Solidaritätszuschlag | Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
Der 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hält die andauernde Erhebung des Solidaritätszuschlags für verfassungswidrig und hat deshalb das Klageverfahren mit dem Aktenzeichen 7 K 143/08 dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Das BVerfG wird die Rechtsfrage unter dem Aktenzeichen 2 BvL 3/10 prüfen.
Das FG ist davon überzeugt, dass die Ergänzungsabgabe nach dem Solidaritätszuschlagsgesetz spätestens ab dem Jahr 2007 ihre verfassungsrechtliche Berechtigung verloren hat. Eine Ergänzungsabgabe dient nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nur der Deckung vorübergehender Bedarfsspitzen. Mit dem Solidaritätszuschlag sollen die Kosten der deutschen Einheit finanziert werden. Hierfür besteht nach Auffassung des Gerichts kein vorübergehender, sondern ein langfristiger Bedarf. Dieser darf nicht durch die Erhebung einer Ergänzungsabgabe gedeckt werden. Das Gericht hat das Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG ausgesetzt und dem BVerfG zur verfassungsrechtlichen Überprüfung vorgelegt.Quelle: FG Niedersachsen, Pressemitteilung v. ; BdSt, Pressemitteilung v.
Hintergrund: Seit 1991 (mit Unterbrechung) bzw. 1995 (durchgängig) wird der Solidaritätszuschlag im Wege einer Ergänzungsabgabe i.H.v. 5,5 % auf die Einkommensteuer und Körperschaftsteuer erhoben. Das jährliche Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag beträgt derzeit rund 12 Mrd. €. Der BFH hatte zumindest für das Jahr 2002 den Solidaritätszuschlag noch für verfassungsgemäß angesehen (NWB KAAAB-90538). Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde hat das BVerfG seinerzeit ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (NWB TAAAC-76085). Die Finanzverwaltung hat daraufhin am sämtliche Rechtsbehelfe, in denen eine Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlags geltend gemacht wurde, durch Allgemeinverfügung zurückgewiesen (NWB JAAAC-88082). Gegen diese Allgemeinverfügung hätte bis zum Klage erhoben werden müssen (§ 367 Abs. 2b S. 5 AO). Sofern dies nicht geschehen ist, sind die Bescheide über die Festsetzung des Solidaritätszuschlags mit Ablauf des bestandskräftig geworden.
Im Hinblick auf erneut anhängige Musterverfahren für Veranlagungszeiträume (VZ) ab 2005 und hierauf gestützte Einsprüche (d.h. Einsprüche die nach dem Erlass der o.g. Allgemeinverfügung v. eingelegt wurden) hat das BMF zuletzt mit Schreiben v. den Finanzämtern die Möglichkeit eröffnet, Einspruchsverfahren wieder ruhen zu lassen (NWB ZAAAD-08104). Eine bundeseinheitliche Anweisung, die Einspruchsverfahren ruhen zu lassen, war damit jedoch nicht verbunden (vgl. hierzu NWB-Nachricht v. 5.2.2009). Dies führte dazu, dass in einigen Bundesländern die Einsprüche gegen den Solidaritätszuschlag ruhten, während in Nordrhein-Westfalen alle Einsprüche zurückgewiesen wurden.
Anmerkung: Mit der Verfassungsmäßigkeit des Solidaritätszuschlags muss sich demnächst auch der Bundesfinanzhof (BFH) befassen. Der Bund der Steuerzahler Nordrhein-Westfalen (BdSt) weist daraufhin, dass ein weiteres Verfahren vor dem BFH anhängig ist (Az. II R 50/09). In diesem Verfahren geht es um die VZ ab 2005 (vgl. NWB-Nachricht v. 25.11.2009). Im Gegensatz zum Niedersächsischen FG halten das FG Münster und das FG Köln den Soli für den VZ 2007 übrigens für verfassungsgemäß (vgl. NWB-Nachricht v. 10.12.2009 und Nachricht v. 1.4.2010).
Hinweise: 1) Gemäß NWB OAAAD-33543 erfolgt die Festsetzung des Solidaritätszuschlags für VZ ab 2005 mit Wirkung spätestens ab dem nur noch vorläufig. Doch Achtung – dies gilt nur für noch nicht bestandskräftige Steuerbescheide (s.o.). Und nochmals Achtung – auch für nicht bestandskräftige Steuerbescheide ist es, soweit sie ohne Vorläufigkeitsvermerk ergangen sind – ratsam, Einspruch einzulegen.
2) Der Bescheid über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer ist ein sog. Sammelbescheid. Alle Steuerfestsetzungen stehen hierin selbstständig nebeneinander und sind lediglich in einem Bescheid verbunden. Die Steuerfestsetzungen können je nach Rechtsschutzbegehren grundsätzlich unabhängig voneinander angefochten werden (vgl. hierzu auch NWB AAAAD-24052; NWB-Nachricht v. 7.10.2009).
NWB-Literatur:
Kanzler, Der immerwährende Solidaritätszuschlag und das Bundesverfassungsgericht, NWB OAAAD-45742
Balke, Solidaritätszuschlaggesetz verfassungswidrig? NWB XAAAD-33190
Fundstelle(n):
WAAAF-13685