Umsatzsteuer | Bemessungsgrundlage bei verbundenen Unternehmen (EuGH)
Eine nationale Rechtsvorschrift kann nicht vorsehen, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in von Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL aufgezählten Fällen der Normalwert des Umsatzes ist. Dies gilt insbesondere in Fällen, in denen der Steuerpflichtige zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist ( und C-129/11; Balkan and Sea Properties).
Hintergrund: Bei dem bulgarischen Verfahren C-621/10 (Balkan and Sea Properties), verbunden mit Rs. C-129/11, geht es um die Auslegung Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL. Nach Art. 80 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL können die Mitgliedstaaten zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder -umgehung Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Steuerbemessungsgrundlage für die Lieferungen von Gegenständen oder für Dienstleistungen an Empfänger, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen gemäß der Definition des Mitgliedstaats bestehen, der Normalwert ist, sofern die Gegenleistung höher als der Normalwert ist und der Lieferer oder Dienstleistungserbringer „nicht zum vollen Vorsteuerabzug“ berechtigt ist.
Sachverhalt (aktualisiert am ): Die Klägerin ist eine AG, deren Tätigkeit in der Anlage von Geldmitteln besteht, die sie durch die Ausgabe von Wertpapieren für Immobilien erwirbt. Sie erwarb von einer Gesellschaft, die sich im Alleineigentum einer Holding befindet und an der die Klägerin zu ca. 30% beteiligt ist, mehrere bebaute Grundstücke. Die bulgarische Finanzbehörde ging davon aus, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer auf einen höheren Wert als den Normalwert der Immobilien eine unrechtmäßig erhobene Steuer darstelle, die nicht in Abzug gebracht werden könne und versagte entsprechend den nationalen bulgarischen Rechtsvorschriften der Klägerin in Höhe der Differenz den Vorsteuerabzug. Die Klägerin trägt dagegen u.a. vor, dass das bulgarische Recht nicht im Einklang mit Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL stehe. In Fällen der Lieferung zwischen verbundenen Personen, in denen der Lieferer zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sei, sei die Steuerbemessungsgrundlage nach den allgemeinen Vorschriften zu bilden.
Hierzu führte der EuGH weiter aus: Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL ist dahin auszulegen, dass die darin aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend sind und dass nationale Rechtsvorschriften somit nicht auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 dieser Richtlinie vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in dieser Bestimmung aufgezählten Fällen der Normalwert des Umsatzes ist, insbesondere wenn der Steuerpflichtige zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, was zu prüfen dem nationalen Gericht obliegt. Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren räumt Art. 80 Abs. 1 der MwStSystRL den betroffenen Gesellschaften das Recht ein, sich unmittelbar auf diese Vorschrift zu berufen, um sich der Anwendung nationaler Bestimmungen zu widersetzen, die mit ihr unvereinbar sind. Ist dem vorlegenden Gericht eine Auslegung des innerstaatlichen Rechts, die mit Art. 80 Abs. 1 der MwStSystRL im Einklang steht, nicht möglich, hat es alle Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unangewendet zu lassen, die Art. 80 Abs. 1 der MwStSystRL zuwiderlaufen.
Quelle: EuGH online
Anmerkung: In Deutschland unterliegen entgeltliche Leistungen, die Körperschaften, Personenvereinigungen sowie Gemeinschaften im Rahmen ihres Unternehmens an ihre Anteilseigner, Gesellschafter, Mitglieder, Teilhaber oder diesen nahestehende Personen ausführen, der sog. Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 UStG). Die Besteuerung erfolgt dabei nicht auf der Grundlage des vereinbarten Entgelts, sondern nach Maßgabe der Bemessungsgrundlagen für eine unentgeltliche Wertabgabe (§ 10 Abs. 4 UStG). Im Gegensatz zu den bulgarischen Vorschriften gilt diese Regelung jedoch nur, sofern das vereinbarte Entgelt „zu niedrig“ ist. Auch ist die deutsche Regelung nicht mit der Versagung des Vorsteuerabzugs verbunden. Die o.g. Entscheidung des EuGH könnte für das deutsche Recht jedoch insoweit von Bedeutung sein, soweit der EuGH ausführt, dass die in Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend sind. So trifft die Regelung des § 10 Abs. 5 UStG - im Gegensatz zu Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL - z.B. keine Unterscheidung danach, ob der Empfänger der Leistung zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist oder nicht. Der EuGH führt hierzu in Rz. 48 aus: „Nur wenn die von dem Vorgang betroffene Person nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, besteht ein Risiko von Steuerhinterziehung oder -umgehung, dem die Mitgliedstaaten nach Art. 80 Abs. 1 MwStSystRL vorbeugen dürfen.“ Der BFH hatte demgegenüber im Jahre 2008 noch ausdrücklich klargestellt, dass der Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage (§ 10 Abs. 5 UStG) nicht entgegen steht, dass über eine ordnungsgemäß durchgeführte Lieferung an einen vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmer abgerechnet wird ( NWB KAAAC-74134). Eine Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung ergebe sich in diesen Fällen aus einer nach § 15a UStG ggf. vorzunehmenden Berichtigung des Vorsteuerabzugs bei einer späteren Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse.
Fundstelle(n):
XAAAF-43938