Instanzenzug:
Gründe
1 I. Der Kläger ist Inhaber eines am angemeldeten und am eingetragenen deutschen Geschmacksmusters. Das Muster zeigt eine Grat- oder Firstrolle. Diese ist dazu bestimmt, in ein Dach eingebaut zu werden. Der Kläger ist ferner Inhaber von zwei deutschen Gebrauchsmustern. Die I. GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger ist, hatte der Beklagten mit Vertrag vom ausschließliche Vertriebsrechte an First und Gratrollen eingeräumt, die aufgrund dieser Schutzrechte hergestellt wurden. Die Beklagte hat diesen Vertrag zum gekündigt.
2 Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte bringe First und Gratrollen in Verkehr, die nicht von der I. GmbH, sondern von einem anderen Hersteller stammten. Er ist der Ansicht, die Beklagte verletze dadurch seine Schutzrechte. Er nimmt die Beklagte deshalb auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht in Anspruch.
3 Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers. Mit der Revision will er seine Klageanträge weiterverfolgen.
4 II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
5 1. Das Berufungsgericht hat Ansprüche aus Geschmacksmusterrecht verneint. Es hat angenommen, das Klagegeschmacksmuster sei nicht schutzfähig. Auf das Klagegeschmacksmuster sei die Regelung des § 4 GeschmMG anwendbar. Das dem Muster entsprechende Bauelement werde in ein Dach eingefügt. Die danach sichtbar bleibenden Merkmale des Bauelements seien nicht neu und hätten keine Eigenart. Ansprüche aus Gebrauchsmusterrecht seien gleichfalls unbegründet.
6 2. Die Beschwerde macht ohne Erfolg geltend, die Frage nach der Anwendbarkeit des § 4 GeschmMG auf vor dem angemeldete und eingetragene Geschmacksmuster habe Grundsatzbedeutung. Das trifft nicht zu. Vielmehr ergibt sich die Antwort auf diese Frage eindeutig aus Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der einschlägigen Vorschriften des Geschmacksmustergesetzes (§ 66 in der Fassung des Geschmacksmusterreformgesetzes vom und § 72 GeschmMG in der Fassung vom ).
7 a) Auf Geschmacksmuster, die vor dem angemeldet worden sind, finden nach § 72 Abs. 1 GeschmMG die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften weiterhin Anwendung. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass auf Geschmacksmuster, die wie das hier in Rede stehende nach dem angemeldet und eingetragen worden sind, grundsätzlich die Bestimmungen des geltenden Geschmacksmusterrechts anwendbar sind. Dies bedurfte keiner ausdrücklichen gesonderten Regelung, sondern versteht sich ohne einschränkende Bestimmungen von selbst (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Geschmacksmusterrechts, BT-Drucks. 15/1075, S. 63; vgl. auch , GRUR 2006, 143 Rn. 17 = WRP 2006, 117 Catwalk; Beschluss vom I ZR 97/09, GRUR 2011, 423).
8 Die Bestimmung des § 72 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG enthält eine wichtige Einschränkung des Grundsatzes der Rückwirkung des neuen Rechts auf Altmuster (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Geschmacksmusterrechts, BT-Drucks. 15/1075, S. 64). Danach finden auf Geschmacksmuster, die vor dem angemeldet oder eingetragen worden sind, weiterhin die für sie zu diesem Zeitpunkt geltenden Bestimmungen über die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit Anwendung (vgl. , GRUR 2008, 790 Rn. 16 und 26 = WRP 2008, 1234 Baugruppe). Daraus folgt wiederum im Umkehrschluss, dass auf Geschmacksmuster, die wie das hier in Rede stehende ab dem angemeldet und eingetragen worden sind, die Bestimmungen des geltenden Geschmacksmusterrechts über die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit anwendbar sind. Insoweit bleibt es demnach bei dem Grundsatz des § 72 Abs. 1 GeschmMG der Rückwirkung des neuen Rechts auf Altmuster.
9 Das hier in Rede stehende Geschmacksmuster ist am angemeldet und am eingetragen worden. Die Bestimmung des § 4 GeschmMG regelt die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit von Bauelementen komplexer Erzeugnisse. Es besteht danach kein Zweifel daran, dass die Bestimmung des § 4 GeschmMG auf das hier in Rede stehende, nach dem (und vor dem ) angemeldete und eingetragene Geschmacksmuster anwendbar ist.
10 b) Die Grundsatzbedeutung der Frage nach der Anwendbarkeit des § 4 GeschmMG auf vor dem angemeldete und eingetragene Geschmacksmuster ergibt sich entgegen der Ansicht der Beschwerde auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen.
11 Der am in Kraft getretenen Neuregelung des § 4 GeschmMG kommt allerdings Rückwirkung zu, soweit sie auf Geschmacksmuster anwendbar ist, die wie das hier in Rede stehende nach dem und vor dem angemeldet und eingetragen worden sind. Die grundsätzliche Rückwirkung des neuen Rechts auf Altmuster ist jedoch verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfGE 31, 275, 284; BVerfG GRUR 2010, 332 Rn. 69). Sie folgt aus den Vorgaben der Geschmacksmusterrichtlinie, die nach ihrem Art. 19 Abs. 1 bis zum umzusetzen war; auch Sinn und Zweck der Neugestaltung des Geschmacksmusterrechts im Allgemeinen und der Geschmacksmusterrichtlinie im Besonderen sprechen für eine grundsätzliche Anwendung des neuen Rechts auf bestehende Altmuster (vgl. Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Reform des Geschmacksmusterrechts, BT-Drucks. 15/1075, S. 63 f. unter Hinweis auf Art. 2 Abs. 1, 11 Abs. 8 und 12 Abs. 2 Geschmacksmusterrichtlinie).
12 Die Fortgeltung des alten Rechts für bestehende Geschmacksmuster ist allein in den Fällen angeordnet, in denen der Vertrauensschutz dies gebietet. Der Vertrauensschutz erfordert es nicht, auf nach dem angemeldete und eingetragene Geschmacksmuster weiterhin die nach altem Recht geltenden Bestimmungen über die Schutzfähigkeit anzuwenden. Da die Geschmacksmusterrichtlinie gemäß Art. 19 Abs. 1 bereits zum hätte umgesetzt werden müssen, war es abzusehen, dass sich die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit von Geschmacksmustern zu diesem Zeitpunkt ändern würden. Deshalb konnte sich, wie das Berufungsgericht mit Recht angenommen hat, kein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Regelungen über die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit bei dem Inhaber eines Geschmacksmusters bilden, das nach dem angemeldet worden ist. Die vom Gesetzgeber vorgesehene Anwendung des § 4 GeschmMG auf nach diesem Zeitpunkt (und vor dem ) angemeldete und eingetragene Geschmacksmuster begegnet danach keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist die Revision daher nicht zuzulassen.
13 c) Die Zulassung der Revision ist entgegen der Auffassung der Beschwerde auch nicht deshalb geboten, weil die Annahme des Berufungsgerichts, die Bestimmung des § 4 GeschmMG sei auf das Klagegeschmacksmuster anwendbar, mit der Entscheidung des Senats vom (GRUR 2011, 423) nicht vereinbar ist. Der Senat hat in diesem Beschluss im Blick auf ein vor dem eingetragenes Geschmacksmuster angenommen, dass hinsichtlich der Schutzvoraussetzungen gemäß § 72 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG das Geschmacksmustergesetz alter Fassung und nicht § 4 GeschmMG in der Fassung des Geschmacksmusterreformgesetzes anwendbar ist. Der vorliegende Streitfall betrifft dagegen ein Geschmacksmuster, das nach dem angemeldet und eingetragen worden ist. Eine Aussage zur Beurteilung solcher Geschmacksmuster ist der Entscheidung des Senats vom nicht zu entnehmen, so dass das Berufungsgericht insoweit auch nicht von dieser Entscheidung abweichen konnte.
14 Der Senat hat in dem Beschluss vom (GRUR 2011, 423) weiter ausgeführt, eine ausdehnende Anwendung des § 4 GeschmMG auf ein vor dem eingetragenes Geschmacksmuster wäre mit dem Grundsatz des Vertrauensschutzes, dem § 72 Abs. 2 Satz 1 GeschmMG diene, nicht vereinbar. Die Entscheidung des Berufungsgerichts steht auch zu dieser Erwägung nicht in Widerspruch. Für ab dem angemeldete und eingetragene Geschmacksmuster konnte sich bei deren Inhabern im Hinblick auf die in der Geschmacksmusterrichtlinie vorgesehene Umsetzungsfrist kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage bilden.
15 2. Entgegen der Auffassung der Beschwerde erfordert auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, das Klagegeschmacksmuster erfülle nicht die Schutzvoraussetzungen nach § 2 Abs. 1 und § 4 GeschmMG, nicht die Zulassung der Revision.
16 a) Die Bestimmung des § 4 GeschmMG lautet: Ein Muster, das bei einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart, wenn das Bauelement, das in ein komplexes Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt und diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen. § 4 GeschmMG setzt Art. 3 Abs. 3 der Geschmacksmusterrichtlinie um.
17 b) Das Berufungsgericht ist zutreffend und von der Beschwerde unbeanstandet davon ausgegangen, das Klagemuster zeige eine Grat oder Firstrolle, die dazu bestimmt sei, in ein Dach eingebaut zu werden. Es handelt sich demnach um ein Muster, das im Sinne des § 4 GeschmMG bei einem Erzeugnis benutzt wird, das in ein anderes Erzeugnis eingefügt wird.
18 c) Das Berufungsgericht hat weiter zu Recht angenommen, bei einem Dach also dem Erzeugnis, in das die Grat oder Firstrolle eingefügt wird handele es sich um ein komplexes Erzeugnis.
19 aa) Nach der Legaldefinition des § 1 Nr. 3 GeschmMG, die Art. 1 Buchst. c der Geschmacksmusterrichtlinie umsetzt, ist ein komplexes Erzeugnis ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so dass das Erzeugnis auseinander und wieder zusammengebaut werden kann.
20 bb) Die Beschwerde rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe das Vorbringen des Klägers nicht berücksichtigt, wonach sich ein Dach nach der Demontage nicht unter Verwendung der alten Teile wieder zusammensetzen lasse und sich insbesondere die hier in Rede stehende First und Gratrolle nicht zerstörungsfrei auseinandernehmen und wieder auflegen lasse.
21 Das Vorbringen des Klägers ist nicht entscheidungserheblich. Die Legaldefinition des § 1 Nr. 3 GeschmMG verlangt lediglich, dass das aus mehreren Bauelementen bestehende Erzeugnis auseinander und wieder zusammengebaut werden kann (was bei einem Dach wenn auch mit einem gewissen Aufwand und Eingriff in die Substanz durchaus möglich ist) und dass sich die verschiedenen Bauelemente ersetzen lassen. Davon, dass die ursprünglichen Bauelemente beim Zusammenbau wiederverwendet werden können, ist in § 1 Nr. 3 GeschmMG keine Rede. Vielmehr sieht die Legaldefinition vor, dass sich die ursprünglichen Bauelemente ersetzen lassen, also nicht sämtliche Bauteile wiederverwendet werden müssen. Das steht auch mit Sinn und Zweck des § 4 GeschmMG in Einklang, der die Schutzfähigkeit der Bauelemente komplexer Erzeugnisse begrenzt.
22 cc) Die Beschwerde macht vergeblich geltend, die Sache habe Grundsatzbedeutung, weil sie Gelegenheit zur Klärung der Frage gebe, ob unter einem komplexen Erzeugnis allein "vertretbare Erzeugnisse" zu verstehen sind, die unter Verwendung "vertretbarer Bauelemente" hergestellt werden oder ob darunter auch individuell angefertigte Erzeugnisse zu verstehen sind, die (so nimmt die Beschwerde für ein Dach an) häufig unter Verwendung individuell angefertigter Erzeugnisse hergestellt werden.
23 Auch diese Frage ist nicht klärungsbedürftig, sondern eindeutig zu beantworten. Jedenfalls Erzeugnisse, die (wie ein Dach) zumindest auch aus nicht individuell angefertigten Bauelementen hergestellt sind, die (wie die hier in Rede stehende Grat oder Firstrolle) ersetzt werden können, sind komplexe Erzeugnisse im Sinne von § 1 Nr. 3, § 4 GeschmMG.
24 3. Hinsichtlich der Auslegung des sekundären Unionsrechts bestehen im Streitfall keine vernünftigen Zweifel, so dass eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht erforderlich ist (st. Rspr.: vgl. 283/81, Slg. 1982, 3415 Rn. 16 C.I.L.F.I.T.; Urteil vom C 495/03, Slg. 2005, I 8151 Rn. 33 Intermodal Transport).
25 4. Von einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 544 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 ZPO abgesehen.
26 III. Danach ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil auf Kosten des Klägers zurückzuweisen (§ 97 Abs. 1 ZPO).
Fundstelle(n):
UAAAE-31568