Verfahrensrecht | Änderung des Bescheids durch nachträgliche Spendenbescheinigung? (FG)
Ein bestandskräftiger Einkommensteuerbescheid kann nicht aufgrund einer Spendenbescheinigung geändert werden, die nach Erlass des Bescheids ausgestellt wird (; Revision zugelassen).
Hintergrund: Nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
Sachverhalt: Die Klägerin gab in der Einkommensteuererklärung für 2004 Spenden an. Da die Höchstbeträge für den Spendenabzug überschritten waren, erließ das Finanzamt einen Bescheid über die gesonderte Feststellung des Großspendenvortrags, der bestandskräftig wurde. Nach mehr als zwei Jahren reichte die Klägerin im Jahr 2008 erteilte Spendenbescheinigungen für 2004 ein. Das Finanzamt lehnte eine Änderung des Feststellungsbescheids ab, da keine Änderungsvorschrift eingreife. Insbesondere stelle eine nachträglich erteilte Bescheinigung wegen § 175 Abs. 2 Satz 2 AO kein rückwirkendes Ereignis dar. Demgegenüber vertrat die Klägerin die Ansicht, dass diese Vorschrift nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes gegen den europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz verstoße.
Hierzu führten die Richter des FG Münster weiter aus:
Der Feststellungsbescheid ist bestandskräftig geworden und kann nicht mehr geändert werden.
Eine Änderung gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht.
Die Spendenbescheinigungen stellen keine nachträglich bekannt gewordenen Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO dar, da sie bei Erlass des Feststellungsbescheids noch nicht vorhanden waren.
Sie sind grundsätzlich als rückwirkendes Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO anzusehen, da sie als materielle Voraussetzungen des Sonderausgabenabzugs für Spenden rückwirkend in den steuerlichen Sachverhalt eingreifen.
Eine Änderung ist jedoch nach § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bei nachträglicher Erteilung einer Bescheinigung ausdrücklich ausgeschlossen.
Auch das europarechtliche Effektivitätsgebot steht einer Anwendung dieser Regelung im Streitfall nicht entgegen.
Der Senat versteht das NWB YAAAD-61703 („Meilicke II“) dahingehend, dass ein solcher Verstoß nur angenommen werden kann, wenn eine nationale Regelung rückwirkend und ohne Einräumung einer Übergangsregelung die Durchsetzung europarechtlich geschützter Werte verwehrt.
Die Klägerin ist jedoch nicht rechtsschutzlos gestellt, da die bereits 2004 eingeführte Neuregelung in § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bei Abgabe der Steuererklärung Anfang 2006 bekannt gewesen sei.
Darüber hinaus ist Unionsrecht bereits deshalb nicht betroffen, da es sich um einen reinen Inlandssachverhalt handelt.
Anmerkung: Der Senat hat die Revision zugelassen, da der BFH die Auswirkungen des EuGH-Urteils Meilicke II auf die Anwendung des § 175 Abs. 2 Satz 2 AO bislang noch nicht geklärt hat.
Quelle: FG Münster online
Hinweis: Das Urteil ist auf der Homepage des FG Münster veröffentlicht. Eine Aufnahme in die NWB Datenbank erfolgt in Kürze.
Fundstelle(n):
YAAAF-10138