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Behindertentestament
I. Definition des Behindertentestaments
Ein sog. Behindertentestament wird von Eltern eines geistig- und (oder) körperlich behinderten Kindes errichtet, um auf der einen Seite eine dauerhafte Versorgung des behinderten Kindes sicherzustellen und auf der anderen Seite einen Zugriff des für den Unterhalt des behinderten Kindes aufkommenden Sozialhilfeträgers auf den Nachlass zu verhindern.
II. Sozialrechtliche Rechtslage
Nach dem sog. Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe erhält derjenige keine Sozialhilfe, der sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder der die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält (§ 2 Abs. 1 SGB XII, § 9 SGB I). Sofern dies möglich ist, hat mithin auch ein behinderter Sozialhilfeempfänger seinen Lebensunterhalt und die Kosten einer eventuell erforderlichen Unterbringung in einem Heim aus seinem Vermögen zu bestreiten. Zu seinem Vermögen gehört auch dasjenige, was er von Todes wegen erwirbt. Nicht einzusetzen sind lediglich die in § 90 SGB XII genannten Vermögensbestandteile. Dazu zählen unter anderem
ein angemessener Hausrat, wobei insoweit die bisherigen Lebensverhältnisse der bedürftigen Person zu berücksichtigen sind (z. B. Möbel, Haushaltsgegenstände, Kleidungsstücke, nicht aber ein Kfz),
Familien- und Erbstücke, deren Veräußerung für die bedürftige Person oder deren Familie eine besondere Härte bedeuten würde; es muss sich mithin um Gegenstände handeln, deren Veräußerung aufgrund einer gesteigerten persönlichen Affinität unverhältnismäßig erschiene,
Gegenstände, die zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Berufsausbildung oder einer Erwerbstätigkeit unentbehrlich sind (z. B. Werkzeuge, Arbeitsmaterialien, Arbeitsgeräte, Fachliteratur),
Gegenstände, die zur Befriedigung geistiger, insbesondere wissenschaftlicher oder künstlerischer Bedürfnisse dienen und deren Besitz nicht Luxus ist (z. B. Bücher, Musik Instrumente, CDs, DVDs, Videos),
ein angemessenes Hausgrundstück, dass von der bedürftigen Person allein oder zusammen mit Angehörigen tatsächlich bewohnt wird,
kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte, wobei eine besondere Notlage der bedürftigen Personen zu berücksichtigen ist (vgl. insoweit Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII; sog. Barbetragsverordnung).
Verfügt die bedürftige Person über einzusetzendes Vermögen, so steht dem Sozialhilfeträger das Recht zu, die Ansprüche der bedürftigen Person gegen Dritte auf sich überzuleiten, soweit es sich nicht um höchstpersönliche Ansprüche und Rechte handelt (§ 93 SGB XII). So hat der Sozialhilfeträger etwa die Möglichkeit, einen der bedürftigen Person zustehenden Pflichtteils- oder Pflichtteilsergänzungsanspruch auf sich überzuleiten. Dies gilt selbst dann, wenn der entsprechende Anspruch von der bedürftigen Person nicht geltend gemacht worden ist. Darüber hinaus ist der Erbe der bedürftigen Person zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet (§ 102 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Eine entsprechende Ersatzpflicht besteht jedoch allein für diejenigen Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und die das Dreifache des Grundbetrags nach § 85 Abs. 1 SGB XII übersteigen (§ 102 Abs. 1 Satz 2 SGB XII). Der Grundbetrag bestimmt sich nach den sozialhilferechtlichen Regelsätzen. Zudem sind Leistungen in der Grundsicherung im Alter von der Erbenhaftung ausgeschlossen (§ 102 Abs. 5 SGB XII).
III. Erbrechtliche Gestaltung eines Behindertentestaments
Die mit einem Behindertentestament verfolgten Ziele lassen sich vornehmlich durch die nachfolgend dargestellte erbrechtliche Gestaltung erreichen:
1. Einsetzung des behinderten Kindes als nicht befreiten Vorerben
Der Erblasser setzt das behinderte Kind in einem Testament als einen von den gesetzlichen Beschränkungen nicht befreiten Vorerben und eine dritte Person – wie etwa Abkömmlinge des behinderten Kindes, nicht behinderte Geschwister oder eine gemeinnützige Einrichtung – als Nacherben ein. Um eine Ausschlagung der Erbschaft zu verhindern, muss die Erbquote des behinderten Kindes seine Pflichtteilsquote (geringfügig) übersteigen (§ 2306 BGB). Insoweit gilt es zu beachten, dass der Pflichtteil in der Hälfte des Wertes des nach Maßgabe der §§ 1924 ff. BGB zu bestimmenden gesetzlichen Erbteils besteht (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Diese Vorgehensweise hat zur Konsequenz, dass das Vermögen des Erblassers zunächst auf das behinderte Kind als Vorerben übergeht. Da letzteres von den gesetzlichen Beschränkungen nicht befreit ist, kann es über die zum Nachlass zählenden Gegenstände nur sehr eingeschränkt verfügen, insbesondere sind ihm Verfügungen über Grundstücke, grundstücksgleiche Rechte und Reche hieran sowie über Schiffe ohne Zustimmung des Nacherben untersagt. Dadurch wird sichergestellt, dass die Substanz der Erbschaft erhalten bleibt. Mit dem Eintritt des Nacherbfalls – regelmäßig mit dem Tode des Vorerben – fällt die Erbschaft dem Nacherben an (§ 2106 BGB).