BAG Urteil v. - 10 AZB 25/15 (A)

Grenzüberschreitende Streitsache - Prozesskostenhilfe - Übersetzungskosten

Leitsatz

Der Senat ersucht den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um die Beantwortung der folgenden Frage:

Gebietet der Anspruch einer natürlichen Person auf wirksamen Zugang zu den Gerichten bei einer Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug iSd. RL 2003/8/EG (juris: EGRL 8/2003), dass die von der Bundesrepublik Deutschland gewährte Prozesskostenhilfe die vom Antragsteller verauslagten Kosten für die Übersetzung der Erklärung und der Anlagen zum Antrag auf Prozesskostenhilfe umfasst, wenn der Antragsteller zugleich mit der Klageerhebung bei dem auch als Empfangsbehörde iSv. Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie zuständigen Prozessgericht Prozesskostenhilfe beantragt und die Übersetzung selbst hat anfertigen lassen?

Gesetze: Art 267 AEUV, Art 2 EGRL 8/2003, Art 7 EGRL 8/2003, Art 8 EGRL 8/2003, Art 13 EGRL 8/2003, § 114 ZPO, § 117 ZPO

Instanzenzug: ArbG Zwickau Az: 6 Ca 1711/13 Beschlussvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 4 Ta 264/14 (6) Beschlussnachgehend Az: C-670/15 Urteilnachgehend Az: 10 AZB 25/15 Beschluss

Gründe

1A. Gegenstand des Ausgangsverfahrens

2Der anwaltlich vertretene Kläger des Ausgangsverfahrens hat seinen Wohnsitz in der Tschechischen Republik. Er hat beim Arbeitsgericht Zwickau mit Schriftsatz vom durch seine Prozessbevollmächtigte eine auf Zahlung rückständigen Arbeitslohns gerichtete Klage gegen die in Deutschland ansässige Firma E GmbH erheben und zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug beantragen lassen. Mit Schriftsatz vom beantragte die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Erstreckung der Prozesskostenhilfe auf die Kosten für die Übersetzung der Unterlagen zum Nachweis der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers. Am gelangte die vom Kläger am unterschriebene, in deutscher Sprache ausgefüllte Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zur Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts. Das Erklärungsformular war einschließlich der Erläuterungen und Anlagen von einem in Dresden ansässigen gewerblichen Übersetzungsbüro in die deutsche Sprache übersetzt worden. Der Kläger hat zwei an ihn adressierte Rechnungen des Übersetzungsbüros zur Gerichtsakte reichen lassen.

3Das Arbeitsgericht hat dem Kläger Prozesskostenhilfe für den ersten Rechtszug unter Beiordnung seiner Prozessbevollmächtigten bewilligt. Die Erstattung der Kosten für die Übersetzung hat es abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Klägers hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

4B. Das einschlägige nationale Recht

5I. Gesetzliche Vorschriften

61. Zivilprozessordnung

7Die §§ 114, 117 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, § 118 Abs. 1 Satz 4, § 122 Abs. 1 Nr. 3 und §§ 1076, 1078 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) haben in der im Streitfall anzuwendenden Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 3202) folgenden Wortlaut:

82. Gerichtsverfassungsgesetz

9Satz 1 des zuletzt durch das Gesetz vom geänderten § 184 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) in der Fassung vom lautet:

10II. Die nationale Rechtsprechung zur Erstattung von Übersetzungskosten im Prozesskostenhilfeverfahren

11Dem bei einem deutschen Prozessgericht gestellten Antrag auf Bewilligung der Prozesskostenhilfe sind die Erklärung nach § 117 Abs. 2 ZPO und die entsprechenden Belege gemäß § 184 Satz 1 GVG grundsätzlich in deutscher Sprache beizufügen ( -). Für das Prozesskostenhilfeverfahren nach §§ 114 ff. ZPO sieht das Gesetz die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor ( - Rn. 3). Dieses Verfahren stellt keine „Prozessführung“ im Sinne des § 114 ZPO dar, so dass hierfür keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden kann. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kosten, die für die Übersetzung der dem Prozesskostenhilfeantrag beizufügenden Erklärung und Belege in die Gerichtssprache entstehen, ist daher ausgeschlossen ( - Rn. 2). Erhebt ein Antragsteller mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar bei dem sachlich und örtlich zuständigen deutschen Prozessgericht Klage und stellt er dort zugleich einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, finden die §§ 114 bis 127a ZPO unmittelbar Anwendung (vgl.  - Rn. 1). Er ist damit grundsätzlich so zu stellen wie eine in Deutschland lebende Person.

12C. Einschlägige Vorschriften des Unionsrechts

13In der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (RL 2003/8/EG; ABl. EG L 26 vom S. 41, ABl. EU L 32 vom S. 15) ist auszugsweise bestimmt:

14D. Entscheidungserheblichkeit und Erläuterung der Vorlagefrage

15I. Die Entscheidung über die Rechtsbeschwerde des in der Tschechischen Republik wohnhaften Klägers hängt von der Beantwortung der Vorlagefrage ab. Der Rechtsbeschwerde wäre nur dann stattzugeben, wenn die §§ 114 ff. ZPO unionsrechtskonform dahingehend auszulegen sind, dass die vom Antragsteller verauslagten Kosten für die Übersetzung der Erklärung und der Anlagen zum Prozesskostenhilfeantrag von der in der Bundesrepublik Deutschland gewährten Prozesskostenhilfe umfasst sind. Anderenfalls wäre die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

16II. Der Senat vermag nicht mit der für ein letztinstanzliches Gericht gebotenen Sicherheit zu beurteilen, ob er im vorliegenden Fall aufgrund der im nationalen Recht geltenden Grundsätze die Erstreckung der Prozesskostenhilfebewilligung auf die vom Antragsteller verauslagten Übersetzungskosten ablehnen kann.

171. Die §§ 1076 ff. ZPO, die durch das EG-Prozesskostenhilfegesetz vom (BGBl. I S. 3392) zur Umsetzung der RL 2003/8/EG in die Zivilprozessordnung eingefügt wurden und die vor den Gerichten für Arbeitssachen gemäß § 13a Arbeitsgerichtsgesetz Anwendung finden, sind im vorliegenden Fall nicht einschlägig; insoweit gelten vielmehr grundsätzlich keine Besonderheiten gegenüber den §§ 114 ff. ZPO (vgl. MüKoZPO/Rauscher 4. Aufl. § 1078 Rn. 2). Abgesehen davon sieht § 1078 ZPO die Übernahme der Kosten für die Übersetzung des Antrags und der Anlagen in die deutsche Sprache durch die Bundesrepublik Deutschland nicht vor. § 1078 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist auf die Behandlung von aus dem EU-Ausland in Deutschland eingehenden Ersuchen zugeschnitten und bestimmt - in Übereinstimmung mit § 117 ZPO - das (deutsche) Prozess- oder Vollstreckungsgericht als zuständige Empfangsbehörde iSd. Art. 14 Abs. 1 RL 2003/8/EG. Bei dieser Empfangsbehörde muss der Antrag in deutscher Sprache ausgefüllt eingehen und es müssen die Anlagen von einer Übersetzung in die deutsche Sprache begleitet sein (§ 1078 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Das Gericht entscheidet sodann über den Antrag unter Anwendung deutschen Rechts (§ 1078 Abs. 2 Satz 1 ZPO) und unterrichtet die ausländische Übermittlungsstelle durch Übersendung einer Abschrift seiner Entscheidung (§ 1078 Abs. 2 Satz 2 ZPO), deren Übersetzung nicht vorgeschrieben ist.

182. Unter Anwendung des deutschen Rechts ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Kosten, die dem Kläger für die Übersetzung der dem Prozesskostenhilfeantrag beizufügenden Erklärung und Anlagen in die deutsche Sprache entstanden sind, ausgeschlossen. Da die Übersetzung dieser Unterlagen nicht zur anwaltlichen Beratung und Vertretung im Klageverfahren, sondern zur Ermittlung des Sachverhalts im davon getrennten Prozesskostenhilfeverfahren dient und für den Kläger die Möglichkeit bestanden hat, den Prozesskostenhilfeantrag in seiner Muttersprache in der Tschechischen Republik, dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes, zu stellen, bestehen gegen die Ablehnung der Kostenerstattung auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Zugang zu den Gerichten wird hierdurch nicht in rechtsstaatswidriger Weise (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) beschränkt. Der Kläger wäre gemäß Art. 8 Buchst. b RL 2003/8/EG von den Übersetzungskosten für den Prozesskostenhilfeantrag und die Anlagen entlastet worden, wenn er den Antrag bei der in seinem Heimatland zuständigen Behörde gestellt hätte. Der Umstand, dass dem Kläger - wie er behauptet - keine Auskunft über die Möglichkeit der Beantragung von grenzüberschreitender Prozesskostenhilfe in der Tschechischen Republik erteilt wurde, ändert daran nichts. Auch die unionsrechtlichen Gewährleistungen entbinden einen Rechtsuchenden nicht von der Einhaltung der ihn treffenden Sorgfaltspflicht, sich vor einem von ihm selbst in Gang gesetzten Verfahren umfassend über die Möglichkeiten einer öffentlichen Förderung zu informieren. Dies war dem Kläger schon deshalb zuzumuten, weil er bereits anwaltlich vertreten war.

193. Es ist jedoch nicht hinreichend klar, ob das Unionsrecht der Heranziehung der im nationalen Recht geltenden Grundsätze entgegensteht.

20a) Der Anwendungsbereich der RL 2003/8/EG ist eröffnet. Der Prozesskostenhilfeantrag betrifft eine zivilrechtliche Streitsache mit grenzüberschreitendem Bezug iSv. Art. 2 Abs. 1 RL 2003/8/EG, weil der Kläger mit Wohnsitz in der Tschechischen Republik vor einem deutschen Gericht eine Zahlungsklage erhoben hat.

21b) Nach Art. 8 Buchst. b RL 2003/8/EG gewährt der Mitgliedstaat, in dem die Person, die Prozesskostenhilfe beantragt hat, die erforderliche Prozesskostenhilfe zur Deckung der Kosten für die Übersetzung des Antrags und der erforderlichen Anlagen, wenn der Antrag auf Prozesskostenhilfe bei den Behörden dieses Mitgliedstaats eingereicht wird. Art. 13 Abs. 1 RL 2003/8/EG eröffnet allerdings die Möglichkeit, den Antrag entweder dort einzureichen oder bei der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats des Gerichtsstands. Der RL 2003/8/EG ist nach Auffassung des Senats nicht mit der erforderlichen Klarheit zu entnehmen, ob und ggf. inwieweit der Mitgliedstaat des Gerichtsstands die Kosten für die Übersetzung der Erklärung und der Anlagen zum Prozesskostenhilfeantrag zu übernehmen hat, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Antrag gemäß Art. 13 Abs. 1 Buchst. b RL 2003/8/EG unmittelbar bei dem auch als Empfangsbehörde zuständigen Prozessgericht zugleich mit der Klageerhebung gestellt wird und der Antragsteller die Übersetzungen hat anfertigen lassen. Die Frage ist auch nicht bereits geklärt.

22aa) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( - C-279/09 - Rn. 60, Slg. 2010, I-13849) hat der nationale Richter zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigen, ob sie einem legitimen Zweck dienen und ob die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.

23(1) Der Kläger hatte objektiv die Möglichkeit, in der Tschechischen Republik, dem Mitgliedstaat seines Wohnsitzes, in seiner Muttersprache Prozesskostenhilfe für den in Deutschland geführten Rechtsstreit zu beantragen. Der Einwand, bei einer Antragstellung in der Tschechischen Republik wäre er infolge des zu erwartenden Zeitverzugs um „mehrere Wochen bis Monate“ Gefahr gelaufen, dass seine Ansprüche verjähren oder aufgrund der in seinem Arbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfrist verfallen, ist unzutreffend. Der Kläger hat bei dem zuständigen Prozessgericht, dem Arbeitsgericht Zwickau, mit Schriftsatz vom nicht nur Prozesskostenhilfe beantragt, sondern zugleich eine unbedingte Klage auf Zahlung des rückständigen Arbeitslohns erhoben. Hiermit hatte er zur Fristwahrung bereits alles Erforderliche getan. Durch die Anbringung des Prozesskostenhilfeantrags in der Tschechischen Republik hätten sich für ihn keine Rechtsnachteile ergeben. Überdies gilt für die Übermittlungsbehörde die in Art. 13 Abs. 4 Unterabs. 2 RL 2003/8/EG genannte Frist zur Zuleitung des ordnungsgemäß ausgefüllten Antrags und der beigefügten, übersetzten Anlagen an die zuständige Empfangsbehörde in dem anderen Mitgliedstaat.

24(2) Die Nichterstreckung der dem Kläger bewilligten Prozesskostenhilfe auf die von ihm verauslagten Kosten für die Übersetzung der Erklärung und der Anlagen zum Prozesskostenhilfeantrag, den er zugleich mit der Klageerhebung gestellt hat, dient dem legitimen Ziel der Entlastung der Staatskasse des Mitgliedstaats des Gerichtsstands von Kosten, die bei Inanspruchnahme einer nach unionsrechtlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehenen Möglichkeit der Antragstellung von einem anderen Mitgliedstaat zu tragen sind. In Art. 8 RL 2003/8/EG kommt zum Ausdruck, dass der Mitgliedstaat des Wohnsitzes für diese Leistung zugunsten seiner Staatsbürger aufzukommen hat.

25(3) Ein solches Verständnis der Richtlinie steht auch in einem angemessenen Verhältnis zu deren Hauptziel, die Anwendung der Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug für Personen zu fördern, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten (vgl. Abs. 5 der Erwägungsgründe der Richtlinie). Dem Grenzgänger wird es häufig sogar leichter fallen, in seinem Heimatland den Antrag zu stellen, weil insoweit auch keine Sprachbarrieren bestehen. Der Antragsteller wird gemäß Art. 13 Abs. 4 Satz 1 RL 2003/8/EG durch die in seinem Wohnsitzstaat zuständige Übermittlungsbehörde auch bei der Beschaffung der erforderlichen Übersetzung der Anlagen unterstützt. Ein Entgelt für diese Leistungen dürfen die Mitgliedstaaten nicht verlangen (Art. 13 Abs. 6 Satz 1 RL 2003/8/EG).

26bb) Ob dieses Verständnis zutrifft, betrifft die Auslegung des Unionsrechts, die nach Art. 267 AEUV dem Gerichtshof obliegt.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:051115.B.10AZB25.15A.0

Fundstelle(n):
BB 2016 S. 51 Nr. 1
DB 2015 S. 6 Nr. 51
RIW 2016 S. 459 Nr. 7
FAAAF-18244