen der E.-Straße und der V.-Straße verlaufen rechtwinklig die P.-Straße, die zugleich die westliche Grenze des vorzeitigen Bebauungsplans bildet, und östlich davon die M.-Straße; beide werden untereinander durch die G.-Straße verbunden.
3Durch Beschluss des Gemeinderats vom bestimmte die Beklagte für die genannten Verkehrsanlagen in einem Bereich, der mit dem Gebiet des Bebauungsplans von 2004 im Wesentlichen übereinstimmt, ein gemeinsames Abrechnungsgebiet. Mit Bescheid vom zog sie die Klägerin für das Flurstück .../..., das an die V.-Straße angrenzt, mit seiner gesamten Fläche von 6 638 m² zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 52 797 € heran. Die Vorauszahlung wurde im Widerspruchsbescheid vom auf 70 % des angeforderten Betrages, mithin auf 36 957,90 €, vermindert. Mit Teilaufhebungsbescheid vom reduzierte die Beklagte die Vorauszahlung auf 36 025,43 €.
4Das Verwaltungsgericht hat den Vorausleistungsbescheid in dem noch strittigen Umfang aufgehoben, weil die Voraussetzungen für eine Erschließungseinheit nicht vorlägen. Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung hat die Beklagte eine Alternativberechnung vorgelegt, die sich auf die Einzelanlage "V.-Straße, 1. Abschnitt" bezieht. Unter Berücksichtigung weiterer, bisher nicht geltend gemachter Kosten ergebe sich für die V.-Straße ein Beitragssatz von 4,22 € und für das betroffene Grundstück ein Beitrag von voraussichtlich 42 018,54 €. Da das Grundstück inzwischen mit einer Solaranlage bebaut sei, könnten Vorausleistungen in voller Höhe erhoben werden.
5Das Oberverwaltungsgericht hat der Berufung der Beklagten teilweise stattgegeben. Es hat die Vorausleistung in Höhe von 3 744,73 € als rechtmäßig erachtet; die Berufung im Übrigen hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, die Beklagte habe die Straßen des Gebietes im Hinblick auf ihre identische Ausstattung zur gemeinsamen Abrechnung zusammenfassen dürfen. Dies vermeide eine erhebliche Spreizung der Beitragssätze, die ihren Grund bei gleicher Vorteilslage allein in der unterschiedlichen Größe der anliegenden Nutzungsflächen habe. Allerdings habe die Beklagte die Vorausleistung zu hoch festgesetzt. Im Hinblick auf ihre weitergehende Erschließungsplanung hätte das Grundstück der Klägerin rechnerisch im Verhältnis der Frontlängen geteilt werden müssen, da es nicht nur an den abgerechneten Abschnitt, sondern auch an den Folgeabschnitt angrenze. Seine zwischenzeitliche Bebauung müsse bei der Höhe der Vorausleistung unberücksichtigt bleiben, da sie im Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens noch nicht genehmigt gewesen sei. Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil zugelassen. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagte haben Revision eingelegt.
6Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Revision geltend, das Berufungsurteil habe den Begriff der Erschließungseinheit überdehnt. Die Zusammenfassung mehrerer funktional nicht voneinander abhängiger Straßen führe zu einer unangemessenen Quersubventionierung. Zudem lägen die Voraussetzungen für die Erhebung der Vorausleistung nicht vor. Da die Beklagte die endgültige Fertigstellung der Erschließungsanlagen nunmehr vom Abschluss des Klageverfahrens abhängig machen wolle, habe sie die Absicht der Herstellung innerhalb von vier Jahren aufgegeben.
7Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom , berichtigt durch Beschluss vom , zu ändern und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom zurückzuweisen;
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
8Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen;
das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom , berichtigt durch Beschluss vom , sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
9Sie tritt der Revision der Klägerin entgegen und macht geltend, das Berufungsurteil verletze, soweit es die Aufhebung des Vorausleistungsbescheides bestätigt habe, formelles und materielles Recht. Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dass sie die V.-Straße in absehbarer Zeit über das der Veranlagung zugrunde liegende Abrechnungsgebiet hinaus verlängern wolle, verstoße gegen die Aufklärungspflicht und den Überzeugungsgrundsatz. Aus finanziellen Gründen und mangels Nachfrage habe eine solche Absicht weder im Zeitpunkt der Erhebung der Vorausleistungen noch später bestanden. Da sie die Absicht eines weiteren Ausbaus der V.-Straße jedenfalls im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung aufgegeben habe, stehe ihr die angeforderte Vorausleistung für das mittlerweile bebaute Grundstück der Klägerin uneingeschränkt zu.
10Die Klägerin hält die Revision der Beklagten für unzulässig, jedenfalls aber für unbegründet.
Gründe
111. Die Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind zulässig.
12Zu Unrecht meint die Klägerin, die Revision der Beklagten sei mangels Zulassung im Berufungsurteil unzulässig, da sich die dort aufgeworfene Grundsatzfrage auf den Anwendungsbereich der Erschließungseinheit und damit auf den Gegenstand ihrer eigenen Revisionsangriffe beschränke. Die durch das Berufungsgericht gemäß § 132 Abs. 1 VwGO ausgesprochene Zulassung der Revision wirkt grundsätzlich für alle beschwerten Beteiligten (allg.M., vgl. Kraft, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 132 Rn. 64; Pietzner/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 132 Rn. 17). Ebenso ist die inhaltliche Reichweite der Zulassung grundsätzlich unbeschränkt. Eine teilweise Zulassung der Revision ist nur möglich, soweit der Streitgegenstand teilbar ist; dagegen kann eine Teilzulassung nicht auf eine bestimmte abstrakte Rechtsfrage beschränkt werden ( 7 C 6.08 - NVwZ 2009, 585 Rn. 14 <insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 132, 372>; Pietzner/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Oktober 2015, § 132 Rn. 22 ff.; Czybulka, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 132 Rn. 140). Aus Gründen der Rechtssicherheit muss eine etwaige Beschränkung zudem eindeutig sein ( 1 C 21.66 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 1 S. 1 f. und vom - 1 C 3.10 - Buchholz 402.242 § 25 AufenthG Nr. 16 Rn. 11).
13Danach kann die Zulassungsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts hier schon deshalb nicht auf die Revision der Klägerin beschränkt sein, weil sie sich unbeschadet der als klärungsbedürftig bezeichneten Rechtsfrage auf den Streitgegenstand insgesamt und nicht nur auf einen abtrennbaren Teil davon bezieht. Auch im Hinblick auf die Rechtsmittelbelehrung, nach der "den Beteiligten" die Revision zusteht, kann nicht von einer Beschränkung ausgegangen werden.
142. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag verlangt werden kann, sind erfüllt (a). Hinsichtlich der Höhe der geschuldeten Vorausleistung ist das Berufungsurteil zwar nicht fehlerfrei (b). Es erweist sich aber, soweit von der Klägerin angegriffen, im Ergebnis als zutreffend (c).
15a) Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag verlangt werden, wenn entweder ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt oder mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist. Hinzukommen muss, dass die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.
16Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass im maßgeblichen Zeitpunkt des Widerspruchsbescheides mit der Herstellung sämtlicher Erschließungsanlagen im Abrechnungsgebiet begonnen, aber keine davon entsprechend dem Bauprogramm der Beklagten vollständig hergestellt war. Dem tritt die Revision nicht entgegen.
17Die Absehbarkeit der endgültigen Herstellung innerhalb von vier Jahren verlangt eine an der satzungsmäßigen Merkmalsregelung und dem einschlägigen Bauprogramm ausgerichtete Prognoseentscheidung der Gemeinde, die sich auf den Abschluss der kostenverursachenden Erschließungsmaßnahmen bezieht. Die Entscheidung muss auf einer nachvollziehbaren und nachprüfbaren Prognosegrundlage beruhen (vgl. zuletzt 9 C 14.14 - BVerwGE 152, 111 Rn. 35 m.w.N.). Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens. Verschiebt die Gemeinde nach Erhebung der Vorausleistung den geplanten Straßenausbau auf einen späteren, nicht mehr "absehbaren" Zeitpunkt, wird der Vorausleistungsbescheid dadurch nicht rechtswidrig. Eine solche Sachlage hindert lediglich die Gemeinde daran, die Vorausleistungsforderung durchzusetzen, solange die Herstellung nicht absehbar ist. Das Vollzugshindernis entfällt, sobald sich die Gemeinde wieder zum alsbaldigen Straßenausbau entschließt ( 4 C 1.73 - BVerwGE 48, 117 <122>; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 21 Rn. 21).
18Nach diesem Maßstab war die Prognose der endgültigen Herstellung binnen vier Jahren im maßgeblichen Zeitpunkt gerechtfertigt. Wie vom Oberverwaltungsgericht festgestellt, hat die Beklagte vor Erlass des Widerspruchsbescheides mit Schreiben vom gegenüber der Widerspruchsbehörde erklärt, dass der endgültige Ausbau für die Haushaltsjahre 2008/2009 geplant sei; in den Haushaltsplan 2008 der Beklagten war ein Betrag von 125 000 € für noch ausstehende Restarbeiten eingestellt. Die Revision widerspricht dem nicht. Sie stützt sich vielmehr darauf, dass die Beklagte nach Klageerhebung beschlossen hat, die endgültige Fertigstellung der Anlagen bis zur rechtskräftigen Entscheidung zurückzustellen. Diese nachträgliche Korrektur der ursprünglich gerechtfertigten Herstellungsprognose berührt aber, wie ausgeführt, die im Revisionsverfahren allein streitgegenständliche Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides nicht.
19b) Was die - auf den voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrag begrenzte (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB) - Höhe der Vorausleistung betrifft, steht die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, die Beklagte habe den Aufwand für das Abrechnungsgebiet insgesamt ermitteln dürfen, mit Bundesrecht nicht in Einklang. § 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB sieht die Aufwandsermittlung für die einzelne Erschließungsanlage (oder für bestimmte Abschnitte einer Erschließungsanlage) vor. Nur dann, wenn mehrere Anlagen "für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit bilden", kann der Erschließungsaufwand gemäß § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB insgesamt ermittelt werden. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass sich das von der Beklagten mit Beschluss vom festgelegte Abrechnungsgebiet aus drei selbstständigen Verkehrsanlagen - E.-Straße, M.-Straße und P.-Straße - sowie aus Abschnitten zweier weiterer Verkehrsanlagen - V.-Straße und G.-Straße - zusammensetze. Es hat die Voraussetzungen einer Erschließungseinheit bejaht, weil alle Anlieger auf die Benutzung entweder der E.-Straße oder der V.-Straße angewiesen seien, um das sonstige Straßennetz der Gemeinde zu erreichen. Dem ist nicht zu folgen.
20Mehrere Anlagen bilden nur dann im Sinne des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB "für die Erschließung der Grundstücke eine Einheit", wenn sie in einem besonderen funktionalen Zusammenhang stehen. Eine derartige Erschließungseinheit kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aus einer Hauptstraße und einer von ihr abzweigenden selbstständigen Nebenstraße - Stich- oder Ringstraße - bestehen (vgl. 8 C 14.92 - BVerwGE 95, 176 <180 ff.> und vom - 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 24 f., jeweils m.w.N.). Den tragenden Grund für die Erschließungseinheit bildet insoweit das gemeinsame Angewiesensein aller Anlieger auf die Benutzung der Hauptstraße. Es bewirkt, dass die durch die Hauptstraße erschlossenen Grundstücke keinen höheren Sondervorteil genießen als die durch die Nebenstraße erschlossenen Grundstücke. Diese durch die Hauptstraße vermittelte Vorteilsgemeinschaft rechtfertigt eine gemeinsame Ermittlung und Verteilung des Erschließungsaufwands mit dem Ziel, die Beitragsbelastung zugunsten der Anlieger der regelmäßig aufwändigeren Hauptstraße zu nivellieren (vgl. 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 24). Dagegen darf die gemeinsame Abrechnung nicht zu einer Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße führen. Diese ist nicht vorteilsgerecht, weil die Nebenstraße ihrerseits den von der Hauptstraße erschlossenen Grundstücken keinen über den Gemeinvorteil hinausgehenden Sondervorteil bieten kann ( 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 26 m.w.N.). Aus dem Gedanken der Vorteilsgemeinschaft, der dem § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB zugrunde liegt, folgt zugleich, dass sich das darin eingeräumte Ermessen unter bestimmten Umständen zu einer Rechtspflicht verdichten kann. Das der Gemeinde eingeräumte Ermessen, ob der Erschließungsaufwand unter den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB insgesamt ermittelt werden soll, ist grundsätzlich auf Null reduziert, wenn die an der Hauptstraße liegenden Grundstücke im Vergleich zu den Grundstücken an der funktional abhängigen Nebenstraße bei Einzelabrechnung um mehr als ein Drittel höher belastet würden, der Beitragssatz der Hauptstraße mithin voraussichtlich vier Drittel des Beitragssatzes der Nebenstraße übersteigen würde ( 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 30).
21Eine vergleichbare Vorteilsgemeinschaft besteht auch dann, wenn nicht nur eine, sondern mehrere Nebenstraßen von derselben Hauptstraße abzweigen ( 9 C 1.12 - BVerwGE 146, 1 Rn. 14 ff.; im Wesentlichen zustimmend: Rottenwallner, KStZ 2015, 29 <29 ff.> und 41 <42 ff.>; Ludyga/Hesse, Erschließungsbeitrag, Stand März 2015, § 130 BauGB Rn. 38; ablehnend: Driehaus, KStZ 2013, 87 <91 ff.>). Auch hier bewirkt das gemeinsame Angewiesensein aller Anlieger auf die Benutzung der einen Hauptstraße, dass der Sondervorteil der durch die Hauptstraße erschlossenen Grundstücke dem Sondervorteil der durch die Nebenstraßen erschlossenen Grundstücke entspricht. Entscheidend ist, dass alle gleichermaßen auf die Nutzung derselben Hauptstraße angewiesen sind. Der Umstand, dass die mehreren Nebenstraßen selbst den Anliegern der anderen Straßen keinen über den Gemeinvorteil hinausreichenden Sondervorteil bieten können, tritt dahinter zurück. Er ist auch hier nur insoweit von Bedeutung, als die gemeinsame Abrechnung keine Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße zur Folge haben darf ( 9 C 1.12 - BVerwGE 146, 1 Rn. 14, 16). Die bereits erwähnte Pflicht zur gemeinsamen Abrechnung besteht in dieser Konstellation grundsätzlich dann, wenn der Beitragssatz für die Hauptstraße bei Einzelabrechnung um mehr als ein Drittel höher läge als die Beitragssätze für jede Nebenstraße ( 9 C 1.12 - BVerwGE 146, 1 Rn. 19).
22Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts liegt kein entsprechend enger funktionaler Zusammenhang und damit auch keine vergleichbare Vorteilsgemeinschaft vor, wenn die Eigentümer aller Grundstücke eines Abrechnungsgebietes zwischen zwei (oder mehr) "Haupt"-Verbindungsstraßen wählen können, um das sonstige Straßennetz der Gemeinde zu erreichen. In Ermangelung eines gemeinsamen Angewiesenseins aller auf die Benutzung derselben Hauptstraße fehlt es in solchen Konstellationen an einem rechtfertigenden Grund für eine Quersubventionierung sowohl zwischen denjenigen Straßen, die das Gebiet mit dem übrigen Straßennetz verbinden, als auch zwischen den von ihnen abhängigen Nebenstraßen.
23Unabhängig davon scheitert die Annahme einer Erschließungseinheit unter den vorliegenden Umständen auch daran, dass sie gegen das Verbot einer Mehrbelastung der Anlieger der Hauptstraße verstößt. Im Hinblick darauf, dass die unterschiedlichen Beitragssätze bei einer getrennten Abrechnung der Straßen hier allein auf der unterschiedlichen Größe der jeweils anliegenden Nutzungsflächen beruhen, liegen sie für die beiden Hauptstraßen (E.-Straße und V.-Straße) unter dem Einheitssatz. Deren Anlieger stehen sich deshalb bei einer Einzelabrechnung günstiger als bei einer gemeinsamen Abrechnung, die auch von daher nicht in Betracht kommt. Das Argument des Oberverwaltungsgerichts, gerade wegen der erheblichen Spreizung der Beitragssätze für die einzelnen, jeweils gleich ausgestalteten Erschließungsanlagen bestehe auch unter den vorliegenden Umständen nicht nur eine Befugnis, sondern sogar die Rechtspflicht zur Gesamtermittlung des Erschließungsaufwands, verkennt die Normstruktur des § 130 Abs. 2 Satz 3 BauGB; denn dieser setzt für die Entscheidung über eine Gesamtabrechnung bereits tatbestandlich das Bestehen einer Erschließungseinheit voraus, überlässt ihre Bildung mithin - anders als etwa § 37 Abs. 3 KAG BW (vgl. dazu VGH Mannheim, Urteil vom - 2 S 1215/13 - DVBl. 2014, 865 <867 f.>) - nicht einer Ermessensentscheidung der Gemeinde.
24c) Das Berufungsurteil erweist sich aber, soweit die Klägerin es mit der Revision anficht, im Ergebnis als zutreffend (§ 144 Abs. 4 VwGO). Das Gericht hat gegebenenfalls zu prüfen, ob der angegriffene Beitrags- bzw. Vorausleistungsbescheid mit einer anderen Begründung ganz oder teilweise aufrechterhalten bleiben kann ( 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <357 f.> und vom - 9 C 2.08 - BVerwGE 134, 139 Rn. 39 ff.). Das gilt auch für die Umrechnung einer Beitragsforderung, die auf der Grundlage einer gesetzwidrig angenommenen Erschließungseinheit ermittelt worden ist, auf die Beitragshöhe, die sich für die das Grundstück erschließende einzelne Straße ergibt ( 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <359>). Die Beklagte hat dem Oberverwaltungsgericht eine Alternativberechnung vorgelegt, in der sie die Kosten der fünf in Rede stehenden Anlagen einzeln ermittelt hat. Sie hat dabei die Kosten der Einmündungen der E.-Straße und der V.-Straße in die Verbindungsstraße S.-P. jenen beiden Erschließungsanlagen zugewiesen und auch die geschätzten Kosten für Gehwege und Straßenbeleuchtung den betreffenden Straßenzügen konkret zugeordnet. Ein erheblicher Teil der übrigen Straßenbaukosten einschließlich der erstmals einbezogenen Fremdkapitalkosten wurde unter der Prämisse, dass der Ausbauzustand aller Straßenabschnitte gleich ist, im Verhältnis zur Straßenlänge aufgeteilt. Auf dieser Grundlage hat die Beklagte für die V.-Straße, an die das hier verfahrensgegenständliche Grundstück angrenzt, einen voraussichtlichen Erschließungsbeitragssatz von 4,22 €/m² errechnet. Daraus ergibt sich für das - mittlerweile bebaute - Grundstück der Klägerin eine höhere Vorausleistung als in dem streitgegenständlichen, mehrfach geänderten Bescheid (noch) festgesetzt.
25Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren tatsächliche Einwände gegen die von der Beklagten angenommene anteilige Gleichheit der Herstellungskosten für die fünf Straßen und gegen die Einbeziehung von Fremdkapitalkosten in den Erschließungsaufwand erhoben hatte, hat sie daran in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausdrücklich nicht festgehalten. Auch soweit diese tatsächlichen Umstände nicht festgestellt sind, kann sie der Senat damit seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legen (vgl. auch 9 C 1.12 - BVerwGE 146, 1 Rn. 21 m.w.N.). Da eine Gesamtermittlung des Erschließungsaufwands ausnahmsweise auch außerhalb einer Erschließungseinheit in Betracht kommt, wenn und soweit die maßgeblichen örtlichen Umstände und die Bauausführung in den einzelnen Straßen vollkommen gleich sind ( 4 C 69.68 - Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 35 S. 15), wirkt sich der Fehler des Berufungsgerichts im Ergebnis nicht aus.
263. Die Revision der Beklagten ist begründet. Denn das Grundstück der Klägerin ist nach Maßgabe der von der Beklagten durchgeführten Alternativberechnung mit seiner vollen Grundstücksfläche (a) und unter Berücksichtigung seiner Bebauung bis zur vollen Höhe des voraussichtlichen Erschließungsbeitrages (b) zu der Vorausleistung heranzuziehen.
27a) Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass das Grundstück der Klägerin, das nur mit einem Teil seiner Frontlänge an die hier abgerechnete Strecke der V.-Straße angrenzt, für den Umfang der Vorausleistung "rechnerisch geteilt" werden müsse. Dies steht mit Bundesrecht nur unter der Prämisse in Einklang, dass das Grundstück an zwei Abschnitte einer einzigen Erschließungsanlage grenzt; denn dann wird es insgesamt nur einmal erschlossen. Diesem Umstand ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei der Aufwandsverteilung für jeden der Abschnitte dadurch Rechnung zu tragen, dass das Grundstück jeweils nur mit dem Anteil berücksichtigt wird, der dem Verhältnis der Frontlängen an dem einen bzw. anderen Abschnitt entspricht. Davon ist der Fall zu unterscheiden, dass ein Grundstück an zwei selbstständige Anbaustraßen grenzt und durch jede von ihnen erschlossen wird ( 8 C 77.83 - BVerwGE 70, 247 <253 f.> und vom - 8 C 18.92 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 91 S. 7; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 14 Rn. 31, § 17 Rn. 29; Griwotz, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Februar 2016, § 130 Rn. 15b).
28Beitragsfähig ist eine Erschließungsanlage unabhängig vom Inhalt eines Bebauungsplans lediglich in ihrem tatsächlich angelegten Umfang. Maßgebend ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägte Erscheinungsbild, nicht aber eine nur "auf dem Papier" stehende planerische Festsetzung. Der Umstand, dass eine Anlage über viele Jahre nicht weitergebaut wird, kann den Schluss rechtfertigen, dass die seinerzeitigen Ausbauarbeiten endgültig beendet worden sind mit der Folge, dass eine etwaige spätere Verlängerung nur als eine neue, selbstständige Erschließungsanlage in Betracht kommt. Das gilt insbesondere dann, wenn eine im Bebauungsplan ausgewiesene Straße nur auf einer kürzeren Strecke angelegt und die verbleibende Reststrecke abweichend von der ursprünglichen Planung für andere als Verkehrszwecke in Anspruch genommen wird (vgl. 8 C 14.92 - BVerwGE 95, 176 <185 ff.>). Die Frage, ob eine darin liegende Planunterschreitung mit den Grundzügen der Planung vereinbar ist (§ 125 Abs. 3 BauGB), stellt sich im Rechtsstreit um eine Vorausleistung nicht, da deren Rechtmäßigkeit nicht davon abhängt, ob die Anforderungen des § 125 BauGB erfüllt sind ( 8 C 2.93 - BVerwGE 97, 62 <67 f.> m.w.N.); soweit der Senat seinem Urteil vom - 9 C 27.14 - (KStZ 2016, 71 <73 f.>) eine andere Annahme zugrunde gelegt hat, hält er daran nicht fest.
29Daran gemessen hält das Berufungsurteil der Überprüfung nicht stand. Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass der dem Beschluss der Beklagten vom beigefügte Lageplan deren Erschließungsplanung zu diesem Zeitpunkt wiedergegeben habe; danach habe die V.-Straße über den Bestand und das eingezeichnete Abrechnungsgebiet hinaus - allerdings in geringerem Umfang als ursprünglich vorgesehen - verlängert werden sollen. Das greift deshalb zu kurz, weil das Oberverwaltungsgericht auch die weitere Entwicklung in den acht Jahren bis zu seinem Verhandlungstermin am hätte einbeziehen müssen, um der tatsächlichen Erschließungssituation Rechnung zu tragen. Wie in anderem Zusammenhang schon erwähnt, kann ein Beitrags- oder Vorausleistungsbescheid, falls er ganz oder teilweise rechtswidrig ist, durch nachträglich eintretende tatsächliche oder rechtliche Umstände geheilt werden ( 8 C 12.81 - BVerwGE 64, 356 <358>). Das ist hier anzunehmen. Denn selbst unter der Prämisse, dass die Ausbauabsicht der Beklagten noch im Jahr 2006 so bestanden haben sollte, wie vom Oberverwaltungsgericht angenommen, hat die Beklagte sie später aufgegeben mit der Folge, dass der abgerechnete Teil der V.-Straße eine selbstständige Erschließungsanlage bildet. Zwar hat die Beklagte noch am (durch ihren Bürgermeister) bzw. am (durch den Gemeinderat) beschlossen, in Bezug auf die V.-Straße Abschnitte zu bilden. Sie hat damit aber nur die Abschnittsbildung wiederholt, die bereits ihrem Beschluss vom zugrunde lag und die weitergehende Ausweisung der Verkehrsflächen in dem Bebauungsplan von 1992 berücksichtigte. Entscheidend ist demgegenüber, dass eine Erweiterung in der Folgezeit tatsächlich nicht stattgefunden hat, die Straßenparzelle der (verlängerten) V.-Straße vielmehr mittlerweile in ein anderes Bauvorhaben einbezogen worden ist (vgl. Freistellungsbescheid des Landratsamtes Nordsachsen vom für den Neubau einer Photovoltaik-Freiflächenanlage). Zusammen mit der zu Protokoll des Senats abgegebenen, seitens der Klägerin ausdrücklich unwidersprochen gebliebenen Erklärung der Beklagten, sie habe ihre Ausbauabsicht jedenfalls für die nächsten zehn Jahre endgültig aufgegeben, zwingt dies zu der Folgerung, dass die V.-Straße nach Westen hin ihren Abschluss gefunden hat. Demnach ist das Grundstück der Klägerin ungeteilt zu der Vorausleistung heranzuziehen, weil eine etwaige spätere Verlängerung der V.-Straße, sollte sie nach Ablauf der zehn Jahre doch noch hergestellt werden, eine neue selbstständige Erschließungsanlage bilden würde. Da insoweit die Revision der Beklagten auf der Grundlage des insgesamt unstreitigen, keiner weiteren Feststellung bedürftigen Sachverhalts in der Sache durchgreift, ist auf die Verfahrensrügen nicht einzugehen.
30b) Das Oberverwaltungsgericht meint, die Vorausleistung sei nur in Höhe von 70 % des voraussichtlichen Erschließungsbeitrages rechtmäßig, da das Grundstück der Klägerin bei Abschluss des Verwaltungsverfahrens unbebaut gewesen sei. Auch dem kann der Senat nicht folgen. Zwar erhebt die Beklagte in der "Herstellungsvariante" des § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB Vorausleistungen lediglich bis zu einer Höhe von 70 %. Bis zur vollen Höhe des voraussichtlichen Erschließungsbeitrages erhebt sie Vorausleistungen nur dann, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt worden ist (vgl. § 17 der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen <Erschließungsbeitragssatzung> der Beklagten in der hier maßgeblichen Fassung vom <im Folgenden: EBS>). Auch insoweit hat das Gericht aber zu beachten, dass der Vorausleistungsbescheid nachträglich geheilt werden konnte.
31Danach ist der Umstand, dass das hier fragliche Grundstück zusammen mit zahlreichen Nachbargrundstücken inzwischen mit einer großflächigen Solaranlage bebaut ist, bei der Höhe der von der Klägerin geschuldeten Vorausleistung zu berücksichtigen. Denn insoweit wurde im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB und des § 17 EBS "ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt". Zwar handelt es sich bei dem baurechtlichen Bescheid vom um keine Baugenehmigung, sondern um eine Genehmigungsfreistellung gemäß § 62 SächsBO. Im Zusammenhang mit § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB reicht aber eine bauaufsichtliche Zustimmung, die die Bebauung freigibt ( 8 C 89.89 - BVerwGE 89, 177 <179>; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl. 2012, § 21 Rn. 13). Eine solche Freigabewirkung war mit dem baurechtlichen Bescheid verbunden, denn nach § 62 Abs. 3 SächsBO durfte mit dem Bauvorhaben drei Wochen nach dem Datum begonnen werden, unter dem die Bauaufsichtsbehörde den Eingang der vollständigen Bauunterlagen bestätigt hatte. Im Hinblick auf das Bauvorhaben fehlt es auch nicht an dem Vorteil, der in der "Genehmigungsvariante" des § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Erhebung einer Vorausleistung bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Beitrages rechtfertigt. Nur gänzlich unerhebliche Bauvorhaben lassen eine hinreichende Beziehung zu der Erschließungsanlage vermissen ( 8 C 89.89 - BVerwGE 89, 177 <180>). Bei der hier in Rede stehenden großflächigen Photovoltaikanlage, die wegen ihrer Ausmaße nicht verfahrensfrei gestellt ist (§ 61 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b SächsBO) und schon wegen der notwendigen Aufbau- und Wartungsarbeiten einer geeigneten Verkehrsanbindung bedarf, kann von einer Unerheblichkeit in diesem Sinne keine Rede sein.
32Gegen die nachträgliche Berücksichtigung des Bauvorhabens spricht auch nicht, dass § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Erhebung von Vorausleistungen in das Ermessen der Gemeinde stellt. Der Gemeinderat der Beklagten hat von dieser Ermächtigung vorab durch die dem Grunde nach abschließende Regelung in § 17 EBS Gebrauch gemacht. Der Vorausleistungs- wie auch der Widerspruchsbescheid haben ihrerseits keinen Zweifel daran gelassen, dass die Beklagte die Grenze des Zulässigen der Höhe nach ausschöpfen wollte. Der Umstand, dass für das Grundstück erst nach Abschluss des Erhebungsverfahrens ein Bauvorhaben zugelassen worden ist, füllt den von Anfang an bestehenden, umfassenden Erhebungswillen gewissermaßen nachträglich aus und ist somit im Wege der Heilung beachtlich.
334. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2016:120516U9C11.15.0
Fundstelle(n):
LAAAF-79038