Entscheidungsnützlichkeit der Rechnungslegung
Die Qualität der beiden Rechnungslegungssysteme – IFRS einerseits, HGB andererseits – gleicht im Urteil sich dazu kompetent fühlender Kreise einer Berg- und Talfahrt. Einmal sitzt das eine System auf der Spitze des Wagenrads nach dem Bild des Eingangsakts in Orffs Carmina Burana, mal ganz unten auf der Sohle. Leider wird im öffentlichen Diskurs hierzu viel zu sehr Schwarz-Weiß aufgetragen, differenzierende Grautöne erscheinen eher im Hintergrund. Man feuert großkalibrig mit dem Vor- und Nachteil der fair value-Ideologie.
Von dieser grobmaschigen Beurteilung des IFRS-Systems löst sich der Fokus-Beitrag von Georg Anders. Hier werden einprägsam bedeutsame Schwächen der IFRS-Rechnungslegung aufgelistet, u. a.
Angesichts der Buchwert-Marktwertlücke werden die phänomenal hohen goodwills in den Bilanzen der DAX-Unternehmen aufgelistet. Bei zehn Konzernen übersteigt der Bilanzwert das Eigenkapital. Außerplanmäßige Abschreibungen erfolgen selten, meist wenn ein neuer Vorstandsvorsitzender in der Bilanz aufräumt.
Der Werthaltigkeitstest nach IAS 36 wimmelt von Schätzungen und Ermessensspielräumen, die „standardgerecht” das Erfordernis einer Abschreibung oder das Gegenteil belegen und plausibel erscheinen lassen.
Wertminderungsabschreibungen auf Finanzinstrumente unterliegen ebenfalls in weiten Bereichen des Schätzungsermessens der Konzern-Verwaltung.
Die Konzernrechnungslegung ist durch viele nicht geregelte Bereiche gekennzeichnet. Diese Lücken laden zu vielfältigen Bilanzgestaltungen ein. Besonders „gestaltungsträchtig” stellt sich dabei die Umstrukturierung innerhalb eines Konzerns (under common control) dar.
Das neue control-Konzept des IFRS 10 ist durch Komplexität und Auslegungsbedürftigkeit gekennzeichnet. Die Kreativität der Bilanzgestalter wird das Ziel der Eindämmung des off-balance-Fiebers mit einiger Erfolgsaussicht unterlaufen können. Lesen Sie dazu den Fokus-Beitrag von Stephan Martens, Christoph Oldewurtel und Katharina Kümpel. Ist die Prinzipienorientierung der quantitativen Regelung („bright lines”) überlegen?
Im weiteren Fokus-Beitrag von Carsten Schmidt wird eine grundlegende Schwäche im Entwurf des IASB zur Änderung bei der equity-Bilanzierungsmethode aufgespießt. Das IASB kann sich offenbar nicht zu einer konsequenten Konzeption durchringen.
All diese Hinweise in unseren Fokus-Beiträgen mögen zutreffend sein. Zu beachten sind dabei aber auch die nicht neuen, aber oft unbeachteten Erkenntnisse über den (möglichen) Inhalt der externen Rechnungslegung überhaupt. Ob man nun zeitgemäß den Chairman des IASB zitiert („far from exact science”) oder einen Altmeister der deutschen Rechnungslegungsphilosophie in Person des Wilhelm Rieger („Mischung aus Dichtung und Wahrheit”) – es sollte ein Faktum immer wieder in Erinnerung gerufen werden: Im Kleinen wie im Großen stellt der Abschluss (die Bilanz) das Ergebnis von Schätzungsprozessen dar. Schätzungen sind nie „richtig” und werden selbstverständlich nach der Interessenlage der zur Schätzung verpflichteten Personen ausgeübt. Diesen wiederum steht eine mächtige Lobby im Rahmen des Gesetzgebungs- und Standardisierungsprozesses zur Seite. Nur in diesem Rahmen kann von Entscheidungsnützlichkeit gesprochen werden.
Beste Grüße
Wolf-Dieter Hoffmann
Fundstelle(n):
PiR 2/2013 Seite 1
NWB SAAAE-28758