BGH Urteil v. - VI ZR 222/11

Instanzenzug:

Tatbestand

1Der Kläger verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen einer Kapitalanlage.

2Nach Eingang der Klage hat der Vorsitzende der mit der Sache befassten Zivilkammer des Landgerichts in Zusammenhang mit der Zustellung nach § 183 ZPO durch Verfügung vom angeordnet, dass der Beklagten im Hinblick auf das angeordnete schriftliche Vorverfahren eine Notfrist von vier Wochen zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft gesetzt werde und dass sie innerhalb von vier Wochen gemäß § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO einen im Inland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen habe. Auf die anderenfalls eintretenden rechtlichen Folgen der Zustellung von Schriftstücken durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Beklagten hat der Vorsitzende hingewiesen. Diese Verfügung und die Klageschrift sind der Beklagten am nach Maßgabe des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom (BGBl. 1977 II S. 1452, 1453; im Folgenden HZÜ) zugestellt worden. Nach dem Ablauf der Frist zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft hat das Landgericht die Sache auf die Einzelrichterin übertragen. Diese hat die Beklagte am durch Versäumnisurteil antragsgemäß verurteilt. Das Urteil ist am unter der Anschrift der Beklagten zur Post gegeben worden. Auf Antrag des Klägers ist das Versäumnisurteil am erneut im förmlichen Rechtshilfeweg zugestellt worden. Am hat die Beklagte Einspruch dagegen eingelegt. Mit Urteil vom hat das Landgericht den Einspruch als unzulässig verworfen. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte, das Berufungsurteil und das aufzuheben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückzuverweisen.

Entscheidungsgründe

I.

3Das Berufungsgericht hat ausgeführt, das Landgericht habe den Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Recht ohne Sachprüfung gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig verworfen, weil er nicht rechtzeitig eingelegt worden sei.

4Nach § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO gelte das Versäumnisurteil zwei Wochen nach der am erfolgten Aufgabe zur Post, mithin am , als zugestellt. Gemäß § 339 Abs. 1 ZPO gelte die Einspruchsfrist von zwei Wochen. Diese sei bei Einlegung des Einspruchs am verstrichen gewesen. Die Regelungen in § 184 ZPO seien weder verfassungswidrig noch verletzten sie das Recht der Beklagten auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) oder verstießen gegen das Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art. 14 EMRK). Die Anwendung der §§ 183, 184 ZPO verstoße auch nicht gegen die internationalen Zustellungsregelungen des Haager Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke (HZÜ). Sowohl die Klageschrift als auch die vom Vorsitzenden getroffene Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO seien ordnungsgemäß zugestellt worden. Die Beklagte habe danach mit Zustellungen durch Aufgabe zur Post im weiteren Verfahren rechnen müssen. Sie hätte eine rechtzeitige Kenntnisnahme von beschwerenden Entscheidungen und Rechtsbehelfsmöglichkeiten sicherstellen können.

5Die Anordnung nach § 184 ZPO erfordere nicht die Form eines Gerichtsbeschlusses. Es genüge die Anordnung durch den Vorsitzenden. Dafür spreche die Entstehungsgeschichte der Regelung in § 184 ZPO. Nach dem Wortlaut der vorhergehenden Vorschrift in § 174 Abs. 1 ZPO a.F. hätte zwar die Anordnung ebenfalls dem Gericht oblegen. Doch sei aufgrund der Zuständigkeitsübertragung in § 20 Nr. 7 RPflG a.F. der Rechtspfleger dafür zuständig gewesen. Ohne besondere Klarstellung, die fehle, könne danach nicht davon ausgegangen werden, dass die Anordnung nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch die Kammer in voller Besetzung erfolgen müsse.

6Der Vorsitzende habe sein Ermessen bei der Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Inland zu benennen, nicht fehlerhaft ausgeübt. Abgesehen davon, dass teilweise verlangt werde, der Einfachheit halber sei dieses Verfahren vorzuziehen und das zeitaufwändigere förmliche Zustellungsverfahren dürfe ohne Antrag gar nicht gewählt werden, zeige der tatsächliche Geschehensablauf, dass die Zustellung durch die Fiktion des § 184 Abs. 2 ZPO wesentlich beschleunigt werde. Weitere besondere Gründe im Einzelfall, um vereinfacht zuzustellen, seien nach dem Gesetzeswortlaut nicht erforderlich. Die Ausführung der Zustellung durch Aufgabe zur Post sei ordnungsgemäß in die Wege geleitet und aktenmäßig dokumentiert worden. Aus der Verfügung der Geschäftsstelle vom und dem Vermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle ergebe sich, dass das Versäumnisurteil zwecks Übersendung an die Beklagte am selben Tag zur Post gegeben worden sei. Die auf Antrag des Klägers erfolgte spätere förmliche Zustellung des Versäumnisurteils sei nicht missbräuchlich, auch wenn sie erfolgt sei, um die Vollstreckungsvoraussetzungen herbeizuschaffen, ohne dass der Beklagten die Möglichkeit gegeben werde, sich zu verteidigen. Weshalb eine zweite Einspruchsfrist aufgrund rechtsstaatlicher Grundsätze geboten sei, sei weder dargetan noch ersichtlich, wenn wie hier der tatsächliche Zugang des Urteils durch die Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht bestritten sei. Dass die Beklagte nicht rechtzeitig Einspruch eingelegt habe, beruhe nicht auf der Form der Zustellung des Versäumnisurteils, sondern auf ihrem eigenen Entschluss.

II.

7Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Überprüfung stand.

81.

Zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, dass das Versäumnisurteil gemäß § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO als am zugestellt gilt. Die Einspruchsfrist ist mithin am abgelaufen. Die für den Eintritt der Zustellungsfiktion erforderliche Aufgabe zur Post unter der Anschrift der Partei ist durch den Zustellungsvermerk der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom bewiesen. Der Zustellungsvermerk nach § 184 Abs. 2 Satz 4 ZPO, in dem die Zeit und die Anschrift, unter der das Schriftstück zur Post gegeben wurde, zu vermerken ist, ersetzt die Zustellungsurkunde gemäß § 182 ZPO (, VersR 2003, 345). Das Landgericht hatte auf den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil gemäß § 341 Abs. 1 Satz 1 ZPO zunächst nur zu prüfen, ob der Einspruch an sich statthaft und in der ordnungsgemäßen Form und Frist eingelegt worden ist. Da die Beklagte die Einspruchsfrist nicht gewahrt hat, musste der Einspruch gemäß § 341 Abs. 1 Satz 2 ZPO ohne Sachprüfung und ohne Rücksicht auf das ordnungsgemäße Zustandekommen des Versäumnisurteils verworfen werden (, NJW-RR 2007, 1363 Rn. 9 ff.; Saenger/Pukall, ZPO, 4. Aufl., § 341 Rn. 1).

92.

Zutreffend hat das Berufungsgericht die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden der zuständigen Zivilkammer des Landgerichts für wirksam erachtet.

10a)

Dass die Anordnung nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vom Vorsitzenden alleine und nicht vom entsprechenden Spruchkörper getroffen worden ist, berührt jedenfalls nicht deren Wirksamkeit.

11aa)

Die Frage der Kompetenz für die Anordnung ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten. Einigkeit besteht zunächst insoweit, dass in originären Einzelrichtersachen (§ 348 Abs. 1 Satz 1 ZPO) die Anordnung nach § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Einzelrichter trifft, der als Prozessgericht vollständig an die Stelle des Kollegiums tritt (vgl. , BeckRS 2011, 26882; , NJW-RR 2012, 62, 64). Ist für den Rechtsstreit ein Kollegialgericht zuständig, sieht eine Auffassung die Anordnung durch den für Verfahren und Entscheidung zuständigen Spruchkörper als Wirksamkeitsvoraussetzung an (vgl. OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom - 14 W 27/09, NJW-RR 2010, 285; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 184 Rn. 8; Saenger/Eichele, ZPO, 4. Aufl., § 184 Rn. 2; Zimmermann, ZPO, 9. Aufl., § 184 Rn. 1; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 184 Rn. 3). Die Gegenauffassung hält auch den Vorsitzenden für zuständig (Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl., § 184 Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Häublein, 3. Aufl., § 184 Rn. 7; Rohe in Wieczorek/Schütze, 3. Aufl., § 184 Rn. 43; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 184 Rn. 5; Kessen in Prütting/Gehrlein, ZPO, 3. Aufl., § 184 Rn. 2), zumindest sei die von ihm allein getroffene Anordnung wirksam (, MDR 2011, 1068, 1069). Die zuletzt genannte Auffassung trifft zu.

12(1)

Zwar erfolgt nach dem Wortlaut des § 183 Abs. 1 Satz 2 ZPO die Auslandszustellung auf Ersuchen des "Vorsitzenden des Prozessgerichts", wohingegen § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, dem "Gericht" überträgt. Hieraus folgt jedoch noch nicht zwingend, dass in letzterem Fall nur ein vom zuständigen Spruchkörper gefasster Beschluss die Zustellung wirksam anordnet. Beide Regelungen gehen auf Vorschriften zurück, die früher nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang standen. So geht die Formulierung des geltenden § 183 Abs. 1 Satz 2 ZPO, wonach der "Vorsitzende des Prozessgerichts" handelt, auf § 183 Abs. 1 Nr. 2 ZPO in der Fassung des Zustellungsreformgesetzes vom zurück. Die dortige Formulierung entspricht inhaltlich § 199 ZPO in seiner bis zum Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes geltenden Fassung (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 23). Nach dieser Vorschrift erfolgte eine im Ausland zu bewirkende Zustellung mittels Ersuchens der zuständigen Behörde des fremden Staates oder des in diesem Staat residierenden Konsuls oder Gesandten des Bundes; dass der "Vorsitzende des Prozessgerichts" das Ersuchen verfasst, war damals also noch nicht ausdrücklich geregelt.

13Was die Zuständigkeit des "Gerichts" in § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO für die Anordnung der Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten betrifft, orientierte sich der Gesetzgeber an § 174 ZPO in der bis zum Inkrafttreten des Zustellungsreformgesetzes geltenden Fassung. In dieser Vorschrift, die weitgehend auf der Regelung des § 160 ZPO in der Fassung vom 30. Januar 1877 (RGBl. 1877, S. 83) beruhte, war von einer Zuständigkeit des "Gerichts" die Rede. Allein der Wortlaut des § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO, wonach das "Gericht" anordnen kann, dass die im Ausland ansässige Partei einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen hat, steht noch nicht der Wirksamkeit der Anordnung des Vorsitzenden entgegen.

14(2)

Dass unter dem vom Gesetzeswortlaut vorgegebenen Begriff "Gericht" nicht immer alle Mitglieder eines Spruchkörpers zu verstehen sind, sondern auch eine Wahrnehmung der Aufgabe durch den Vorsitzenden gemeint sein kann, ergibt sich aus den Regelungen zur Zuständigkeit der für die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung zu treffenden Maßnahmen nach § 273 ZPO. Nach § 273 Abs. 1 ZPO veranlasst diese das "Gericht". Aus § 273 Abs. 2 ZPO folgt aber, dass der "Vorsitzende oder ein von ihm bestimmtes Mitglied des Prozessgerichts" die Maßnahmen ergreift. Typischerweise ist der Vorsitzende für die die mündliche Verhandlung vorbereitenden Maßnahmen zuständig. Dazu passt nicht, dass die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, die häufig in die vorbereitende Phase des Prozesses fallen wird, ausschließlich in die funktionelle Zuständigkeit des Spruchkörpers fallen soll. Für eine ausschließliche Zuständigkeit des Kollegialgerichts spricht auch nicht entscheidend, dass das Zustellungsrecht für bestimmte Aufgaben die Zuständigkeitsverteilung zwischen Vorsitzendem und Spruchkörper ausdrücklich regelt. So weist § 168 Abs. 2 ZPO die Befugnis, einen Gerichtsvollzieher oder eine andere Behörde mit einer Zustellung zu beauftragen, ausdrücklich dem "Vorsitzenden des Prozessgerichts oder einem von ihm bestimmten Mitglied" zu. Andere Normen regeln die funktionelle Zuständigkeit wiederum nicht ausdrücklich. Beispielsweise sieht § 166 Abs. 2 ZPO die Möglichkeit vor, dass das "Gericht" die Zustellung solcher Dokumente anordnet, deren Zustellung nicht von Gesetzes wegen erforderlich ist. § 270 Satz 1 ZPO schreibt die formlose Mitteilung von Schriftsätzen, die keine Sachanträge enthalten, vor, wenn nicht das "Gericht" die Zustellung anordnet. In den beiden letztgenannten Fällen entscheidet aber regelmäßig der Vorsitzende durch eine Verfügung (vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 166 Rn. 4; Rohe in Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl., § 166 Rn. 52).

15(3)

Der Gesetzgeber des am in Kraft getretenen Zustellungsreformgesetzes vom (BGBl. I S. 1206) hat sich mit der hier in Rede stehenden Frage der funktionellen Zuständigkeit des Vorsitzenden oder aller Mitglieder des Prozessgerichts nicht befasst. Er hat die in § 20 Nr. 7 RPflG a.F. vorgesehene Übertragung der Aufgabe auf den Rechtspfleger gestrichen, weil die Anordnung zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten (für im Inland ansässige Parteien) entfallen sei, und die Zuständigkeit des Gerichts für die bei im Ausland ansässigen Parteien nunmehr im Ermessen stehende Entscheidung, ob die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten angeordnet wird, begründet (vgl. BT-Drucks. 14/4554, S. 27). Im Hinblick auf das Schweigen der Gesetzesbegründung zur Frage der funktionellen Zuständigkeit spricht viel dafür, dass sich der Gesetzgeber damit nicht auseinandergesetzt hat, wer in funktioneller Hinsicht anstelle des bisher zuständigen Rechtspflegers die in § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anordnung treffen soll und ob dies auch durch eine Verfügung geschehen kann (vgl. , MDR 2011, 1068, 1069).

16bb)

Nach den vorstehenden Ausführungen ist rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, durch den Vorsitzenden getroffen worden ist. Im Übrigen wäre die Verletzung der funktionellen Zuständigkeit kein so schwerwiegender Fehler, dass dadurch die Anordnung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, und die danach erfolgte Zustellung des Versäumnisurteils durch Aufgabe zur Post gegenüber der Beklagten unwirksam würden. Zwar sind an die Einhaltung der Vorschriften über das Zustellungsverfahren insbesondere im Hinblick auf die von § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgelöste Fiktion und die Bedeutung, die der Zustellung für den Beginn der Rechtsmittelfristen zukommt, strenge Anforderungen zu stellen (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 512; , BGHZ 73, 388, 390). Wird eine Vorschrift über das Verfahren bei Zustellungen verletzt, ist die Zustellung dennoch nur dann unwirksam, wenn der Zweck der verletzten Verfahrensvorschrift dies erfordert. Bei Verletzung der hier in Rede stehenden funktionellen Zuständigkeit innerhalb des Spruchkörpers ist dies nicht der Fall. Die Vorschriften über die Zustellung gewährleisten den Anspruch des Zustellungsadressaten auf rechtliches Gehör, indem sie sicherstellen, dass der Betroffene Kenntnis von dem zuzustellenden Dokument nehmen und seine Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung darauf einrichten kann (vgl. , BVerfGE 67, 208, 211). Wird die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, von einem funktionell nicht zuständigen Richter getroffen, wird dadurch die Möglichkeit des Zustellungsadressaten, von Dokumenten, die den Rechtsstreit betreffen, Kenntnis zu erlangen und rechtliches Gehör in Anspruch zu nehmen, in keiner Weise erschwert. Auch nach Anordnung durch den Vorsitzenden des Gerichts erhält der Zustellungsadressat das verfahrenseinleitende Schriftstück, die Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen, und die Belehrung über die Möglichkeit der Zustellung durch Aufgabe zur Post für den Fall, dass kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird. Er wird unabhängig davon, wer die Anordnung getroffen hat, jedenfalls über den Inhalt des Rechtsstreits informiert. Ihm wird verdeutlicht, dass er durch Bestellung eines Prozessbevollmächtigten oder durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten die Möglichkeit der Kenntnisnahme von weiteren den Rechtsstreit betreffenden Dokumenten zuverlässig sicherstellen soll und zur Wahrung seiner Rechte tätig werden muss. Die fehlende funktionelle Zuständigkeit des anordnenden Richters beeinträchtigt die prozessuale Rechtsposition der im Ausland ansässigen Partei mithin in keiner Weise. Sie berührt deshalb auch nicht die Wirksamkeit der Anordnung.

17cc)

Die Anordnung ist auch nicht deshalb unwirksam, weil sie nicht mit Gründen versehen worden ist. Allein der Mangel der Begründung führt nicht zur Nichtigkeit der Anordnung, zumal diese unanfechtbar ist (MünchKommZPO/Häublein, 3. Aufl., § 184 Rn. 7; Roth in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., § 184 Rn. 5). Aus dem zulässigen Unterlassen einer Begründung kann nicht auf einen Ermessensfehler des im Übrigen nicht an die Anregung der Partei gebundenen Richters geschlossen werden.

18b)

Die Regelung des § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO, die eine Zustellung durch Aufgabe zur Post unter der Anschrift des außerhalb des Bundesgebiets und außerhalb des Anwendungsbereichs der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten ("Zustellung von Schriftstücken") und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 (ABl. 2007 L 327, S. 79; im Folgenden: EuZVO) ansässigen Zustellungsadressaten erlaubt, ist im Streitfall weder durch völkerrechtliche Vereinbarungen ausgeschlossen noch verletzt sie Verfahrensgrundrechte der Beklagten oder verstößt gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK.

19aa)

Die Beklagte ist in der Türkei und damit im Ausland außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZVO (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuZVO) ansässig. Deshalb ist die in § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO vorgesehene Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht durch die vorrangigen Regelungen der EuZVO (vgl. § 183 Abs. 5 Satz 1 ZPO) ausgeschlossen (vgl. , BGHZ 188, 164 Rn. 17 ff. mit zustimmender Anmerkung Grohmann/Gruschinske, DZWIR 2011, 441 ff.; a.A. Zöller/Geimer, ZPO, 29. Aufl., § 183 Rn. 79a). Entgegen der Auffassung der Revision kann daraus nicht hergeleitet werden, dass auch die Regelungen des HZÜ den Zustellungsvorschriften in §§ 183, 184 ZPO vorgingen. Der nationale Gesetzgeber hat nur die von den europäischen Zustellungsvorschriften erfassten grenzüberschreitenden Zustellungen nicht in die zur Durchführung von Auslandszustellungen aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen getroffenen Regelungen des § 183 ZPO integriert (vgl. , a.a.O. m.w.N.). Die von der Revision in den Blick genommene Anwendung über den Wortlaut hinaus widerspräche dem allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach der Ausnahmecharakter einer Regelung einer vom Wortlaut nicht mehr gedeckten Anwendung widerspricht.

20bb)

Die Regelung des § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO zur Zustellung durch Aufgabe zur Post verletzt auch nicht den Anspruch der ausländischen Partei auf rechtliches Gehör oder ihr Recht auf ein faires Verfahren (vgl. zu §§ 174, 175 ZPO a.F., wonach es nicht einmal einer Belehrung über die Folgen der Unterlassung der Bestellung eines Prozessbevollmächtigten bedurfte: Senatsurteil vom - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 513 und , NJW 1997, 1772). Den berechtigten Interessen beider Parteien eines Rechtsstreits auf effektiven Rechtsschutz wird im Einzelfall hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass die Zustellung durch Aufgabe zur Post nicht obligatorisch, sondern aufgrund einer im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Anordnung erfolgt. Die nach § 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO bestehende Pflicht, über die Zustellungsfiktion zu belehren, stellt außerdem sicher, dass die im Ausland ansässige Partei sich der drohenden Rechtsnachteile bewusst wird und diese durch Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten vermeiden kann. Die mit dem Einspruchsverfahren verbundenen allgemeinen Erschwernisse für die Inanspruchnahme des rechtlichen Gehörs, die sich aus der Einhaltung der Einspruchsfrist ergeben, treffen die im Ausland ansässige Partei, wie die Beklagte, grundsätzlich nicht schärfer als die im Inland ansässige Partei. Auch die inländische Partei ist an die Einspruchsfrist gebunden und kann bei Verfristung des Einspruchs nicht mehr geltend machen, ihr sei die Ladung zur mündlichen Verhandlung oder auch ein anderes das Verfahren betreffende Schriftstück nicht oder nicht ordnungsgemäß zugestellt worden. Ist - wie hier - die Klageschrift als verfahrenseinleitendes Schriftstück der beklagten Partei ordnungsgemäß zugestellt und die in § 184 Abs. 2 Satz 3 ZPO vorgesehene Belehrung erteilt worden, erfordert die Situation der im Ausland ansässigen Beklagten keinen weitergehenden Rechtsschutz. Das mit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks entstehende Prozessrechtsverhältnis begründet eine Prozessförderungspflicht auch des Prozessgegners, die es im Interesse der klagenden Partei an einem effektiven Rechtsschutz rechtfertigt, der im Ausland ansässigen Partei aufzuerlegen, eine inländische Zustellungsmöglichkeit zu schaffen.

21cc)

Art. 6 Abs. 1 EMRK gewährt der Beklagten keine weitergehende Rechtsposition. Die Europäische Kommission für Menschenrechte hat es für Ausländer als zumutbar erachtet, Anstrengungen zu unternehmen, um sich über den Inhalt ihnen zugestellter amtlicher Schriftstücke Gewissheit zu verschaffen. Dementsprechend muss ein im Ausland lebender Rechtsmittelführer selbst für die Einhaltung der Einlegungs- und Begründungsfristen sorgen. Ganz allgemein gilt, dass die prozessrechtliche Ausgestaltung des Fair-trial-Grundsatzes weitgehend den einzelnen Vertragsstaaten überlassen bleibt. Hierbei bestehen weite Gestaltungsspielräume (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 513 f. m.w.N.). Allerdings sind auch sogenannte versteckte Diskriminierungen verboten, nämlich Regelungen, die die benachteiligende Rechtswirkung zwar nicht ausdrücklich an die Ausländereigenschaft anknüpfen, deren Voraussetzungen jedoch typischerweise nur bei Ausländern gegeben sind. Eine offene oder versteckte Diskriminierung enthält § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO nicht. Eine solche scheidet schon deshalb aus, weil die Obliegenheit zur Bestellung von Zustellungsbevollmächtigten unter den Voraussetzungen von § 184 Abs. 1 ZPO auch Inländer trifft (siehe auch Roth, IPRax 1990, 90, 93). Abgesehen davon kann nur dann eine Diskriminierung vorliegen, wenn die vorgenommene Differenzierung nicht sachlichen Unterschieden des zu regelnden Sachverhalts Rechnung trägt (, NJW 1994, 1271 f.). Denn Art. 6 Abs. 1 EMRK ist eine Ausprägung des Gleichheitssatzes, wonach Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart nach verschieden zu behandeln ist. Die in § 184 Abs. 1 Satz 1 ZPO vorgesehene Anknüpfung der Pflicht zur Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten an den Umstand, dass die Partei über keine inländische Zustellungsmöglichkeit verfügt, trägt einem sachlichen Unterschied Rechnung. Dieser besteht in der Gefahr der ständigen Verzögerung eines Verfahrens, an dem eine im Ausland ansässige Partei beteiligt ist, wenn für jede gerichtliche Zustellung im Laufe des Verfahrens der gegenüber dem innerstaatlichen Zustellungsverfahren umständliche und langwierige Weg der internationalen Rechtshilfe beschritten werden muss (vgl. , NJW 1999, 1871, 1872).

22dd)

Die Zustellung gemäß § 184 Abs. 1 Satz 2 ZPO verstößt auch nicht gegen völkerrechtliche Vereinbarungen, die mit der Türkei hinsichtlich der Zustellung von Schriftstücken bestehen (vgl. , BeckRS 2011, 26882; I-8 U 3/11, [...] Rn. 20 ff. und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 63). Die Zustellung durch Aufgabe zur Post ist keine Auslandszustellung, sondern eine fingierte Form der Zustellung im Inland (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 511; Senatsbeschluss vom - VI ZB 9/01, VersR 2003, 345, 346; , BGHZ 188, 164 Rn. 10; , [...] Rn. 55; Heiderhoff, EuZW 2006, 235, 236; a.A. Häublein in Hannich/Meyer-Seitz, ZPO-Reform 2002, § 184 Rn. 2). Das HZÜ steht der Anwendbarkeit des § 184 ZPO danach schon deshalb nicht entgegen, weil dort nur die Modalitäten einer Auslandszustellung geregelt sind (vgl. Art. 1 Abs. 1 HZÜ), nicht aber die Frage, ob überhaupt eine förmliche Zustellung im Ausland vorzunehmen ist. Letzteres ist vielmehr durch das nationale Recht autonom zu beantworten (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 243/97, VersR 1999, 510, 511).

233.

Die erneute förmliche Zustellung am vermag die bereits eingetretene Rechtskraft des Versäumnisurteils nicht zu durchbrechen. Die Anordnung der erneuten Zustellung lässt die Wirkung der zuvor erfolgten Zustellung gemäß § 184 Abs. 2 ZPO unberührt; sie setzt eine Frist nicht nochmals in Lauf (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IX ZB 147/01, NJW-RR 2006, 563, 564; vom - NotZ 35/06, [...] Rn. 7; Urteil vom - XII ZR 27/09, NJW 2011, 522 Rn. 20; , NJW-RR 2011, 1631, 1632; I-8 U 3/11, [...] Rn. 40 und - 8 U 31/11, NJW-RR 2012, 62, 64). Dass das am zur Post gegebene Urteil der Beklagten tatsächlich im Februar 2010 zugegangen ist, steht nicht in Frage.

Fundstelle(n):
LAAAE-17675