BFH Urteil v. - VIII R 21/13 BStBl 2016 II S. 371

Ersetzung des Vorläufigkeitsvermerks in einem Steuerbescheid durch einschränkenden Vorläufigkeitsvermerk in einem späteren Änderungsbescheid

Leitsatz

1. Hat das FA die Steuer unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen.

2. Keine solche —unwirksame— stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Dies gilt auch, wenn ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird. Die durch einen solchen Vorläufigkeitsvermerk nicht erfassten Teile eines Änderungsbescheides erwachsen in Bestandskraft, soweit sie nicht innerhalb der Rechtsbehelfsfrist angefochten werden.

Gesetze: AO § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2;

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute und erzielten beide in den Streitjahren (2001 bis 2003) ausländische Kapitalerträge, die zunächst nicht im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung für die Streitjahre erklärt und infolgedessen vom Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) bei der Einkommensteuerveranlagung der Kläger nicht berücksichtigt wurden.

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Nachdem die Kläger im Rahmen einer Selbstanzeige die ausländischen Kapitalerträge mit geschätzten Werten nacherklärt hatten, änderte das FA die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre mit Bescheiden vom gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und führte in den Änderungsbescheiden unter dem Punkt "Art der Festsetzung" aus:  
 
"Der Bescheid ist nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig, soweit dies im Erläuterungsteil ausgeführt ist. Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO vorläufig."

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Ziffer 1 der Erläuterungen der Bescheide bezeichnete den Vorläufigkeitskatalog nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO wie folgt:
 
"Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig hinsichtlich  
-
der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages 
-
der Höhe des Grundfreibetrages (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG) ..."

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Unter den weiteren Erläuterungen führte das FA aus:
 
"Die Festsetzung der Einkommensteuer ist vorläufig hinsichtlich der Einkünfte aus Kapitalvermögen – Kapitalerträge aus den Anlagen bei der (...) in der Schweiz und der (...) in Österreich -, weil die endgültigen Werte noch nicht vorliegen."

5 Die dagegen eingelegten Einsprüche nahmen die Kläger auf den Hinweis des FA zurück, dass die Einkommensteuer für die Streitjahre im Hinblick auf die vorläufig gestellten Punkte aufgrund des Vorläufigkeitsvermerks weiter offen sei.

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Aufgrund einer Mitteilung über geänderte Beteiligungseinkünfte änderte das FA die Einkommensteuerbescheide unter Bezugnahme auf § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO erneut mit Bescheiden vom und führte unter "Art der Festsetzung" jeweils aus:
 
"Der Bescheid ist nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO geändert. Er ist nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO vorläufig, soweit dies im Erläuterungsteil ausgeführt ist."

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Dementsprechend enthielt der Erläuterungsteil nur die Hinweise zum Vorläufigkeitskatalog des § 165 Abs. 1 Satz 2 AO entsprechend den Änderungsbescheiden vom :
 
"Die Festsetzung der Einkommensteuer ist gem. § 165 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 3 und 4 AO vorläufig hinsichtlich  
-
der Nichtberücksichtigung pauschaler Werbungskosten bzw. Betriebsausgaben in Höhe der steuerfreien Aufwandsentschädigung nach § 12 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Deutschen Bundestages
-
der Höhe des Grundfreibetrages (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG) ..."

8 Der Bescheid enthielt jedoch keinen Vorläufigkeitsvermerk nach § 165 Abs. 1 Satz 1 AO mehr und auch keinen Hinweis auf die Aufhebung des noch in den Bescheiden vom enthaltenen Vorläufigkeitsvermerks wegen des Ansatzes der Einkünfte aus Kapitalvermögen.

9 Auf die dagegen erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) der Klage mit Urteil vom 2 K 266/12 (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2013, 239) stattgegeben und den angefochtenen Ablehnungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung mit der Begründung aufgehoben, das FA sei zur Durchführung der beantragten Änderung verpflichtet, weil die Voraussetzungen des § 165 Abs. 2 Satz 2 AO vorlägen. Denn das FA habe den auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk weder aufgehoben noch sei dieser durch den allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk in den Bescheiden vom ersetzt worden.

10 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung des § 165 AO. Das FG weiche von den Rechtsgrundsätzen des (BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282) ab.

11 Das FA beantragt, das angefochtene Urteil der Vorinstanz aufzuheben und die Klage abzuweisen.

12 Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Gründe

13 II. Die Revision des FA ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

14 Zu Unrecht hat das FG angenommen, die Änderungsbescheide vom hätten die mit den vorangegangenen Bescheiden vom ausgesprochene Vorläufigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen unberührt gelassen, so dass die Kläger die Änderung der Einkommensteuerbescheide vom unter Ansatz der neu ermittelten Einkünfte aus Kapitalvermögen beanspruchen könnten.

15 1. Nach § 165 Abs. 2 Satz 1 AO kann die Finanzbehörde Steuerfestsetzungen aufheben oder ändern, soweit sie die Steuer vorläufig festgesetzt hat.

16 Die Voraussetzungen für eine solche vorläufige Steuerfestsetzung enthält § 165 Abs. 1 AO. Danach kommt eine vorläufige Steuerfestsetzung in Betracht, soweit ungewiss ist, ob die Voraussetzungen für die Entstehung einer Steuer eingetreten sind (Satz 1 der Vorschrift) oder einer der in Satz 2 der Vorschrift geregelten Tatbestände gegeben ist.

17 a) Hat das FA die Steuer —wie im Streitfall mit den Bescheiden vom — unter Bezugnahme auf Gründe i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 AO vorläufig festgesetzt, so bleibt der Vorläufigkeitsvermerk bis zu seiner ausdrücklichen Aufhebung wirksam. Eine stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks durch eine Änderungsveranlagung, auch wenn sie auf eine (andere) Korrekturvorschrift gestützt ist, ist ausgeschlossen (vgl. , BFHE 150, 459, BStBl II 1987, 746; vom III R 191/84, BFHE 154, 430, BStBl II 1989, 9; vom VII R 40/94, BFH/NV 1995, 1108).

18 b) Keine solche —unwirksame— stillschweigende Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks, sondern dessen inhaltlich neue Bestimmung ist gegeben, wenn dem Änderungsbescheid im Verhältnis zum Ursprungsbescheid ein inhaltlich eingeschränkter Vorläufigkeitsvermerk beigefügt wird. Der Steuerpflichtige muss den in einem Änderungsbescheid enthaltenen —geänderten— Vorläufigkeitsvermerk grundsätzlich so verstehen, dass der Umfang der Vorläufigkeit gegenüber dem ursprünglichen Bescheid geändert und nun im Änderungsbescheid abschließend umschrieben worden ist (s. , BFHE 190, 44, BStBl II 2000, 282; vom X R 20/10, BFH/NV 2014, 524, unter Rz 27; vom IX R 3/12, BFH/NV 2013, 1377). Dies gilt auch, wenn —wie im Streitfall— ein sowohl auf § 165 Abs. 1 Satz 1 AO als auch auf Satz 2 dieser Vorschrift gestützter Vorläufigkeitsvermerk im geänderten Bescheid durch einen allein auf § 165 Abs. 1 Satz 2 AO gestützten Vorläufigkeitsvermerk ersetzt wird.

19 2. Nach diesen Grundsätzen sind die Steueränderungsbescheide für die Streitjahre vom nicht mehr änderbar, weil die Voraussetzungen der insoweit allein in Betracht kommenden Änderungsnorm des § 165 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 AO nicht vorliegen.

20 Denn entgegen der Ansicht der Kläger enthielten die Steueränderungsbescheide vom hinsichtlich der Höhe der Einkünfte aus Kapitalvermögen keinen Vorläufigkeitsvermerk i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO mehr.

21 Dies folgt unmittelbar aus dem oben wiedergegebenen Wortlaut der Bescheide.

22 Dafür, dass das FA die Vorläufigkeit der Steuerfestsetzung abweichend von dem abschließend formulierten Vermerk aus der Sicht der Bescheidadressaten auf andere Tatbestände des § 165 Abs. 1 AO erstreckt wissen wollte, ergeben sich keinerlei Anhaltspunkte.

23 3. Da die Vorentscheidung auf einer abweichenden Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Die Klage ist abzuweisen.

24 4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:


Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2016 II Seite 371
AO-StB 2015 S. 349 Nr. 12
BFH/NV 2016 S. 1081
BFH/PR 2016 S. 254 Nr. 8
BStBl II 2016 S. 371 Nr. 9
DB 2016 S. 1116 Nr. 19
DB 2016 S. 6 Nr. 19
DStR 2016 S. 1110 Nr. 19
DStRE 2016 S. 635 Nr. 10
DStZ 2016 S. 556 Nr. 15
HFR 2016 S. 681 Nr. 8
KÖSDI 2016 S. 19879 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 21/2016 S. 1557
StB 2016 S. 164 Nr. 6
StBp 2016 S. 241 Nr. 8
StuB-Bilanzreport Nr. 13/2016 S. 523
Ubg 2016 S. 377
HAAAF-07654