BFH Urteil v. - V R 42/14

Hinzuziehung eines Dritten vor Ablauf der Festsetzungsfrist

Leitsatz

Die in der Hinzuziehung eines Dritten gemäß § 174 Abs. 5 AO liegende Zurückdrängung des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die gegen ihn gerichteten steuerlichen Ansprüche hinzugezogen oder beigeladen wird.

Gesetze: AO § 169 Abs. 2, AO § 170 Abs. 2, AO § 171 Abs. 4, AO § 171 Abs. 5

Instanzenzug: ,

Tatbestand

1 I. Streitig ist, ob der Hinzuziehung des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) zum Einspruchsverfahren der G-GmbH (GmbH) die Festsetzungsverjährung entgegensteht.

2 Der Kläger erzielte in den Streitjahren als Einzelunternehmer steuerpflichtige Umsätze aus dem Betrieb einer Landwirtschaft sowie aus der Verpachtung von Gebäuden und Anlagen des landwirtschaftlichen Betriebs an die GmbH. Er war zu 51 % an der GmbH beteiligt und einzelvertretungsberechtigter Geschäftsführer der GmbH. Seine Ehefrau war zu 49 % an der GmbH beteiligt und ebenfalls einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin.

3 Die Umsätze des Klägers aus dem Betrieb der Landwirtschaft unterlagen der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 des Umsatzsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung. Seine Lieferungen an die GmbH wurden mit 9 % der Besteuerung unterworfen. Die Umsätze aus der Verpachtung unterlagen der Regelbesteuerung. Die in den gegenüber der GmbH ausgestellten Rechnungen ausgewiesenen Umsatzsteuerbeträge wurden von dieser als Vorsteuerbeträge abgezogen.

4 Im Anschluss an eine beim Kläger und bei der GmbH im Jahr 2005 begonnene Außenprüfung ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) von einer umsatzsteuerrechtlichen Organschaft zwischen dem landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers und der GmbH aus. Bei den Umsätzen zwischen dem Kläger und der GmbH habe es sich demnach um nicht steuerbare Innenumsätze gehandelt mit der Folge, dass die GmbH nicht zum Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des Klägers berechtigt sei und die Umsätze der GmbH dem Kläger als Organträger zugerechnet werden müssten.

5 Das FA erließ deshalb am gegenüber dem Kläger Umsatzsteueränderungsbescheide, mit denen es ihm für die Streitjahre (2000 bis 2002) insgesamt . € Umsatzsteuer zzgl. Zinsen erstattete. Im Gegenzug wurde mit Umsatzsteueränderungsbescheiden vom von der GmbH für die Streitjahre Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt . € zzgl. Zinsen nachgefordert.

6 Während der Kläger keinen Einspruch einlegte, legte die GmbH gegen die Änderungsbescheide vom Einspruch ein. Der Kläger wurde mit Bescheid vom zum Einspruchsverfahren der GmbH gemäß § 174 Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) hinzugezogen. Eine Rechtsbehelfsbelehrung war dem Hinzuziehungsbescheid nicht beigefügt.

7 Im Einspruchsverfahren der GmbH erfolgte eine Einigung dahingehend, dass zwischen dem Kläger und der GmbH doch keine Organschaft vorliege. Das FA erstattete der GmbH mit Änderungsbescheiden vom Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt . € zzgl. Zinsen.

8 Am erließ das FA gegenüber dem Kläger nach § 174 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide, mit denen für die Streitjahre Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt . € zzgl. Zinsen nachgefordert wurde.

9 Der Kläger legte sowohl gegen den Hinzuziehungsbescheid vom als auch gegen die geänderten Umsatzsteuerbescheide vom Einspruch ein. Das FA wies die Einsprüche, die es zu gemeinsamer Entscheidung verband, mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.

10 Die Klage (2 K 1886/11) gegen die Umsatzsteueränderungsbescheide 2000 bis 2002 vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom hatte keinen Erfolg. Hiergegen richtet sich nach Zulassung der Revision durch das Finanzgericht (FG) das Revisionsverfahren V R 28/14.

11 Gegen den Hinzuziehungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom wandte sich der Kläger mit der Klage 2 K 1887/11 zum FG. Das FG wies die Klage als unbegründet ab.

12 Das FG begründete sein Urteil im Wesentlichen wie folgt:

13 Das FA habe den Kläger zu Recht zum Einspruchsverfahren der GmbH hinzugezogen. Die Anordnung der Hinzuziehung durch das FA nach § 174 Abs. 5 Satz 2 AO setze voraus, dass ein Steuerbescheid möglicherweise wegen irriger Beurteilung eines Sachverhalts aufzuheben oder zu ändern sei, und dass hieraus möglicherweise steuerrechtliche Folgerungen für einen Dritten durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides gezogen werden könnten. Die Hinzuziehung sei nicht deshalb unzulässig, weil für eine dem Kläger gegenüber vorzunehmende Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen 2000 bis 2002 die Festsetzungsfrist bereits abgelaufen gewesen sei. Denn im Hinzuziehungsverfahren sei noch nicht abschließend zu prüfen, ob die übrigen formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheides vorlägen. Für eine Hinzuziehung gemäß § 174 Abs. 5 Satz 2 AO reiche es vielmehr aus, dass sich bei einem Erfolg des Einspruchs eine Folgeänderung i.S. des § 174 Abs. 4 und 5 AO ergeben könne. Es sei nicht zu prüfen, ob eine etwaige Folgeänderung Bestand habe.

14 Auf die hiergegen beim Bundesfinanzhof (BFH) eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde V B 67/14 hat der BFH die Revision, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, zugelassen.

15 Mit der Revision macht der Kläger geltend, er habe zu dem Einspruchsverfahren der GmbH nicht hinzugezogen werden dürfen, weil ihm gegenüber bereits Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Er, der Kläger, sei in keiner Weise an den Einspruchsverfahren der GmbH beteiligt. Soweit er Anträge für die GmbH gestellt habe, habe er das nicht als Einzelunternehmer, sondern in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH getan. Einen Antrag im eigenen Namen habe er im Besteuerungsverfahren der GmbH zu keiner Zeit gestellt. Der Sachverhalt des (BFH/NV 2014, 482), auf das sich das FG berufe, sei mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar, denn dort sei die später hinzugezogene Ehefrau zunächst selbst im eigenen Namen Einspruchsführerin gewesen und sei wegen der eigenen verfahrensrechtlichen Initiative in der Folgezeit zu Recht als nicht schutzwürdig behandelt worden.

16 Der Kläger beantragt sinngemäß,

das FG-Urteil, den Hinzuziehungsbescheid vom sowie die Einspruchsentscheidung vom , soweit sie den Hinzuziehungsbescheid vom betrifft, aufzuheben.

17 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

18 Zur Begründung stützt es sich auf die Entscheidungsgründe des FG-Urteils.

Gründe

19 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, des Hinzuziehungsbescheides vom sowie der Einspruchsentscheidung vom , soweit diese den Hinzuziehungsbescheid betrifft (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass der Kläger noch nach Eintritt der Festsetzungsverjährung für die Streitjahre 2000 bis 2002 zu den Einspruchsverfahren der GmbH hat hinzugezogen werden können.

20 1. Im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Hinzuziehungsbescheides vom war gegenüber dem Kläger die Festsetzungsfrist für die Streitjahre 2000 bis 2002 bereits abgelaufen.

21 a) Die reguläre Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer 2000 und 2001 begann mit Ablauf des Jahres 2003, die für das Jahr 2002 mit Ablauf des Jahres 2004, weil der Kläger seine Umsatzsteuererklärungen 2000 und 2001 am , die Umsatzsteuererklärung 2002 am abgegeben hatte. Die Festsetzungsfrist für die Jahre 2000 und 2001 endete daher regulär mit Ablauf des , die für 2002 mit Ablauf des (§ 169 Abs. 2 Nr. 2 AO i.V.m. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO).

22 b) Allerdings wurde der Fristablauf durch den Beginn der Außenprüfung im Jahr 2005 nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO gehemmt bis zu dem Zeitpunkt, an dem die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind. Da der Kläger gegen die auf Grund der Außenprüfung ergangenen Umsatzsteueränderungsbescheide 2000 bis 2002 vom keinen Einspruch eingelegt hat, sind diese mit Ablauf des unanfechtbar geworden. Zu diesem Zeitpunkt und damit bereits vor Bekanntgabe des Hinzuziehungsbescheides vom war Festsetzungsverjährung eingetreten.

23 2. Eine Hinzuziehung war —entgegen der Auffassung des FG— nach Eintritt der Festsetzungsverjährung nicht mehr möglich.

24 Zwar ist der Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 174 Abs. 4 Satz 3 AO grundsätzlich unbeachtlich, wenn die steuerlichen Folgerungen innerhalb eines Jahres nach Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides gezogen werden.

25 Gegenüber Dritten gilt das gemäß § 174 Abs. 5 Satz 1 AO aber nur, wenn sie an dem Verfahren, das zur Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Steuerbescheides geführt hat, beteiligt waren. Eine Hinzuziehung oder Beiladung zu diesem Verfahren ist zulässig (§ 174 Abs. 5 Satz 2 AO). Dabei ist im Beiladungsverfahren eines Dritten zwar noch nicht abschließend zu prüfen, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für eine Änderung des Steuerbescheides vorliegen. Die in der Hinzuziehung eines Dritten liegende Zurückdrängung des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit zugunsten der Rechtsrichtigkeit ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn dieser vor Ablauf der Festsetzungsfrist für die gegen ihn gerichteten steuerlichen Ansprüche hinzugezogen oder beigeladen wird (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFHE 171, 400, BStBl II 1993, 817; vom X R 7/11, BFH/NV 2014, 482; BFH-Beschlüsse vom VIII B 90/06, BFH/NV 2007, 199; vom III B 127/02, BFH/NV 2003, 887). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass der Dritte, der nicht durch eigene verfahrensrechtliche Initiativen auf eine Aufhebung oder Änderung des fehlerhaften Bescheides hinwirkt und typischerweise deshalb auch keine Kenntnisse hinsichtlich der Auswirkungen der Korrektur hat, mit Ablauf der ihn betreffenden Festsetzungsfrist endgültig auf die Bestandskraft der ihm gegenüber erfolgten oder ggf. unterbliebenen Besteuerung vertrauen darf.

26 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
HFR 2015 S. 629 Nr. 7
PAAAE-90682