OFD Niedersachsen - S 0550 - 1909 - St 151

Allgemeines

  1. Sinn und Zweck

  2. Anfechtungsberechtigter

  3. Anfechtungsgegner

  4. Anfechtungsanspruch

  5. Anfechtungsvoraussetzungen

  6. Prüfung von Anfechtungsbegehren

  7. Gerichtliche Geltendmachung – Beteiligung OFD

1. Sinn und Zweck

Rechtshandlungen, die vor der Insolvenzeröffnung vorgenommen wurden und die die Insolvenzgläubiger benachteiligen, unterliegen der Insolvenzanfechtung (§ 129 Abs. 1 InsO).

Zweck der Insolvenzanfechtung ist die Anreicherung der Insolvenzmasse, nachdem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dazu sollen die Vermögensgegenstände, die vom Schuldner oder vom Gläubiger unter dem Druck der Unternehmenskrise dem Schuldnervermögen entzogen wurden, in die – zur gemeinschaftlichen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger dienende – Insolvenzmasse zurückgeführt werden.

2. Anfechtungsberechtigter

Anfechtungsberechtigter ist regelmäßig der Insolvenzverwalter des eröffneten Insolvenzverfahrens (§ 129 Abs. 1 InsO). Demzufolge sind vorläufige Insolvenzverwalter nicht zur Anfechtung berechtigt. Machen Insolvenzverwalter, Sachwalter, Nachlassverwalter oder einzelne Insolvenzgläubiger Anfechtungsansprüche gegenüber dem Finanzamt geltend und verlangen die Rückzahlung vereinnahmter Steuern, die Freigabe entgegengenommener Sicherheiten oder die Aufhebung von Vollstreckungsmaßnahmen, so ist zunächst die formelle Berechtigung des Antragstellers zu prüfen. Hierzu kann sich das Finanzamt den Insolvenzeröffnungsbeschluss des Amtsgerichts vorlegen lassen. Aus dem Beschluss ergibt sich,

  • welche Art von Insolvenzverfahren eröffnet wurde und

  • wer zum Insolvenzverwalter, Sachwalter, Nachlassverwalter oder Treuhänder bestellt wurde.

In Verbraucherinsolvenzverfahren, die bis zum beantragt worden sind, ist nicht der Treuhänder, sondern jeder Insolvenzgläubiger zur Anfechtung berechtigt (§ 313 Abs. 2 InsO). In diesem Fall hat sich das Finanzamt durch die Vorlage einer Abschrift der Insolvenztabelle oder eines vollstreckbaren Titels über die Insolvenzgläubigereigenschaft des Antragstellers zu vergewissern.

Die Anfechtung ist auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit möglich ().

Der Anfechtungsanspruch ist zwar nicht davon abhängig, dass der Anfechtende auch bestehende Anfechtungsansprüche gegenüber weiteren Anfechtungsgegnern geltend macht. Da jedoch die Insolvenzverwalter erfahrungsgemäß Anfechtungsansprüche nur gegenüber bestimmten Gläubigergruppen (Finanzämter, Sozialversicherungsträger) verfolgen, sollte gerade hier ihre Tätigkeit besonders kritisch beobachtet werden. Bei Vorliegen entsprechender Erkenntnisse muss darauf hingewirkt werden, dass der Insolvenzverwalter auch anfechtbare Rechtshandlungen, die anderen Gläubigern zugute gekommen sind, verfolgt.

Verfolgt er solche Ansprüche nicht, kann sich eine Haftung nach § 60 InsO ergeben.

3. Anfechtungsgegner

Anfechtungsgegner ist der durch die angefochtene Rechtshandlung Begünstigte.

Im Bereich der Finanzverwaltung ist dies regelmäßig das jeweilige Bundesland.

Die Anfechtung erfolgt in der Praxis direkt gegenüber dem zuständigen Finanzamt.

Bei abgabenrechtlichem Zuständigkeitswechsel zwischen verschiedenen Bundesländern bleibt gleichwohl das Land, das die angefochtene Zahlung ursprünglich erhalten hatte, Anfechtungsgegner (). Der Zuständigkeitswechsel nach § 26 AO betrifft zwar das Steuerverhältnis, aber nicht den bei der Anfechtung in Rede stehenden bürgerlich-rechtlichen Anfechtungsanspruch.

Unter Bezungnahme auf die Erörterungen der AO-Referatsleiter auf der Sitzung 1/2013 vom 6. bis ist hierbei Folgendes zu beachten:

Erhält ein Land insolvenzrechtlich anfechtbare Geldzahlungen und erfolgt anschließend ein steuerlicher Zuständigkeitswechsel nach § 26 AO, ist das Land insolvenzrechtlicher Anfechtungsgegner, das die angefochtenen Zahlungen erhalten hat und nicht das steuerlich neu zuständige Land. Soweit die Insolvenzanfechtung erfolgreich ist, muss das steuerlich nicht mehr zuständige Bundesland die erhaltenen Gelder an den Insolvenzverwalter zurückzahlen. Das bisher steuerlich zuständige Land hat keinen Anspruch auf Erstattung der nach Anfechtung zurückgezahlten Steuern gegenüber dem neu zuständigen Land.

Hat das Land, das die angefochtenen Zahlungen damals erhalten hatte, den an den Insolvenzverwalter zurückzuzahlenden Betrag – z. B. wegen einer im Zahlungszeitpunkt bereits in die Wege geleiteten Aktenabgabe – bereits an das steuerlich neu zuständige Land weitergeleitet, treffen die beteiligten Länder eine einvernehmliche Ausgleichsregelung. (D. h. es erfolgt die Rückzahlung des zunächst weitergeleiteten Betrags.)

Der wiederauflebende Steueranspruch ist vom steuerlich neu zuständigen Finanzamt im Insolvenzverfahren geltend zu machen. § 144 Abs. 1 InsO verdrängt die Zuständigkeitsregelungen der AO nicht; maßgeblich sind neben den Regelungen über die Ertragshoheit (Art. 106 Abs. 3 GG) die §§ 17 ff. und § 252 AO. Die Vorschrift des § 26 Satz 3 Nr. 2 AO gilt hier nicht, weil der Zuständigkeitswechsel bereits vollzogen worden ist.

4. Anfechtungsanspruch – Rückgewähranspruch

Im Unterschied zum Duldungsanspruch nach dem Anfechtungsgesetz richtet sich der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch auf eine echte Rückgewähr des anfechtbar entzogenen Gegenstands zur Insolvenzmasse (§ 143 Abs. 1 InsO). Wie die Rückgewähr im Einzelnen zu erfolgen hat, hängt von der anfechtbaren Handlung und der Art des zurückzugewährenden Gegenstands ab. Zu den Einzelheiten s. Karte 9.18.

Der insolvenzrechtliche Anfechtungsanspruch ist zivilrechtlicher Art und daher vor den ordentlichen Gerichten einzuklagen. Wegen der kurzen zivilrechtlichen Fristen ist die Bearbeitung entsprechender Klagen besonders eilbedürftig.

5. Anfechtungsvoraussetzungen

Die Anfechtung setzt zunächst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraus. Darüber hinaus müssen stets die allgemeinen Voraussetzungen der §§ 129 ff. InsO erfüllt sein:

  • Es muss eine Rechtshandlung vorliegen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist.

  • Es muss eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger eingetreten sein.

  • Zwischen Rechtshandlung und Gläubigerbenachteiligung muss ein Kausalzusammenhang bestehen.

  • Es muss ein Anfechtungstatbestand nach den §§ 130 – 136 InsO vorliegen.

6. Prüfung von Anfechtungsbegehren

Eingehende Anfechtungsschreiben sind zeitnah zu bearbeiten. Das Prüfungsergebnis ist in einem aussagekräftigen Aktenvermerk festzuhalten.

Da es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch des Insolvenzverwalters handelt, kommt auch eine Erledigung im Wege eines Vergleiches in Betracht. Vor Annahme des Vergleichs sind unbedingt die Aussichten einer erfolgreichen Abwehr des Anfechtungsbegehrens zu prüfen.

Bei Annahme des Vergleichs sollte darauf hingewirkt werden, dass der Vergleich mögliche Anfechtungsansprüche insgesamt erledigt und die Zahlung von Zinsen und Kosten vermieden werden.

Ggf. kann versucht werden, im Rahmen der Vergleichsgespräche auch sonstige offene Punkte (z. B. bestrittene Forderungen) aufzugreifen.

7. Gerichtliche Geltendmachung – Beteiligung OFD

Eine vom Antragsteller (im Regelfall vom Insolvenzverwalter) erhobene Klage muss sich gegen das Land Niedersachsen, vertreten durch die Oberfinanzdirektion Niedersachsen richten (vgl. Vollstreckungskartei, Organisation, Karte 7). Die Bearbeitung derartiger Anfechtungsklagen erfolgt nicht durch das Justiziariat in Hannover, sondern unmittelbar durch das Vollstreckungsreferat (St 15) bei der Abteilung St in Oldenburg.

Die Zivilgerichte setzen für die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft regelmäßig eine Notfrist von lediglich zwei Wochen, nach deren Verstreichen auf Antrag der klagenden Partei unmittelbar ein Versäumnisurteil ergehen kann.

Bei der Oberfinanzdirektion eingehende Anfechtungsklagen werden umgehend an das örtlich zuständige Finanzamt weitergeleitet, das aufgrund seiner Sachnähe bevollmächtigt wird, die Vertretung zu übernehmen. Soweit derartige Klageverfahren nicht lediglich bei Amtsgerichten anhängig sind, ist dafür auch die Einschaltung einer externen anwaltlichen Vertretung durch das Finanzamt erforderlich.

Über unmittelbar im Finanzamt eingehende Klagesachen ist die Oberfinanzdirektion (Referat St 15) unverzüglich zu unterrichten, damit eine zeitgerechte Prüfung und Bevollmächtigung erfolgen kann.

OFD Niedersachsen v. - S 0550 - 1909 - St 151

Fundstelle(n):
CAAAF-08872