BGH Beschluss v. - XII ZB 653/14

Rechtsanwaltsverschulden bei Fristversäumung durch Telefaxübersendung einer nicht unterzeichneten Beschwerdebegründung in einer Familiensache: Unterbliebene Maßnahmen zur Überwachung einer unzuverlässigen Bürokraft

Leitsatz

Sind einer Rechtsanwaltsfachangestellten in der Vergangenheit bei der Fertigung oder Versendung fristgebundener Schriftsätze Fehler unterlaufen, so muss der Rechtsanwalt durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass sich solche nicht wiederholen.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 68 Abs 2 S 2 FamFG, § 117 Abs 1 S 3 FamFG, § 117 Abs 5 FamFG

Instanzenzug: Az: II-7 UF 197/14vorgehend AG Ratingen Az: 5 F 39/13

Gründe

I.

1Die Antragstellerin wendet sich gegen die Verwerfung ihrer Beschwerde sowie die Zurückweisung ihres Wiedereinsetzungsgesuchs in einer Unterhaltssache.

2Der von der Antragstellerin gestellte Antrag auf Zahlung nachehelichen Unterhalts ist durch den ihr am zugestellten Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen worden. Dagegen hat sie rechtzeitig Beschwerde eingelegt. Der die Beschwerdebegründung enthaltende und am um 17.38 Uhr per Telefax beim Oberlandesgericht eingegangene Schriftsatz war nicht unterzeichnet.

3Nach entsprechendem Hinweis auf die Unzulässigkeit der Beschwerde hat das Oberlandesgericht das Wiedereinsetzungsgesuch der Antragstellerin zurückgewiesen und das Rechtsmittel verworfen. Dagegen richtet sich die von der Antragstellerin eingelegte Rechtsbeschwerde.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG, 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, §§ 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig und deshalb gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 FamFG zu verwerfen.

51. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert keine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt die Antragstellerin nicht in ihrem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 317/14 - FamRZ 2015, 838 Rn. 5 mwN).

62. Das Oberlandesgericht hat die Beschwerde nach § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG als unzulässig verworfen, weil die Frist zur Beschwerdebegründung nach § 117 Abs. 1 Satz 3 FamFG nicht eingehalten worden ist, sowie das entsprechende Wiedereinsetzungsgesuch der Antragstellerin (§ 117 Abs. 5 FamFG, § 233 ZPO) zurückgewiesen. Die Rechtsbeschwerde vermag nicht aufzuzeigen, dass eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich wäre (§ 574 Abs. 2 ZPO).

7a) Das Oberlandesgericht hat ausgeführt, den Verfahrensbevollmächtigten treffe ein Organisationsverschulden, das die Antragstellerin sich zurechnen lassen müsse. Die Mitarbeiterin Sch., welche statt des unterschriebenen Schriftsatzes die für die Antragstellerin vorgesehene Abschrift gefaxt habe, sei vom Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin nicht hinreichend überwacht und kontrolliert worden. Entgegen der Darstellung der Antragstellerin sei diese keine stets zuverlässige Kraft und habe daher besonders intensiver Überwachung und Kontrolle bedurft. Der Mitarbeiterin sei bereits im Jahr 2013 in einem früheren Verfahren zum Versorgungsausgleich ein Fehler unterlaufen, worauf die Antragstellerin seinerzeit ein Wiedereinsetzungsgesuch gestützt habe. Die Mitarbeiterin habe damals einen Antrag auf Fristverlängerung an das falsche Gericht adressiert und den Fehler selbst auf eine entsprechende Anweisung nicht korrigiert. Diese Unachtsamkeit habe dem Rechtsanwalt Veranlassung geben müssen, die Mitarbeiterin besonders zu überwachen und immer wieder stichprobenweise zu kontrollieren, ob Weisungen befolgt werden. Gerade dies könne dem Vorbringen der Antragstellerin aber nicht entnommen werden. Damit sei eine unverschuldete Fristversäumung nicht hinreichend glaubhaft gemacht worden.

8b) Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

9Zwar stellt die Versendung der Rechtsmittelbegründung per Telefax eine einfache Bürotätigkeit dar, mit der jedenfalls eine voll ausgebildete und erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte beauftragt werden darf. Dies gilt indessen mit der Einschränkung, dass es sich um eine zuverlässige Kraft handeln muss und keine Umstände vorliegen dürfen, die eine besondere Kontrolle durch den Rechtsanwalt erfordern (vgl. - NJW-RR 2014, 634 Rn. 9 mwN; Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 583/14 - FamRZ 2015, 1878 Rn. 18 und vom - XII ZB 47/10 - NJW-RR 2013, 1393 Rn. 10).

10Von diesen Maßstäben ist auch das Oberlandesgericht ausgegangen. Dass es aufgrund eines früheren Vorfalls die Zuverlässigkeit der Angestellten Sch. verneint und insofern im Rahmen der dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin obliegenden Kanzleiorganisation zusätzliche Kontrollen für erforderlich gehalten hat, entspricht den genannten Maßstäben. Die Darlegungen der Antragstellerin zur Glaubhaftmachung einer unverschuldeten Fristversäumung hat das Oberlandesgericht im Rahmen zulässiger tatrichterlicher Würdigung als nicht ausreichend angesehen.

11Die von der Rechtsbeschwerde dagegen erhobenen Rügen vermögen das Ergebnis nicht in Frage zu stellen. Dass bei dem früheren Vorfall in Wirklichkeit keine Frist versäumt worden und nur der Verfahrensbevollmächtigte davon irrtümlich ausgegangen war, ändert nichts daran, dass die Angestellte sich bei der Adressierung und Versendung des damaligen - als fristgebunden angesehenen - Schriftsatzes als unzuverlässig erwiesen hat. Dass regelmäßig die allgemeine Anweisung des Rechtsanwalts ausreicht, sämtliche ausgehenden Schriftsätze auf das Vorhandensein der Unterschrift und bei Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, gibt lediglich den für zuverlässige Büroangestellte geltenden Grundsatz wieder. Demgegenüber ist das Oberlandesgericht im vorliegenden Fall in nicht zu beanstandender Weise von dem Sonderfall ausgegangen, dass sich eine Büroangestellte als unzuverlässig erwiesen hatte und demzufolge trotz ihrer Berufserfahrung zunächst besondere Kontrollen veranlasst waren. Da solche Kontrollen, die in Reaktion auf den damaligen Fehler erfolgt wären, nicht dargelegt sind, kann es auch dahinstehen, in welcher Form und für welche Dauer diese veranlasst waren. In zeitlicher Hinsicht ist ein hinreichender Bezug zum hier in Rede stehenden Fehler gegeben, zumal sich der vorangegangene Vorfall noch im Vorjahr ereignet hatte.

12Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde handelt es sich bei dem der Angestellten früher unterlaufenen Fehler auch nicht um einen einmaligen Fehler in einem anders gelagerten Fall. Vielmehr betreffen beide Fehler die allgemeine Sorgfalt im Zusammenhang mit der Anfertigung und Absendung - tatsächlich oder auch nur vermeintlich - fristwahrender Schriftsätze. Dass sich der erste Fehler nicht auswirkte, ist unerheblich, da für den Verfahrensbevollmächtigten im Rahmen der ihm obliegenden Kanzleiorganisation auch ohne eingetretenen Nachteil ein besonderer Bedarf für Kontrollen erkennbar geworden war. Schließlich ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die Ursächlichkeit des Organisationsverschuldens als nicht ausgeräumt angesehen hat (vgl. - NJW 2012, 3516 Rn. 12 mwN).

Dose                      Weber-Monecke                           Klinkhammer

              Botur                                      Guhling

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2016:130116BXIIZB653.14.0

Fundstelle(n):
NJW 2016 S. 6 Nr. 9
NJW-RR 2016 S. 312 Nr. 5
IAAAF-66633