Verlust der Prozessfähigkeit nach Amtsniederlegung des GmbH-Geschäftsführers; Kostenentscheidung gegenüber einem Vertreter ohne Vertretungsmacht
Leitsatz
1. Legt der Geschäftsführer einer GmbH sein Amt nieder, verliert die GmbH ihre Prozessfähigkeit. Hieran ändert der seit dem geltende § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nichts.
2. § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG kann nicht analog auf die Aktivvertretung angewandt werden, denn es fehlt an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Sollen Rechte der Gesellschaft wahrgenommen werden, ist es den Gesellschaftern unbenommen, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen und dadurch die aktive Geschäfts- und Verfahrensfähigkeit der GmbH wieder herzustellen.
3. Der Geschäftsführer kann im Grundsatz jederzeit und fristlos seine Organstellung durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam beenden, ohne dass ein wichtiger Grund objektiv vorliegen oder er einen solchen in seiner Erklärung angeben müsste.
4. Die Amtsniederlegung ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn das Interesse des Rechtsverkehrs an der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft durch die Amtsniederlegung vollständig beseitigt wird, beispielsweise weil ein Alleingesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, sein Amt niederlegt und darauf verzichtet, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen.
Gesetze: FGO § 58 Abs. 2 Satz 1, GmbHG § 35 Abs. 1 Satz 2, BGB § 627, BGB § 671
Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt Urteil vom 3 K 83/10
Gründe
1 I. In der Sache ist zwischen den Beteiligten streitig, ob Bescheide, deren Inhaltsadressatin die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, ist, ihrem Gesellschafter mit Wirkung für die Klägerin wirksam bekannt gegeben werden konnten.
2 An der Klägerin waren in den Streitjahren 2005 und 2006 X zu 74 % und die Y-GmbH zu 26 % beteiligt. Einzelvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) befreiter Geschäftsführer der Y-GmbH war Z. Dieser war zunächst auch als Geschäftsführer der Klägerin im Handelsregister eingetragen.
3 Z legte sein Amt als Geschäftsführer mit Schreiben vom nieder und wurde am aus dem Handelsregister gelöscht. Bis heute ist kein neuer Geschäftsführer bestellt worden.
4 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) gab die angefochtenen Steuerbescheide, sämtlich vom , X als Gesellschafter der Klägerin bekannt.
5 Die hiergegen eingelegten Einsprüche blieben erfolglos. Das FA gab X auch die Einspruchsentscheidungen bekannt.
6 Mit Urteil vom (Aktenzeichen 3 K 83/10) wies das Finanzgericht (FG) des Landes Sachsen-Anhalt die daraufhin erhobene Klage ab und erlegte X, der die Klage für die Klägerin erhoben hatte, die Kosten des Verfahrens auf.
7 Die Klägerin beantragt mit ihrer Beschwerde, die Revision gegen das finanzgerichtliche Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
8 Das FA beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.
9 II. Die Beschwerde ist unzulässig und deshalb zu verwerfen. Der Klägerin fehlt es an der Prozessfähigkeit, die Zulässigkeitsvoraussetzung auch einer Nichtzulassungsbeschwerde ist (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 116 Rz 19; vgl. auch , BFH/NV 2008, 2043).
10 1. Für rechtsfähige und nichtrechtsfähige Personenvereinigungen, für Personen, die geschäftsunfähig oder in der Geschäftsfähigkeit beschränkt sind, für alle Fälle der Vermögensverwaltung und für andere einer juristischen Person ähnlichen Gebilde, die als solche der Besteuerung unterliegen, sowie bei Wegfall eines Steuerpflichtigen handeln die nach dem bürgerlichen Recht dazu befugten Personen (§ 58 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Juristische Personen des privaten Rechts werden durch ihre Organe vertreten, die wie die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen ihrerseits geschäftsfähig sein müssen, um prozessfähig zu sein (Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 58 FGO Rz 18). Ist die juristische Person eine GmbH, wird diese gerichtlich und außergerichtlich durch ihren Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung —GmbHG—).
11 Legt der Geschäftsführer sein Amt nieder, verliert die GmbH ihre Prozessfähigkeit. Hieran ändert der seit dem geltende § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nichts. Nach dieser Vorschrift wird die Gesellschaft bei einer Führungslosigkeit, also beim Fehlen eines Geschäftsführers, von ihren Gesellschaftern gesetzlich vertreten, wenn ihr gegenüber Willenserklärungen abzugeben oder Schriftstücke zuzustellen sind. Das betrifft etwa die Zustellung einer Klageschrift. Darin erschöpft sich die Prozessführung aber nicht. Einen Prozess kann die GmbH nur führen, wenn ihre Vertreter nicht nur zur Passivvertretung, sondern auch zur Aktivvertretung befugt sind, also auch Willenserklärungen mit Wirkung für die Gesellschaft abgeben können. Eine solche Rechtsmacht haben die Gesellschafter in den Fällen des § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG nicht (, Der Betrieb 2010, 2719; zustimmend Altmeppen in Roth/ Altmeppen, Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), 7. Aufl., § 35 Rz 28; K. Schmidt, GmbH-Rundschau —GmbHR— 2011, 113 ff.; MünchKommGmbH/Stephan/ Tieves, § 35 Rz 247).
12 § 35 Abs. 1 Satz 2 GmbHG kann auch nicht analog auf die Aktivvertretung angewandt werden, denn es fehlt an der Planwidrigkeit der Regelungslücke. Eine planwidrige Regelungslücke besteht nur, wo das Gesetz, gemessen an seinem eigenen Ziel und Zweck, unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und eine Ergänzung nicht einer dem Gesetz gewollten Beschränkung auf bestimmte Tatbestände widerspricht (, BFHE 184, 466, BStBl II 1998, 142; , BFHE 190, 390, BStBl II 2000, 288; vom I R 52/07, BFHE 220, 180, BStBl II 2008, 431; vom I R 76/08, BFHE 225, 566, BStBl II 2010, 1061). Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. § 35 Abs. 1 GmbHG ist gemessen an seinem Sinn und Zweck nicht ergänzungsbedürftig, weil —anders als in den Fällen der Passivvertretung— kein Bedürfnis für eine subsidiäre Selbstorganschaft besteht. Die Beschränkung des Gesetzes auf den Fall der Passivvertretung erklärt sich durch das gesetzgeberische Ziel, die Möglichkeit, durch eine Abberufung der Geschäftsführer Zustellungen und den Zugang von Erklärungen an die Gesellschaft zu vereiteln, zu unterbinden (BTDrucks 16/6140, S. 42); der Gesetzgeber wollte die Führungslosigkeit der GmbH nicht zur Gänze ausschließen (vgl. K. Schmidt, GmbHR 2008, 449, 451; ders. in Burghard/Hadding/Mülbert/Nietsch/ Welter [Hrsg.], Festschrift für Uwe H. Schneider, 2011, 1157, 1169). Diese begrenzte Zielsetzung erfordert eine Einbeziehung der Fälle der Aktivvertretung nicht; der Geschäftsverkehr muss insoweit nicht geschützt werden. Sollen Rechte der Gesellschaft wahrgenommen werden, ist es den Gesellschaftern unbenommen, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen und dadurch die aktive Geschäfts- und Verfahrensfähigkeit der GmbH wieder herzustellen (zutreffend , Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungsreport Zivilrecht 2009, 1342; Stephan/Tieves, a.a.O., § 35 Rz 246).
13 2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Klägerin nicht prozessfähig.
14 a) Z, der zunächst als Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen war, legte sein Amt durch Schreiben vom nieder. Bis heute ist kein neuer Geschäftsführer bestellt und in das Handelsregister eingetragen worden.
15 b) Die Amtsniederlegung des Z ist wirksam.
16 aa) Der Geschäftsführer kann im Grundsatz jederzeit und fristlos seine Organstellung durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung wirksam beenden, ohne dass ein wichtiger Grund objektiv vorliegen oder er einen solchen in seiner Erklärung angeben müsste (, BGHZ 121, 257; vom II ZR 109/94, GmbHR 1995, 653; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 17. Aufl., § 38 Rz 41, m.w.N.; Scholz/Schneider, GmbHG, 11. Aufl., § 38 Rz 87).
17 bb) Der Streitfall bietet keinen Anlass, zu der höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Frage Stellung zu nehmen, ob eine Amtsniederlegung ausnahmsweise unwirksam sein kann, weil sie rechtsmissbräuchlich bzw. zur Unzeit erfolgt ist (für die Möglichkeit einer Unwirksamkeit der Amtsniederlegung Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts —BayObLG— vom 3 Z BR 35/99, BayObLGZ 1999, 171; Beschlüsse des Oberlandesgerichts —OLG— Köln vom 2 Wx 3/08, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis —ZIP— 2008, 646, und des I-25 Wx 56/10, juris; Kleindiek, a.a.O., § 38 Rz 42 ff.; Paefgen in Ulmer, GmbHG, § 38 Rz 133; B. Schmidt in Ensthaler/ Füller/Schmidt, GmbHG, 2. Aufl., § 38 Rz 24; Scholz/Schneider, a.a.O., § 38 Rz 90; Wachter, GmbHR 2001, 1129, 1132 f.; a.A. Altmeppen in Roth/Altmeppen, a.a.O., § 38 Rz 79; Stephan/ Tieves, a.a.O., § 38 Rz 61; Rowedder/Schmidt-Leithoff/ Koppensteiner, GmbHG, 4. Aufl., § 38 Rz 35; Terlau in Michalski, GmbHG, 2. Aufl., § 38 Rz 84; Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, GmbHG, 19. Aufl., § 38 Rz 89). Es liegt jedenfalls kein solcher Ausnahmefall vor.
18 aaa) Die Amtsniederlegung ist nur dann rechtsmissbräuchlich, wenn das Interesse des Rechtsverkehrs an der Handlungsfähigkeit der Gesellschaft durch die Amtsniederlegung vollständig beseitigt wird, beispielsweise weil ein Alleingesellschafter, der zugleich Geschäftsführer ist, sein Amt niederlegt und darauf verzichtet, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen (Beschluss des BayObLG in BayObLGZ 1999, 171, m.w.N.; Beschlüsse des OLG Köln in ZIP 2008, 646, und des I-25 Wx 56/10, juris, m.w.N.). Zur Unzeit legt der Geschäftsführer sein Amt nach dem Rechtsgedanken der §§ 627 Abs. 2, 671 Abs. 2 BGB nieder, wenn die Gesellschaft hierdurch handlungsunfähig wird und sich in einer Krise befindet (Wachter, GmbHR 2001, 1129, 1132; ähnlich Kleindiek, a.a.O., § 38 Rz 44).
19 bbb) Hiervon ausgehend bestehen keine Gründe für die Annahme, die Amtsniederlegung könne rechtsmissbräuchlich oder zur Unzeit erfolgt sein. Die Amtsniederlegung ist schon deshalb nicht rechtsmissbräuchlich, weil Z sein Amt nicht niedergelegt haben kann, um die Handlungsfähigkeit der Klägerin vollständig zu beseitigen. X als Mehrheitsgesellschafter war jederzeit in der Lage, einen neuen Geschäftsführer zu bestellen. Aus dem gleichen Grund kann die Amtsniederlegung —unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Klägerin am — auch nicht zur Unzeit erfolgt sein.
20 3. Die Kosten des Verfahrens waren dem Gesellschafter X persönlich aufzuerlegen. Gemäß § 135 Abs. 2 FGO fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Hat ein Vertreter ohne Vertretungsmacht das Rechtsmittel eingelegt, ergeht zwar die Entscheidung gegenüber dem Verfahrensbeteiligten persönlich (BFH-Beschlüsse vom III R 124/74, BFHE 116, 110, BStBl II 1975, 714; vom VII B 28/98, BFH/NV 1999, 52); dem Vertreter ohne Vertretungsmacht sind jedoch die Kosten aufzuerlegen, weil er das erfolglose Verfahren veranlasst hat (BFH-Beschlüsse vom III R 123/68, BFHE 95, 430, BStBl II 1969, 438; in BFHE 116, 110, BStBl II 1975, 714; vom VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229; vom III R 35/00, BFH/NV 2001, 813). Übertragen auf den Streitfall führt dies zur Kostentragungspflicht des X, der als Gesellschafter der Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG eingelegt hat, ohne aber mit Vertretungsmacht für diese handeln zu können.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 50 Nr. 1
GmbH-StB 2013 S. 7 Nr. 1
GmbH-StB 2013 S. 99 Nr. 4
GmbHR 2013 S. 167 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 52/2012 S. 4204
XAAAE-23454