Anforderungen an einen Wohnsitz im Inland (hier: Standby-Zimmer eines Piloten)
Leitsatz
1. Kennzeichnend für eine Wohnung i.S. des § 8 AO ist, dass es sich - i.S. einer bescheidenen Bleibe - um Räume handelt, die zum Bewohnen geeignet sind. In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln ausgestattet ist; darauf, ob die Ausstattungsgegenstände vom Vermieter gestellt oder vom Mieter selbst beschafft worden sind, kommt es nicht an.
2. Bei Anmietung von Räumen durch eine Wohngemeinschaft verfügt der einzelne Mieter regelmäßig dann nicht über eine Wohnung, wenn die Größe der Räume kein gemeinsames Wohnen, sondern im Kern nur ein gleichzeitiges Übernachten gestattet und eine darüber hinausgehende Wohnnutzung die Abwesenheit der anderen Mieter erfordern würde.
3. Eine Nutzungseinschränkung, die zu Beginn des Nutzungsverhältnisses vereinbart wird, steht dann nicht der Annahme einer den Wohnsitz konstituierenden Verfügungsmacht entgegen, sondern ist vielmehr als deren (wunschgemäße) Ausübung zu werten, wenn dem Vermieter (oder dessen Bekannten, Verwandten, etc.) die Nutzung nur in wenigen und in jeder Hinsicht vernachlässigbaren Ausnahmefällen verbleiben soll (Unschädlichkeitsgrenze).
4. Ein Steuerpflichtiger kann gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben. Diese können im Inland und/oder Ausland belegen sein. Es ist auch für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet.
Gesetze: AO § 8, AO § 9, EStG § 1 Abs. 1, DBA Schweiz Art. 15 Abs. 3
Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),
Gründe
1 I. Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ab November 2002 bis einschließlich 2006 (Streitjahre) in der Bundesrepublik Deutschland (Deutschland) unbeschränkt steuerpflichtig war.
2 Der Kläger, ein schweizerischer Staatsbürger, war seit Mai 2001 als Pilot bei der Fluggesellschaft Z (Z) mit Einsatzflughafen in A (Inland) beschäftigt. Seit November 2001 lebte er zusammen mit seiner Partnerin in B (Schweiz) und hatte dort auch seinen Lebensmittelpunkt (Hauptwohnsitz). Da die Z von ihren Besatzungsmitgliedern verlangt, den Flugdienst pünktlich und ausgeruht anzutreten, und diese deshalb im Einzugsbereich ihrer Einsatzorte (d.h. maximal 50 km vom Flughafen entfernt) über eine Unterkunft verfügen müssen, mietete der Kläger in der Zeit von Juli 2001 bis Oktober 2002 im Haus der Familie X in Y zusammen mit zwei anderen Piloten —C und D— eine sog. „Standby-Wohnung”. In diesem Zeitraum hatte der Kläger seinen Wohnsitz in Y gemeldet.
3 Da im Herbst 2002 absehbar war, dass der Kläger seltener in A sein werde, zog er —ebenso wie C und D— innerhalb des Hauses der Familie X in ein ca. 12 qm bis 15 qm großes „Standby-Zimmer” in der Kelleretage um, welches er bei dienstlichen Aufenthalten in Deutschland aufsuchte, monatlich im Durchschnitt für drei Nächte. Als Miete zahlten der Kläger und die anderen beiden Piloten jeweils 50 € im Monat. Das Zimmer wurde von den Vermietern gereinigt; sie hatten auch die Nebenkosten zu tragen. Eine schriftliche Mietvereinbarung wurde nicht getroffen. Das mit Dusche, Toilette und Waschbecken ausgestattete Bad befand sich gleichfalls in der Kelleretage und wurde neben den Mietern auch von den Angehörigen der Familie X genutzt. Darüber hinaus befanden sich im Kellergeschoss weitere Räume der Vermieter (Werkstatt, Bastelraum, Bügelzimmer, Lagerraum und Heizungsraum). Auch das angemietete Zimmer, in dem der Kläger keine persönlichen Gegenstände aufbewahrte, wurde gelegentlich für Familien- und Gästebesuche der Familie X genutzt. Möbliert war das Zimmer mit einem doppelstöckigen Bett, einer Couch, einem Regal, einem Schrank und einem kleinen Tisch; diese Einrichtungsgegenstände sind von den Mietern angeschafft worden und nach deren Auszug in dem Zimmer verblieben. Seitens der Vermieter war das Zimmer mit einem Fernseher ausgestattet; eine Kochgelegenheit oder ein Kühlschrank waren nicht vorhanden.
4 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) erfasste im Rahmen der Festsetzung der Einkommensteuer 2002 erklärungsgemäß zunächst nur die bis einschließlich Oktober 2002 erzielten Einkünfte. Für den Zeitraum November bis Dezember 2002 sowie die Jahre 2003 bis 2006 wurde für den Kläger der Lohnsteuerabzug für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer gemäß § 39d des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) für die im Inland erzielten Anteile am Arbeitslohn (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 EStG 2002; sog. Inlandsanteil) durchgeführt. Dem lag die gegenüber dem Betriebsstättenfinanzamt der Z abgegebene Erklärung des Klägers zugrunde, dass er ab dem seinen inländischen Wohnsitz aufgegeben habe. Der Kläger erhielt daraufhin eine Bescheinigung zur Durchführung des Steuerabzugs für beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer nach § 39d EStG 2002.
5 Im Anschluss an die am begonnene und mit Bericht vom abgeschlossene Steuerfahndungsprüfung nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO) vertrat das FA die Ansicht, dass der Kläger auch ab dem einen Wohnsitz im Inland nach § 8 AO gehabt habe und deshalb in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei. Es setzte mit Bescheiden vom zum einen betreffend das Streitjahr 2002 die Einkommensteuer, den Solidaritätszuschlag sowie die Kirchensteuer auf der Grundlage aller vom Kläger in diesem Jahr erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (Inlands- und Auslandsanteile) sowie zum anderen —betreffend die Jahre 2003 bis 2006— die vom Kläger gemäß § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG 2002 (i.V.m. § 1 Abs. 2 des Solidaritätszuschlagsgesetzes) nachzufordernde Lohnsteuer und die nachzufordernden Solidaritätszuschläge fest.
6 Während des Einspruchsverfahrens erkannte das FA für die Streitjahre 2003 bis 2006 weitere Werbungskosten und Sonderausgaben an und minderte dementsprechend mit Bescheid vom die Nachforderungsbeträge. Im Übrigen blieb der Einspruch ohne Erfolg.
7 Das Finanzgericht (FG) hat zu der Frage, ob der Kläger in der Zeit von Oktober 2002 bis einschließlich Dezember 2006 im Hause in Y eine Wohnung unter Umständen inne hatte, die darauf schließen lassen, dass er diese beibehalten und benutzen werde, durch Vernehmung der Eheleute X, deren Tochter sowie von C und D Beweis erhoben. Es hat der Klage stattgegeben (Urteil des Hessischen , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2012, 1718). Das Kellerzimmer habe den Mietern zwar eine selbständige Lebensführung ermöglicht und hierdurch die Mindestanforderungen einer Wohnung erfüllt. Das FG war jedoch nicht davon überzeugt, dass der Kläger jederzeit über das Zimmer habe verfügen können. Dabei sei von Bedeutung, dass das Zimmer im maßgeblichen Zeitraum mindestens in zwei Fällen von Gästen der Familie X zu Übernachtungszwecken genutzt worden sei. Zwar hätten die Mieter das Zimmer während dieser Besuche nicht benötigt, so dass es tatsächlich zu keinem Konflikt hinsichtlich der Nutzung gekommen sei. Gleichwohl setze die (abstrakte) Verfügungsmöglichkeit i.S. von § 8 AO voraus, dass die Mieter im Konfliktfall ein Recht auf Nutzung des Zimmers gehabt hätten. Diesbezüglich habe die Beweisaufnahme aber kein eindeutiges Ergebnis ergeben. So hätten C und Frau X ausgesagt, dass die Familiengäste hinter den Piloten hätten zurücktreten und gegebenenfalls auf andere Schlafplätze ausweichen müssen. Dem stehe jedoch die Aussage von Herrn X gegenüber, nach der die Mieter im Falle einer Nutzung durch die Gäste der Vermieter hätten ausweichen müssen; zudem habe er ausgeführt, dass dies zu Beginn der Nutzung des Zimmers durch die Mieter mit diesen abgesprochen worden sei. Diese Unsicherheit gehe zu Lasten des FA. Des Weiteren fehle es an der Nutzung des Zimmers zu Wohnzwecken. Das Merkmal des Wohnens werde nicht erfüllt, wenn sich die Nutzung der Wohnung auf das reine Übernachten beschränke. Als geeignete Abgrenzungskriterien seien hierbei sowohl die Ausstattung als auch die Art der tatsächlichen Nutzung anzusehen.
8 Mit der Revision beantragt das FA sinngemäß, das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9 Der Kläger beantragt sinngemäß, die Revision zurückzuweisen.
10 II. Die Revision ist begründet. Der Senat kann aufgrund der Feststellungen der Vorinstanz nicht beurteilen, ob der Kläger im streitigen Zeitraum (November 2002 bis Dezember 2006) unbeschränkt steuerpflichtig war. Das Urteil der Vorinstanz ist deshalb aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
11 1. Zwischen den Beteiligten besteht —jedenfalls nach ihrem gerichtlichen Vortrag— Einvernehmen, dass der Kläger auch den sog. Auslandsanteil seiner Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG 2002) als Verkehrsflugzeugführer zu versteuern hätte, wenn er im vorgenannten Zeitraum im Inland entweder einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt gehabt hätte und deshalb nach § 1 Abs. 1 EStG 2002 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen wäre. Die Einkünfte würden dann als Teil des vom Kläger erzielten sog. Welteinkommens nach § 2 Abs. 1 EStG 2002 der Einkommensteuer unterliegen und dieser Besteuerungszugriff wäre auch nicht durch das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom (BGBl II 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) in der Fassung des Änderungsprotokolls vom (BGBl II 1993, 1888, BStBl I 1993, 928) —DBA-Schweiz 1992— ausgeschlossen. Vielmehr sieht Art. 15 Abs. 3 DBA-Schweiz 1992 vor, dass Vergütungen für unselbständige Arbeit, die an Bord eines Luftfahrzeuges im internationalen Verkehr ausgeübt wird, in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet; das Besteuerungsrecht wäre hiernach auch im Streitfall Deutschland zugewiesen.
12 2. Nach § 8 AO hat jemand (d.h. eine natürliche Person) einen Wohnsitz dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen kann. Ob —und ggf. in welchem Umfang— diese Voraussetzungen vom Kläger im streitigen Zeitraum (November 2002 bis Dezember 2006) erfüllt worden sind, kann der Senat nach den Feststellungen der Vorinstanz nicht abschließend entscheiden.
13 a) Zutreffend ist das FG davon ausgegangen, dass ein Steuerpflichtiger gleichzeitig mehrere Wohnsitze haben kann und diese im Inland und/oder Ausland belegen sein können. Demgemäß ist es auch für das Vorliegen eines Wohnsitzes im Inland ohne Bedeutung, ob dieser den Mittelpunkt der Lebensinteressen der betreffenden Person bildet (Senatsurteil vom I R 56/02, BFH/NV 2004, 917, m.w.N.).
14 b) Kennzeichnend für eine Wohnung ist, dass es sich —im Sinne einer bescheidenen Bleibe— um Räume handelt, die zum Bewohnen geeignet sind (Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 15). In rechtlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Wohnung mit einfachsten Mitteln (Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler —HHSp—, § 8 AO Rz 23) ausgestattet ist; darauf, ob die Ausstattungsgegenstände vom Vermieter gestellt oder vom Mieter selbst beschafft worden sind, kommt es nicht an (vgl. , BFHE 97, 425, BStBl II 1970, 153); ebenso ist nicht erforderlich, dass das zur Wohnung gehörende Bad in den Wohnbereich integriert ist (weiter gehend Stapperfend in Herrmann/Heuer/ Raupach —HHR—, § 1 EStG Rz 63; Bad verzichtbar) oder der Vermieter eine Kochgelegenheit stellt (gl.A. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 15; Musil in HHSp, § 8 AO Rz 23; HHR/Stapperfend, § 1 EStG Rz 63). Soweit die Vorinstanz ferner davon ausgegangen ist, dass die für die Annahme einer Wohnung —d.h. für eine über das bloße Übernachten hinausgehende Wohnnutzung („Verweilen”)— erforderliche Mindestgröße im Streitfall (12 qm bis 15 qm) gewahrt sei (vgl. dazu Musil in HHSp, § 8 AO Rz 22; HHR/Stapperfend, § 1 EStG Rz 63, jeweils m.w.N.), handelt es sich um eine tatsächliche Feststellung, an die der Senat nach § 118 Abs. 2 FGO gebunden ist.
15 c) Der Begriff des Wohnsitzes setzt ferner voraus, dass der Steuerpflichtige die Wohnung innehat. Danach muss die Wohnung in objektiver Hinsicht dem Steuerpflichtigen jederzeit (wann immer er es wünscht) als Bleibe zur Verfügung stehen und zudem in subjektiver Hinsicht von ihm zu einer entsprechenden Nutzung —d.h. für einen jederzeitigen Wohnaufenthalt— bestimmt sein. In dieser zur objektiven Eignung hinzutretenden subjektiven Bestimmung liegt der Unterschied zwischen dem bloßen Aufenthaltnehmen in einer Wohnung und dem Wohnsitz (ständige Rechtsprechung; , BFH/NV 1987, 301; vom III R 22/92, BFHE 174, 523, BStBl II 1994, 887; vom VI R 107/99, BFHE 193, 558, BStBl II 2001, 294; Senatsurteil vom I R 69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447).
16 aa) Der Ansicht der Vorinstanz, der Kläger habe die Räume deshalb nicht als Wohnung innegehabt, weil er sich auf das reine Übernachten beschränkt und damit der Kellerraum nicht die Funktion des Wohnens erfüllt habe, kann sich der Senat nicht anschließen. Zwar erfordert der Begriff der Wohnung i.S. von § 8 AO, dass die Wohnung nach ihrer Größe über das bloße Übernachten hinaus ein Verweilen in den Räumen als eine zumindest bescheidene Bleibe gestattet. Ist dies jedoch —wie auch im Streitfall entsprechend den bindenden Feststellungen des FG— zu bejahen, so kann eine Wohnnutzung nicht deshalb in Abrede gestellt werden, weil der Steuerpflichtige seine Nutzung auf den Aufenthalt in den Räumen zum Zwecke der Übernachtung beschränkt. Letzteres stünde erkennbar im Widerspruch dazu, dass auch das Übernachten zur Wohnnutzung gehört und damit nicht als bloßes Aufenthaltnehmen qualifiziert werden kann (, EFG 2011, 1133; , juris; jeweils zu sog. „Stand-by-Wohnung"; vgl. auch Palandt/ Weidenkaff, Bürgerliches Gesetzbuch, 72. Aufl., Einf v § 535 Rz 89: Wohnraum ist jeder zum Wohnen —insb. Schlafen, ... private Benutzung— bestimmte Raum). Die Nutzung des Kellerraums für Übernachtungszwecke ist deshalb als Bestimmung des Klägers zu werten, die Räume für Wohnzwecke zu nutzen. Nur mit dieser Wertung stimmt überein, dass —wie der erkennende Senat in seinem Beschluss vom I B 79/05 (juris) unter Bezugnahme auf die bisherige Rechtsprechung erläutert hat— eine Wohnnutzung weder regelmäßig noch über eine längere Zeit erfolgen muss; erforderlich ist aber eine Nutzung, die über bloße Besuche, kurzfristige Ferienaufenthalte und das Aufsuchen der Wohnung zu Verwaltungszwecken hinausgeht (gl.A. Buciek in Beermann/Gosch, AO § 8 Rz 27).
17 bb) Die tatrichterlichen Feststellungen gestatten jedoch keine Entscheidung dazu, ob der Kläger die Kellerwohnung „jederzeit” für seine eigenen Wohnzwecke nutzen konnte.
18 aaa) Der Ansicht der Vorinstanz, es könne nicht aufgeklärt werden, ob das Kellerzimmer dem Kläger jederzeit zur Wohnnutzung zur Verfügung gestanden habe, weil nach der Zeugenaussage des Vermieters die Piloten im Konfliktfall hinter den Gästen der Vermieterfamilie hätten zurücktreten müssen, mit der Folge, dass entsprechend den allgemeinen Grundsätzen zur objektiven Feststellungslast (vgl. hierzu Buciek in Beermann/ Gosch, AO § 8 Rz 11) ein Wohnsitz des Klägers im Inland nicht angenommen werden könne, schließt sich der Senat nicht an. Auch das Merkmal der jederzeitigen Verfügbarkeit ist einer wertenden Beurteilung zugänglich; es erfordert keine ausnahmslose Wohnnutzung, sondern —wie dargelegt— die Möglichkeit des Steuerpflichtigen, die Wohnung nach seinen Wünschen nutzen zu können. Demgemäß steht eine Nutzungseinschränkung, die zu Beginn des Nutzungsverhältnisses vereinbart wird, dann nicht der Annahme einer den Wohnsitz konstituierenden Verfügungsmacht entgegen, sondern ist vielmehr als deren (wunschgemäße) Ausübung zu werten, wenn dem Vermieter (oder dessen Bekannten, Verwandten, etc.) die Nutzung nur in wenigen und in jeder Hinsicht vernachlässigbaren Ausnahmefällen verbleiben soll (Unschädlichkeitsgrenze). Zudem wird bei Abschluss eines (auch mündlichen) Mietvertrags jedenfalls dann, wenn die Wohnung der beruflichen und durch wechselnde Arbeitszeiten gekennzeichneten Tätigkeit des Steuerpflichtigen dient, im Regelfall von einem jederzeitigen Zugriff des Mieters auf die Wohnung auszugehen sein. Im Streitfall entfällt hiernach die Bindung an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz bereits deshalb, weil der Vermieter nicht erläutert hat, für welche (konkreten) Einzelfälle der (nur) von ihm behauptete Nutzungsvorbehalt mit den Mietern vereinbart worden sei; demgemäß hat das FG auch keine Feststellungen dazu getroffen, ob durch die Abrede die vorgenannte Unschädlichkeitsgrenze überschritten worden ist.
19 bbb) Das FG wird im zweiten Rechtsgang den Sachverhalt nicht nur im Hinblick auf den Umfang des zugunsten der Vermieter vereinbarten Nutzungsvorbehalts aufzuklären haben. Es wird vor allem zu berücksichtigen haben, dass der Kläger das Zimmer zusammen mit zwei weiteren Piloten angemietet hatte und bereits dieser Umstand Anlass zu Zweifeln gibt, ob dem Kläger die Möglichkeit einer jederzeitigen Nutzung des Kellerraums für eigene Wohnzwecke eröffnet war. Allerdings wird die Verfügungsmacht über die Wohnung auch dann zu bejahen sein, wenn den Mitgliedern einer Wohngemeinschaft eine gemeinsame Nutzungsmöglichkeit zusteht (Musil in HHSp, § 8 AO Rz 29). Vorausgesetzt ist hierbei allerdings, dass dem einzelnen Mitglied (Mieter) jederzeit —und damit auch in Zeiten der gemeinsamen Nutzung— die Möglichkeit der Wohnnutzung erhalten bleibt. Fehlt es hieran, weil die Größe der Räume —gemessen am Maßstab der bescheidenen Bleibe, d.h. beengter Raumverhältnisse mit nur zwei Schlafgelegenheiten— kein gemeinsames Wohnen, sondern im Kern nur ein gleichzeitiges Übernachten gestattet und eine darüber hinausgehende Wohnnutzung die Abwesenheit der anderen Mieter erfordern würde, so verfügt der einzelne Mieter in der Regel auch dann nicht über eine Wohnung, wenn bei einer geringeren Anzahl von Mietern jedem Nutzer die Möglichkeit der Wohnnutzung —wann immer er es will— eröffnet wäre. Demgemäß wird das FG im zweiten Rechtsgang vor allem zu klären haben, ob mit Rücksicht auf die Zimmergröße (12 qm bis 15 qm; vgl. auch , BFHE 183, 104, BStBl II 1997, 611: „Kleinstappartement”) eine gleichzeitige Wohnnutzung durch den Kläger sowie die beiden anderen Mieter in Betracht kommen konnte.
20 3. Sollte dies zu verneinen sein, so hätte der Kläger zwar keinen Wohnsitz im Inland gehabt. Unberührt hiervon bliebe jedoch die Prüfung, ob der Kläger im streitigen Zeitraum (November 2002 bis Dezember 2006) seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hatte und aus diesem Grund unbeschränkt einkommensteuerpflichtig war (§ 1 Abs. 1 EStG 2002 i.V.m. § 9 AO). Da das FG keine Feststellungen über den dienstlichen Einsatz des Klägers getroffen hat, wird dies im zweiten Rechtsgang —sollte es an einem Wohnsitz des Klägers im Inland gefehlt haben— nachzuholen und der ermittelte Sachverhalt im Hinblick auf die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts zu würdigen sein, und zwar sowohl unter dem Gesichtspunkt des zeitlich zusammenhängenden Aufenthalts von mehr als sechs Monaten (§ 9 Satz 1 AO; vgl. hierzu z.B. Senatsurteil vom I R 26/10, BFH/NV 2011, 2001) als auch mit Rücksicht auf den Tatbestand des nicht nur vorübergehenden Verweilens im Inland (§ 9 Satz 2 AO; vgl. hierzu —einschließlich der Rechtsprechung zu den Fällen der täglichen oder regelmäßigen Rückkehr zum ausländischen Wohnort— Buciek in Beermann/Gosch, AO § 9 Rz 16 ff.; Kruse in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 9 AO Rz 7; Löffler/Stadler, Internationales Steuerrecht 2008, 832).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 1909 Nr. 12
IWB-Kurznachricht Nr. 23/2013 S. 826
StBW 2013 S. 1004 Nr. 22
AAAAE-47222