Online-Nachricht - Freitag, 17.06.2016

Umsatzsteuer | Höhe des Vorsteuerabzugs bei gemischt genutzten Wirtschaftsgütern (EuGH)

Art. 175 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet sind, die in dieser Bestimmung vorgesehene Rundungsregel anzuwenden, wenn der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach einer der abweichenden Methoden des Art. 173 Abs. 2 dieser Richtlinie berechnet wird ().

Darüber hinaus sind die Art. 184 ff. der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten in dem Fall, dass der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach innerstaatlichem Recht nach einer der in Art. 173 Abs. 2 dieser Richtlinie oder in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern vorgesehenen Methoden berechnet wurde, nur dann verpflichtet sind, die Rundungsregel des Art. 175 Abs. 1 der erstgenannten Richtlinie im Fall der Vorsteuerberichtigung anzuwenden, wenn diese Rundungsregel zur Bestimmung des ursprünglichen Vorsteuerabzugsbetrags angewandt wurde.

Hintergrund: Soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, darf nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden, der auf den Betrag der zum Vorsteuerabzug berechtigenden Umsätze entfällt. Die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie der Europäischen Union sieht vor, dass Steuerpflichtige, die sowohl Umsätze mit als auch solche ohne Recht auf Vorsteuerabzug erbringen, den Anteil ihrer abzugsfähigen Vorsteuer am Gesamtbetrag ihrer Umsätze anhand eines Pro-rata-Satzes berechnen, der auf Jahresbasis in Prozent festgesetzt und auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet wird. Das deutsche Umsatzsteuergesetz hingegen sieht in § 15 Abs. 4 S. 3 UStG vor, dass eine Ermittlung des nicht abziehbaren Teils der Vorsteuerbeträge nach dem Verhältnis der Umsätze, die den Vorsteuerabzug ausschließen, zu den Umsätzen, die zum Vorsteuerabzug berechtigen, nur dann zulässig ist, wenn keine andere wirtschaftliche Zurechnung möglich ist.

Sachverhalt: Das Vorabentscheidungsersuchen des FG Münster erging im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem Kreditinstitut und dem zuständigen Finanzamt über die Berechnung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, die beim Erwerb von Gegenständen und Dienstleistungen geschuldet oder entrichtet wird, die sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die dieses Recht nicht besteht. Das Kreditinstitut ermittelte den Pro-rata-Satz für den Abzug der Mehrwertsteuer, mit der die von ihr erworbenen gemischt genutzten Gegenstände und Dienstleistungen belastet waren, für das Steuerjahr 2009 mit 13,55 % und für das Steuerjahr 2010 mit 13,18 %. Diese Sätze rundete sie jeweils auf 14 % auf. Bei der Berechnung der Höhe der Berichtigungen für die genannten Steuerjahre, die sie nach § 15a UStG aufgrund des Verzichts auf die Steuerfreiheit ihrer Umsätze im gewerblichen Kundengeschäft vornehmen musste, wandte sie ebenfalls Pro-rata-Sätze des Vorsteuerabzugs an, die sie auf 14 % aufrundete.

Nach einer Steuerprüfung betreffend die Steuerjahre 2009 und 2010 erließ das FA zwei geänderte Umsatzsteuerbescheide gegen das Kreditinstitut mit der Begründung, dass dieses die Pro-rata-Sätze des Vorsteuerabzugs zu Unrecht auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet habe. Gegen diese Bescheide legte das Kreditinstitut Einspruch ein und berief sich auf Art. 175 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112, wonach der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs auf einen vollen Prozentsatz aufgerundet werden müsse. Das FA wies den Einspruch mit der Begründung zurück, dass Art. 175 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 nur anwendbar sei, wenn der betreffende Mitgliedstaat nicht von der Möglichkeit Gebrauch gemacht habe, von der in Art. 173 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Richtlinie vorgesehenen Berechnungsmethode abzuweichen. Deutschland habe von dieser Möglichkeit aber Gebrauch gemacht, da der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs gemäß § 15 Abs. 4 Satz 3 UStG möglichst nach der sogenannten Methode der „wirtschaftlichen Zurechnung“ zu ermitteln sei. Gegen diese Entscheidung erhob das Kreditinstitut Klage beim Finanzgericht Münster, das die Frage dem EuGH vorlegte.

Ferner wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 184 ff. der Richtlinie 2006/112 dahin auszulegen sind, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Rundungsregel des Art. 175 Abs. 1 dieser Richtlinie im Fall der Vorsteuerberichtigung anzuwenden, wenn der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach einer der in Art. 173 Abs. 2 dieser Richtlinie bzw. in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Methoden berechnet wird.

Hierzu führten die Richter des EuGH weiter aus:

  • Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, die vorgesehene Rundungsregel anzuwenden, wenn der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach einer abweichenden Methode berechnet wird.

  • Die Mitgliedstaaten sind in dem Fall, dass der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs nach innerstaatlichem Recht nach einer der in Art. 173 Abs. 2 dieser Richtlinie oder in Art. 17 Abs. 5 Unterabs. 3 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Methoden berechnet wurde, nur dann verpflichtet, die Rundungsregel des Art. 175 Abs. 1 der erstgenannten Richtlinie im Fall der Vorsteuerberichtigung anzuwenden, wenn diese Rundungsregel zur Bestimmung des ursprünglichen Vorsteuerabzugsbetrags angewandt wurde.

  • Die Möglichkeit, von der vorgesehenen Methode zur Berechnung des Vorsteuerabzugs abzuweichen, soll es den Mitgliedstaaten ermöglichen, zu präziseren Ergebnissen bei der Bestimmung des Umfangs des Abzugsrechts zu gelangen.

  • Die Anwendung einer Regel, wonach bei der Bestimmung des Pro-rata-Satzes des Vorsteuerabzugs der ermittelte Prozentsatz des Vorsteuerabzugs auf einen vollen Prozentsatz aufzurunden ist, läuft diesem Ziel aber zuwider.

  • Hieraus folgt, dass die Rundungsregel des Art. 175 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 von einem Mitgliedstaat zwar für jede Berechnung des Rechts auf Abzug der Mehrwertsteuer, mit der der Erwerb von gemischt genutzten Gegenständen oder Dienstleistungen belastet war, herangezogen werden kann, es den Mitgliedstaaten aber freisteht, diese Rundungsregel nicht heranzuziehen, wenn das Recht auf Vorsteuerabzug nach einer abweichenden Methode berechnet wird.

Quelle: EuGH online (Sc)

Hinweis

Der Volltext des Urteils ist auf der EuGH-Homepage veröffentlicht. Eine Aufnahme in die NWB-Datenbank erfolgt in Kürze.

Lesen Sie zu dem Thema auch den Beitrag von Trinks in unserem NWB Experten-Blog.

Fundstelle(n):
NWB TAAAF-75710