BFH Urteil v. - VI R 36/12 BStBl 2014 II S. 278

Arbeitslohn: Übernahme von Bußgeldern

Leitsatz

1. Übernimmt der eine Spedition betreibende Arbeitgeber die Bußgelder, die gegen bei ihm angestellte Fahrer wegen Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten verhängt worden sind, handelt es sich dabei um Arbeitslohn.

2. Vorteile haben keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen. Das ist der Fall, wenn sie aus ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Ein rechtswidriges Tun ist keine beachtliche Grundlage einer solchen betriebsfunktionalen Zielsetzung.

Gesetze: EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) betreibt eine internationale Spedition. Sie hatte Bußgelder, die gegen ihre Fahrer wegen Überschreitung von Lenkzeiten und der Nichteinhaltung von Ruhezeiten festgesetzt worden waren, für ihre Fahrer bezahlt, ohne dafür Lohnsteuer einzubehalten.

2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) erließ daraufhin im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung einen Nachforderungsbescheid, nachdem die Klägerin beantragt hatte, die insoweit streitigen Beträge nach § 40 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) nach Durchschnittssätzen zu versteuern.

3 Die gegen den Nachforderungsbescheid erhobene Klage hat das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 518 veröffentlichten Gründen abgewiesen.

4 Die Klägerin wendet sich dagegen mit der Revision und rügt die Verletzung materiellen Rechts.

5 Sie beantragt,

das und die Einspruchsentscheidung des FA vom insgesamt sowie den Haftungs- und Nachforderungsbescheid über Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom insoweit aufzuheben, als diese einen Betrag von 5.274,41 € übersteigen.

6 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

7 II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung zurückzuweisen.

8 1. Das FG hat zutreffend entschieden, dass die Zahlung der gegen die Arbeitnehmer der Klägerin verhängten Bußgelder durch die Klägerin bei deren Arbeitnehmern zu Arbeitslohn führt.

9 a) Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören u.a. Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden, zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Dem Tatbestandsmerkmal „für” ist nach ständiger Rechtsprechung zu entnehmen, dass ein dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber zugewendeter Vorteil Entlohnungscharakter für das Zurverfügungstellen der Arbeitskraft haben muss, um als Arbeitslohn angesehen zu werden. Dagegen sind u.a. solche Vorteile kein Arbeitslohn, die sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzung erweisen.

10 b) Der erkennende Senat bejaht in ständiger Rechtsprechung ein solches ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse, wenn im Rahmen einer im Wesentlichen den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz obliegenden Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen der Zuwendung zu schließen ist, dass der jeweils verfolgte betriebliche Zweck im Vordergrund steht. In diesem Fall des „ganz überwiegend” eigenbetrieblichen Interesses kann ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil zu erlangen, vernachlässigt werden. Die danach erforderliche Gesamtwürdigung hat insbesondere Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seine besondere Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck zu berücksichtigen. Tritt das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund, kann eine Lohnzuwendung zu verneinen sein. Ist aber —neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers— ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers gegeben, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und führt zur Lohnzuwendung (vgl. , BFHE 212, 574, BStBl II 2006, 691, m.w.N.; vom VI R 64/06, BFHE 218, 370, BStBl II 2007, 892; vom VI R 26/06, BFHE 220, 266, BStBl II 2008, 378; insgesamt dazu Krüger, Deutsches Steuerrecht 2013, 2029).

11 2. Das hier mit der Revision angefochtene FG-Urteil entspricht diesen vorgenannten Rechtsgrundsätzen. Es ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden; dies gilt insbesondere für die Würdigung der Vorinstanz, dass die Übernahme der Bußgeldzahlungen durch die Klägerin als Arbeitgeberin nicht in deren ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse erfolgte. Die revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbare Gesamtwürdigung (vgl. dazu Senatsbeschlüsse vom VI B 113/04, BFHE 209, 211, BStBl II 2005, 488; vom VI B 75/05, BFH/NV 2006, 530; Senatsurteil vom VI R 77/04, BFH/NV 2007, 1643; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 118 Rz 30; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 118 FGO Rz 87, m.w.N.) lässt keinen Rechtsfehler erkennen; sie ist nicht nur möglich, sondern naheliegend.

12 a) Zu solchen notwendigen Begleiterscheinungen betriebsfunktionaler Zielsetzungen zählen gegen die Rechtsordnung verstoßende, mit Bußgeldern belegte rechtswidrige Weisungen des Arbeitgebers nicht. Der Senat hält an seiner im Urteil vom VI R 29/00 (BFHE 208, 104, BStBl II 2005, 367) vertretenen Auffassung, dass die Übernahme von Verwarnungsgeldern wegen Verletzung des Halteverbots im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers liegen kann, nicht weiter fest. Er berücksichtigt die insoweit dazu geäußerte Kritik (vgl. Blümich/Thürmer, § 19 EStG Rz 280 „Verwarnungsgelder"; Breinersdorfer, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 19 Rz B 361; Eisgruber in Kirchhof, EStG, 12. Aufl., § 19 Rz 66; insgesamt dazu Fellmeth, Finanz-Rundschau 2012, 1064).

13 Für den erkennenden Senat ist danach insbesondere entscheidend, dass ungeachtet der Frage, ob der Arbeitgeber ein solches rechtswidriges Verhalten angewiesen hat und anweisen darf, jedenfalls auf einem solchen rechtswidrigen Tun der Betrieb auch nicht teilweise gründen kann und daher insoweit keine beachtlichen betriebsfunktionalen Gründe vorliegen können.

14 b) Dementsprechend hat das FG das eigenbetriebliche Interesse der Klägerin zu Recht im Wesentlichen damit verneint, dass es nicht darauf gerichtet sein könne, generell die Fahrer anzuweisen, Lenk- und Ruhezeiten zu überschreiten, so dass dementsprechende Weisungen des Arbeitgebers unbeachtlich seien. Weiter hat es im Rahmen der Gesamtwürdigung zu Recht ebenfalls berücksichtigt, dass es angesichts der gegen einzelne Fahrer verhängten Bußgeldbescheide über rund 2.950 € und 3.640 € nicht nur gelegentliche und geringfügige Verstöße waren.

Fundstelle(n):
BStBl 2014 II Seite 278
BB 2014 S. 213 Nr. 5
BB 2014 S. 350 Nr. 7
BBK-Kurznachricht Nr. 5/2014 S. 216
BFH/NV 2014 S. 417 Nr. 3
BFH/PR 2014 S. 126 Nr. 4
BStBl II 2014 S. 278 Nr. 5
DB 2014 S. 156 Nr. 4
DB 2014 S. 6 Nr. 4
DStR 2014 S. 136 Nr. 4
DStRE 2014 S. 248 Nr. 4
DStZ 2014 S. 143 Nr. 5
EStB 2014 S. 45 Nr. 2
FR 2014 S. 281 Nr. 6
GStB 2014 S. 18 Nr. 5
HFR 2014 S. 217 Nr. 3
KSR direkt 2014 S. 6 Nr. 3
KÖSDI 2014 S. 18719 Nr. 2
NJW 2014 S. 10 Nr. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 5/2014 S. 248
StB 2014 S. 54 Nr. 3
StBW 2014 S. 135 Nr. 4
StBW 2014 S. 82 Nr. 3
StC 2014 S. 7 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 3/2014 S. 115
wistra 2014 S. 155 Nr. 4
wistra 2014 S. 2 Nr. 3
VAAAE-53170