Betreuungsgeld - Stichtagsregelung - vor dem geborene Kinder - Nichtigkeit des Betreuungsgeldgesetzes - Vertrauensschutz - keine Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes bei fehlender Betreuungsgeldgewährung
Leitsatz
1. Die Nichtigkeit der das Betreuungsgeld regelnden Vorschriften schließt einen Anspruch auf diese Leistung aus.
2. Ein die Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes rechtfertigendes Vertrauen kann lediglich im Falle einer unanfechtbaren positiven bescheidmäßigen Betreuungsgeldgewährung vorliegen.
Gesetze: § 4a BEEG, § 4b BEEG, § 4c BEEG, § 4d BEEG, § 27 Abs 3 S 1 BEEG vom , Art 1 Nr 3 BtGG, Art 1 Nr 17 Buchst b BtGG, § 31 Abs 2 BVerfGG, § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 45 Abs 2 SGB 10, Art 20 Abs 3 GG
Instanzenzug: Az: S 11 EG 3989/13 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 11 EG 1709/14 Urteil
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Betreuungsgeld für seinen am geborenen Sohn.
2Mit Art 1 Nr 3 des Gesetzes zur Einführung eines Betreuungsgeldes (Betreuungsgeldgesetz) vom (BGBl I 254) in das Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) hat der Gesetzgeber in den §§ 4a bis 4d BEEG ab dem einen Anspruch auf Betreuungsgeld des Inhalts geschaffen, dass Eltern in der Zeit vom ersten Tag des 15. Lebensmonats bis zur Vollendung des 36. Lebensmonats ihres Kindes grundsätzlich einkommensunabhängig Betreuungsgeld in Höhe von mittlerweile 150 Euro pro Monat beziehen können, sofern für das Kind keine Leistungen nach § 24 Abs 2 iVm den §§ 22 bis 23 SGB VIII, also weder eine öffentlich geförderte Tageseinrichtung noch Kindertagespflege in Anspruch genommen werden.
3Der 1980 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland und seit September 2012 mit der Mutter seines am geborenen Sohnes verheiratet, machte mit Antrag vom erfolglos einen Anspruch auf Betreuungsgeld ab dem für seinen Sohn geltend (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ). Das anschließende Klage- und Berufungsverfahren ist gleichfalls ohne Erfolg geblieben (; ). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch auf Betreuungsgeld bestehe nicht, weil der Sohn des Klägers vor dem geboren sei. Nach § 27 Abs 3 S 1 BEEG in der ab geltenden Fassung des Art 1 Nr 17 Buchst b des Betreuungsgeldgesetzes werde Betreuungsgeld nicht für vor dem geborene Kinder gezahlt. Während des Revisionsverfahrens, in welchem der Kläger die Verfassungswidrigkeit dieser Stichtagsregelung rügt, hat das BVerfG am (1 BvF 2/13 - NJW 2015, 2399 bis 2405) entschieden, dass die §§ 4a bis 4d BEEG idF vom mit dem GG unvereinbar und nichtig sind.
5Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.
6Nach der Entscheidung des BVerfG gebe es für das klägerische Begehren keine ersichtliche Anspruchsgrundlage mehr.
Gründe
7Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.
8Das LSG hat im Ergebnis die Berufung zu Recht zurückgewiesen, weil die Klage nach der Entscheidung des ) keinen Erfolg mehr haben kann. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen der Beklagten sind nicht rechtswidrig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat schon dem Grunde nach keinen Anspruch auf die Gewährung von Betreuungsgeld für sein am geborenes Kind, sodass es auf die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Stichtagsregelung in § 27 Abs 3 S 1 BEEG nicht mehr ankommt.
9Gegenstand des Klage-, Berufungs- und Revisionsverfahrens ist die zulässig erhobene Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 iVm Abs 4 SGG), mit der sich der Kläger gegen die Ablehnung einer Betreuungsgeldgewährung für seinen Sohn für die Zeit ab wendet und dessen Leistung begehrt (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).
10Im Ergebnis haben die Vorinstanzen zutreffend die Gewährung von Betreuungsgeld für das am geborene Kind des Klägers verneint, weil es für einen solchen Anspruch bereits an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehlt.
11Das BVerfG hat die §§ 4a bis 4d BEEG idF vom (BGBl I 254) mit Art 72 Abs 2 GG für unvereinbar und nichtig erklärt, weil die Voraussetzungen, unter denen der Bund nach Art 72 Abs 2 GG zur konkurrierenden Gesetzgebung befugt ist, fehlen. Die Frage der Vereinbarkeit des Betreuungsgeldes nach §§ 4a bis 4d BEEG mit den Grundrechten brauche vor diesem Hintergrund nicht beantwortet werden und eine Übergangsregelung nach § 35 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) erscheine nicht notwendig. Vertrauensschutzgesichtspunkten lasse sich nach § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG gegebenenfalls iVm § 45 Abs 2 SGB X Rechnung tragen (Urteil vom - 1 BvF 2/13 - NJW 2015, 2399; siehe hierzu auch Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1). Diese Entscheidung hat am gemäß § 31 Abs 2 BVerfGG Gesetzeskraft erlangt (BGBl I 1565).
12Danach kann der Kläger bereits aufgrund der Nichtigkeit des Gesetzes zur Einführung des Betreuungsgeldes vom (BGBl I 254) keinen Anspruch mehr geltend machen (1.). Ein die Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes rechtfertigendes Vertrauen liegt auf Seiten des Klägers ebenfalls nicht vor (2.).
131. Die Unvereinbarkeit des Betreuungsgeldgesetzes mit dem GG hat dessen Nichtigkeit und damit Unanwendbarkeit zur Folge. Regelungen die gegen höhere Normen - wie das GG - verstoßen, dürfen grundsätzlich nicht angewendet werden, da die Verwaltung und Gerichte nach Art 20 Abs 3 GG an Gesetz und Recht gebunden und deshalb gehalten sind, gesetzeswidrige Handlungen zu unterlassen (vgl - SozR 4-2700 § 161 Nr 1 = in BSGE vorgesehen, RdNr 28 mwN; ua - BVerfGE 61, 319, Juris RdNr 101 mwN). Verstößt ein Gesetz gegen das GG, so ist es grundsätzlich von Anfang an nichtig und unwirksam (vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 13. Aufl 2014, Art 20 RdNr 33 mwN zur Rechtsprechung). Damit ist das vom BVerfG mit Gesetzeskraft für nichtig erklärte Betreuungsgeldgesetz von Anfang an unwirksam und aus diesem Gesetz können nicht bewilligte Ansprüche - wie im Falle des Klägers - nicht mehr hergeleitet werden.
142. Nichts anderes gilt für die Frage der Durchbrechung des Nichtigkeitsgrundsatzes aufgrund eines eventuellen Vertrauens in die Leistungsbewilligung im Zeitpunkt vor der Nichtigkeitsfeststellung. Das BVerfG hat den Verzicht auf die Schaffung einer Übergangsregelung nach § 35 BVerfGG damit begründet, dass genügend Vertrauensschutz der betroffenen Antragsteller gemäß § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG gegebenenfalls iVm § 45 Abs 2 SGB X bestehe. Nach § 79 Abs 2 S 1 BVerfGG bleiben indes grundsätzlich nur nicht mehr anfechtbare Bewilligungsbescheide über Betreuungsgeld als begünstigende Verwaltungsakte mit Dauerwirkung von der Nichtigkeit unberührt unter Konkretisierung durch das SGB X (siehe hierzu insgesamt: Dau, jurisPR-SozR 18/2015 Anm 1 zu C). Der Kläger kann von dieser Ausnahmevorschrift aber nicht profitieren, da er schon keine positive bescheidmäßige Betreuungsgeldgewährung erhalten hat, die hätte in Bestandskraft erwachsen können. Somit kann er keinerlei begründetes Vertrauen in eine Betreuungsgeldgewährung geltend machen. Etwas anderes ergibt sich für den vorliegenden Fall auch nicht aus der Ankündigung des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wonach Eltern, die Betreuungsgeld erhalten haben, "umfassender Vertrauensschutz" zuteil werden solle (vgl Dau, aaO, zu D mit Hinweis auf www.bmfsfj.de/BMFSFJ/aktuelles). Selbst wenn diese Äußerung Vertrauen von Leistungsempfängern über die Regelung von § 79 BVerfGG hinaus begründen sollte, bezog sie sich eindeutig nur auf Inhaber eines positiven Bewilligungsbescheids. Zu dieser Gruppe zählt der Kläger nicht, weil der Beklagte seinen Antrag von Anfang an abgelehnt hat.
15Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2015:151215UB10EG215R0
Fundstelle(n):
RAAAF-70362