BAG Urteil v. - 9 AZR 226/15

Übergangsversorgung - Bestimmtheit - Streitgegenstand

Gesetze: § 253 Abs 2 Nr 2 ZPO, § 850c Abs 1 ZPO, § 850c Abs 2 ZPO, § 850e Nr 2a S 1 ZPO, § 394 S 1 BGB, § 611 BGB, § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Frankfurt Az: 17 Ca 7499/13 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 17 Sa 948/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe einer Firmenrente im Rahmen der tariflichen Übergangsversorgung des Klägers.

2Der am geborene schwerbehinderte Kläger war bei der Beklagten als Flugbegleiter beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis unterlag kraft einzelvertraglicher Bezugnahme den für das Kabinenpersonal der Beklagten geltenden Tarifverträgen. Es endete am wegen Erreichens der tarifvertraglich vorgesehenen Altersgrenze. Der bei der Beklagten geltende „Tarifvertrag Übergangsversorgung für Flugbegleiter“ idF vom (im Folgenden TV ÜV) regelt ua.:

3Die Protokollnotiz I des TV ÜV lautet:

4Der „Tarifvertrag Lufthansa-Betriebsrente für das Kabinenpersonal“ in der ab geltenden Fassung (im Folgenden TV BR) lautet auszugsweise:

5Die Beklagte zahlte dem Kläger ab dem als Übergangsversorgung eine Firmenrente nach dem TV ÜV. Gemäß dem Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom erhielt der Kläger ab dem eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Die Beklagte zahlte ihm über den hinaus die ungekürzte Firmenrente.

6Am beantragte der Kläger eine Betriebsrente nach dem TV BR. Mit Schreiben vom teilte die Beklagte dem Kläger ua. mit, seine monatliche Betriebsrente betrage ab dem 558,94 Euro brutto. Diese werde „auf die Leistungen aus der Übergangsversorgung angerechnet“. Die Beklagte erklärte mit weiterem Schreiben vom , die seit dem von der Deutschen Rentenversicherung Bund erhaltene Altersrente für schwerbehinderte Menschen und die hieraus resultierende Betriebsrente sowie die VBL-Rente seien auf die Firmenrente anzurechnen. Sie berechnete die Leistungen der Firmenrente rückwirkend ab dem neu, bezifferte in einem Schreiben vom ihre Überzahlung auf 39.011,91 Euro und forderte den Kläger erfolglos auf, unter Berücksichtigung eines Einbehalts iHv. 601,27 Euro „mit der Vergütung Juli 2013“ an sie 38.410,64 Euro zu zahlen.

7Mit seiner der Beklagten am zugestellten Klage hat der Kläger die Zahlung der iHv. 601,27 Euro einbehaltenen Betriebsrente sowie die Feststellung geltend gemacht, dass der Beklagten gegen ihn keine Forderung iHv. 38.410,64 Euro zusteht.

8Er hat dazu ua. die Auffassung vertreten, die Regelung in § 2 Abs. 2 TV ÜV sei aufgrund einer Benachteiligung wegen seiner Behinderung unwirksam.

9Nachdem die Parteien den negativen Feststellungsantrag des Klägers übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat der Kläger zuletzt beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und widerklagend,

11Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die vom Kläger bezogene gesetzliche Altersrente für schwerbehinderte Menschen und die VBL-Rente seien auf die Übergangsversorgung anzurechnen. Zwar habe der Kläger im Zeitraum vom bis zum keine Zahlungen von der VBL erhalten, eine Anrechnung sei dennoch vorzunehmen. Daraus folge ein Rückzahlungsbetrag iHv. 52.050,51 Euro brutto. Hieraus mache sie eine Rückforderung iHv. 39.011,91 Euro netto geltend, von der die einbehaltenen 601,27 Euro netto abzuziehen seien.

12Das Arbeitsgericht hat festgestellt, dass der Beklagten gegenüber dem Kläger kein Rückerstattungsanspruch zusteht, der einen Betrag iHv. 35.925,53 Euro übersteigt. Es hat die Klage abgewiesen, soweit der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 601,27 Euro verlangt hat. Die Widerklage der Beklagten hat es abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat - soweit die Parteien den Rechtsstreit nicht teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt haben - die Berufung der Beklagten zurückgewiesen, auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage auf Zahlung von 601,27 Euro stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung sowie ihre Widerklage auf Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 38.410,64 Euro weiter.

Gründe

13A. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass die - nach übereinstimmender teilweiser Erledigungserklärung - zulässige Klage begründet ist. Die Widerklage ist entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts bereits unzulässig.

14I. Die Widerklage der Beklagten ist unzulässig. Sie ist streitgegenständlich nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

151. Nach dieser Bestimmung muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Die Klagepartei muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung sie begehrt. Dazu hat sie den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 ZPO) keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 ZPO). Sowohl bei einer der Klage stattgebenden als auch bei einer sie abweisenden Sachentscheidung muss zuverlässig feststellbar sein, worüber das Gericht entschieden hat. Bei mehreren im Wege einer objektiven Klagehäufung gemäß § 260 ZPO in einer Klage verfolgten Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die „Gesamtklage“ zusammensetzt. Werden im Wege einer „Teil-Gesamtklage“ mehrere Ansprüche nicht in voller Höhe, sondern teilweise verfolgt, muss die Klagepartei genau angeben, in welcher Höhe sie aus den einzelnen Ansprüchen Teilbeträge einklagt ( - Rn. 12 mwN; - 7 AZR 387/08 - Rn. 11). Nach diesen Grundsätzen muss sie vortragen, wie sie die geltend gemachte Gesamtsumme ziffernmäßig auf die verschiedenen Ansprüche verteilt wissen will. Eine Klage, die verschiedene Streitgegenstände nicht individualisiert iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, ist unzulässig (vgl.  - Rn. 21 ff.; Zöller/Greger ZPO 31. Aufl. Vor § 253 Rn. 24).

162. Daran gemessen ist der Streitgegenstand nicht hinreichend bestimmt. Bei der mit der Widerklage geltend gemachten Forderung handelt es sich um mehrere Ansprüche, welche die Beklage im Wege der objektiven Klagehäufung geltend macht, wobei diese Ansprüche nicht in voller Höhe Gegenstand der Widerklage sind, sondern nur teilweise. Es ist jedoch unklar, aus welchen Einzelforderungen sich diese „Teil-Gesamtklage“ zusammensetzt. Das Vorbringen der Beklagten zu den mit der Widerklage geltend gemachten Forderungen und deren Berechnung ist widersprüchlich.

17a) In ihrer Berufungsbegründung vom und in der Revision hat die Beklagte hinsichtlich der Berechnung der mit der Widerklage verfolgten Forderung zunächst auf die vom Kläger seit dem bezogene Altersrente sowie die VBL-Rente hingewiesen und sodann auf die Anlage B2 Bezug genommen. Daraus soll sich eine Überzahlung iHv. 52.050,51 Euro brutto ergeben. Der sich daraus ergebende Nettobetrag iHv. 39.011,91 Euro abzüglich der bereits beim Kläger in Abzug gebrachten 601,27 Euro netto - insoweit verweist die Beklagte auf die Anlage B3 - soll der mit der Widerklage geltend gemachte Betrag sein. Allerdings bleibt nach wie vor unklar, aus welchen Teilbeträgen und für welche Zeiträume sich der mit der Widerklage geltend gemachte Betrag ergibt. Die zur Erläuterung in Bezug genommenen Anlagen B2 und B3 stehen im Widerspruch sowohl zu den schriftsätzlichen Ausführungen als auch zueinander. Denn ausweislich der Anlage B2 ergeben sich die 52.050,51 Euro brutto nicht aus der Summe der für den Zeitraum von September 2010 bis November 2012 (27 Monate) erlangten Altersrente und VBL-Rente, sondern aus der Summe von Altersrente, VBL-Rente und Betriebsrente und dies auch nur für 25 Monate aus dem insgesamt 27 Monate umfassenden Zeitraum von September 2010 bis November 2012. Die Anlage B3 hingegen zeigt die Summe der Differenzbeträge aus der Nettofirmenrente nach alter Berechnung (ohne Anrechnung der Altersrente, VBL-Rente und Betriebsrente) und neuer Berechnung (unter Anrechnung der Altersrente, VBL-Rente und Betriebsrente). Die dort aufgeführte Summe iHv. 39.011,91 Euro netto ergibt sich hingegen aus den Differenzbeträgen für den Zeitraum von September 2010 bis einschließlich März 2013 (= 31 Monate). Unter Abzug der von der Beklagten einbehaltenen Betriebsrente iHv. 601,27 Euro soll sich nach der Anlage der Restbetrag iHv. 38.410,64 Euro netto ergeben, den die Beklagte mit der Widerklage geltend macht.

18b) Zudem fehlt es auch an der hinreichenden Bestimmtheit der Widerklage, weil die Beklagte nicht dargelegt hat, welchen Teil ihrer grundsätzlich erhobenen Ansprüche sie mit der Widerklage geltend macht und welche sie durch die erklärte Aufrechnung als erledigt ansieht. Mithin wäre bei Ergehen eines Sachurteils nicht ermittelbar, über welchen Teil der von der Beklagten klageweise geltend gemachten Ansprüche rechtskräftig entschieden wurde. Wird - wie vorliegend - mit der Widerklage lediglich ein Teilbetrag einer Gesamtforderung geltend gemacht und im Übrigen (teilweise) die Aufrechnung erklärt, muss deshalb auch angegeben werden, wie sich die Gesamtforderung auf die Teilwiderklage und die Aufrechnung verteilt. Andernfalls ist die Teilwiderklage mangels hinreichender Individualisierung des Streitgegenstands unzulässig ( - Rn. 113).

19II. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an den Kläger 601,27 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem zu zahlen. Die dagegen gerichtete Revision der Beklagten ist unbegründet.

201. Der der Höhe und dem Grunde nach unstreitige Anspruch des Klägers auf Zahlung der Betriebsrente folgt aus § 7 TV BR, der nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts auf das Arbeitsverhältnis kraft einzelvertraglicher Bezugnahme Anwendung findet. Er ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht durch die mit ihrem Schreiben vom gegenüber dem Kläger erklärte Aufrechnung erfüllt und damit zum Erlöschen gebracht worden (§ 389 BGB).

21a) Die Aufrechnung der Beklagten verstößt schon gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB.

22aa) § 394 Satz 1 BGB schließt eine Aufrechnung gegen eine Forderung aus, soweit diese nicht der Pfändung unterworfen ist. Bei Arbeitseinkommen bestimmt sich der pfändbare Teil gemäß § 850 Abs. 1 ZPO nach Maßgabe der §§ 850a bis 850i ZPO. Zur Sicherung des Existenzminimums des Arbeitnehmers und seiner unterhaltsberechtigten Familienangehörigen regelt § 850c Abs. 1 ZPO einen unpfändbaren Grundbetrag. Dieser ist entsprechend den Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gestaffelt und nach oben begrenzt. Für den Teil des Arbeitseinkommens, der diesen Grundbetrag übersteigt, gelten die weiteren Pfändungsbeschränkungen des § 850c Abs. 2 ZPO ( - Rn. 10). Nach § 850e Nr. 2a Satz 1 ZPO sind mit Arbeitseinkommen auf Antrag auch Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zusammenzurechnen, soweit diese der Pfändung unterworfen sind. Dazu gehören auch gesetzliche Rentenansprüche (vgl.  - Rn. 12). Der unpfändbare Grundbetrag ist, soweit die Pfändung nicht wegen gesetzlicher Unterhaltsansprüche erfolgt, in erster Linie den laufenden Geldleistungen nach dem Sozialgesetzbuch zu entnehmen (§ 850e Nr. 2a Satz 2 ZPO).

23bb) Gemessen daran verstößt die Aufrechnung der Beklagten gegen das Aufrechnungsverbot des § 394 Satz 1 BGB. Bei dem streitgegenständlichen Betriebsrentenanspruch handelt es sich nach § 850 Abs. 2 ZPO um Arbeitseinkommen iSd. § 850 Abs. 1 ZPO (vgl.  - zu III 2 a der Gründe, BAGE 85, 274;  - Rn. 10). Rechnet der Arbeitgeber gegen Arbeitseinkommen auf, obliegt es ihm vorzutragen, dass die Aufrechnung unter Beachtung der Pfändungsschutzvorschriften erfolgt ( - Rn. 11). Die Beklagte hat nicht dargetan, dass sie die Pfändungsbeschränkungen bei der Aufrechnung ausreichend berücksichtigt hat. Dies gilt selbst dann, wenn zu ihren Gunsten unterstellt wird, dass der Kläger auch im Juli 2013 eine gesetzliche Altersrente iHv. 1.359,89 Euro brutto bezogen hat und es unter dem Gesichtspunkt der „Zweckgemeinschaft“ eines Zusammenrechnungsbeschlusses des Vollstreckungsgerichts nach § 850e Nr. 2a ZPO nicht bedurfte (vgl.  - zu I 4 b der Gründe). Die Beklagte hat nicht dargelegt, welcher Nettobetrag sich daraus ergibt und ob Unterhaltspflichten des Klägers zu berücksichtigen waren.

24b) Die Aufrechnung ist zudem mangels hinreichender Bestimmtheit der zur Aufrechnung gestellten Forderung unzulässig.

25aa) Eine Aufrechnung setzt voraus, dass klar ist, mit welcher Forderung gegen die Hauptforderung aufgerechnet wird. Für die Geltendmachung einer Aufrechnung mit einer Gegenforderung gilt der Bestimmtheitsgrundsatz des § 253 Abs. 2 ZPO (vgl.  - Rn. 102). Nach § 322 Abs. 2 ZPO ist die Entscheidung, dass die Gegenforderung nicht besteht, bis zur Höhe des Betrags, für den die Aufrechnung geltend gemacht worden ist, der Rechtskraft fähig. Der Umfang der Rechtskraft darf nicht unklar bleiben. Auch wenn die Klage aufgrund einer Aufrechnung abgewiesen werden soll, muss feststehen, welche der zur Aufrechnung gestellten Gegenansprüche in welcher Höhe erloschen sind (vgl.  - zu II der Gründe).

26bb) Dies ist - selbst unter Berücksichtigung der Tilgungsreihenfolge aus § 396 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 366 Abs. 2 BGB (dazu  - Rn. 17) - vorliegend nicht der Fall. Es ist schon nicht erkennbar, wie sich die aus einer Vielzahl von Einzelansprüchen bestehende Gegenforderung, derer sich die Beklagte berühmt, zusammensetzt und wie sie sich auf ihre Gesamtforderung verteilt.

272. Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach § 14 Abs. 4 Satz 2 TV BR iVm. § 614 BGB war der Anspruch auf Zahlung der Betriebsrente für Juli 2013 mit Ablauf des Kalendermonats Juli 2013 fällig.

28B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:230216.U.9AZR226.15.0

Fundstelle(n):
FAAAF-73895