BGH Beschluss v. - 1 StR 196/14

Steuerhinterziehung: Abgrenzung einer versuchten und einer vollendeten Steuerhinterziehung im Rahmen der Voranmeldung der Umsatzsteuer

Gesetze: § 168 S 1 AO, § 168 S 2 AO, § 370 Abs 1 Nr 1 AO, § 22 StGB, § 23 StGB, § 267 StPO

Instanzenzug: LG Augsburg Az: 10 KLs 501 Js 110379/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten H.     wegen Steuerhinterziehung in 31 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Den Angeklagten S.            hat es der Steuerhinterziehung in 38 Fällen schuldig gesprochen und gegen ihn eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte H.     mit der näher ausgeführten Sachrüge. Der Angeklagte S.             macht neben der ebenfalls näher ausgeführten Verletzung materiellen Rechts auch Verfahrensbeanstandungen geltend. Die Rechtsmittel haben auf die Sachrügen hin weitgehend Erfolg.

2Der Angeklagte H.     hat darüber hinaus sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Urteils eingelegt.

I.

3Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte H     als Geschäftsführer der C.                        GmbH (nachfolgend: C.     ) durch die Einbindung der Gesellschaft in ein europaweit tätiges sog. Umsatzsteuerkarussell im Zeitraum von Oktober 2009 bis April 2012 zugunsten der C.     eine Verkürzung von Umsatzsteuer in einer Gesamthöhe von 8.105.555,09 Euro bewirkt. Die Gesellschaft war in ein im Wesentlichen von belgischen Hintermännern gesteuertes Umsatzsteuerkarussell regelmäßig als sog. Buffer in einer sich über mehrere Glieder erstreckenden Lieferkette von Soft- und Hardware-Artikeln eingebunden.

4Der Angeklagte S.            war als Mitarbeiter der D.    , einer Hauptabnehmerin der C.     in der dem Karussell zugrunde liegenden Lieferkette, tätig. Durch das Einstellen von Rechnungen der C.     in die Buchhaltung der D.      sowie der sich daran anschließenden Geltendmachung von Vorsteuer aus diesen Rechnungen bewirkte der Angeklagte S.              für den Zeitraum zwischen März 2009 und April 2012 eine Hinterziehung von Umsatzsteuern zugunsten der D.      in Höhe von 6.777.209,15 Euro.

5Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die beiden Beschwerdeführer jeweils wegen Steuerhinterziehung in der vorstehend genannten Anzahl von Fällen verurteilt. Dabei ist es ersichtlich jeweils von vollendeten Taten ausgegangen.

II.

6Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen bezüglich beider Angeklagter diese Schuldsprüche nicht. Das Landgericht hat weder ausdrücklich festgestellt, ob die in den einzelnen Tatzeiträumen zu Unrecht zugunsten der beiden Gesellschaften geltend gemachten Vorsteuern zu einer Steuervergütung (§ 168 Satz 2 AO) oder zu einer Zahllast (§ 168 Satz 1 AO) der Unternehmen geführt haben, noch lässt sich dies dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnehmen. Von dem Vorliegen einer Steuervergütung oder einer Zahllast hängt aber ab, ob die Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) - hier von Umsatzsteuer - vollendet ist oder diese lediglich das Versuchsstadium erreicht hat.

71. Die gegen die vorgenannten Feststellungen und die ihnen zugrunde liegende Beweiswürdigung gerichteten Angriffe der Revisionen bleiben ohne Erfolg.

8a) Soweit die Revision des Angeklagten S.              die tatrichterlichen Feststellungen mit verschiedenen Verfahrensrügen angreift, sind diese Beanstandungen entgegen den gesetzlichen Vorgaben nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO erhoben worden und schon deshalb erfolglos.

9aa) Das Urteil ist dem Verteidiger am zugestellt worden. Die Monatsfrist zur Begründung der Revision endete damit gemäß § 43 Abs. 1 StPO am Freitag, dem . Der Verfahrensrügen enthaltende Schriftsatz des Verteidigers ging aber erst am ein; die in dem Schriftsatz in Bezug genommenen Anlagen sogar erst am .

10bb) Dem mit Schriftsatz seines Verteidigers vom gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - nach der Auslegung (§ 300 StPO) des Senats - in die Versäumung der Revisionsbegründungsfrist mit dem Ziel, Verfahrensrügen nachzuholen, war nicht zu entsprechen.

11Dabei kann der Senat offenlassen, ob der Antrag überhaupt zulässig erhoben ist. Er erhält entgegen § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 StPO keine Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses (zu diesem Erfordernis BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 412/13; vom - 4 StR 376/13). Insbesondere wird nicht vorgetragen, zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte Kenntnis von dem Wegfall des Hindernisses erlangt hat. Darauf kommt es aber für den Beginn der Wochenfrist aus § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO an ().

12Der Antrag ist jedenfalls unbegründet. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt bei einer - wie hier durch die Revisionsbegründung des Verteidigers vom - bereits form- und fristgerecht begründeten Revision eine Wiedereinsetzung grundsätzlich nicht (BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 301/12, NStZ-RR 2012, 316; vom - 1 StR 361/12, wistra 2013, 34) und ausnahmsweise lediglich dann in Betracht, wenn der Beschwerdeführer unverschuldet durch äußere Umstände oder unvorhersehbare Zufälle daran gehindert war, eine Verfahrensrüge rechtzeitig formgerecht zu begründen (, NStZ 2008, 705, 706 Rn. 4 mwN). Eine Ausnahme greift zudem in besonderen Prozesssituationen ein, wenn dies zur Wahrung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) unerlässlich erscheint (, NStZ-RR 2012, 316 mwN). Eine solche Ausnahmesituation wird nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Dem rechtzeitigen Erheben von Verfahrensrügen stand lediglich ein fehlerhaftes Verständnis der Berechnung der Monatsfrist nach Maßgabe von § 43 Abs. 1 StPO entgegen.

13cc) Im Übrigen entsprächen die verspätet erhobenen Verfahrensrügen sämtlich nicht den Anforderungen aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Darauf hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom hingewiesen. Insoweit ergänzend bemerkt der Senat, dass bei den als Verstöße gegen „§ 244 Abs. 2, 267 Abs. 3, Abs. 4, 261 StPO" (RB vom S. 8-16) überschriebenen Verfahrensbeanstandungen bereits die Angriffsrichtung der Rüge nicht ausreichend zu erkennen ist. Soweit allein die Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO mit dem Vorbringen, der Geschäftsführer der D.      und der Verkaufsleiter hätten zu den „vorbenannten Fragen ... geladen und gehört we r-den müssen", gerügt wird, fehlt es an den erforderlichen bestimmten Beweisbehauptungen. Entsprechendes gilt auch für die übrigen Verfahrensrügen, mit denen (auch) jeweils die Verletzung der Aufklärungspflicht geltend gemacht wird.

14b) Wie in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend aufgezeigt wird, beschränken sich die Beanstandungen der Revision des Angeklagten H.     auf den in der Revision unbeachtlichen Versuch, eine eigene Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des Tatgerichts zu setzen und urteilsfremdes Geschehen zum Gegenstand des Rechtsmittels zu machen. Revisible Rechtsfehler in der Beweiswürdigung werden nicht aufgezeigt.

15c) Gleiches gilt für die Revision des Angeklagten S.             , soweit er sich mit der Sachrüge gegen die Feststellungen und die Beweiswürdigung des Landgerichts wendet.

162. Den bislang getroffenen Feststellungen lässt sich aber weder für den Angeklagten H.      noch für den Angeklagten S.               entnehmen, ob es sich bei den verfahrensgegenständlichen Taten um vollendete oder lediglich um versuchte Hinterziehungen der Umsatzsteuer handelt.

17§ 370 Abs. 1 AO ist nicht lediglich ein Erklärungs-, sondern auch ein Erfolgsdelikt. Vollendung tritt erst ein, wenn der Täter durch seine Tathandlung Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt hat (, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Vollendung 3 mwN). Liegt wie hier bei allen verfahrensgegenständlichen Taten beider revidierender Angeklagter eine Voranmeldung der Umsatzsteuer zugrunde, tritt für die Fälle der Herabsetzung der bisher zu entrichtenden Steuer oder der Steuervergütung der tatbestandliche Verkürzungserfolg erst aufgrund der gemäß § 168 Satz 2 AO erforderlichen Zustimmung der Finanzbehörde ein. In den Konstellationen des § 168 Satz 1 AO ist die Steuerhinterziehung dagegen bereits mit der (unrichtigen) Anmeldung vollendet (BGH aaO; siehe auch , NStZ 2014, 335, 336).

18Das Landgericht hat sich sowohl bezüglich der Steuerhinterziehung zugunsten der C.      (Angeklagter H.      ) als auch bezüglich derjenigen zugunsten der D.     (Angeklagter S.              ) auf die tabellarische Erfassung der sich in den relevanten Veranlagungszeiträumen ergebenden Verkürzungsbeträge beschränkt (UA S. 68/69 und UA S. 82/83). Daraus allein lässt sich aber nach dem Vorstehenden nicht ableiten, ob bereits mit den jeweiligen Voranmeldungen ein Verkürzungserfolg eingetreten ist oder nicht. Der Senat vermag auch dem Gesamtzusammenhang des Urteils keine entsprechenden Anhaltspunkte zu entnehmen. Zu möglichen Zustimmungserklärungen der zuständigen Finanzbehörden verhält sich das Urteil in Bezug auf die beiden begünstigten Unternehmen nicht.

19Angesichts der damit nach den bisherigen Feststellungen nicht ausgeschlossenen Möglichkeit, dass es sich bei sämtlichen verfahrensgegenständlichen Konstellationen lediglich um Versuchstaten handelt, hebt der Senat das Urteil auf, soweit es die Angeklagten H.      und S.               betrifft. Die Sache war daher im Umfang der Aufhebung zurückzuverweisen.

203. Da die getroffenen Feststellungen rechtsfehlerfrei sind (oben II.1.), bleiben diese aufrechterhalten. Das gilt auch bezüglich der für die Strafzumessung bedeutsamen Feststellungen über die Höhe der hinsichtlich der sog. missing trader dem Fiskus entstandenen Steuerschäden. Ergänzende, den bisher getroffenen nicht widersprechende Feststellungen zu den Voraussetzungen von § 168 Satz 1 oder Satz 2 AO sind möglich und erforderlich.

21Aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen war die Aufhebung nicht gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nicht revidierenden Mitangeklagten De.    zu erstrecken. Dieser hat die ihm vorgeworfenen Steuerhinterziehungen zugunsten eines anderen Unternehmens begangen. Es handelt sich damit um andere Taten, als diejenigen, wegen derer die Beschwerdeführer verurteilt worden sind.

IV.

22Die sofortige Beschwerde (§ 464 Abs. 3 StPO) des Angeklagten H.      gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung des angefochtenen Urteils ist gegenstandslos, weil der Senat das angefochtene Urteil auch insoweit aufgehoben und an ein anderes Tatgericht zurückverwiesen hat.

Fundstelle(n):
AO-StB 2015 S. 11 Nr. 1
BFH/NV 2014 S. 2030 Nr. 12
PStR 2014 S. 271 Nr. 11
wistra 2014 S. 486 Nr. 12
LAAAE-74709