BGH Beschluss v. - 1 StR 135/15

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Zulässigkeit bei bewusstem Nichtgebrauchmachen des Rechtsmittels; Fortwirken der Pflichtverteidigerbestellung für Nachtragsverfahren

Gesetze: § 44 S 1 StPO, § 45 StPO, § 140 StPO, § 141 StPO, § 356a StPO

Instanzenzug: Az: 1 StR 135/15 Beschlussvorgehend Az: 1 StR 135/15 Beschlussvorgehend LG München I Az: 9 KLs 371 Js 202649/11nachgehend Az: 1 StR 135/15 Beschluss

Gründe

1Der Senat hat ein als Revision ausgelegtes, am erhobenes Rechtsmittel des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom mit Beschluss vom gemäß § 349 Abs. 1 StPO ebenso als unzulässig verworfen wie einen zugleich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Nach Eingang mehrerer Schreiben des Verurteilten vom 13., 18. und hat die Rechtspflegerin des Bundesgerichtshofs diesen unter dem Datum vom darauf hingewiesen, dass das Strafverfahren durch den Verwerfungsbeschluss des Senats rechtskräftig abgeschlossen und eine Beschwerde gegen diesen Beschluss nicht zulässig ist.

2Ein weiteres Schreiben des Verurteilten vom hat der Senat als Gegenvorstellung ausgelegt (§ 300 StPO), diesen Rechtsbehelf aber mit Beschluss vom zurückgewiesen. Der Verurteilte hat mit Datum vom ein Schreiben eingereicht, das mit "Erneute Gegenvorstellung zum Beschluss vom " überschrieben ist. Die Rechtspflegerin des Bundesgerichtshofs hat den Verurteilten durch Schreiben vom erneut darüber unterrichtet, dass das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist und auch die Gegenvorstellung dem Senat keine Veranlassung gegeben hat, seine Entscheidung vom zu ändern.

3Nachfolgend haben zwei weitere Schreiben des Verurteilten den Bundesgerichtshof erreicht. In dem unter dem Datum vom verfassten Schreiben nimmt der Verurteilte Bezug auf mehrere seiner früheren Eingaben aus dem Juni 2015 und führt hinsichtlich des Beschlusses des Senats vom aus, er habe bereits gerügt, dass den von ihm gemachten Angaben nicht weiter nachgegangen worden sei. "Diese Textauszüge können sicher als Anträge nach § 356a StPO und auf Wiedereinsetzung ausgelegt werden".

I.

4Unter keinem möglichen, der Auslegung gemäß § 300 StPO zugänglichen Aspekt liegt in dem Antrag vom ein zulässiger Rechtsbehelf. Er war daher kostenpflichtig () zurückzuweisen.

51. Soweit der Verurteilte eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO gegen den Beschluss des Senats vom erheben wollte, wäre diese unzulässig. Der Antrag wahrt weder die Frist aus § 356a Satz 2 StPO noch genügt er § 356a Satz 3 StPO. Sollte der Antrag gemäß § 356a StPO auf die Entscheidung des Senats vom über die Gegenvorstellung bezogen sein, wäre er unzulässig, weil das Gesetz die Anhörungsrüge lediglich auf die Entscheidung über die Revision bezieht. Es kommt wegen der Unzulässigkeit beider möglicher Anhörungsrügen daher nicht mehr darauf an, dass der Vorwurf der Gehörsverletzung auch in der Sache unzutreffend ist.

62. a) Sollte mit dem Schreiben vom eine erneute Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom begehrt werden, wäre der Antrag ebenfalls unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können die Voraussetzungen des § 44 Satz 1 StPO nicht vorliegen, wenn der die Wiedereinsetzung begehrende Rechtsmittelführer von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom – 4 StR 238/12, NStZ 2012, 652 und vom – 1 StR 305/13, NStZ-RR 2013, 381, 382 mwN); das ist sowohl bei einem bloßen Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist (, NStZ 2012, 652) als auch bei einer Rücknahme des Rechtsmittels (, NStZ-RR 2013, 381 f.) und bei wirksamem Rechtsmittelverzicht (etwa , NStZ 1997, 611, 612 mwN) der Fall.

7Von der Wirksamkeit des am nach Urteilsverkündung von dem Verurteilten erklärten Rechtsmittelverzichts ist weiterhin auszugehen. Auch aus den dem Senatsbeschluss vom nachfolgenden Schreiben des Verurteilten ergibt sich kein ausreichender Anlass dafür, freibeweislich aufzuklären, ob eine Fälschung der Sitzungsniederschrift vorliegt, die allein deren Beweiskraft aus § 274 Satz 1 StPO in Wegfall bringen könnte (§ 274 Satz 2 StPO). Soweit der Verurteilte auf das Schreiben seines früheren Verteidigers vom abstellt, enthält dieses keine genügenden Anhaltspunkte dafür, um von der Bezeichnung einer konkret behaupteten Fälschung ausgehen zu können. Das Schreiben weist lediglich aus, dass es am zu einem Verständigungsgespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten gekommen sei, bei dem das Gericht "informell" u.a. für den Fall eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und elf Monaten in Aussicht gestellt habe. Dass es nachfolgend entgegen dem Inhalt der Sitzungsniederschrift und des Urteils zu einer informellen Verfahrensabsprache (zur analogen Anwendung von § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf informelle Absprachen siehe , BGHSt 59, 21, 26 f. Rn. 22 ff.) gekommen sei, behauptet der Verteidiger nicht. Gerade weil das Urteil, soweit es die frühere Mitangeklagte betrifft, auf einer durch Sitzungsniederschrift und Urteil ausgewiesenen formellen Absprache beruht, hätte es der Benennung konkreterer Anhaltspunkte bedurft, um Anlass zu geben, im Wege des Freibeweises der von dem Verurteilten implizit erhobenen Behauptung der Fälschung der Sitzungsniederschrift im Hinblick auf die dortige Beurkundung einer fehlenden Urteilsabsprache bezüglich des Verurteilten nachzugehen.

8Zusätzliche tatsächliche Anhaltspunkte, die nunmehr eine die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts begründende Verhandlungsunfähigkeit des Verurteilten am belegen (siehe bereits den Beschluss des Senats vom in dieser Sache), enthalten die dem Verwerfungsbeschluss nachfolgenden Schreiben des Verurteilten ebenfalls nicht.

9b) Soweit das Schreiben vom als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist aus § 356a Satz 2 StPO zur Erhebung der Anhörungsrüge gegen den Verwerfungsbeschluss vom zu werten wäre (zu dieser Möglichkeit siehe nur , wistra 2009, 33, 34 f.; Wohlers in SK-StPO, 4. Aufl., Band VII, § 356a Rn. 9 mwN), wäre er gleichfalls unzulässig. Denn aus ihm ergibt sich die Einhaltung der Anforderungen aus § 45 StPO nicht.

10Im Hinblick auf das wiederholte Vorbringen des Verurteilten, ein Rechtsbeistand stehe ihm nicht zur Verfügung, weist der Senat darauf hin, dass die Verteidigerbestellung auch für die Durchführung des Anhörungsverfahrens gemäß § 356a StPO fortdauerte (, BGHR StPO § 356a Verteidiger 1; Nagel in Radtke/Hohmann, StPO, § 356a Rn. 9).

II.

11Weitere gleichartige Eingaben des Verurteilten in dieser Sache wird der Senat nicht mehr bescheiden (vgl. Rn. 8 mwN).

Graf                       Jäger                     Cirener

             Radtke                      Bär

Fundstelle(n):
XAAAF-18721