BGH Beschluss v. - 4 StR 514/14

Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus: Anforderungen an die Urteilsgründe; Gesamtwürdigung von Täterpersönlichkeit, Gefährlichkeitsprognose und Krankheitsverlauf bei einem an einer schizoaffektiven Psychose leidenden Angeklagten

Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 63 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Essen Az: 26 KLs 36/13

Gründe

1Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen fühlte sich der Beschuldigte, der über der Ergotherapiepraxis der Frau P.    wohnte, dadurch gestört, dass die Praxistüren geknallt würden. Er sprach die Praxisinhaberin mehrfach darauf an und hing entsprechende Zettel an die Eingangstür oder warf sie in den Briefkasten. Am Tattag, dem , schnitt der Beschuldigte die Hecke, als eine Frau vor dem Haus die Tür ihres Fahrzeugs zuschlug. Der Beschuldigte war der Ansicht, sie habe dies absichtlich demonstrativ laut getan, und rief ihr zu: "Umweltverschmutzung nach § 325a! Sie sind nur Gast hier". Die dadurch erheblich verängstigte Autofahrerin erzählte Frau P.    von dem Vorfall. Herr P.    begab sich daraufhin zur Wohnung des Beschuldigten, um ihn darauf anzusprechen. Der Beschuldigte packte Herrn P.    in schmerzhafter Weise am rechten Arm und am Hals und führte ihn die Treppe hinab. Als der herbeigeeilte Ehemann der Vermieterin, Herr G.     , versuchte, Herrn P. aus dem Griff zu befreien, stieß ihn der Beschuldigte mit dem Ellenbogen in den Rücken und schleuderte ihn dadurch gegen die Wand. Herr G.      erlitt eine stark blutende Platzwunde über dem Auge. Die Vermieterin, Frau G.     -K.     , schubste der Beschuldigte die Treppe hoch, so dass sie auf die Stufen prallte. Herr P.     begab sich nun "freiwillig" wieder in den Haltegriff. Als die herbeigerufene Polizei eintraf, sagte der Beschuldigte: "Ich hab den Verbrecher! Ich übergebe Ihnen den Mann nach § 127 StPO!"

3Ein weiterer Vorfall, der nicht Gegenstand der Antragsschrift ist, ereignete sich etwa einen Monat vor Beginn der mündlichen Hauptverhandlung. Der Beschuldigte nahm einen Schüler, der an einer Bushaltestelle seine Zigarettenkippe in einen Abfallbehälter werfen wollte, in den Schwitzkasten und schlug ihn auf den Hinterkopf und den Arm, um ihn zu veranlassen, die Kippe in die Gosse zu werfen.

4Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als vorsätzliche Körperverletzung in drei Fällen zum Nachteil der Zeugen P.    , G.     und G.     -K.      gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen O. angeschlossen. Danach litt der Beschuldigte zur Tatzeit an einer exazerbierten schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Unter dem Einfluss von paranoid-wahnhaftem Erleben sei er nicht fähig gewesen, das Unrecht seines Verhaltens zu erkennen und danach zu handeln. Mangels tragfähiger Krankheits- und Behandlungseinsicht sowie ausreichender Compliance seien im Rahmen der regelmäßig auftretenden paranoid-wahnhaften und manischen Exazerbationen weitere Straftaten zu erwarten, wobei es sich durchaus auch um Delikte handeln könne, bei denen Menschen verletzt werden.

II.

5Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.

61. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. , NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (, NStZ-RR 2012, 367; Urteil vom - 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27).

7Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. , NStZ-RR 2013, 141, 142; Beschluss vom - 4 StR 348/12, Rn. 8; Beschluss vom - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom - 5 StR 229/10, Rn. 8; Urteil vom - 1 StR 622/96, BGHR StGB § 63 Zustand 20). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und allgemein gehaltene Ausführungen über die gewöhnlich bei diesem Krankheitsbild zu beobachtenden Auffälligkeiten. Inwieweit der Beschuldigte konkret aufgrund Wahnerlebens handelte, wird nicht dargestellt, vielmehr lassen die Urteilsgründe offen, ob sich der Beschuldigte von "vermeintlichen oder tatsächlichen" Beeinträchtigungen belästigt fühlte, als es zu den ihm vorgeworfenen Taten gekommen ist. Dass sein psychischer Zustand andauernd gestört war, wird nicht näher aufgezeigt. Allein der Umstand, dass bereits dem Urteil vom , durch das die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung ausgesetzt worden war, die Diagnose einer schizoaffektiven Psychose mit manischer Auslenkung zugrunde lag, reicht hierfür nicht.

82. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

9Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (, NStZ-RR 2011, 240, 241). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (, Rn. 10; Urteil vom - 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27).

10Diesen Anforderungen werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der inzwischen 48 Jahre alte Beschuldigte seit dem Jahr 1999 unter psychischen Störungen leidet und zuvor nur im Jahr 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Ob er die Bewährungszeit aus dem Urteil vom durchgestanden hat, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Aus den Gründen jenes früheren Urteils ergibt sich, dass der Betreuer des Beschuldigten auch für den Wirkungskreis Gesundheitssorge einschließlich der Zuführung zu einer Zwangsmedikation und das Aufenthaltsbestimmungsrecht bestellt war. Zu diesem Umstand verhalten sich die aktuellen Urteilsgründe nicht. Auch wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen verlaufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (Hoff/Sass in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 84 f.; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181 f.; Müller-Isberner/Venzlaff in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 181 f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.

III.

11Sollte der neue Tatrichter - was nahe liegt - wieder zu der Annahme gelangen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte, wird er sich, falls die Unterbringungsanordnung aus dem Urteil vom noch nicht erlassen sein sollte, auch mit der Notwendigkeit einer neuerlichen Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB auseinanderzusetzen haben (vgl. mwN).

Mutzbauer                       Roggenbuck                           Franke

                     Bender                               Quentin

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
ZAAAE-85898