Auswirkungen von Sonderprüfungen auf die Steuerfestsetzung [1]
Bei der Aufhebung oder Änderung von Steuerbescheiden nach vorausgegangener Sonderprüfung (z. B. Umsatzsteuer-Sonderprüfung oder Lohnsteuer-Außenprüfung) ist Folgendes zu beachten:
1 Allgemeines zum Umfang von Sonderprüfungen und zur Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung
Eine Sonderprüfung wirkt sich nur auf die geprüfte Steuerart und die geprüfte Steuerfestsetzung aus. Wurde z. B. bei einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung auch ein ertragsteuerlich relevanter Sachverhalt geprüft, so ist die Finanzbehörde nicht gehindert, im Rahmen einer Außenprüfung (§§ 193 – 203 AO) denselben Sachverhalt nochmals zu prüfen und aufgrund dieser Überprüfung die Festsetzung der Ertragsteuer aufzuheben oder zu ändern.
Dieser Grundsatz gilt auch, wenn die Sonderprüfung die Investitionszulage betraf.
Die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung ist im Gesetz für den Fall, dass die Prüfung zu einer Änderung der Steuerfestsetzung führt, nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Aus dem Sinn und Zweck der Regelungen des § 164 AO ergibt sich jedoch, dass die geänderte Steuerfestsetzung dann nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergehen darf, wenn es sich bei der Prüfung um eine „abschließende Prüfung” im Sinne des § 164 Abs. 1 Satz 1 AO gehandelt hat. Eine Sonderprüfung stellt keine abschließende Prüfung dar, wenn sie sich auf einzelne Teilbereiche beschränkt. [2] Ob die Prüfung beschränkt war, ergibt sich aus dem Inhalt der Prüfungsanordnung.
2 Umsatzsteuer-Sonderprüfungen
Die für einen Voranmeldungszeitraum errechnete Umsatzsteuer ist eine Vorauszahlung. Die Voranmeldung und die abweichende Steuerfestsetzung stehen kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 AO).
Nach einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung ist bei Umsatzsteuer-Voranmeldungen der Vorbehalt der Nachprüfung in keinem Fall aufzuheben (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO). Dies gilt auch dann, wenn die Sonderprüfung nicht beschränkt war und zu keiner Änderung der Umsatzsteuer-Voranmeldung geführt hat.
Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die nur Voranmeldungszeiträume erfasst, wirkt sich nicht auf die Jahresumsatzsteuer aus. Deshalb tritt für die Festsetzung der Jahressteuer keine Änderungssperre im Sinne des § 173 Abs. 2 AO hinsichtlich der bereits geprüften Voranmeldungszeiträume ein. Auch können bereits geprüfte Sachverhalte bei einer Sonderprüfung oder Außenprüfung, die die Jahresumsatzsteuer zum Gegenstand hat, nochmals überprüft werden und zu einer Änderung der Jahresumsatzsteuer führen. [3]
Die Umsatzsteuer-Jahreserklärung steht – wie die Umsatzsteuer-Voranmeldungen – kraft Gesetzes mit ihrem Eingang bzw. nach Zustimmung der Finanzbehörde einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. Ist eine solche Steueranmeldung Gegenstand einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung und enthält die Prüfungsanordnung für diese Sonderprüfung keine Einschränkungen, so ist der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 Satz 3 AO aufzuheben, wenn die Sonderprüfung nicht zu einer Änderung der Steueranmeldung führt. Auch eine aufgrund der Sonderprüfung geänderte Steuerfestsetzung kann in diesem Fall nicht mehr unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen. Bei einer nachfolgenden Außenprüfung ist die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO zu beachten.
War dagegen die Prüfung der Jahresumsatzsteuer lt. Prüfungsanordnung auf einzelne Sachbereiche beschränkt (z. B. Prüfung lediglich des Vorsteuerabzugs, Prüfung der Exportlieferungen usw.), so braucht der Vorbehalt der Nachprüfung nicht aufgehoben zu werden, wenn die Prüfung zu keiner Änderung der Jahresumsatzsteuer führt. Auch eine geänderte Steuerfestsetzung kann in diesem Fall mit dem Vorbehalt der Nachprüfung versehen werden. Eine nachfolgende Außenprüfung kann eine derartige unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Umsatzsteuerfestsetzung in vollem Umfang nachprüfen.
Im Hinblick auf die eingeschränkten Änderungsmöglichkeiten im Rahmen einer späteren Außenprüfung sollen sich Umsatzsteuer-Sonderprüfungen, die die Jahresumsatzsteuer betreffen, in der Regel nur auf einzelne Sachbereiche beschränken. Die Beschränkung ist in der Prüfungsanordnung ausdrücklich vorzusehen. Bei einer späteren Außenprüfung soll regelmäßig von der Prüfung der Sachbereiche abgesehen werden, die bereits Gegenstand der Umsatzsteuer-Sonderprüfung waren.
3 Lohnsteuer-Außenprüfungen
3.1 Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner
Auch Lohnsteueranmeldungen stehen kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 168 AO); sie haben jedoch keinen Vorauszahlungscharakter. Bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung handelt es sich stets um eine abschließende Prüfung. Führt eine Lohnsteuer-Außenprüfung nicht zu einer Änderung der angemeldeten Lohnsteuer, ist deshalb der Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO aufzuheben.
Ergeben sich aufgrund der Lohnsteuer-Außenprüfung gegenüber der angemeldeten Lohnsteuer Änderungen, so ist der Vorbehalt der Nachprüfung mit dem entsprechenden Bescheid ebenfalls aufzuheben.
Nach Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung für die Lohnsteueranmeldungen des Prüfungszeitraums kann das Finanzamt aufgrund der Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO den Arbeitgeber für Lohnsteuer, die im Prüfungszeitraum entstanden ist, nicht als Haftungsschuldner nach § 42d Abs. 1 EStG in Anspruch nehmen. Die Änderungssperre tritt selbst dann ein, wenn im Prüfungsbericht ausdrücklich auf die Möglichkeit einer späteren Inanspruchnahme für den Fall hingewiesen wurde, dass die Lohnsteuer nicht von den Arbeitnehmern bezahlt wird. [4] Eine Ausnahme gilt lediglich, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung festgestellt wird.
Gleiches gilt, wenn nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung bereits ein Lohnsteuer-Haftungsbescheid ergangen ist und später für denselben Anmeldungszeitraum neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO bekannt werden. Die Änderungssperre betrifft jedoch nur die Lohnsteueranmeldungen des geprüften Zeitraums, für die der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben wurde.
Die Möglichkeit eines späteren Rückgriffs auf den Arbeitgeber kann jedoch in folgender Weise offen gehalten werden: [5]
Gegenüber dem Arbeitgeber ist ein Haftungsbescheid mit Leistungsgebot über die unstreitig bei ihm anzufordernden Lohnsteuerbeträge zu erlassen. Zusätzlich wird ein weiterer – zunächst nicht mit einem Leistungsgebot im Sinne des § 219 AO versehener – Haftungsbescheid über diejenigen Beträge erteilt, die zunächst bei den Arbeitnehmern angefordert werden. In dem zweiten Haftungsbescheid ist der Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass er die festgesetzte Haftungsforderung vorerst nicht zu begleichen hat, weil insoweit vorrangig die Arbeitnehmer in Anspruch genommen werden sollen. Dieser Hinweis ist als abweichende Fälligkeitsbestimmung im Sinne des § 220 Abs. 2 Satz 1 zweiter Halbsatz AO anzusehen mit der Folge, dass die Haftungsforderung nicht bereits mit der Bekanntgabe des Haftungsbescheids fällig wird.
In beiden Haftungsbescheiden ist jeweils auf den Erlass des anderen Bescheids hinzuweisen. Erst nach Erlass des letzten Haftungsbescheids ist der Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben. Zudem ist die Zahlungsverjährung (§ 229 Abs. 2 AO) durch geeignete Maßnahmen zu überwachen.
Dieses Verfahren wird der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerecht. Die in der einschlägigen BFH-Entscheidung [6] aufgezeigte erste Variante, wonach der gegenüber dem Arbeitgeber ergehende Haftungsbescheid zunächst nicht die bei den Arbeitnehmern angeforderten Steuerbeträge umfassen und die Lohnsteuer-Außenprüfung erst abgeschlossen werden soll, wenn feststeht, ob die bei den Arbeitnehmern angeforderten Beträge gezahlt werden, wird rechtlich nicht für zulässig angesehen, weil die Lohnsteuer-Außenprüfung grundsätzlich spätestens mit Erlass der auf den Prüfungsergebnissen beruhenden Nachforderungs- bzw. Haftungsbescheide abgeschlossen ist.
Erkennt der Arbeitgeber nach Abschluss einer Lohnsteueraußenprüfung seine Zahlungsverpflichtung gemäß § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG schriftlich an, bedarf es für seine Inanspruchnahme keines Haftungsbescheids und keines Leistungsgebots. Die Anerkenntniserklärung steht einer Steueranmeldung und damit einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich (§ 167 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 168 Satz 1 AO).
3.2 Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Steuerschuldner
Führt eine Lohnsteuer-Außenprüfung zu einer Nachforderung an pauschalierter Lohnsteuer, so ergeht aufgrund der einkommensteuerrechtlichen Sondervorschriften über die Pauschalierung von Lohnsteuer (§§ 40, 40a, 40b EStG) ein Nachforderungsbescheid. Mit diesem Nachforderungsbescheid wird lediglich die nachzuzahlende Lohnsteuer festgesetzt.
Der Arbeitgeber ist Schuldner der pauschalen Lohnsteuer (§§ 40 Abs. 3, 40a Abs. 5, 40b Abs. 5 EStG). Der Nachforderungsbescheid ist deshalb kein Haftungsbescheid, sondern ein Steuerbescheid und unterliegt daher den Regelungen über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden.
Wurde nach einer ergebnislosen Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben, steht einer Änderung der Lohnsteueranmeldung nach § 173 Abs. 1 AO durch Erlass eines Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids – ebenso wie durch Erlass eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids (vgl. Nr. 3.1) – die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO entgegen, es sei denn, es liegt eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vor. Gleiches gilt, wenn nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung bereits ein Lohnsteuer-Nachforderungsbescheid ergangen ist und später für den gleichen Anmeldungszeitraum neue Tatsachen im Sinne des § 173 Abs. 1 AO bekannt werden. [7]
3.3 Fortbestand des Nachprüfungsvorbehalts
Der Vorbehalt der Nachprüfung kann in Ausnahmefällen nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung bestehen bleiben, z. B. weil die Prüfung nicht abschließend durchgeführt werden konnte. Bei der Änderung von Steuerbescheiden bleibt der Vorbehalt der Nachprüfung auch ohne ausdrückliche Wiederholung im Änderungsbescheid bestehen. [8]
Deshalb ist der Vorbehalt der Nachprüfung weiterhin wirksam, wenn er nicht – z. B. im Rahmen der Änderung der Lohnsteueranmeldung durch Erlass eines Lohnsteuer-Haftungsbescheids oder Lohnsteuer-Nachforderungsbescheids – ausdrücklich aufgehoben wird. § 164 Abs. 2 AO ermöglicht daher in derartigen Fällen den Erlass weiterer Haftungs- oder Nachforderungsbescheide für den Prüfungszeitraum. Dabei ist es unbeachtlich, ob das Finanzamt rechtlich verpflichtet war, den Vorbehalt der Nachprüfung aufzuheben. [9]
3.4 Auswirkungen der Lohnsteuer-Außenprüfung auf andere Steuerarten
Auf Sachverhalte, die sich auf andere Steuerarten auswirken (z. B. Arbeitsverhäftnisse zwischen Ehegatten, Bezüge von Gesellschafter-Geschäftsführern), findet die unter Nr. 3.1 genannte Rechtsprechung keine Anwendung. Wurde z. B. nach einer ergebnislosen Lohnsteuer-Außenprüfung der Vorbehalt der Nachprüfung für die Lohnsteueranmeldungen des Prüfungszeitraums aufgehoben, kann gleichwohl im Rahmen einer allgemeinen Außenprüfung die Anerkennung eines Ehegatten-Arbeitsverhältnisses für diese Jahre noch versagt werden. Einer Änderung der Einkommensteuerbescheide für diese Jahre steht § 173 Abs. 2 AO nicht entgegen. Eine Lohnsteuer-Außenprüfung zielt immer nur auf die zutreffende lohnsteuerrechtliche, bezogen auf Einkommensteuerschuld und Einkommensteuerfestsetzung also in jedem Falle vorläufige Behandlung des Sachverhaltskomplexes ab. Die Änderungssperre wirkt mithin nur gegenüber dem Arbeitgeber und schließt damit eine unmittelbare Inanspruchnahme des Arbeitnehmers als Steuerschuldner nicht aus. [10]
OFD Niedersachsen v. - S 0351 - 62 - St 142
Fundstelle(n):
DB 2016 S. 1408 Nr. 24
UR 2016 S. 812 Nr. 20
KAAAF-74553