BSG Urteil v. - B 2 U 21/11 R

Sozialgerichtliches Verfahren - unzulässige Revision - mangelhafte Revisionsbegründung - Nichtauseinandersetzung mit angefochtener LSG-Entscheidung - Revisionsschrift: fast wörtliche Wiedergabe der Berufungsbegründung gegen SG-Entscheidung

Gesetze: § 162 SGG, § 164 Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: SG Konstanz Az: S 11 U 337/10 Urteilvorgehend Landessozialgericht Baden-Württemberg Az: L 8 U 3577/10 Urteil

Tatbestand

1Zwischen den Beteiligten war im Revisionsverfahren noch streitig, ob der Klägerin ein Anspruch auf Einsicht in Aktenunterlagen der Beklagten zusteht, die diese über einen Versicherungsfall eines Mitarbeiters der Klägerin führt.

2Die Klägerin ist Mitglied der Beklagten. Sie wandte sich gegen den Beitragsbescheid der Beklagten vom für das Beitragsjahr 2007, mit dem ein Gesamtbeitrag von 56 604,49 € festgesetzt wurde und in dem anteilig ein Beitragszuschlag in Höhe von 12 631,91 € enthalten war. Der Beitragszuschlag lasse sich nicht nachvollziehen. Die Beklagte übermittelte daraufhin eine Aufstellung der für das Beitragsausgleichsverfahren herangezogenen Kosten. Darin war unter anderem ein Betrag in Höhe von 18 934,15 € für den bei der Klägerin beschäftigten Versicherten B. wegen eines Unfalls am enthalten. Die Klägerin begehrte nun eine Kostenaufstellung über die Behandlungskosten des Versicherten B. (Schreiben vom und ), denn die in Ansatz gebrachten Kosten dieses Versicherungsfalls seien nicht allein unfallursächlich.

3Mit Schreiben vom und teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie könne die Unfallkosten nicht detailliert darlegen, weil die Übermittlung von Sozialdaten nur bei bestehender Übermittlungsbefugnis zulässig sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom ).

4Die Klägerin hat Klage zum SG erhoben und vorgetragen, es habe sich bei dem Unfall des Versicherten B. nicht um einen Arbeitsunfall gehandelt. Weiterhin seien vermeidbare Kosten dadurch entstanden, dass der Versicherte im Krankenhaus nicht richtig behandelt worden sei. Sie legte die Einwilligung des Versicherten B. vom zur Einsichtnahme in seine Sozialdaten betreffend die Aufwendungen für den Unfall vom vor.

5Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom ) und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe alle von ihr verauslagten Aufwendungen für den Arbeitsunfall des Versicherten B. berücksichtigen dürfen, denn es habe sich nicht um einen vom Beitragszuschlagverfahren ausgenommenen Unfall gehandelt. Der Versicherte B. habe bei seiner Tätigkeit als Zimmermann einen Arbeitsunfall erlitten. Ein unwirtschaftliches Verhalten des Versicherten B. berechtige nicht dazu, etwaige Aufwendungen der Beklagten unberücksichtigt zu lassen. Den Mitgliedsunternehmen sei innerhalb des Beitragsverfahrens nicht jede Rüge der Höhe entstandener Aufwendungen möglich. Ein Akteneinsichtsrecht in die den Versicherten B. betreffende Leistungsakte nach § 25 Abs 1 Satz 1 SGB X bestehe nicht. Die Klägerin sei nicht Beteiligte des Verwaltungsverfahrens über den Arbeitsunfall. Ein Anspruch auf Übermittlung der Daten folge auch nicht aus § 1 Abs 1 Satz 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG), über den das SG trotz der grundsätzlichen Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte kraft des sozialrechtlichen Zusammenhangs der vorliegenden Rechtsfrage zu entscheiden habe. Dem Anspruch stehe § 3 Nr 4 und 6 IFG (Schutz des Sozialgeheimnisses und eine Weitergabe von Abrechnungsdaten) entgegen.

6Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung seines Urteils vom ausgeführt, das Begehren auf Akteneinsicht sei als Verpflichtungsklage zulässig. Das Recht auf Akteneinsicht nach § 25 Abs 1 SGB X beinhalte den Anspruch, die Gesamtheit der Schriftstücke, die im Verfahren des um Akteneinsicht ersuchenden Betroffenen von der Behörde angefertigt oder beigezogen wurden, einzusehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat habe der Klägervertreter aber klargestellt, dass seinem Akteneinsichtsgesuch nicht damit Rechnung getragen sei, wenn mit Fotokopien nur über die Höhe der entstandenen Kosten der für den Versicherten B. erbrachten Aufwendungen Auskunft gegeben werde, ohne dass die zugrunde liegende Diagnose oder therapeutische Maßnahme der entsprechenden Leistungserbringer erkennbar werde. Gemäß § 25 Abs 3 SGB X habe die Beklagte die Einsichtnahme wegen berechtigter Interessen Dritter verweigern dürfen. Der Versicherte B. sei am Beitragsverfahren nicht beteiligt. Soweit er sich im vorliegenden Rechtsstreit mit der Einsichtnahme seines Arbeitgebers in die ihn betreffenden Arztunterlagen einverstanden erklärt habe, sei dies unbeachtlich, weil eine faktische Zwangssituation zu unterstellen sei, die eine freiwillige Einwilligung ausschließe.

8Die Klägerin hält dies auf Hinweis des Senats für eine ausreichende Revisionsbegründung.

9Die Klägerin beantragt,die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom und des Sozialgerichts Konstanz vom sowie die Bescheide der Beklagten vom und in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, durch Überlassung von Fotokopien aus der den Arbeitsunfall des Versicherten B. vom betreffenden Unfallakte Auskunft über die unfallbedingten Leistungspositionen, die dem Beitragszuschlag zugrunde liegen, zu erteilen.

10Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Gründe

11Die Revision der Klägerin ist unzulässig. Ihre Revisionsbegründung vom entspricht nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das Rechtsmittel war daher als unzulässig zu verwerfen.

12Streitgegenstand des Revisionsverfahrens war nur noch das geltend gemachte Recht auf Akteneinsicht. Das LSG hat die Zulassung der Revision in zulässiger Weise auf diesen Streitgegenstand beschränkt. Eine Teilzulassung der Revision ist bei einem abtrennbaren, tatsächlich und rechtlich selbstständigen Teil des Gesamtstreitstoffs zulässig, auf den der jeweilige Revisionskläger selbst seine Revision beschränken könnte (vgl zuletzt - zur Veröffentlichung in SozR 4-4200 § 20 Nr 17 vorgesehen, RdNr 11; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 28a, jeweils mwN). Der Senat ist an diese Entscheidung des LSG gebunden (§ 160 Abs 3 SGG).

13Nach § 164 Abs 2 Satz 3 SGG muss die Revisionsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben. Mit dieser Vorschrift soll zur Entlastung des Revisionsgerichts erreicht werden, dass der Revisionskläger die Erfolgsaussicht der Revision eingehend prüft und von aussichtslosen Revisionen rechtzeitig Abstand nimmt. Das setzt eine Auseinandersetzung mit den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach den Kriterien voraus, an denen sich auch die revisionsgerichtliche Überprüfung zu orientieren hat (vgl zuletzt Beschluss des Senats vom - B 2 U 32/11 R; sowie ; - Die Beiträge Beilage 2011, 254 jeweils mwN). Die Revisionsbegründung soll insbesondere sicherstellen, dass der Revisionsführer das angefochtene Urteil im Hinblick auf einen Erfolg des Rechtsmittels überprüft und hierzu die Rechtslage genau durchdacht hat ( - USK 2005-27).

14Der Revisionsführer darf sich nicht darauf beschränken, die angeblich verletzte Rechtsnorm zu benennen, auf ein ihm günstiges Urteil Bezug zu nehmen oder auf die Unvereinbarkeit der von der Vorinstanz vertretenen Rechtsauffassung mit der eigenen hinzuweisen. Erforderlich sind Rechtsausführungen, die aus seiner Sicht geeignet sind, zumindest einen der das angefochtene Urteil tragenden Gründe in Frage zu stellen (vgl BSG SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22 mwN). Notwendig ist also, dass der Revisionsführer die Gründe dafür darlegt, das LSG habe sein Urteil auf eine Verletzung von Bundesrecht (vgl § 162 SGG) gestützt.

15Diesen Anforderungen wird die vorliegende Revisionsbegründung vom nicht gerecht. Die Klägerin hat noch nicht einmal hinreichend konkret die angeblich verletzte Norm des Bundesrechts iS des § 162 SGG bezeichnet. Sie verweist insofern lediglich auf die vom SG auf Seite 9 dessen Urteils angegebenen Rechtsvorschriften, ohne diese im Einzelnen zu benennen. Dieser Verweis auf die vom SG geprüften Normen zeigt, dass sich die Klägerin mit dem hier angefochtenen Urteil des LSG gerade nicht inhaltlich auseinandergesetzt hat. Die Klägerin wiederholt mit ihrer Revisionsschrift vom lediglich weitgehend wörtlich ihren Berufungsschriftsatz vom , mit dem sie sich in der Berufungsinstanz gegen das Urteil des SG gewandt hatte. Dies zeigt, dass sie sich mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des LSG und den besonderen Voraussetzungen des Revisionsverfahrens in keiner Weise auseinandergesetzt hat (vgl hierzu auch aaO, RdNr 13), weshalb sie in ihrem die Berufungsschrift wiederholenden Schriftsatz vom dem BSG als Revisionsgericht auch Beweise anbietet. Soweit die Klägerin in der Begründung weiterhin auf Ausführungen aus dem Urteil des LSG (dort Seite 9) Bezug nimmt und zur Bedeutung der Einwilligung des Arbeitnehmers vorträgt, dass das LSG nicht ohne Beweiserhebung hätte feststellen dürfen, die Einwilligung des Arbeitnehmers sei unbeachtlich, setzt sie sich ebenfalls nicht hinreichend mit den Gründen des Urteils des LSG auseinander. Insbesondere fehlen Ausführungen zu der Norm des Bundesrechts - § 25 Abs 3 SGB X -, die das LSG angewandt hat und zur Frage, welche "berechtigten Interessen" iS dieser Norm einer Akteneinsicht entgegenstehen.

16Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a Abs 1 Satz 1, 183 SGG iVm § 154 Abs 2 VwGO.

17Der Streitwert war gemäß § 47 Abs 1 iVm § 52 Abs 2 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 5000 Euro festzusetzen, weil im Revisionsverfahren lediglich noch das Recht auf Akteneinsicht streitig war, für dessen Bezifferung es an Anhaltspunkten - anders als hinsichtlich des noch in den Instanzen geltend gemachten Beitragszuschlags - fehlt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:110413UB2U2111R0

Fundstelle(n):
JAAAE-37110