BFH Urteil v. - VI R 65/11

Voraussetzung für das Vorliegen einer regelmäßigen Arbeitsstätte

Leitsatz

1. Eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG kann nur eine dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb.
2. Ein Berufsfortbildungswerk erfüllt nicht die Voraussetzungen für das Vorliegen einer regelmäßigen Arbeitsstätte, wenn es sich nicht um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt. Unerheblich ist, ob ein Auszubildender dort berufspraktische oder theoretische Teile seiner Ausbildung absolviert.

Gesetze: EStG § 62 Abs. 1, EStG § 63 Abs. 1, EStG § 32 Abs. 4 Satz 2, EStG § 2 Abs. 2, EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Der am geborene Sohn der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) C schloss am mit der S-GmbH in . einen Berufsausbildungsvertrag ab. Die Ausbildung sollte am beginnen und 42 Monate dauern. Ausbildungsmaßnahmen außerhalb der Ausbildungsstätte sollten im Berufsfortbildungswerk (Bfw) X stattfinden. Im Jahr 2009 befand sich C an 42 Tagen im Ausbildungsbetrieb, an 120 Tagen im Bfw, an 60 Tagen in der Berufsschule und an einem Tag in der IHK.

2 Mit Bescheid vom hob die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) die Kindergeldfestsetzung für den Zeitraum Januar bis Dezember 2009 auf, weil der Jahresgrenzbetrag (§ 32 Abs. 4 Satz 2 des EinkommensteuergesetzesEStG—) überschritten sei. Im Rahmen der Berechnung der Werbungskosten setzte die Familienkasse die Fahrtkosten für Fahrten zum Bfw mit der einfachen Entfernung von 14 km x 0,30 € an.

3 Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage, die das Finanzgericht (FG) mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1635 veröffentlichten Gründen als unbegründet abwies. Zur Begründung führte es u.a. aus, die Fahrten zum überbetrieblichen Bfw stellten Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte dar und könnten daher nur mit 120 x 14 km x 0,30 € = 504 € berücksichtigt werden. Ebenso wie der Betrieb des Arbeitgebers stelle das Bfw eine Ausbildungsstätte dar, auf deren regelmäßigen Besuch sich C habe einrichten können und die er fortdauernd aufgesucht habe.

4 Die Klägerin beantragt,

das Urteil des , den Aufhebungsbescheid vom und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben.

5 Die Familienkasse beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

6 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat das Bfw zu Unrecht als regelmäßige Arbeitsstätte des C angesehen.

7 1. Für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 25. Lebensjahr vollendet hat und sich in Ausbildung befindet, besteht nach § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld nur, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 7.680 € im Kalenderjahr hat. Der Begriff der Einkünfte entspricht dem in § 2 Abs. 2 EStG gesetzlich definierten Begriff und ist je nach Einkunftsart als Gewinn oder als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu verstehen. Erzielt das Kind Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, sind daher von den Bruttoeinnahmen die Werbungskosten abzuziehen (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2010, 200).

8 a) Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG sind Aufwendungen, die objektiv durch die berufliche Tätigkeit veranlasst sind und die subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden. Hierzu können auch Fahrtkosten gehören. Sie sind grundsätzlich in tatsächlicher Höhe zu berücksichtigen. Fahrtkosten sind jedoch nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG nur nach den Regeln über die Entfernungspauschale zu berücksichtigen, soweit es sich um Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte handelt. In diesem Fall sind pro Entfernungskilometer zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte grundsätzlich 0,30 € anzusetzen (z.B. , BFHE 236, 431).

9 Eine regelmäßige Arbeitsstätte kann nur eine dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers sein, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht. Regelmäßig handelt es sich dabei um den Betrieb des Arbeitgebers oder einen Zweigbetrieb (z.B. , BFHE 222, 391, BStBl II 2009, 818; vom VI R 21/08, BFHE 225, 449, BStBl II 2009, 822; VI R 42/08, BFH/NV 2009, 1806; vom VI R 35/08, BFHE 230, 147, BStBl II 2010, 852; vom VI R 23/11, BFHE 236, 351, BStBl II 2012, 472, und in BFHE 236, 431).

10 b) Das Bfw erfüllt nach den angeführten Rechtsgrundsätzen schon deshalb nicht die Voraussetzungen für das Vorliegen einer regelmäßigen Arbeitsstätte, weil es sich nicht um eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers handelt. Unerheblich ist aus diesem Grund u.a., ob C im Bfw berufspraktische oder theoretische Teile seiner Ausbildung absolvierte.

11 2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Die Vorentscheidung war deshalb aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine Feststellungen zur Höhe der tatsächlichen Aufwendungen für die Fahrten des C zum Bfw getroffen. Die diesbezüglichen Feststellungen wird es im zweiten Rechtsgang ebenso nachzuholen haben wie Feststellungen zur Höhe der übrigen geltend gemachten Werbungskosten einschließlich ggf. angefallener Verpflegungsmehraufwendungen, soweit die gesetzlichen Voraussetzungen insoweit vorliegen (§ 9 Abs. 5 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 517 Nr. 4
DStZ 2013 S. 255 Nr. 8
CAAAE-30631