Umwandlung einer kapitalbildenden Lebensversicherung in eine beitragsfreie Versicherung: Vereinbarung eines Stornoabzugs
Gesetze: § 174 Abs 4 VVG vom , § 176 Abs 4 VVG vom
Instanzenzug: LG München I Az: 30 S 9151/10vorgehend Az: 274 C 19736/09nachgehend Az: IV ZR 64/11 Beschluss
Gründe
1I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten aus abgetretenem Recht nach der Kündigung eines Lebensversicherungsvertrages die Erstattung von Stornoabzügen. Dem ursprünglich mit Beginn zum und vorgesehenem Ablauf zum durch den Versicherungsnehmer Uwe L. bei der Beklagten geschlossenen Lebensversicherungsvertrag lagen deren "Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung" (AVB) zugrunde. In § 6 ist unter der Überschrift "Wann können Sie Ihre Versicherung kündigen oder beitragsfrei stellen?" u.a. bestimmt:
"Kündigung und Auszahlung des Rückkaufswerts
(3) Nach Kündigung erhalten Sie den Rückkaufswert (§ 176 Abs. 3 VVG). Er entspricht nicht der Summe der gezahlten Beiträge, sondern dem nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode berechneten Zeitwert, vermindert um einen als angemessen angesehenen Abzug in Höhe von 1 Prozent der Differenz zwischen der Versicherungssumme und dem Deckungskapital zum Zeitpunkt der Kündigung.
Der Rückkaufswert erreicht mindestens den vereinbarten Garantiebetrag, dessen Höhe vom Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages abhängt. (Vgl. die dem Versicherungsschein beigefügte Übersicht der garantierten Rückkaufswerte).
Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung
(4) Anstelle einer Kündigung nach Abs. 1 können Sie unter Beachtung der dort genannten Termine und Fristen schriftlich verlangen, ganz oder teilweise von der Beitragszahlung befreit zu werden. In diesem Fall setzen wir die Versicherungssumme ganz oder teilweise auf eine garantierte beitragsfreie Summe herab, die nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik für den Schluss der laufenden Versicherungsperiode errechnet wird (§ 174 Abs. 2 VVG).
Der aus Ihrer Versicherung für die Bildung der beitragsfreien Summe zur Verfügung stehende Betrag ist der Rückkaufswert vermindert um ausstehende Forderungen (z.B. rückständige Beiträge).
Die beitragsfreie Versicherungssumme erreicht jedoch mindestens den vereinbarten Garantiebetrag, dessen Höhe vom Zeitpunkt der Beitragsfreistellung abhängt (vgl. die dem Beiblatt beigefügte Übersicht der beitragsfreien Versicherungssummen)."
2Teil des Versicherungsscheins ist eine für den Zeitraum von 1997 bis 2018 gestaffelte Tabelle für die Rückkaufswerte und beitragsfreien Versicherungssummen. Zum erfolgte zunächst eine Beitragsfreistellung bis zum . Die Beklagte nahm von dem gezillmerten Deckungskapital einen Stornoabzug in Höhe von 736,58 € vor. Nach Einsetzen der Beitragszahlungen zum erfolgte eine erneute Beitragsfreistellung mit Wirkung zum . Die Beklagte nahm auf Basis des zu diesem Zeitpunkt vorhandenen gezillmerten Deckungskapitals einen weiteren Stornoabzug von 566,19 € vor und stellte einen Nachtrag zum Versicherungsschein aus, der in einer Tabelle die maßgeblichen Beträge für den Rückkaufswert sowie die beitragsfreie Versicherungssumme beinhaltet. Nach mehrfacher Abtretung der Lebensversicherung und mit Wirkung zum erklärter Kündigung rechnete die Beklagte mit Schreiben vom ab und zahlte einen Betrag in Höhe von 28.020,02 € aus. Im Rahmen der Kündigung wurde kein weiterer Stornoabzug vorgenommen.
3Das Amtsgericht hat der zuletzt auf Auszahlung des einbehaltenen Stornoabzugs in Höhe von 1.346,18 € nebst Zinsen sowie Erstattung vorgerichtlicher Kosten gerichteten Klage im Wesentlichen stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich ihre vom Berufungsgericht zugelassene Revision.
4II. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor; diese hat auch keine Aussicht auf Erfolg (§ 552a Satz 1 ZPO).
51. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO zu.
6a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (, BGHZ 154, 288, 291). Dafür genügt es nicht, dass eine Entscheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versicherungsbedingungen abhängt. Erforderlich ist vielmehr, dass deren Auslegung über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und Rechtslehre oder den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (Senatsbeschluss vom IV ZR 249/08, juris unter II 1).
7b) Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Soweit das Berufungsgericht ausführt, die Revision sei zuzulassen, da es sich bei der Wirksamkeit der Allgemeine Bedingungen für die kapitalbildende Lebensversicherung der Beklagten um eine Rechtsfrage handele, die über den Einzelfall hinaus Bedeutung habe, legt das Berufungsgericht nicht näher dar, um welche der Bedingungen es sich im Einzelnen handelt. Erst aus dem Verweis des Berufungsgerichts auf die Entscheidungsgründe des Amtsgerichts ergibt sich, dass es um die Frage geht, inwieweit ein Anspruch auf Rückerstattung vorgenommener Stornoabzüge aufgrund unwirksamer Klauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen auch dann besteht, wenn der Versicherungsnehmer den vom Bundesgerichtshof festgesetzten Mindestbetrag bei Rückkauf bzw. Beitragsfreistellung erhalten hat. Dies rechtfertigt eine Zulassung der Revision nicht. Die sich insoweit stellenden Rechtsfragen sind geklärt.
8Der Senat hat in seinen Urteilen vom Versicherungsbedingungen in kapitalbildenden Lebensversicherungen, die den von der Beklagten verwendeten Bedingungen ähnlich sind, für die Beitragsfreistellung, die Kündigung des Vertragsverhältnisses, den Rückkaufswert einschließlich Stornoabzug sowie die Abschlusskosten wegen Intransparenz für unwirksam erachtet (IV ZR 121/00, BGHZ 147, 354, 361 ff.; IV ZR 138/99, BGHZ 147, 373, 377 ff.). In seinem weiteren Urteil vom hat sich der Senat mit der Folge der Unwirksamkeit derartiger Bedingungen befasst (IV ZR 162/03, BGHZ 164, 297, 312 ff.). Für den Fall einer unwirksamen Vereinbarung von Abzügen bei der Beitragsfreistellung und der Kündigung, dem sogenannten Stornoabzug, hat er darauf verwiesen, dass hierfür eine Regelung im Gesetz besteht. Nach § 174 Abs. 4, § 176 Abs. 4 VVG a.F. ist der Versicherer zu einem Abzug nur berechtigt, wenn er vereinbart ist. Ist die Vereinbarung unwirksam, besteht kein Anspruch auf einen Abzug (aaO 313). Entsprechend heißt es bereits im Leitsatz der Entscheidung zu c):
9"...Nach den Maßstäben des § 306 Abs. 2 BGB ergibt sich: Der Stornoabzug entfällt ..."
10Bezüglich der unwirksamen Bestimmung zur Abschlusskostenverrechnung hat der Senat demgegenüber darauf abgestellt, dass hierfür keine gesetzliche Regelung besteht, die die entstandene Lücke sachgerecht schließen könne (aaO 313 - 316). Es sei daher im Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung zu entscheiden, ob und auf welche Art die einmaligen Abschlusskosten mit den Beiträgen zu verrechnen seien (aaO 317). Für den Fall der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung bleibe jedenfalls die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte Betrag der beitragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts dürfe aber einen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser werde bestimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals (aaO 318).
11Hieraus folgt, dass der Abzug einer in unwirksamen Bedingungen vereinbarten Stornogebühr bei Beitragsfreistellung oder Kündigung in jedem Fall unzulässig ist, unabhängig davon, ob der Rückkaufswert den Mindestbetrag erreicht. Im Falle einer zusätzlichen Unwirksamkeit der Klausel über die Abschlusskostenverrechnung muss lediglich sichergestellt werden, dass der Versicherungsnehmer in jedem Fall bei vorzeitiger Beendigung der Beitragszahlung den dargestellten Mindestbetrag erhält. Liegt die vom Versicherer versprochene Leistung wie hier im Falle einer Spätstornierung über diesem Mindestbetrag, so bleibt sie in jedem Fall vom Versicherer geschuldet. An diesen Grundsätzen hat der Senat auch in späteren Entscheidungen festgehalten (, VersR 2010, 1067 Rn. 4; vom IV ZR 20/04, NJWRR 2008, 188 unter 1; vom IV ZR 254/03, NJWRR 2007, 1629 unter II 1). Eine ergänzende Vertragsauslegung kommt bei unwirksamen Klauseln über den Stornoabzug nicht in Betracht (Reiff in Prölss/Martin, VVG 28. Aufl. § 169 Rn. 57). Durch die Rechtsprechung des Senats ist damit bereits geklärt, dass ein Stornoabzug aufgrund einer unwirksamen Bestimmung in den Allgemeiner Versicherungsbedingungen nicht erhoben werden darf. Für eine Berechtigung des Versicherers, einen Stornoabzug trotz unwirksamer Regelung in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen nur deshalb vornehmen zu können, weil die vertraglich geschuldete Leistung über dem geschuldeten Mindestbetrag liegt, gibt es keine Rechtsgrundlag.
12c) Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte in ihren Versicherungsscheinen Garantiewerttabellen verwendet, die die Rückkaufswerte und beitragsfreien Versicherungssummen ausweisen. Die Beklagte hat selbst in dem Versicherungsschein vom für die Berechnung der Rückkaufswerte und beitragsfreien Summen auf § 6 AVB verwiesen (S. 5 des Versicherungsscheins). Wenn kein Stornoabzug vereinbart ist (unter 2.), erstreckt sich dies entsprechend auf die in der Tabelle angegebenen Werte für den Rückkauf sowie die beitragsfreie Versicherungssumme. Die Beklagte hat in diese Garantiewerte bereits Stornoabzüge eingerechnet. Sie räumt selbst ein, dass sich ohne den zweifach bei der Beitragsfreistellung erfolgten Stornoabzug ein um 1.346,18 € höherer Auszahlungsbetrag ergeben hätte.
132. Die Revision hat auch in der Sache keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis richtig entschieden.
14Die Beklagte war bereits deshalb nicht zu einem Stornoabzug befugt, weil sich eine derartige Berechtigung aus § 6 Abs. 3 i.V.m. Abs. 4 AVB nicht ergibt. Nach § 174 Abs. 4 VVG a.F. ist der Versicherer zu einem Abzug nur berechtigt, wenn dieser vereinbart und angemessen ist. An einer derartigen Vereinbarung fehlt es aber für die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung. Unstreitig hat die Beklagte den Stornoabzug nicht im Zusammenhang mit der Kündigung des Vertrages, sondern bereits anlässlich der beiden vorangegangenen Beitragsfreistellungen zum sowie zum durchgeführt und Abzüge in Höhe von 736,58 € und 566,19 € vorgenommen.
15§ 6 Abs. 3 der AVB regelt die Ermittlung des Rückkaufswerts nach Kündigung des Vertrages, § 6 Abs. 4 die beitragsfreie Versicherungssumme bei Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (Senatsurteil vom IV ZR 135/92, BGHZ 123, 83, 85). Der um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer entnimmt zunächst § 6 Abs. 3 der AVB, dass er nach Kündigung den Rückkaufswert gemäß § 176 Abs. 3 VVG erhält. Dieser wird nach den anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik errechnet und vermindert sich um einen als angemessen angesehenen Abzug in Höhe von 1% der Differenz zwischen der Versicherungssumme und dem Deckungskapital zum Zeitpunkt der Kündigung. Sodann wird der Versicherungsnehmer darauf verwiesen, dass der Rückkaufswert mindestens den vereinbarten Garantiebetrag erreicht, dessen Höhe vom Zeitpunkt der Beendigung des Vertrages abhängt. Hierzu wird er auf die dem Versicherungsschein beigefügte Übersicht der garantierten Rückkaufswerte verwiesen. Der Versicherungsnehmer kann § 6 Abs. 3 AVB mithin entnehmen, dass im Falle einer Kündigung des Vertrages von dem Rückkaufswert noch ein Abzug vorgenommen wird.
16Eine derartige Regelung findet sich für die Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung in § 6 Abs. 4 AVB nicht. Dort wird dem Versicherungsnehmer zunächst erläutert, dass er anstelle einer Kündigung verlangen kann, ganz oder teilweise von der Beitragszahlung befreit zu werden. In diesem Fall setzt die Beklagte die Versicherungssumme ganz oder teilweise auf eine garantierte beitragsfreie Summe herab. Hierzu wird auf die anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik und § 174 Abs. 2 VVG verwiesen. Anschließend heißt es, dass der so ermittelte Rückkaufswert um ausstehende Forderungen, z.B. rückständige Beiträge, vermindert wird. Demgegenüber fehlt es an einer Regelung darüber, dass der Rückkaufswert wie bei der Kündigung noch um einen als angemessen angesehenen Abzug vermindert wird. Hieran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass § 6 Abs. 4 der AVB darauf verweist, die beitragsfreie Versicherungssumme erreiche mindestens den vereinbarten Garantiebetrag, dessen Höhe vom Zeitpunkt der Beitragsfreistellung abhänge. Die Beklagte verweist hierzu zwar erneut auf die Übersicht der beitragsfreien Versicherungssummen. Aus dieser dem Versicherungsschein beigefügten Tabelle kann der Versicherungsnehmer zwar die beitragsfreie Versicherungssumme für jedes einzelne Jahr des Vertragsablaufs ersehen, ihr aber nicht entnehmen, dass diese bereits um einen Stornoabzug vermindert wurde. Ein Stornoabzug bei der Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung kommt mangels Vereinbarung i.S. von § 174 Abs. 4 VVG a.F. deshalb nicht in Betracht. Schon deshalb kommt es auf den von der Revision geltend gemachten Gesichtspunkt der Solidargemeinschaft der Versicherten und der Berücksichtigung der Interessen der Versicherungsnehmer, die den Vertrag zu Ende führen, nicht an.
Mayen Wendt Felsch
Harsdorf-Gebhardt Dr. Karczewski
Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss erledigt worden.
Fundstelle(n):
OAAAE-25385