Online-Nachricht - Freitag, 06.07.2012

Verfahrensrecht | Ermittlungspflichten vor einer öffentlichen Zustellung (FG)

Selbst wenn das Finanzamt davon ausgeht, dass der Steuerpflichtige seinen tatsächlichen Aufenthaltsort im Ausland absichtlich verheimlicht und sich die Ermittlungspflicht des Finanzamtes daher auf das Inland beschränkt, hat das Finanzamt die ihm im Inland zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten auszuschöpfen ().

Hintergrund: Ein Steuerbescheid kann gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. i.V.m. § 122 Abs. 5 AO öffentlich zugestellt werden, wenn der Aufenthaltsort des Empfängers "unbekannt" ist. Wegen des Anspruchs des Zustellungsempfängers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) ist die Zustellungsfiktion verfassungsrechtlich nur zu rechtfertigen, wenn eine andere Form der Zustellung aus sachlichen Gründen nicht oder nur schwer durchführbar ist.
Sachverhalt: Streitig ist die Rechtswirksamkeit von öffentlich zugestellten Schätzungsbescheiden bzw. die Frage, ob Einsprüche als unzulässig verworfen werden konnten.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus: Die Anforderungen an die Behörde, den Aufenthaltsort des Bekanntgabeadressaten ermitteln zu müssen, dürfen im Einzelfall nicht überspannt werden. Eine Rechtspflicht der zustellenden Behörde, Anschriften im Ausland zu ermitteln, ist daher regelmäßig zu verneinen, wenn ein Fall der "Auslandsflucht" vorliegt oder wenn sich der Empfänger beim inländischen Melderegister "ins Ausland" ohne Angabe einer Anschrift abmeldet. In diesen Fällen ist das Finanzamt vorrangig nur zu Ermittlungsmaßnahmen im Inland verpflichtet, z.B. durch Nachfragen beim Einwohnermeldeamt und bei Kontaktpersonen des Empfängers. Entsprechendes gilt, wenn sich der Zustellungsempfänger in einer Weise verhält, die auf seine Absicht schließen lässt, den Aufenthaltsort zu verheimlichen. Im Hinblick auf die schwerwiegenden Folgen einer öffentlichen Zustellung ist es aber auch in diesen Fällen nicht gerechtfertigt, naheliegende, bei objektiver Betrachtung nicht von vornherein aussichtslose und nicht besonders kostenaufwändige Ermittlungen zu unterlassen. Gegebenenfalls drängen sich auch Nachfragen bei einem Bevollmächtigten auf. Dies gilt ungeachtet dessen möglichen Aussageverweigerungsrechts gemäß § 102 AO, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dieser von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen werde und die Nachfrage daher reine Formsache wäre.
Anmerkung: Im oben genannten Streitfall kam das Gericht zur Auffassung, dass die Einkommensteuerbescheide nicht wirksam öffentlich zugestellt wurden. Das Finanzamt habe die ihm im Inland zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten nicht ausgeschöpft. Es durfte deshalb nicht gemäß § 15 Abs. 1 Buchst. a VwZG a.F. (jetzt § 10 VwZG n.F.) von einem unbekannten Aufenthaltsort der Kläger ausgehen. Nach dem vorliegenden Sachverhalt hätte das Finanzamt sowohl die Söhne des Klägers als auch den ehemaligen Steuerberater nach deren konkreten Adresse in der Schweiz fragen müssen. Dies hätte sich im Streitfall schon deshalb aufgedrängt, weil diese Personen dem Finanzamt bekannt waren.
Quelle: FG Köln online
Hinweis: Den Text der o.g. Entscheidung finden Sie auf den Internetseiten des FG Köln. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.

 

Fundstelle(n):
NWB GAAAF-44275