BSG Urteil v. - B 14 AS 71/12 R

Grundsicherung für Arbeitsuchende - Hilfebedürftigkeit - Berücksichtigung von Partnereinkommen - Leistungsausschluss des Partners wegen stationärer Unterbringung in einem Pflegeheim - Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft - Bedarfsbestimmung beim eventuell Leistungsberechtigten - Regelbedarf für Alleinstehende - kein Kopfteilprinzip bei den Kosten der Unterkunft - abweichende Bedarfsbestimmung nach dem SGB 12 beim Untergebrachten

Leitsatz

Wenn ein Partner einer gemischten Bedarfsgemeinschaft im Pflegeheim lebt, ist für die Prüfung der Hilfebedürftigkeit des anderen nach dem SGB 2 abweichend von den allgemeinen Regeln der Bedarf des im Pflegeheim Wohnenden nach dem SGB 12 zu bestimmen.

Gesetze: § 7 Abs 1 S 1 SGB 2, § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB 2, § 7 Abs 4 S 1 SGB 2, § 9 Abs 1 SGB 2, § 9 Abs 2 S 1 SGB 2, § 9 Abs 2 S 3 SGB 2, § 20 Abs 2 S 1 SGB 2, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2, § 35 Abs 1 S 1 SGB 12 vom , § 82 SGB 12, §§ 82ff SGB 12, § 3 Abs 3 RSV, § 1567 Abs 1 S 1 BGB

Instanzenzug: Az: S 115 AS 30405/08 Urteilvorgehend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Az: L 32 AS 1030/10 Urteil

Tatbestand

1Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom bis zum zusteht.

2Die 1949 geborene Klägerin lebte bis zum gemeinsam mit ihrem 1945 geborenen Ehemann in einem ursprünglich ihr allein gehörenden Wohnhaus. Im Jahre 2004 hatte die Klägerin ihrem Sohn das Haus zur Hälfte übertragen. Das Grundstück war seither mit einem lebenslänglichen dinglich gesicherten Wohnrecht zugunsten der Klägerin und ihres Ehemanns belastet. Die Eheleute zahlten auf ein Bauspardarlehen monatlich 420 Euro, wobei darin zum Darlehensrückzahlungsbeginn im September 2007 130,26 Euro auf Zinszahlungen entfielen. Die Nebenkosten wurden mit 137,52 Euro, die Heizkosten mit 142 Euro monatlich nachgewiesen. Die Angaben bezogen sich auf das gesamte Haus.

3Am erlitt der Ehemann der Klägerin einen Herzinfarkt. Er befand sich seither im Wachkoma und wurde zunächst im Krankenhaus und seit dem in einem Pflegeheim betreut. Der Ehemann erhielt in dem streitgegenständlichen Zeitraum eine Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sowie eine Betriebsrente in Höhe von zusammen 1466,08 Euro monatlich. Die Pflegekasse gewährte ihm Leistungen in Höhe von 1432 Euro monatlich.

4Der Heimvertrag zwischen dem Pflegeheim und dem Ehemann sah ein Gesamtentgelt in Höhe von 2696,70 Euro vor. Dieses schlüsselte sich auf in ein Einzelentgelt für Unterkunft und Verpflegung in Höhe von 470,40 Euro, ein Einzelentgelt für allgemeine Pflegeleistungen in Höhe von 1911,30 Euro und ein Einzelentgelt für nicht geförderte Investitionskosten in Höhe von 315 Euro. Das Pflegeheim verlangte von dem Ehemann monatlich den Differenzbetrag zwischen dem Gesamtentgelt und den von der Pflegekasse gezahlten Leistungen. Einen bei dem Beigeladenen gestellten Antrag auf Übernahme der ungedeckten Pflegekosten hat dieser mit Bescheid vom abgelehnt, der Bescheid ist bestandskräftig geworden. Am verstarb der Ehemann der Klägerin.

5Die Klägerin, die über keine eigenen Einnahmen verfügte, beantragte am bei dem Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom ab, der hiergegen erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom ).

6Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom verurteilt, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom bis zum zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Land Berlin beigeladen und sodann die gegen das Urteil des SG gerichtete Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob die Klägerin und ihr Ehemann im streitgegenständlichen Zeitraum noch eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hätten, denn selbst in diesem Falle übersteige der Bedarf die zur Verfügung stehenden Einnahmen. Gehe man von einer gemischten Bedarfsgemeinschaft aus, richte sich der maßgebliche Bedarf auch des Ehemanns nach dem SGB II. Als Einkommen des Ehemanns seien die Rentenzahlungen anzurechnen, die Leistungen der Pflegekasse blieben dagegen als zweckbestimmte Leistungen zur Mitfinanzierung der Pflege unberücksichtigt. Als Einkommen sei aber noch die bereitgestellte Vollverpflegung im Heim zu berücksichtigen. Nach Abzug der Versicherungspauschale habe der Bedarfsgemeinschaft ein Betrag in Höhe von 1641,08 Euro zur Verfügung gestanden. Unter Berücksichtigung der zu tragenden Heimkosten sei anrechenbares Einkommen des Ehemanns nicht verblieben. Welche Leistungen der Klägerin in welcher Höhe konkret zu gewähren seien, was von den genauen Wohnverhältnissen abhänge, könne dahingestellt bleiben. Das SG habe den Beklagten nur dem Grunde nach zur Leistung verpflichtet, deren Höhe noch nicht feststehe.

7Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten, mit der er eine Verletzung des § 19 Abs 1 SGB II rügt. Der Bedarf eines nach § 7 Abs 4 SGB II vom Leistungsbezug ausgeschlossenen Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft zur Deckung der Pflegekosten sei beim kommunalen Sozialleistungsträger nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) geltend zu machen, weil Pflegekosten keinen Bedarf iS von § 19 Abs 1 SGB II darstellten. Da der Ehemann der Klägerin Mitglied der Bedarfsgemeinschaft gewesen sei, ergebe sich ein Bedarf in Höhe von insgesamt 1493,74 Euro (2 x 312 Euro Regelleistung, Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 399,34 Euro und Kosten der Unterkunft des Ehemanns in Höhe von 470,40 Euro). Das Gesamteinkommen habe 1529,68 Euro betragen (1436,08 Euro bereinigte Renteneinkünfte und 93,60 Euro bereitgestellte Verpflegung), sodass der Bedarf nach dem SGB II habe gedeckt werden können.

8Der Beklagte beantragt,das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom und das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9Die Klägerin beantragt,die Revision zurückzuweisen.

10Sie hält das angegriffene Urteil des LSG für zutreffend.

11Der Beigeladene hat sich nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Gründe

12Die Revision des Beklagten hat im Sinne der Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das LSG Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG konnte nicht entschieden werden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II zusteht.

131. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom , mit dem der Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom bis zum abgelehnt worden ist. Inwieweit hinsichtlich des Leistungszeitraums Korrekturen anzubringen sind, weil die Antragstellung erst am Montag, den erfolgte, wird das LSG dabei - auch unter dem Aspekt der Erreichbarkeit des Jobcenters - zu prüfen haben.

14Gegen die genannten Bescheide hat sich die Klägerin in zulässiger Weise mit einer Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 SGG) gewandt, wobei sie allerdings keinen bezifferten Antrag gestellt, sondern nur eine Verurteilung dem Grunde nach beantragt hat. Das SG hat, wie sich aus der Begründung seiner Entscheidung ergibt, zur Zahlung eines konkreten monatlichen Betrages verurteilt und ist damit zu Unrecht über den Antrag der Klägerin hinausgegangen. Dies hat das LSG korrigiert, indem es nach Maßgabe der Entscheidungsgründe nur zu einer Leistung dem Grunde nach verurteilt hat, wozu es aufgrund des nur von dem Beklagten eingelegten Rechtsmittels befugt war.

152. Die Feststellungen des LSG reichen nicht aus, um abschließend entscheiden zu können, ob der Klägerin die geltend gemachte Leistung dem Grunde nach zusteht. Nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (idF des Kommunalen Optionsgesetzes vom - BGBl I 2014) erhalten Leistungen nach dem SGB II Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben (Nr 1), die erwerbsfähig (Nr 2) und hilfebedürftig (Nr 3) sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr 4). Dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen im angefochtenen Urteil kann zwar entnommen werden, dass die Klägerin die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II hinsichtlich des Lebensalters und des gewöhnlichen Aufenthalts erfüllt. Auch eine Erwerbsfähigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum liegt nahe, wenngleich hierzu keine ausdrücklichen Feststellungen getroffen wurden. Ausreichende Feststellungen fehlen in jedem Fall zur Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II.

163. Nach § 9 Abs 1 SGB II (idF des Kommunalen Optionsgesetzes vom - BGBl I 2014) ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch die Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus zu berücksichtigendem Einkommen und Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält. Nach § 9 Abs 2 Satz 1 SGB II ist bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ua auch das Einkommen des Partners zu berücksichtigen. Nach § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II gilt schließlich (im Grundsatz) jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt ist. Wegen dieser gesetzlichen Vorgaben, wonach Hilfebedürftigkeit ausnahmslos vom Bedarf aller Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft einerseits und des der Bedarfsgemeinschaft zufließenden Einkommens und des vorhandenen Vermögens andererseits abhängig ist, darf bei Prüfung der Hilfebedürftigkeit als Teil der Anspruchsvoraussetzungen nicht offenbleiben, welche Personen der Bedarfsgemeinschaft angehören. Eine wahlweise Feststellung, wie sie das LSG vorgenommen hat, genügt zur Feststellung der Tatbestandsvoraussetzungen auch dann nicht, wenn es lediglich um die Verurteilung dem Grunde nach geht.

17Die Klägerin bildete mit ihrem Ehemann im streitigen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft, wenn sie auch während der Zeit, in der dieser stationär versorgt wurde, von ihm nicht dauernd getrennt lebte. Die Auslegung des Begriffs "Getrenntleben" richtet sich auch im Rahmen des SGB II nach familienrechtlichen Grundsätzen (Bundessozialgericht <BSG> - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16, RdNr 13 ff; Urteil des Senats vom - B 14 AS 50/10 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 17). Gemäß § 1567 Bürgerliches Gesetzbuch leben Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine häusliche Gemeinschaft besteht und ein Ehegatte sie erkennbar nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Maßgebend ist also ein objektiv hervortretender Trennungswille. Demgegenüber können Ehegatten zwar häuslich getrennt sein und dennoch - mit den Einbußen, die sich aus dem Fehlen der häuslichen Gemeinschaft notwendig ergeben - die eheliche Lebensgemeinschaft bejahen und verwirklichen (Bundesgerichtshof <BGH> Urteil vom - IVb ZR 34/88 - FamRZ 1989, 479 = juris RdNr 8). Auch wenn sich bei einer unfreiwilligen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft die allein noch mögliche Kontaktpflege auf Besuche beschränkt, so ist dies doch der Restbestand der Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft (BGH, aaO). Zur Aufgabe einer solchen, wenn auch nur rudimentär verwirklichten Lebensgemeinschaft und damit zum Getrenntleben kommt es nur, wenn der trennungswillige Ehegatte seine Verhaltensabsicht unmissverständlich zu erkennen gibt. Da es sich dabei nicht um eine Willenserklärung handelt, kann auch ein Geschäftsunfähiger diesen Willen äußern (BGH, aaO, juris RdNr 9 mwN; vgl zum Begriff des Getrenntlebens auch OLG Bamberg, FamRZ 1981, 52).

18Daran anschließend ist das BSG auch für den Bereich des SGB II davon ausgegangen, dass eine Bedarfsgemeinschaft bei Eheleuten (noch) bestehen kann, wenn diese wegen des pflegebedingten Aufenthalts eines Ehegatten in einem Heim räumlich voneinander getrennt leben ( - BSGE 105, 291 = SozR 4-4200 § 7 Nr 16, RdNr 14 mwN; mit anderen Akzenten, aber im Wesentlichen mit gleichem Ergebnis zum SGB XII Coseriu, juris PK, SGB XII, 1. Aufl 2011, § 19, RdNr 14 f). Das LSG wird hierzu weitere Feststellungen zu treffen und dabei zu berücksichtigen haben, dass nach den dargelegten Grundsätzen der Trennungswille "unmissverständlich" zum Ausdruck gekommen sein muss und dass insofern die bloße Erklärung des Getrenntlebens für sich genommen ohne weitere objektive Anhaltspunkte nicht genügt.

19Die Tatsache, dass der Ehemann wegen seiner Unterbringung in einer stationären Einrichtung einerseits und als Bezieher einer Rente wegen Alters andererseits aufgrund der Regelung des § 7 Abs 4 Satz 1 SGB II selbst keine Leistungen nach dem SGB II erhalten konnte, steht seiner Einbeziehung in die Bedarfsgemeinschaft nicht entgegen (vgl nur B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 11 und 15; vom - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 31).

204. Hat zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann im streitgegenständlichen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft bestanden, so richtet sich die Prüfung der Hilfebedürftigkeit der Klägerin nach den Grundsätzen, die das BSG für derartige "gemischte Bedarfsgemeinschaften" entwickelt hat (vgl grundlegend B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 29 ff). Danach ist in einem ersten Schritt der Bedarf der Klägerin zu bestimmen und in einem zweiten Schritt zu prüfen, in welchem Umfang dem Bedarf der Klägerin eigenes Einkommen oder Einkommen ihres Ehemanns gegenübersteht (dazu unter 5.). In einem letzten Schritt ist zu erörtern, ob der Hilfebedürftigkeit der Klägerin verwertbares Vermögen entgegensteht (dazu unter 6.).

21Der Bedarf der Klägerin setzt sich zusammen aus dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 20 SGB II, dazu unter a) und den Bedarfen für Unterkunft und Heizung (§ 22 SGB II, dazu unter b).

22a) Auch wenn die Feststellungen des LSG ergeben, dass mangels Trennungswillens ein "dauerndes Getrenntleben" nicht vorgelegen hat, ist gleichwohl der für die Klägerin maßgebliche Regelbedarf in Höhe der Regelleistung für Alleinstehende oder alleinerziehende anzusetzen, der im Streitzeitraum nach § 20 Abs 2 SGB II (idF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom - BGBl I 2954) iVm § 20 Abs 4 Satz 3 SGB II in Verbindung mit der Bekanntmachung über die Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom (BGBl I 1139) damals 347 Euro betrug. Nach den Grundsätzen, die der Senat im Urteil vom (B 14 AS 171/10 R - BSGE 109, 176 = SozR 4-4200 § 20 Nr 16) aufgestellt hat, ist eine Regelleistung von 90 vH nur dann gerechtfertigt, wenn beide Partner in einer Haushaltsgemeinschaft umfassend "aus einem Topf" wirtschaften mit der Folge, dass zwei zusammenlebende Partner einen finanziellen Mindestbedarf haben, der unter dem doppelten des Bedarfs eines Alleinwirtschaftenden liegt (vgl auch Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 20 RdNr 67, Stand: 4/2010 mwN). Wenn dagegen nicht mehr "aus einem Topf" gewirtschaftet werden kann, besteht zwar weiterhin eine Bedarfsgemeinschaft, die genannten Einsparmöglichkeiten durch das gemeinsame Wirtschaften entfallen jedoch. Es ergibt sich deshalb ein Anspruch der Klägerin auf Berücksichtigung der vollen Regelleistung aus der analogen Anwendung des § 20 Abs 2 SGB II, denn ihre Bedarfslage entspricht der einer Alleinstehenden. Dies entspricht auch verfassungsrechtlichen Vorgaben, weil im Referenzsystem des SGB XII in der hier maßgeblichen Fassung der Regelsatzverordnung (RSV) in § 3 Abs 3 RSV eine Regelleistung in Höhe von jeweils 90 vH ausdrücklich nur für zusammenlebende Ehegatten oder Lebenspartner vorgesehen war und eine vom Eckregelsatz abweichende noch niedrigere Regelleistung nur für Haushaltsangehörige normiert war (vgl dazu im Einzelnen - BSGE 109, 176 = SozR 4-4200 § 20, RdNr 24, 25), sodass eine Regelleistung von 90 vH in Fällen wie dem vorliegenden unter Gleichheitsgesichtspunkten (Art 3 Abs 1 Grundgesetz) nicht vertretbar wäre. Dementsprechend hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom die Regelung des § 8 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz in seinem Abs 1 Nr 2 dahingehend gefasst, dass sich der Regelbedarf von jeweils 90 vH - wie in § 3 Abs 3 RSV - ausdrücklich auf zwei erwachsene Leistungsberechtigte, die als Ehegatten … einen gemeinsamen Haushalt führen, bezieht.

23b) Hinzu kommen für die Bedarfsberechnung die Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Danach werden die Leistungen grundsätzlich in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit sie angemessen sind. Die tatsächlich aufgewandten Kosten für Unterkunft und Heizung sind für die Klägerin berücksichtigungsfähig jedoch nur in dem Umfang, in dem sie auf ihre Nutzung des Wohnhauses entfallen. Wenn neben der Klägerin auch ihr Sohn das Haus bewohnt hat, sind die Kosten für die Nutzung des Wohnhauses (regelmäßig) unabhängig von Alter, Nutzungsintensität oder Zugehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft pro Kopf aufzuteilen (vgl B 14/11b AS 55/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 9; vom - B 14/11b AS 7/07 R; vom - B 11b AS 1/06 R- BSGE 97, 265 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 28 unter Hinweis auf BVerwGE 79, 17 zur Sozialhilfe). Die tatsächlichen Verhältnisse werden im wiedereröffneten Berufungsverfahren weiter aufzuklären sein. Dagegen ist für die Anwendung des Kopfteilprinzips auch in Bezug auf den im Pflegeheim lebenden Ehemann der Klägerin kein Raum. Die Aufteilung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Kopfteilprinzip setzt nach der Rechtsprechung des BSG voraus, dass die Wohnung gemeinsam mit anderen Personen genutzt wird, also den aktuellen Unterkunftsbedarf weiterer Personen abdeckt. Daran fehlt es, wenn ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Wohnung über einen Zeitraum nicht nutzt, der auch zu einem Ausschluss von Leistungen nach § 7 Abs 4, 4a SGB II führt (vgl dazu - SozR 4-4200 § 22 Nr 42). Inwieweit es bei einer solchen Konstellation dem verbliebenen Partner zugemutet werden kann, die Gesamtkosten der Unterkunft zu mindern und die Wohnverhältnisse einer dauerhaften alleinigen Nutzung der Wohnung anzupassen, braucht hier nicht entschieden zu werden, denn es fehlt bereits an einer Kostensenkungsaufforderung seitens des Beklagten. Es kann somit auch weiter offenbleiben, ab welchem Zeitpunkt bei mehr als sechsmonatiger Abwesenheit Maßnahmen zur Kostensenkung verlangt werden können.

245. Da die Klägerin selbst nicht über Einkommen verfügte, bleibt bei Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft zu klären, ob und ggf in welchem Umfang Einkommen ihres Ehemanns zu berücksichtigen ist. Da nur eine sog "gemischte Bedarfsgemeinschaft" in Betracht kommt, ist in Modifikation der Grundregel des § 9 Abs 2 Satz 3 SGB II nur das den Bedarf des nicht leistungsberechtigten Mitglieds übersteigende Einkommen auf die hilfebedürftigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft entsprechend dem Anteil ihres individuellen Bedarfs am Gesamtbedarf zu verteilen (Urteil vom - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 49).

25Wenn der Ehemann im streitigen Zeitraum dauerhaft in einer stationären Einrichtung iS des § 13 SGB XII untergebracht war, wofür nach den bisherigen Feststellungen des LSG vieles spricht, ist sein Bedarf - abweichend vom Regelfall einer gemischten Bedarfsgemeinschaft (vgl BSG, aaO, RdNr 40) - nicht nach dem SGB II zu bestimmen, sondern nach dem SGB XII. Zwar ist in gemischten Bedarfsgemeinschaften grundsätzlich auch der Bedarf des anderen - von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen - Mitglieds der Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II zu ermitteln ( B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 40 unter Hinweis auf BSGE 97, 242 = SozR 4-4200 § 20 Nr 3, RdNr 24; B 7b AS 2/06 R - SozR 4-4200 § 7 Nr 4). Der Senat hat in der genannten Entscheidung aber bereits angedeutet, dass in besonderen Fällen eine Abweichung von diesem Grundsatz geboten sein kann. Eine abweichende Bedarfsbestimmung ist insbesondere dann erforderlich, wenn Besonderheiten vorliegen, die mit einer fiktiven Bedarfsberechnung nach dem SGB II nicht abgebildet werden können. Dies ist der Fall, wenn der von Leistungen nach dem SGB II Ausgeschlossene in einer stationären Einrichtung versorgt wird und sein notwendiger Lebensunterhalt daher nach den besonderen Vorschriften des § 35 SGB XII (ab dem : § 27b SGB XII) ermittelt wird, die wiederum in engem Zusammenhang mit den §§ 75 ff SGB XII stehen. Für diese besondere Bedarfssituation enthält das SGB II keine Grundlage, weil die Grundsicherung für Arbeitsuchende eine Hilfe in Einrichtungen nicht kennt (vgl Behrend, juris PK, SGB XII, Stand , § 27b, RdNr 5) und den Fall eines solchen nur im SGB XII berücksichtigten Bedarfs als Teil des Gesamtbedarfs bei fortbestehender Bedarfsgemeinschaft nicht regelt. Die unzulängliche Abstimmung der Leistungssysteme des SGB II und des SGB XII machen an dieser Schnittstelle deshalb eine nach dem SGB XII vergleichende Berechnung des Bedarfs und des Einkommens erforderlich (ähnlich bereits - BSGE 108, 241 = SozR 4-3500 § 82 Nr 8, RdNr 20 unter Hinweis auf B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 49). Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren also im Falle der Betreuung in einer stationären Einrichtung den Bedarf des Ehemanns nach den Maßstäben des § 35 SGB XII zu ermitteln haben, nach dessen Abs 1 Satz 1 der notwendige Lebensunterhalt in Einrichtungen den darin erbrachten sowie in stationären Einrichtungen zusätzlich den weiteren notwendigen Lebensunterhalt umfasst.

26Auch die Frage, inwieweit der Ehemann sein Einkommen aus Rentenzahlungen sowie den Leistungen der Pflegekasse nach den Regelungen des SGB XI für die genannten Bedarfe nach § 35 SGB XII einzusetzen hat, ist nach den allgemeinen Regelungen zur Einkommensberücksichtigung gemäß §§ 82 ff, 92, 92a SGB XII zu entscheiden. Danach erfolgt ein Einsatz seines Einkommens für die stationären Leistungen der Einrichtung nur bis zur Höhe des (fiktiven) Anteils der Hilfe zum Lebensunterhalt an dem notwendigen Lebensunterhalt in Einrichtungen (vgl Behrend, juris PK, SGB XII, Stand , § 27b, RdNr 34). Soweit im Übrigen eine fiktive Zuordnung zu den Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII erfolgt, sind die besonderen Regelungen der §§ 85 ff SGB XII maßgebend. Hierbei ist zu beachten, dass bei der Klägerin Einkommen ihres Ehemanns nur insoweit berücksichtigt werden darf, als es nach sozialhilferechtlichen Maßstäben einzusetzen ist (vgl - BSGE 108, 241 = SozR 4-3500 § 82 Nr 8, RdNr 24).

276. Bei der Prüfung, ob die Klägerin einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat, ist neben der Berücksichtigung eigenen Einkommens und ggf (überschießenden) Einkommens ihres Ehemanns zu ermitteln, ob der Hilfebedürftigkeit der Klägerin verwertbares Vermögen entgegengestanden hat. Als einzusetzendes Vermögen gemäß § 12 Abs 1 SGB II könnte vorbehaltlich einer Privilegierung gemäß § 12 Abs 3 Satz 1 Nr 4 SGB II das der Klägerin gehörende hälftige Hausgrundstück zählen. Ob ausgehend von der Gesamtwohnfläche des Hauses und der Gesamtgrundstücksfläche sowie nach der Bewohnerzahl eine Berücksichtigung als Vermögen in Betracht kommt, kann aufgrund fehlender tatsächlicher Feststellungen nicht entschieden werden. Auch zur Verwertbarkeit des Miteigentumsanteils sind keine Feststellungen getroffen worden. Ggf wäre auch zu klären, ob eine mögliche Verwertung offensichtlich unwirtschaftlich wäre oder eine besondere Härte darstellen würde (§ 12 Abs 3 Satz 1 Nr 6 SGB II). Ferner ist auch ein möglicher Schenkungsrückforderungsanspruch als Vermögenswert in Betracht zu ziehen (zur Berücksichtigung eines Schenkungsrückforderungsanspruchs im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung nach dem SGB XII - juris RdNr 13 ff).

28Das LSG wird über die Kosten des Verfahrens einschließlich des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:160413UB14AS7112R0

Fundstelle(n):
AAAAE-43149