Nomen est omen?
EU-Kommission legt Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer vor
Schon 1992 waren die Zielvorstellungen der einzelnen Mitgliedstaaten (mit deutlich kleinerer Mitgliederzahl) so unterschiedlich, dass die eingeführten Regelungen des Binnenmarktes zum nur als Übergangsmaßnahmen verabschiedet wurden. Damals hatte die Kommission ein Konzept zur Einführung des Ursprungslandprinzips vorgelegt, das eine erhebliche Veränderung der nationalen Haushalte nach sich ziehen würde, wozu die meisten Mitgliedstaaten nicht bereit waren.
Statt der damals veranschlagten vier Jahre dauert die Übergangsregelung heute immer noch an, wir leben seit mehr als zwei Jahrzehnten mit einem völlig unzureichenden und betrugsanfälligen Besteuerungssystem. Nachdem die EU-Kommission mit ihrem sog. Grünbuch „Wege zu einem einfacheren, robusteren und effizienteren MwSt-System“ alle Interessierten aufgefordert hatte, sich an einer öffentlichen Konsultation zu beteiligen, hat sie nunmehr am einen „Aktionsplan im Bereich der Mehrwertsteuer“ vorgelegt.
Auch die Kommission erkennt, dass das System der Mehrwertsteuer einfacher werden muss, da die aktuelle Komplexität des Systems gerade kleineren und mittleren Unternehmen zu schaffen macht und enorme Bürokratiekosten nach sich zieht. Außerdem muss das neue System das steigende Betrugsrisiko bekämpfen. Und das System soll auf mehr Vertrauen zwischen den einzelnen Steuerverwaltungen der EU beruhen. Hehre Ziele, doch um es mit Goethe zu sagen „allein mir fehlt der Glaube.“
Die Kommission plant nun — unter weiser Ankündigung, dass die Arbeiten einige Zeit in Anspruch nehmen werden — einen Legislativvorschlag für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem nach dem Prinzip der Besteuerung im Bestimmungsland vorzulegen, sofern es sich um Lieferungen an Endverbraucher handelt. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass es für die EU als Ganzes die beste Option wäre, B2B-Lieferungen innerhalb der EU dagegen wie inländische Lieferungen zu behandeln. Aber schon dieser Aktionsplan deutet wieder Ausnahmen an, sodass ein tatsächlicher Schritt zur Steuervereinfachung nicht wirklich erkennbar ist. So sollen „vorschriftsmäßig handelnde Unternehmen, denen von den jeweiligen Steuerverwaltungen Bescheinigungen ausgestellt werden, weiterhin für in anderen EU-Ländern gekaufte Gegenstände mehrwertsteuerpflichtig sein.“ Die Kommission betont, dass für diese Reformen „politische Führungskraft erforderlich ist“, und legt einen langfristigen Reformplan vor. Der Name des Programms lässt den typischen europäischen Aktionismus befürchten.
Das größte Hemmnis der EU war und ist das sog. Einstimmigkeitsprinzip, das jedem Staat die Möglichkeit gibt, die Mehrheit vernünftig denkender Reformstaaten unter Druck zu setzen. Vor jedem weiteren Reformversuch sollten daher erst einmal die demokratischen Grundregeln überdacht werden, um einen Wirtschaftskoloss mit 28 Mitgliedstaaten überhaupt noch steuern zu können.
Ralf Sikorski
Fundstelle(n):
NWB 2016 Seite 1121
NWB CAAAF-71125