SteuerStud Nr. 4 vom Seite 205

Gewaltenteilung aktuell

Prof. Dr. Georg Crezelius | Herausgeber | steuerstud-redaktion@nwb.de

Das Gewaltenteilungsprinzip, die Abgrenzung von Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit, ist eines der Fundamentalprinzipien unserer Verfassung. Das Grundgesetz grenzt die drei Gewalten in zahlreichen Vorschriften voneinander ab. Ein traditionelles Gewaltenteilungsproblem des Steuerrechts sind sog. Nichtanwendungserlasse der Finanzverwaltung. Hier geht es darum, dass aus Sicht der Finanzverwaltung „missliebige“ BFH-Urteile nicht angewendet werden sollen. Zwar ist zuzugeben, dass eine BFH-Entscheidung immer nur einen Einzelfall betrifft, doch konterkariert ein Nichtanwendungserlass die Funktion eines Revisionsgerichts, welches zum Zweck der Rechtsvereinheitlichung eine Rechtsfrage zu beurteilen hat. Oft liegt es auch so, dass die Ministerialbürokratie den Steuergesetzgeber veranlasst, BFH-Entscheidungen durch ein Nichtanwendungsgesetz zu überholen. Das ist zwar vor dem Hintergrund des Demokratieprinzips im Grundsatz nicht zu beanstanden, doch zeigt § 50i EStG, zu welchen Auswüchsen dies führen kann: § 50i EStG hat seine Ursache darin, dass die BFH-Rechtsprechung die Besonderheit des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG im Rahmen der Auslegung von DBA nicht anerkannt hatte. Der daraufhin eingefügte § 50i EStG, insbesondere sein Abs. 2, ist/war jedoch viel zu weitgehend, so dass sich die Finanzverwaltung dazu entschlossen hat, den Wortlaut einschränkend auszulegen ( NWB LAAAF-19013, BStBl 2016 I S. 7). Damit hat die Finanzverwaltung eine Regelung mit überschießender Tendenz initiiert und diese überschießende Tendenz ohne Einschaltung des Steuergesetzgebers durch den zitierten Erlass wieder eingeschränkt.

Das Gewaltenteilungsprinzip zeigt sich auch und gerade in Art. 100 Abs. 1 GG, wonach es dem BVerfG vorbehalten ist, eine einfachgesetzliche Regelung aufgrund Verfassungswidrigkeit zu verwerfen. Hier liegt es also ausnahmsweise so, dass ein Gericht eine demokratisch legitimierte Entscheidung des Steuergesetzgebers außer Kraft setzen kann. Das BVerfG wird hier gleichsam als negativer (Steuer-)Gesetzgeber tätig. Dies führt dann zu dem aktuellsten Problen der Gewaltenteilung im Rahmen des Steuerrechts. Mit Urteil vom - 1 BvL 21/12 NWB AAAAE-81469, BStBl 2015 II S. 50, hat der 1. Senat des BVerfG die (derzeitigen) erbschaftsteuerrechtlichen Privilegierungen für unternehmerisches Vermögen für unvereinbar mit dem Gleichheitssatz erklärt, allerdings dem Steuergesetzgeber eine Übergangsfrist, in welcher das bisherige Recht noch angewendet werden kann, bis zum gewährt. Damit ist der Steuergesetzgeber verpflichtet, eine Neuregelung spätestens zum zu treffen. Angesichts der derzeitigen Diskussion um die Erbschaftsteuer auf Unternehmensvermögen ist zu fragen, was passiert, wenn bis zum eine Neuregelung nicht vorliegt. Liest man die Entscheidung des BVerfG, so sollte sich zwanglos ergeben, dass dann das ErbStG in toto ausläuft, weil das BVerfG das komplette Gesetz für verfassungswidrig erklärt hat. Dies ist zwar die Meinung des einschlägigen Schrifttums, aber offenbar nicht diejenige der Mitglieder des 1. Senats des BVerfG, die dies auch z. T. öffentlich äußern. Im Zusammenhang mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz kann man sich darüber nur wundern. Soll es tatsächlich so liegen, dass das BVerfG mit Ablauf des eine Vollstreckungsanordnung trifft, sich an die Stelle des Steuergesetzgebers setzt und „regelt“, welches ErbStG dann wie angewendet werden soll? Oder anders formuliert: Eröffnet Art. 100 Abs. 1 GG dem BVerfG die Möglichkeit, sich als „positiver Gesetzgeber“ in der Weise zu gerieren, dass detaillierte Regelungsanordnungen getroffen werden, die nach dem Gefüge des Grundgesetzes dem Gesetzgeber vorbehalten sind?

Herzliche Grüße

Ihr

Georg Crezelius

Fundstelle(n):
SteuerStud 4/2016 Seite 205
CAAAF-68777