Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Anforderungen an die Ausgangskontrolle bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze per Telefax
Leitsatz
Besteht die allgemeine Kanzleianweisung, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, und die Frist im Fristenkalender erst anschließend zu streichen, muss das Sendeprotokoll bei der allabendlichen Erledigungskontrolle nicht - erneut - inhaltlich überprüft werden.
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 517 ZPO
Instanzenzug: Az: 3 U 48/15vorgehend LG Aachen Az: 10 O 193/08
Gründe
1I. Der Beklagte zu 1 begehrt Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist. Er wollte gegen das ihm am zugestellte Urteil am Gründonnerstag, dem , Berufung einlegen. Die zweite Seite des Schriftsatzes, auf dem sich die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 und die Erklärung, dass Berufung eingelegt werden soll, befanden, wurde durch das Telefaxgerät nicht übertragen. Am , einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist, ging der Originalschriftsatz vollständig beim Berufungsgericht ein.
2Mit seinem Antrag auf Wiedereinsetzung hat der Beklagte zu 1 im Wesentlichen geltend gemacht: Bei der Faxübertragung am sei die zweite Seite des Schriftsatzes nicht eingezogen worden. Die Organisationsanweisung in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten sehe für fristgebundene Rechtsmittel vor, dass bei einer Übertragung per Telefax anhand des Sendeberichts kontrolliert werde, ob die Empfängernummer richtig sei, alle Seiten des Schriftstücks übertragen worden seien und ein OK-Vermerk vorhanden sei. Die Bürovorsteherin H. habe verabsäumt, die Seitenzahl der übertragenen Seiten zu kontrollieren. Frau H. sei ausgebildete Rechtsfachwirtin, die neben der Mitarbeiterin L. seit vielen Jahren beanstandungslos den Fax- und Postversand fristgebundener Schriftstücke abwickle.
3Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 1.
4II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
51. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig, da die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Das Berufungsgericht hat dem Beklagten zu 1 zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist verwehrt. Die Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Beklagten zu 1 in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip.
62. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
7Der Beklagte zu 1 hat zwar die Berufungsfrist versäumt. Ihm war jedoch antragsgemäß Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist für die Berufungseinlegung gehindert war (§ 233 ZPO).
8a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dem Wiedereinsetzungsgesuch lasse sich bereits nicht entnehmen, welche konkrete Bürokraft für die Fristenkontrolle Verantwortung getragen habe. Eine solche Darlegung sei für die Ausräumung eines Organisationsverschuldens jedoch geboten. Es müsse eindeutig feststehen, welche Fachkraft zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils ausschließlich für die Fristenkontrolle zuständig sei. Darüber hinaus sei eine Anordnung in der Kanzlei des Rechtsanwalts des Beklagten zu 1, durch die gewährleistet sei, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders von einer dazu beauftragten Bürokraft nochmals und abschließend selbstständig überprüft werde, nicht dargetan. Bei einer entsprechenden Überprüfung wäre aufgefallen, dass der Rechtsfachwirtin H. die Kontrolle der Blattzahl durchgegangen sei.
9b) Mit diesen Erwägungen kann dem Beklagten zu 1 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht versagt werden. Den Beklagten zu 1 trifft kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsfrist. Die Fristversäumung beruht nicht auf einem Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1, sondern auf einem dem Beklagten zu 1 nicht zurechenbaren Versäumnis der Büroangestellten seines Prozessbevollmächtigten bei der Versendung des Berufungsschriftsatzes per Telefax.
10aa) Die Versendung eines fristgebundenen Schriftsatzes per Telefax stellt eine einfache Bürotätigkeit dar, mit der jedenfalls eine voll ausgebildete und erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte beauftragt werden darf (, juris Rn. 9). Bei der Übermittlung fristwahrender Schriftsätze per Telefax kommt der Rechtsanwalt seiner Verpflichtung zu einer wirksamen Ausgangskontrolle - soweit hier von Bedeutung - dann nach, wenn er seinen Büroangestellten die Weisung erteilt, sich einen Sendebericht ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu prüfen und die Notfrist erst nach Kontrolle des Sendeberichts zu löschen (, MDR 2014, 1286 Rn. 7; Beschluss vom - I ZB 75/12, NJW-RR 2013, 1008 Rn. 6; Beschluss vom - XII ZB 117/10, MDR 2010, 1416 Rn. 11).
11Der Beklagte zu 1 hat glaubhaft gemacht, dass diese Anforderung im Büro seines Prozessbevollmächtigten beachtet wird. Die Bürokräfte des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 haben eidesstattlich versichert, dass sie im Rahmen der Büroorganisation angehalten seien, die im Sendebericht angegebene Blattzahl mit der Blattzahl des Schriftstücks zu vergleichen. Sie dürften Fristen erst streichen, nachdem die Empfängernummer, die Blattzahl und der OK-Vermerk überprüft worden seien. Die Bürovorsteherin H. habe verabsäumt, die Seitenzahl der übertragenen Seiten zu kontrollieren. Deren Verschulden ist dem Beklagten zu 1 nicht zuzurechnen.
12bb) Es liegt auch kein sonstiges für die Fristversäumung ursächliches Organisationsverschulden des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 vor.
13(1) Auf die vom Berufungsgericht vermisste Glaubhaftmachung einer ordnungsgemäßen Kompetenzabgrenzung bei der Fristenkontrolle kommt es schon deshalb nicht an, weil sich bei der Versäumung der Berufungsfrist keine Gefahr verwirklicht hat, der durch diese Sorgfaltsanforderung vorgebeugt werden soll.
14Zwar ist es richtig, dass für die Ausräumung eines Organisationsverschuldens des Rechtsanwalts eindeutig feststehen muss, welche Bürokraft zu einem bestimmten Zeitpunkt jeweils ausschließlich für die Fristenkontrolle, das heißt die Fristennotierung im Kalender und die Fristenüberwachung, zuständig ist (, WM 2015, 782 Rn. 10; Beschluss vom - XII ZB 177/10, NJW 2011, 385 Rn. 9). Denn bei einer Überschneidung von Kompetenzen werden Fehlerquellen eröffnet, weil die Gefahr besteht, dass sich im Einzelfall einer auf den anderen verlässt (, NJW 2007, 1453 Rn. 12; Beschluss vom - VII ZR 396/98, VersR 2000, 515 f.). Diese Gefahr hat sich vorliegend nicht verwirklicht. Ursächlich für die Versäumung der Berufungsfrist war allein eine Nachlässigkeit bei der Ausgangskontrolle des Übersendungsprotokolls und die hierauf beruhende fehlerhafte Streichung der Frist im Fristenkalender durch eine von zwei zuständigen Bürokräften.
15Unabhängig davon liegt bereits kein Organisationsverschulden vor. Die Zuständigkeit für die Fristnotierung im Kalender und die Fristüberwachung darf innerhalb eines Arbeitstages wechseln. Zu fordern ist nur, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt eindeutig feststeht, welche Fachkraft jeweils ausschließlich für die Fristenkontrolle zuständig ist (, NJW 2007, 1453 Rn. 13). Einen solchen zulässigen Zuständigkeitswechsel hat der Beklagte zu 1 glaubhaft gemacht. Die beiden Büroangestellten seines Prozessbevollmächtigten haben eidesstattlich versichert, dass beide für die Fristüberwachung zuständig und angehalten seien, Fristen erst zu streichen, nachdem sie das Sendeprotokoll kontrolliert haben. Am habe die Bürovorsteherin H. die Büroangestellte L. am Nachmittag bei der Faxübermittlung abgelöst. Die nach der Ablösung ausschließlich zuständige Bürovorsteherin H. habe dann das Sendeprotokoll - unzureichend - kontrolliert und die Berufungsfrist gestrichen.
16(2) Die von einem Rechtsanwalt im Rahmen der Fristenkontrolle geforderte allabendliche Ausgangskontrolle umfasst entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die erneute inhaltliche Überprüfung des Sendeprotokolls.
17Zu einer wirksamen Ausgangskontrolle gehört die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages durch eine dazu beauftragte Bürokraft anhand des Fristenkalenders nochmals selbständig überprüft wird. Diese Überprüfung dient auch dazu, festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Deshalb ist dabei, gegebenenfalls anhand der Akten, auch zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (, juris Rn. 8; Beschluss vom - III ZB 55/14, WM 2015, 782 Rn. 17 f.).
18Dies bedeutet aber nicht, dass das Übersendungsprotokoll abends erneut inhaltlich zur prüfen ist, wenn wie vorliegend die allgemeine Anweisung besteht, nach der Übermittlung eines Schriftsatzes per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist, und die Frist im Fristenkalender erst anschließend zu streichen. Nur dann, wenn diese allgemeine Kanzleianweisung fehlt, kann nicht von einer insoweit bereits durchgeführten wirksamen Ausgangskontrolle durch die Büroangestellten ausgegangen werden und nur dann muss die Prüfung der Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend auch eine inhaltliche Prüfung des Sendeprotokolls umfassen (vgl. , juris Rn. 13).
Bergmann Strohn Reichart
Drescher Born
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:230216BIIZB9.15.0
Fundstelle(n):
BB 2016 S. 833 Nr. 15
DB 2016 S. 6 Nr. 15
DB 2016 S. 953 Nr. 16
HFR 2016 S. 661 Nr. 7
NJW 2016 S. 1664 Nr. 23
NJW 2016 S. 8 Nr. 16
WM 2016 S. 2083 Nr. 43
MAAAF-70971