BVerwG Beschluss v. - 8 B 67.12

Instanzenzug:

Gründe

1Die Klägerin betrieb in der G. in W. eine Spielhalle, in der sie Sportwetten an einen privaten Wettanbieter mit Sitz in Malta vermittelte. Mit Ordnungsverfügung vom untersagte die Beklagte ihr die Sportwettenvermittlung in dieser Betriebsstätte und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung die Anwendung unmittelbaren Zwangs an. Zur Begründung verwies sie auf § 14 OBG NW i.V.m. § 284 Abs. 1 StGB und führte aus, weder die Klägerin noch der Wettanbieter verfügten über die Erlaubnis, öffentliche Glücksspiele zu veranstalten. Eine solche Erlaubnis könne wegen des staatlichen Sportwettenmonopols auch nicht erteilt werden. Der Widerspruch der Klägerin und ihr Gesuch um vorläufigen Rechtsschutz blieben erfolglos. Daraufhin stellte die Klägerin ihre Vermittlungstätigkeit im August 2006 ein. Ihre Anfechtungsklage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Während des Berufungsverfahrens hat die Klägerin am ihr Gewerbe rückwirkend zum abgemeldet und ihr Ladenlokal aufgegeben. Anschließend hat sie ihren Anfechtungsantrag auf ein Fortsetzungsfeststellungsbegehren umgestellt und mit Schriftsatz vom zunächst sinngemäß beantragt, die Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung in der Zeit vom bis zum festzustellen. Auf den Hinweis des Oberverwaltungsgerichts, die Erfolgsaussichten der Klage seien wegen des Inkrafttretens des Verbots einer Wettvermittlung in Spielhallen gemäß § 5 Abs. 3 AG GlüStV NW zum für den seither verstrichenen Zeitraum fraglich, hat die Klägerin ihren Fortsetzungsfeststellungsantrag mit Schriftsatz vom ausdrücklich auf den Zeitraum bis zum beschränkt. Mit Urteil vom hat das Oberverwaltungsgericht das verwaltungsgerichtliche Urteil geändert und die Rechtswidrigkeit der angegriffenen Ordnungsverfügung am sowie in der Zeit bis zum festgestellt, der Beklagten die gesamten Verfahrenskosten auferlegt und die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Die Revision hat es nicht zugelassen.

2Die dagegen erhobene Beschwerde der Beklagten hat Erfolg. Zwar ist der Beschwerdebegründung weder eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu entnehmen (1.), noch ist eine Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dargelegt (2.). Das angegriffene Urteil beruht jedoch auf sinngemäß gerügten Verfahrensmängeln gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, da es die Bindung an das Klagebegehren nach § 88 VwGO missachtet und dem Begründungserfordernis gemäß § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 138 Nr. 6 VwGO nicht gerecht wird (3.).

31. Die Grundsatzrüge formuliert keine bestimmte, höchstrichterlich noch ungeklärte und für die Revisionsentscheidung erhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts, der eine allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukäme (zu diesen Kriterien vgl. BVerwG 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Auf die von der Beklagten aufgeworfene Frage, inwieweit § 86 Abs. 3 VwGO das Gericht ermächtigt, seiner Entscheidung einen substanziell geänderten oder ergänzten Antrag zugrunde zu legen, käme es im angestrebten Revisionsverfahren nicht an. Das Oberverwaltungsgericht hat den zuletzt gestellten Antrag der Klägerin im Tatbestand seines Urteils zutreffend wiedergegeben. Es ist nur mit seiner Entscheidung darüber hinausgegangen (dazu sogleich unter 3.). Im Übrigen bedarf eine Rechtsfrage keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, wenn sie sich bereits anhand der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten lässt ( BVerwG 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 <270> = Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 228). Die zu § 86 Abs. 3 VwGO gestellte Frage ist schon nach dem Wortlaut der Vorschrift klar zu verneinen.

42. Eine Divergenz zum BVerwG 8 B 62.11 - (Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 = NVwZ 2012, 510) oder zum BVerwG 8 B 91.11 - ([...]) ist nicht prozessordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargelegt. Dazu hätte die Beschwerdebegründung einen inhaltlich bestimmten, das angegriffene Urteil tragenden abstrakten Rechtssatz benennen müssen, der einem ebensolchen, mindestens eine der zitierten Entscheidungen tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widerspricht (vgl. BVerwG 8 B 61.95 - Buchholz 310 § 133 <n.F.> VwGO Nr. 18). Das ist nicht geschehen. Die Beklagte beanstandet nur eine fehlerhafte Anwendung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im konkreten Fall.

53. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts beruht jedoch auf Verfahrensmängeln im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

6a) Zu Recht rügt die Beklagte sinngemäß einen Verstoß gegen die Bindung an das Klagebegehren gemäß § 88 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist das Gericht zwar nicht an die Antragsformulierung, aber an das Rechtsschutzbegehren des Klägers gebunden und darf nicht mehr und nichts Anderes als das Begehrte zusprechen. Insbesondere darf es sich nicht über eine bewusste Beschränkung des Klagebegehrens hinwegsetzen ( BVerwG 1 C 11.01 - BVerwGE 115, 267 <270> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 52 und vom - BVerwG 1 C 17.01 - BVerwGE 116, 326 <330> = Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 62). Da die Klägerin ihren Fortsetzungsfeststellungsantrag - wie bereits mit Schriftsatz vom in Aussicht gestellt - mit Schriftsatz vom ausdrücklich auf den Zeitraum bis zum beschränkt hatte, war die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ordnungsverfügung am folgenden Tag, dem , nicht mehr vom Klagebegehren umfasst und durfte nicht mehr zum Gegenstand der Entscheidung gemacht werden. Eine Auslegung des angegriffenen Urteils, nach der die Entscheidung diesen Tag nicht mehr erfasste, ist auch unter Berücksichtigung der Entscheidungsgründe nicht möglich. Dazu genügt nicht, dass das Berufungsgericht von einer Erledigung des Klagebegehrens am ausging. Zum einen war nach seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung nicht die Beschwer durch die Ordnungsverfügung, sondern nur die Erfolgsaussicht ihrer Anfechtung entfallen, und zwar bereits mit Auslaufen der alten Rechtslage zum Jahresende 2007. Zum anderen erlaubte ihre Dispositionsbefugnis der Klägerin eine Beschränkung ihres Fortsetzungsfeststellungsbegehrens in zeitlicher Hinsicht auch auf einen Zeitraum vor der - angeblichen - Erledigung.

7Das Berufungsurteil beruht auf dem Verstoß gegen § 88 VwGO auch insoweit, als es die in der Klagebeschränkung liegende Teilrücknahme oder Teilerledigungserklärung der Klägerin bezüglich des Zeitraums seit dem übersehen hat. Bei - sachgemäßer - Auslegung als Teilerledigungserklärung hätte es die vorsorgliche Zustimmung der Beklagten zu einer solchen Erklärung mit Schriftsatz vom (Bl. 258 GA) beachten und im Rahmen der Kostenentscheidung § 161 Abs. 2 VwGO anwenden müssen.

8b) Darüber hinaus liegt der von der Beklagten gerügte Verstoß gegen das Begründungserfordernis gemäß § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 138 Nr. 6 VwGO vor, soweit das angegriffene Urteil für seine Annahme, der Ermessensfehler der Untersagung im Zeitraum bis zum sei weder unbeachtlich noch geheilt, allein auf nicht näher bezeichnete Feststellungen eines unveröffentlichten und den Beteiligten nicht bekannten Urteils vom - 4 A 46/08 - verweist. Nach § 117 Abs. 2 Nr. 5, § 138 Nr. 6 VwGO müssen die Entscheidungsgründe die wesentlichen das Urteil tragenden Erwägungen nachvollziehbar darstellen und den Beteiligten erlauben, die Erfolgsaussichten eines Rechtsbehelfs einzuschätzen ( BVerwG 9 B 412.98 - Buchholz 310 § 138 Ziff. 6 VwGO Nr. 32 S. 6 f. m.w.N.). Die dafür maßgeblichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen müssen sich aus dem Urteil selbst ergeben. Die Einschätzung, ein Ermessensfehler sei weder unbeachtlich noch geheilt, stellt keine ausreichende Begründung dar. Sie gibt lediglich das Ergebnis einer rechtlichen Prüfung wieder, ohne erkennen zu lassen, welche sachlichen Erwägungen dieses Ergebnis tragen. Das Zitat einer unveröffentlichten, den Beteiligten nicht bekannten Entscheidung kann Sachausführungen zur Begründung nicht ersetzen. Es ermöglicht den Beteiligten nicht, einzuschätzen, ob die Annahme eines beachtlichen Ermessensfehlers mit Erfolg angegriffen werden kann.

9Das angegriffene Urteil beruht auf der Verletzung des Begründungserfordernisses, soweit es von der Rechtswidrigkeit der Untersagung bis zum ausgeht. Da der Feststellung der Rechtswidrigkeit für den der Verstoß gegen § 88 VwGO zugrunde liegt, ist die Entscheidung der Vorinstanz in der Hauptsache insgesamt verfahrensfehlerhaft, ohne dass es noch auf die Gehörsrüge der Beklagten ankäme.

104. Zur Beschleunigung des Verfahrens macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angegriffene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

11Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Fundstelle(n):
JAAAE-33734