BVerwG Beschluss v. - 9 B 13/13

Abgabenerhebung muss zeitlich begrenzt sein; Verfahrensrüge; Richterwechsel; Gerichtsbesetzung; Beweisaufnahme

Gesetze: § 96 VwGO, § 112 VwGO, Art 3 Abs 1 GG, § 132 Abs 1 Nr 3 VwGO

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 4 L 180/10 Urteil

Gründe

1Die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde kann keinen Erfolg haben.

21. Eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung kommt nicht in Betracht. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Vorraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3Der Kläger möchte geklärt wissen:

"ob es dem Beklagten unter Verstoß des aus dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Willkürverbotes erlaubt sein kann, durch fortlaufende Satzungsneuerlasse die Festsetzungsverjährung ins Unermessliche zu verschieben und unter den gleichen Voraussetzungen die Beitragspflichtigen durch nicht mehr anfechtbare Bescheide zu Unrecht heranzuziehen, da über die Bemessungsgrundlagen in tatsächlicher Hinsicht bewusst getäuscht wird."

4Die Frage verfehlt bereits die maßgeblichen Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts. Rechtsfragen, die sich für die Vorinstanz nicht gestellt haben oder auf die sie nicht entscheidend abgehoben hat, können regelmäßig nicht zur Zulassung der Revision führen ( BVerwG 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7 m.w.N.). Das Oberverwaltungsgericht ist, anders als es die Frage nahelegt, nicht davon ausgegangen, dass die Festsetzungsverjährung durch fortlaufende Satzungsänderungen hinausgeschoben worden ist. Es hat vielmehr darauf abgestellt, dass die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist erst mit der vollständigen Fertigstellung der Abwasserbeseitigungsanlage durch den Beklagten im Jahr 2004 zu laufen begonnen hat, so dass der Beitragsbescheid vom noch innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen ist. Abgesehen davon ist die Frage, die die Beschwerde der Sache nach aufwirft, durch die neueste Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Hiernach ist eine zeitlich unbegrenzte Festsetzbarkeit von vorteilsausgleichenden kommunalen Abgaben mit dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht vereinbar ( - NVwZ 2013, 1004).

5Auch die weitere in diesem Zusammenhang von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage,

"inwieweit der beklagte Verband berechtigt war, wiederkehrende Gebühren und Beiträge vom Kläger einzuziehen, die kalkulatorisch für einen bestehenden Anschluss an das zentrale Abwasserbeseitigungssystem berechnet waren und somit viel höher lagen als der Beitrag für einen nicht vorhandenen Anschluss",

geht von einem Sachverhalt aus, den das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Das Oberverwaltungsgericht ist aufgrund der vorliegenden Akten und der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass das auf dem Grundstück des Klägers anfallende Abwasser vor dem Inkrafttreten des ersten Kommunalabgabengesetzes für das Land Sachsen-Anhalt (KAG - LSA) am nicht in das vorhandene Klärwerk geleitet worden ist und das zum Klärwerk führende Trennsystem im Bereich der Straßen Kronsberg, Genossenschaftsweg und Bauernweg erst im Jahre 2004 vollständig fertig gestellt wurde. Eine Feststellung, dass das Grundstück des Klägers nach dem bis zur endgültigen Herstellung überhaupt nicht an das zentrale Abwasserbeseitigungssystem angeschlossen war, findet sich in dem angegriffenen Urteil nicht. Für die Entstehung des allgemeinen Herstellungsbeitrags war jedoch nicht der Anschluss des Grundstücks des Klägers an den vor dessen Grundstück verlaufenden Schmutzwasserkanal und der Anschluss dieses Kanals an die zentrale Abwasserentsorgung ausschlaggebend, sondern die vollständige Herstellung des Trennsystems, die nach den mit der Beschwerde nicht mit Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erst im Jahr 2004 erfolgte.

6Die Frage,

"ob mit dem Betreiben eines auch heute noch in der gesamten Bundesrepublik gängigen Verfahrens eines Abschlagsbauwerkes eine Entsorgung von Wasser und Abwasser als zentrale Anlage in dauerhaftem Zustand gegeben ist oder nicht",

rechtfertigt wörtlich verstanden die Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache schon deswegen nicht, weil sie nicht auf die Klärung einer Rechtsfrage abzielt, sondern auf die Klärung tatsächlicher Verhältnisse gerichtet ist. Aber auch wenn man die Frage so versteht, dass die Beschwerde mit ihr in einem Revisionsverfahren geklärt wissen will, ob dem Grundstück des Klägers bereits mit der Errichtung des Abschlagsbauwerkes die nach dem KAG - LSA und der Abwassersatzung des Beklagten erforderliche dauerhafte Entsorgungsmöglichkeit geboten wurde, vermag sie die Zulassung nicht zu rechtfertigen, weil sich die so verstandene Frage nach irrevisiblem Landesrecht beantwortet und daher in einem Revisionsverfahren nicht geklärt werden könnte (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO).

72. Auch die gemäß § 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO erhobene Verfahrensrüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

8Einen Verstoß gegen die Vorschriften über die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 96 VwGO) und die Besetzung des Gerichts (§ 112 VwGO), sieht die Beschwerde darin, dass an der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht am nur zwei Berufsrichter und kein ehrenamtlicher Richter teilgenommen haben, die auch an der vorangegangen mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme am mitgewirkt hatten. Diese Rüge greift nicht durch. § 112 VwGO schreibt zwar vor, dass das Urteil nur von den Richtern und ehrenamtlichen Richtern gefällt werden darf, die an der dem Urteil zugrundeliegenden Verhandlung teilgenommen haben. Damit ist jedoch die letzte mündliche Verhandlung gemeint (vgl. Beschlüsse vom - BVerwG 6 C 123.73 - Buchholz 448.0 § 34 WPflG Nr. 21 und vom - BVerwG 8 B 61.10 - ZOV 2011, 123 Rn. 23). Weder im Verwaltungs- noch im Zivilprozess besteht eine Regelung des Inhalts, die einmal in mündlicher Verhandlung und Beweisaufnahme mit einer Sache befasst gewesenen Richter müssten auch bis zur Entscheidung mit dieser Sache befasst bleiben (vgl. BVerwG 6 C 13.83 - Buchholz 310 § 112 VwGO Nr. 5 <LS>; BVerwG 9 CB 104.84 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 56 S. 32).

9Wegen des eingetretenen Richterwechsels brauchte entgegen der Ansicht der Beschwerde die Beweisaufnahme nicht wiederholt zu werden. Das Prinzip der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme verlangt dies grundsätzlich nicht; vielmehr steht eine Wiederholung der Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts. Lediglich dann, wenn es entscheidend auf persönliche Eindrücke ankommt, muss je nach den Umständen des Falles eine Wiederholung der Anhörung oder Zeugenvernehmung in Erwägung gezogen werden (vgl. Beschlüsse vom a.a.O. S. 32 m.w.N. und vom - BVerwG 8 B 85.06 - juris Rn. 11). Im vorliegenden Fall ist das Berufungsgericht dem Zeugen V. und nicht dem Zeugen P. deswegen gefolgt, weil der Zeuge V. im Jahr 1991 bestimmt und zielgerichtet mit der Erfassung des Leitungsbestandes des Beklagten beauftragt war und daher in einem "sachnäheren Zusammenhang zu dem vorliegend streitigen Sachverhalt" (UA S. 9) stand als der Zeuge P., der seine Wahrnehmungen aus der Mitte der 70er Jahre gleichsam "bei Gelegenheit" gemacht hat und primär daran interessiert war zu erfahren, wann sein Hausgrundstück angeschlossen wird. Dass der Zeuge V. "im Verhandlungstermin durch seine sachlichen und präzisen Schilderungen überzeugte", war mithin nicht der letztlich ausschlaggebende Grund für das Berufungsgericht, ihm und nicht den Angaben des Zeugen P. zu folgen.

10Auch der Umstand, dass die Zeugenaussagen in der mündlichen Verhandlung vom ausweislich der Sitzungsniederschrift vom nicht durch Wiedergabe des wesentlichen Inhalts der Akten oder durch Verlesung der Sitzungsprotokolle in das Verfahren eingeführt worden sind, führt nicht auf einen erheblichen Verfahrensverstoß. Wesentlich ist, dass die zur Entscheidung berufenen Richter auch ohne Verlesung der Sitzungsprotokolle in der mündlichen Verhandlung ihre Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens bilden konnten, weil sie auf anderem Wege, insbesondere während der Beratung, über alle entscheidungserheblichen Umstände informiert worden sind. Das ist regelmäßig und auch hier anzunehmen. In gleicher Weise wie davon auszugehen ist, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten grundsätzlich zur Kenntnis nimmt, spricht aufgrund der Bindung des Richters an Gesetz und Recht eine Vermutung dafür, dass in ähnlicher Weise wie im Falle der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung allen Richtern im Rahmen der Beratung eine vollständige Unterrichtung über den Sach- und Streitstoff zuteil wird (Beschlüsse vom a.a.O. S. 33 und vom a.a.O. Rn. 24). Besondere sich aus der angefochtenen Entscheidung selbst ergebende, zu Zweifeln Anlass bietende Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, dass dies im vorliegenden Falle nicht geschehen sei, lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen.

Fundstelle(n):
SAAAE-44997