Firmeneigenes Schienennetz als regelmäßige Arbeitsstätte i. S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG
Leitsatz
1. Befährt ein Lokomotiv-Rangierführer mit der firmeneigenen Eisenbahn (Werksbahn) das firmeneigene Schienennetz seines Arbeitgebers, kann dieses eine - wenngleich großräumig - regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG und damit beim Verpflegungsmehraufwand ein Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG sein.
2. Der Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte bzw. eines Tätigkeitsmittelpunktes steht nicht entgegen, wenn das Schienennetz sich über mehrere Stadtteile erstreckt und sich auf dem geographischen Gebiet, auf dem das Schienennetz verlegt ist, auch öffentliche Straßen befinden, sofern es sich um ein räumlich geschlossenes bzw. zusammenhängendes Gelände handelt.
3. Es ist nicht erforderlich, dass der Arbeitgeber zivilrechtlicher Eigentümer des Schienennetzes ist. Entscheidend ist die tatsächliche Sachherrschaft des Arbeitgebers.
Gesetze: EStG § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5, EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4, EStG § 9 Abs. 5
Instanzenzug: ,
Tatbestand
1 I. Streitig ist, ob einem Lokomotiv-Rangierführer Werbungskosten in Form von Verpflegungsmehraufwendungen zustehen.
2 Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Ehegatten und wurden für das Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger war im Streitjahr bei der X, einer Tochtergesellschaft der Y, die in A mehrere Werke betreibt, nichtselbständig beschäftigt. Er arbeitete im Schichtdienst mit einer regelmäßigen Arbeitszeit von acht Stunden täglich. Während seiner Schichten befuhr der Kläger mit der firmeneigenen Eisenbahn das firmeneigene Schienennetz der X, das sich über mehrere Stadtteile in A erstreckte.
3 Die einzelnen Werke, die räumlich unmittelbar aneinander grenzen, werden von einer Vielzahl öffentlicher Straßen durchzogen. Die Werke können grundsätzlich nur über die jeweiligen Tore betreten werden. Für den firmeninternen Schienenverkehr sind sie jedoch über ein Brücken- und Tunnelsystem zugänglich.
4 Im Streitjahr leistete der Kläger 228 Schichten mit folgenden Einsatzorten ab: eine Schicht in ., zehn Schichten in ., eine Schicht in ., zehn Schichten in ., neun Schichten in . und 197 Schichten in .. Im Rahmen seines Schichtdienstes fuhr der Kläger im Streitjahr über das Schienennetz der firmeneigenen Werksbahn mindestens einmal täglich auch die Fremdfirma Z an, die nicht zur Y gehörte und sich im Stadtteil . befand. Für diese Fahrten war der Kläger weniger als acht Stunden von seiner Wohnung abwesend.
5 Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2010 machte der Kläger Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von insgesamt 1.368 € (228 Tage x 6 €) bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
6 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) berücksichtigte diese nicht, da keine Auswärtstätigkeit vorgelegen habe.
7 Die dagegen nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 247 veröffentlichten Gründen ab.
8 Mit der Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
9 Sie beantragen,
das und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer unter Anerkennung von Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten in Höhe von 1.368 € festgesetzt wird.
10 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
11 II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Das FG hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Berücksichtigung der geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten hat.
12 1. Nach § 9 Abs. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG wird ein erwerbsbedingter Mehraufwand für Verpflegung typisierend in Form gestaffelter Pauschbeträge und lediglich unter der Voraussetzung steuerlich berücksichtigt, dass der Arbeitnehmer sich aus beruflichen Gründen auf einer Auswärtstätigkeit befunden hat (, BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564, und vom VI R 16/04, BFHE 209, 518, BStBl II 2005, 789, unter II. 2. a und b). Danach ist eine Auswärtstätigkeit dadurch gekennzeichnet, dass der Arbeitnehmer entweder vorübergehend von seiner Wohnung und dem ortsgebundenen Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten beruflichen Tätigkeit (Tätigkeitsmittelpunkt) entfernt beruflich tätig wird (Satz 2 der genannten Vorschrift) oder dass der Arbeitnehmer typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug eingesetzt wird und damit über einen dauerhaft angelegten ortsgebundenen Bezugspunkt seiner beruflichen Tätigkeit nicht verfügt (Satz 3 der genannten Vorschrift). Auf die konkrete Verpflegungssituation kommt es dabei ebenso wenig an, wie darauf, ob dem Arbeitnehmer überhaupt ein Mehraufwand bei seiner Verpflegung entstanden ist (Senatsurteil vom VI R 23/11, BFHE 236, 351, BStBl II 2012, 472, m.w.N.).
13 a) Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist die dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig der Betrieb, Zweigbetrieb oder eine Betriebsstätte des Arbeitgebers (vgl. zuletzt Senatsurteil vom VI R 68/12, BFH/NV 2014, 1029, m.w.N.; Schmidt/Loschelder, EStG, 33. Aufl., § 9 Rz 116, m.w.N.), nicht jedoch die Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers (, BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822, und vom VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852).
14 b) Es entspricht ständiger Senatsrechtsprechung, dass ein größeres, räumlich geschlossenes Gebiet als regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG (und damit beim Verpflegungsmehraufwand als Tätigkeitsmittelpunkt i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG) in Betracht kommt, wenn es sich um ein zusammenhängendes Gelände des Arbeitgebers handelt, auf dem der Arbeitnehmer auf Dauer und mit einer gewissen Nachhaltigkeit tätig wird (vgl. Senatsurteil in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564, m.w.N.). Unter diesen Voraussetzungen kann auch ein Werksgelände oder ein Waldgebiet eine großräumige (regelmäßige) Arbeitsstätte bzw. einen Tätigkeitsmittelpunkt darstellen (vgl. Senatsurteil in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564, bzgl. des Gewinnungsreviers eines Kaliwerks; vgl. auch Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 9 Rz 117, m.w.N.).
15 2. Das FG ist von diesen Grundsätzen ausgegangen und hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die vom Kläger geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht zu berücksichtigen sind.
16 a) Nach ständiger Senatsrechtsprechung kommen nur ortsfeste betriebliche Einrichtungen des Arbeitgebers als regelmäßige Arbeitsstätte in Betracht (vgl. zuletzt Senatsurteil in BFH/NV 2014, 1029, m.w.N.; Schmidt/Loschelder, a.a.O., § 9 Rz 116, m.w.N.). Im Streitfall ist das Schienennetz der X, das sich zum Großteil auf dem Werksgelände der Y befindet, nach den Maßstäben des Senatsurteils in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564 als —wenngleich großräumige— regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG anzusehen.
17 Bei dem Schienennetz der X handelt es sich um eine dauerhafte, betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers des Klägers, die nach ihren infrastrukturellen Gegebenheiten mit einem Betriebssitz oder einer sonstigen betrieblichen Einrichtung vergleichbar ist (vgl. , BFHE 230, 533, BStBl II 2012, 32, und in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564). Im Streitfall kann dahinstehen, ob die X auch zivilrechtliche Eigentümerin des Schienennetzes war, da eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers eine solche Rechtsposition nicht voraussetzt. Entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Sachherrschaft des Arbeitgebers (vgl. Senatsurteile in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564; in BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822; vom VI R 47/11, BFHE 238, 53, BStBl II 2013, 169; vom VI R 34/13, BFH/NV 2014, 691; vgl. Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 EStG Rz 545). Da nach den bindenden Feststellungen des FG der Kläger mit der firmeneigenen Eisenbahn („Werksbahn”) das firmeneigene Schienennetz seines Arbeitgebers, der X, befuhr, ist davon auszugehen, dass die X eine solche tatsächliche Sachherrschaft innehatte.
18 Die konkrete flächenmäßige Ausdehnung des firmeneigenen Schienennetzes steht der Annahme einer regelmäßigen Arbeitsstätte bzw. eines Tätigkeitsmittelpunktes nicht entgegen. Das firmeneigene Schienennetz der X erstreckt sich im Streitfall zwar über mehrere Stadtteile. Es handelt sich aber um ein räumlich geschlossenes bzw. zusammenhängendes Gelände (vgl. Senatsurteil in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sich auf dem geographischen Gebiet, auf dem das Schienennetz verlegt ist, auch öffentliche Straßen befinden.
19 b) Dieser betrieblichen Einrichtung war der Kläger auch zugeordnet. Nach den Feststellungen des FG erbrachte er dort täglich seine Arbeitsleistung, indem er die Rangierfahrten mit der firmeneigenen Eisenbahn („Werksbahn”) auf diesem Schienennetz begann, durchführte und beendete. Ein nachhaltiges, fortdauerndes und sich wiederholendes Tätigwerden auf einer betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers ist daher zu bejahen.
20 c) Da der Kläger an einer regelmäßigen Arbeitsstätte bzw. einem Tätigkeitsmittelpunkt eingesetzt war, liegt keine „Fahrtätigkeit” bzw. auch keine „Einsatzwechseltätigkeit” i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG vor (vgl. Senatsurteil in BFHE 226, 59, BStBl II 2010, 564).
21 d) Dieser Beurteilung stehen auch die arbeitstäglichen Fahrten zu der Fremdfirma Z nicht entgegen. Denn auch diese Fahrten unternahm der Kläger nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz (§ 118 Abs. 2 FGO) mit der firmeneigenen Eisenbahn („Werksbahn”) auf dem firmeneigenen Schienennetz und damit auf dem Werksgelände seines Arbeitgebers, der X. Eine Auswärtstätigkeit liegt deshalb auch insoweit nicht vor.
22 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2015 S. 1084 Nr. 8
HFR 2015 S. 724 Nr. 8
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2015 S. 2045
WAAAE-91964