BGH Beschluss v. - 4 StR 117/15

Strafverfahren wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr: Begründung einer konkreten verkehrsspezifischen Gefahr bei Abgabe von Pistolenschüssen auf fahrende Autos

Gesetze: § 315b Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Würzburg Az: 1 Ks 801 Js 9341/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen

– versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und Sachbeschädigung (Fall „WÜ 18 [Fall B.     ]“),

– versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und Sachbeschädigung („Fall M.     “),

– versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und Sachbeschädigung (Fall „G.    “),

– versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und Sachbeschädigung (Fall „KO 26“),

– 87 tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe jeweils in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung,

– 21 tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition jeweils in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung, sowie wegen

– vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verfeuern von Patronenmunition, vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition

zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt.

2Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.

I.

3Nach den Feststellungen des Landgerichts schoss der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen aus dem von ihm auf Bundesautobahnen geführten Lkw heraus im fließenden Verkehr auf andere Fahrzeuge, insbesondere auf Autotransporter oder andere Lkws mit Auflieger, die sich zum Teil im Gegenverkehr, zum Teil im gleichgerichteten Verkehr bewegten. Dabei verwendete er zunächst (Zeitraum vom bis zum , Fälle unter B. 2. 1. der Urteilsgründe) eine selbstgebaute Kipplaufpistole des Kalibers .22 und ab dem eine Pistole P 38 des Kalibers 9 mm (Fälle unter B. 2. 2. der Urteilsgründe). In vier Fällen (Fälle „WÜ 18 [Fall „B.     “]“; „M.     “ und „G.    “ unter B. 2. 1. und Fall „KO 26“ unter B. 2. 2. der Urteilsgründe) verurteilte ihn das Landgericht u.a. wegen versuchten Mordes; in den verbleibenden 108 Fällen (87 Fälle unter B. 2. 1. sowie 21 Fälle unter B. 2. 2. der Urteilsgründe) konnte sich die Strafkammer vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes nicht überzeugen.

II.

41. Der Senat beschränkt die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.

5Die Beschränkung umfasst diejenigen 108 Fälle, in denen der Angeklagte auf die Ladung bzw. Aufbauten von Autotransportern, anderen Lkws oder auf Wohnanhänger schoss und diese auch traf, ohne dass die Strafkammer Feststellungen dazu getroffen hat, dass es nach der Vorstellung des Angeklagten durch die Schüsse zu einer kritischen Verkehrssituation kommen konnte. Eine Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr setzt bei Schüssen auf Fahrzeuge im Straßenverkehr indes voraus, dass nach der Vorstellung des Täters die konkrete Gefahr für eines der in § 315b Abs. 1 StGB genannten Schutzobjekte jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs) zurückzuführen ist (vgl. , NStZ 2009, 100, 101). Daran fehlt es, wenn der Schaden – wie hier – ausschließlich auf der durch die Pistolenschüsse freigesetzten Dynamik der auftreffenden Projektile beruht (BGH aaO). Danach hätte der Angeklagte jeweils in seine Vorstellung aufnehmen und billigen müssen, dass es infolge der Schüsse zu einem Beinahe-Unfall kommen könnte; Feststellungen dazu hat das Landgericht aber nicht getroffen.

62. Die Beschränkung der Strafverfolgung, die aus prozessökonomischen Gründen erfolgt, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der Strafaussprüche über die Einzelstrafen in den genannten Fällen. Der Wegfall der vorgenannten Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.

III.

7Im verbleibenden Umfang hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf hier nur Folgendes:

81. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich im Fall „M.     “ (UA 39) auch wegen gefährlicher Körperverletzung in der Variante „mittels einer Waffe“ gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Eine Körperverletzung „mittels einer Waffe“ begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur , NStZ 2006, 572; Beschlüsse vom – 4 StR 292/12, StV 2013, 438 f., und vom – 4 StR 266/11).

9Eine solche unmittelbare Einwirkung des vom Angeklagten abgeschossenen Projektils auf den Körper der beiden Opfer belegen die Feststellungen nicht. Der Geschädigte K.    wurde lediglich durch Splitter der durch den Schuss geborstenen Glasscheibe verletzt. Ferner erlitten beide Geschädigte ein Knalltrauma. Die Körperverletzungserfolge sind daher erst durch das Zerbersten der Scheibe und damit durch eine Folge des Schusses eingetreten, nicht aber „mittels“ der eingesetzten Waffe.

10Der Rechtsfehler wirkt sich jedoch weder auf den Schuld- noch auf den Strafausspruch aus, weil die Feststellungen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragen und das Landgericht den Umstand, dass nach seiner Auffassung zwei Tatvarianten des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht waren, nicht strafschärfend berücksichtigt hat.

112. Das Landgericht hat – erkennbar versehentlich – für den gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Fall „KO 31“ (PB Bl. 153 d.A.; UA 74, 86) trotz des aus der Einstellung folgenden Verfahrenshindernisses eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt (UA 175 unten). Der Angeklagte ist dadurch im Ergebnis aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beschwert. Weder der Schuld- noch der Strafausspruch werden von dem Versehen berührt. Denn die Fälle „KO 16“ und „KO 17“ stehen entgegen der konkurrenzrechtlichen Bewertung durch das Landgericht nicht in Tateinheit, sondern in Tatmehrheit zueinander, da der Angeklagte hier im Abstand von 15 Minuten unterschiedliche Fahrzeuge beschoss. Die Strafkammer hat für alle „KO“-Fälle mit Ausnahme des Falles „KO 26“ Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren verhängt.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
LAAAF-05836