Einkommensteuer | Umstrittener Beginn der Festsetzungsfrist bei Antragsveranlagungen (FG)
Der 10. Senat des FG Baden-Württemberg hat entschieden, dass auch für Antragsveranlagungen die dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO und damit im Ergebnis eine siebenjährige Festsetzungsfrist gilt (; Revision anhängig).
Hintergrund: Wenn eine Steuererklärung, Steueranmeldung oder eine Anzeige abzugeben ist, beginnt die Festsetzungsfrist - Regelfall für laufend veranlagte Steuern - mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese abgegeben worden ist, spätestens aber mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf die Entstehung des Steueranspruches folgt (§ 170 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 AO).
Sachverhalt: Die Klägerin erzielte ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und war nur auf ihren Antrag hin zu veranlagen. Im Januar 2008 reichte sie ihre Einkommensteuererklärung für 2003 ein. Das Finanzamt lehnte eine Veranlagung der Klägerin mit dem Hinweis auf die inzwischen verstrichene vierjährige Verjährungsfrist (sog. Festsetzungsverjährung) ab. Die Regelung der Anlaufhemmung (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO), nach der die Festsetzungsfrist spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs nach der Steuerentstehung beginnt, war nach Ansicht des Finanzamts nicht auf Antragsveranlagungen anzuwenden.
Hierzu führte das Finanzgericht weiter aus: Die Festsetzungsfrist für Antragsveranlagungen 2003 endet erst am . Der Senat legt die Vorschrift des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO verfassungskonform dahingehend aus, dass auch für Antragsveranlagungen die vierjährige Festsetzungsfrist erst nach Ablauf von drei Jahren zu laufen beginnt, wenn nicht schon vorher eine Steuererklärung abgegeben wurde. Andernfalls käme es zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung zwischen Steuerpflichtigen, die verpflichtet sind, eine Steuererklärung abzugeben, und solchen, die nur auf ihren Antrag hin veranlagt werden.
Hinweis: Der 10. Senat hat die Revision zugelassen. Das Revisionsverfahren ist unter dem Az. VI R 16/11 beim BFH anhängig. Demgegenüber hat der 4. Senat des FG Baden-Württemberg letztes Jahr eine entsprechende Klage auf Durchführung einer Antragsveranlagung mit der Begründung abgewiesen, die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO greife bei Antragsveranlagungen nicht ( NWB LAAAD-48027). Nach Ansicht des 4. Senats gilt hier nur eine vierjährige Festsetzungsfrist mit der Folge, dass Antragsveranlagungen für 2003 nach dem festsetzungsverjährt sind und danach vom Finanzamt nicht mehr durchgeführt werden dürfen. Es gebe hinreichende sachliche Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Pflicht- und Antragsveranlagung, die keine verfassungskonforme Auslegung erlaubten. Auch der 4. Senat hat in seinem abweisenden Urteil die Revision zugelassen. Die beim BFH eingelegte Revision wird dort unter dem Az.: VI R 53/10 geführt. Die Auffassung des 4. Senats wird durch die Finanzverwaltung gestützt. Das BMF hat in Nr. 3 AEAO zu § 170 deutlich gemacht, dass die Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO nach seiner Überzeugung nicht greift, wenn der Steuerpflichtige berechtigt aber nicht verpflichtet ist, eine Steuererklärung abzugeben, wie z.B. bei der Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG.
Quelle: FG Baden-Württemberg, Pressemitteilung Nr. 4/2011
Fundstelle(n):
KAAAF-17026