BSG Beschluss v. - B 14 AS 140/14 B

Instanzenzug: S 1 AS 710/11

Gründe:

1Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des Landessozialgerichts (LSG) ist unzulässig. Der Beklagte hat zur Begründung der Beschwerde entgegen § 160a Abs 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) keinen Zulassungsgrund iS des § 160 Abs 2 SGG (grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache, Abweichung [Divergenz], Verfahrensmangel) schlüssig dargelegt oder bezeichnet.

2Der Beklagte stützt seine Beschwerde zunächst auf den Zulassungsgrund der Abweichung (Divergenz). Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargetan, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des Bundessozialgerichts (BSG), des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Eine Abweichung liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX, RdNr 196 mwN; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34).

3Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. In dieser wird zwar behauptet, das LSG habe die "Prämisse" aufgestellt, zur Ermittlung der Kosten der Unterkunft könne eine Aufspaltung in Kosten der Grundmiete (Nettokaltmiete) und zusätzliche Nebenkosten erfolgen und die angemessene Referenzmiete sei allein anhand der sich aus dem Mietspiegel ermittelbaren Grundmiete zu bestimmen. Es wird jedoch schon nicht aufgezeigt, wo genau unter Angabe der Seite und des Absatzes dem Urteil des LSG eine derartige Aussage zu entnehmen ist und dass es sich um einen Rechtssatz im obigen Sinne handelt. Zudem wird nicht deutlich, worin der Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG bestehen soll, da in dem mitgeteilten Zitat aus dessen Rechtsprechung zwischen der Nettokaltmiete und den Betriebskosten differenziert wird.

4Des Weiteren rügt der Beklagte die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit eine grundsätzliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung beigemessen wird (BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 60). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass die Revisionsentscheidung die Rechtseinheit in ihrem Bestand erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts fördern wird. Daher ist aufzuzeigen, ob und inwieweit zu der aufgeworfenen Frage bereits Rechtsgrundsätze herausgearbeitet sind und in welchem Rahmen noch eine weitere Ausgestaltung, Erweiterung oder Änderung derselben durch das Revisionsgericht zur Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits erforderlich erscheint (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 65 f).

5Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Der Beklagte hat die Frage(n) formuliert, "wie die Bruttokaltmiete als Referenzmiete, insbesondere die kalten Betriebskosten zu bestimmen sind".

6Abgesehen davon, dass es wohl nicht nur eine, sondern zwei Fragen sind, nämlich eine allgemein zur Bruttokaltmiete und eine "insbesondere" zu den kalten Betriebskosten als ein Teil der Bruttokaltmiete, wird in der Beschwerdebegründung nicht deutlich, warum sich diese Fragen nicht aus der umfangreichen Rechtsprechung des BSG zu den Leistungen für die Unterkunft beantworten lassen (vgl nur die in SozR 4-4200 zu § 22 veröffentlichten Entscheidungen). Die mangelnde Schlüssigkeit des Vortrags zu diesen Fragen wird ua erhellt durch die Annahme des Beklagten, die Vorauszahlung auf die kalten Betriebskosten sei als Grundlage für eine Angemessenheitsprüfung völlig ungeeignet (S 10 unten), oder die Meinung, zu niedrige Betriebskostenvorauszahlungen müsse der Leistungsberechtigte ausgleichen, was im Lichte des damaligen § 22 Abs 1 Satz 4 Zweites Buch Sozialgesetzbuch zumindest einer Begründung bedurft hätte.

7Abschließend rügt der Beklagte Verfahrensmängel. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 Satz 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

8Die zuletzt erhobene Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG scheitert schon an der mangelnden Bezeichnung eines Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt sein soll. Denn der Beklagte trägt nur vor, das LSG sei dem Antrag auf Zeugenvernehmung ohne nachvollziehbare Begründung nicht gefolgt.

9Abgesehen davon, dass es nicht auf eine nicht nachvollziehbare, sondern eine nicht hinreichende Begründung ankommt, ist jedoch entscheidend darauf hinzuweisen, dass nach dem Sinn und Zweck des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG das Übergehen eines Beweisantrags nur dann ein Verfahrensmangel ist, wenn das LSG vor seiner Entscheidung darauf hingewiesen wurde, dass der Beteiligte die Amtsermittlungspflicht des Gerichts (§ 103 SGG) noch nicht als erfüllt ansieht (vgl ua BSG SozR 1500 § 160 Nr 67; SozR 3-1500 § 160 Nr 9, 20, 31 sowie BVerfG SozR 3-1500 § 160 Nr 6; Krasney/Udsching, IX, RdNr 130). Dem Beweisantrag soll eine Warnfunktion zukommen, die er nicht erfüllt, wenn er zwar in einem früheren Verfahrensstadium schriftsätzlich gestellt wurde, im Entscheidungszeitpunkt selbst aber nicht mehr erkennbar weiterverfolgt wird. Das Übergehen eines Beweisantrags liegt daher zumindest bei rechtskundig vertretenen Beteiligten nur vor, wenn der Beweisantrag in der abschließenden mündlichen Verhandlung gestellt bzw wiederholt wurde. Derartiges hat der Beklagte nicht vorgetragen.

10Eine Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör durch die nicht erfolgte Vernehmung eines Zeugen ist als Verfahrensmangel ebenfalls nicht dargetan. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des BVerfG soll der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 Grundgesetz, § 62 SGG) verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfGE 22, 267, 274; 96, 205, 216 f).

11Eine solche Überraschungsentscheidung oder das Übergehen von Vortrag des Beklagten wird aber in der Beschwerdebegründung nicht behauptet. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass durch das Erheben einer Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör die zuvor erörterten Bezeichnungsvoraussetzungen für eine Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht nicht umgangen werden können (vgl - SozR 4-1500 § 160 Nr 9). Wieso eine Verletzung des Anspruchs des Beklagten auf rechtliches Gehör in der nicht erfolgten Beiladung der Stadt L liegen soll, bleibt unklar, zumal aus der Beschwerdebegründung schon nicht ersichtlich ist, ob es eine Beiladung nach § 75 Abs 1 oder 2 SGG sein sollte.

12Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

Fundstelle(n):
CAAAE-81827