BGH Urteil v. - 4 StR 468/13

Verbindung von Strafsachen: Strafverfahren mit verschiedener örtlicher und sachlicher Zuständigkeit

Gesetze: § 4 Abs 2 S 2 StPO, § 13 Abs 2 S 1 StPO

Instanzenzug: LG Essen Az: 25 KLs - 12 Js 875/12 - 28/13

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten „wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in fünf Fällen, in drei Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch eines Jugendlichen, sowie wegen sexuellen Missbrauchs eines Jugendlichen, wegen Erpressung sowie wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt." Zudem hat es Maßregeln nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Die Staatsanwaltschaft rügt mit ihrer Revision das Fehlen einer Prozessvoraussetzung, soweit der Angeklagte im Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr verurteilt worden ist. Im Übrigen wendet sie sich zu Ungunsten des Angeklagten gegen die Gesamtstrafenbildung und das Unterbleiben der Einziehung seines Mobiltelefons. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Die Revision der Staatsanwaltschaft ist auf die vorgenannten Teile des Urteils beschränkt. Zwar ergibt sich dies nicht aus dem Revisionsantrag, der die Aufhebung des Urteils „im Rechtsfolgenausspruch" begehrt. Allerdings folgt aus der Revisionsbegründung, dass die Revisionsführerin das angefochtene Urteil nur hinsichtlich der genannten Punkte für rechtsfehlerhaft hält (vgl. , NStZ-RR 2013, 279, 280 mwN). Soweit die Staatsanwaltschaft nur die Bemessung der Gesamtstrafe beanstandet, steht der Beschränkung ihres Rechtsmittels nicht entgegen, dass sie mit der Einziehung des Mobiltelefons die Verhängung einer Nebenstrafe anstrebt. Selbst wenn man unterstellt, dass es sich um einen Gegenstand von nicht unerheblichem Wert handeln sollte, genügt es hier, die Einziehung erst bei der Bemessung der Gesamtstrafe zu berücksichtigen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 367/98, und vom - 2 StR 205/01, BGHR StGB § 46 Abs. 1 Schuldausgleich 39).

II.

3Die Verurteilung im Fall II. 8 der Urteilsgründe wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr kann wegen eines von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernisses (vgl. , bei Becker, NStZ-RR 2002, 257) nicht bestehen bleiben. Das Landgericht Essen war für die Entscheidung nicht zuständig.

4Diese Tat hat die Staatsanwaltschaft Münster am bei dem - zum Bezirk des Landgerichts Münster gehörenden - Amtsgericht (Strafrichter) Coesfeld angeklagt, das die Sache dem Landgericht Essen zur Übernahme vorgelegt hat. Dieses Landgericht hat die Anklage durch Beschluss vom zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Mit weiterem Beschluss vom selben Tag hat es das Verfahren mit dem bei ihm anhängigen, bereits eröffneten Verfahren wegen der weiteren abgeurteilten Straftaten verbunden. Die Eröffnung ist gegenstandslos und die Verbindung unwirksam (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 347/04, NStZ 2005, 464, und vom - 2 StR 74/95, BGHR StPO § 4 Verbindung 9, jew. mwN):

5Die Verbindung von Strafsachen, die nicht nur die örtliche, sondern auch die sachliche Zuständigkeit betrifft, kann nicht durch eine Vereinbarung der beteiligten Gerichte nach § 13 Abs. 2 Satz 1 StPO geschehen. Eine solche Verbindung kann vielmehr in den Fällen, in denen - wie hier - die verschiedenen Gerichte nicht alle zu dem Bezirk des ranghöheren gehören, nur durch Entscheidung des gemeinschaftlichen oberen Gerichts herbeigeführt werden (§ 4 Abs. 2 Satz 2 StPO). Daran fehlt es. Die Sache ist insoweit nicht bei dem Landgericht Essen rechtshängig geworden. Der Bundesgerichtshof kann die Verbindung nicht nachholen, da nicht er, sondern das Oberlandesgericht Hamm für eine solche Entscheidung zuständig wäre (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 2 StR 585/96, BGHR StPO § 4 Verbindung 12, und vom - 2 StR 285/01, bei Becker, NStZ-RR 2002, 257). Es besteht hinsichtlich der unter II. 8 der Urteilsgründe abgeurteilten Tat ein Verfahrenshindernis, das zwar zu einer entsprechenden Teilaufhebung des Urteils, nicht jedoch zur Verfahrenseinstellung führt, da die Rechtshängigkeit des Verfahrens bei dem Amtsgericht Coesfeld fortbesteht (vgl. , BGHR StPO § 4 Verbindung 9). Die Sache ist daher insoweit entsprechend § 355 StPO an dieses Gericht zu verweisen, das wegen der Gegenstandslosigkeit des Eröffnungsbeschlusses des Landgerichts Essen auch noch über die Eröffnung des Verfahrens zu entscheiden hat (vgl. , NStZ-RR 2013, 378).

6Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert.

III.

7Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht es unterlassen hat, über die - bereits in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Essen vom angestrebte - Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons des Angeklagten zu entscheiden. Dabei kommt es auf die Frage, inwieweit die Beanstandung der Nichtanwendung des § 74 StGB einer Verfahrensrüge bedarf, nicht an, da jedenfalls der Revisionsbegründung eine solche Rüge, welche die Voraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO erfüllen würde, entnommen werden kann.

8Nach den Feststellungen zum Fall II. 2 der Urteilsgründe fertigten die minderjährigen Opfer auf Nachfrage des gesondert verfolgten         B.    jeweils Fotos von ihrem entblößten Oberkörper und Geschlechtsteil mit dem Mobiltelefon des Angeklagten; diese Fotos verschickten sie an B.   . Darüber hinaus zeigte der Angeklagte in diesem Fall und im Fall II. 4 den jeweils betroffenen minderjährigen Jungen einen pornographischen Film auf seinem Mobiltelefon, um ihnen zu einer Erektion bei der Vornahme homosexueller Handlungen zu verhelfen. Danach hätte das Landgericht über die Einziehung des sichergestellten Mobiltelefons des Angeklagten befinden müssen. Zwar richtet sich die Entscheidung nicht nach der zwingenden Vorschrift des § 184b Abs. 6 Satz 2 StGB, weil eine Strafbarkeit nach § 184b Abs. 2 oder 4 StGB im Fall II. 2 gemäß § 154a Abs. 1 StPO aus der Strafverfolgung ausgeschieden worden ist. Jedoch liegt es nach den vorgenannten Feststellungen nahe, dass die Voraussetzungen der Ermessensvorschrift des § 74 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt sind. Hierzu verhält sich das Urteil weder ausdrücklich noch ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, dass das Landgericht die Voraussetzungen einer solchen Entscheidung geprüft und von dem ihm zustehenden Ermessen in der Art und Weise Gebrauch gemacht hat, dass es eine entsprechende Anordnung nicht treffen wollte. Dies wird nachzuholen sein.

IV.

9Die Aufhebung des Urteils, soweit der Angeklagte im Fall II. 8 der Urteilsgründe verurteilt worden und in den Fällen II. 2 und 4 eine Entscheidung über die Einziehung des Mobiltelefons des Angeklagten unterblieben ist, entzieht der Gesamtfreiheitsstrafe - insoweit zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO) - die Grundlage. Auf der anderen Seite erscheint der bei der Bildung der Gesamtstrafe angeführte Strafmilderungsgrund, der Angeklagte habe sich in einer „verhängnisvolle(n) Verstrickung ... gefangen" gesehen, nicht tatsachenfundiert; immerhin nutzte der Angeklagte die Nähe zu seinem gesondert verfolgten Auftraggeber B.    dazu aus, diesen nach Anfertigung kompromittierender Fotos mit einer Forderung von zunächst 150.000 € zu erpressen (Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren). Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht die Gesamtstrafe höher oder milder bemessen hätte. Der neu zur Entscheidung berufene Tatrichter wird Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwendungen der Revisionsführerin und des Generalbundesanwalts gegen die Bemessung der Gesamtstrafe auseinanderzusetzen.

V.

10Zur Klarstellung hat der Senat auch den auf die §§ 69, 69a StGB gestützten Maßregelausspruch aufgehoben, da dieser seine Grundlage in der Tat II. 8 der Urteilsgründe (fahrlässige Trunkenheit im Verkehr) hat.

Sost-Scheible                             Cierniak                         Franke

                        Mutzbauer                          Bender

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Fundstelle(n):
OAAAE-56512