BGH Beschluss v. - I ZR 28/10

Verfahrenaussetzung: Aussetzung wegen eines dieselbe Frage betreffenden Vorabentscheidungsersuchens an den Europäischen Gerichtshof im Falle des grenzüberschreitenden Verkaufs eines im Inland urheberrechtlich geschützten Werks

Gesetze: § 148 ZPO, Art 267 AEUV, Art 4 Abs 1 EGRL 29/2001

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 11 U 8/09vorgehend LG Frankfurt Az: 2-6 O 381/06

Gründe

1I. Die Klägerin ist Inhaberin der ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte für die Herstellung und den Vertrieb von Möbeln nach Entwürfen von C.-E. J., genannt L. C.. Die Beklagte zu 1 ist ein in Italien ansässiges Unternehmen, das Nachbildungen der von L. C. geschaffenen Möbelmodelle vertreibt. Der Beklagte zu 2 ist ihr satzungsmäßiger Vertreter.

2Die Beklagte zu 1 hat in Deutschland mit Werbeanzeigen und Produktkatalogen sowie auf ihrer Webseite und durch E-Mails in deutscher Sprache unter anderem für den Kauf von - in diesen Werbemitteln abgebildeten - Nachbildungen der von L. C. geschaffenen Möbelmodelle "LC 1" (Stuhl), "LC 3" (Sessel und Sofas), "LC 6" (Tisch), "LC 7" (Drehstuhl) und "LC 8" (Drehhocker) geworben. Die Werbung enthält den Hinweis, dass Kunden die Möbel bereits in Italien erwerben, aber erst bei Abholung oder Anlieferung durch eine inkassoberechtigte Spedition bezahlen, die auf Wunsch von der Beklagten zu 1 vermittelt wird. Nach den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten zu 1 geht das Eigentum an den Möbeln mit deren Übergabe an den Kunden oder dessen Transporteur auf den Kunden über.

3Die Klägerin hat behauptet, dem von ihr mit Ermittlungen beauftragten Zeugen J. sei im Oktober 2006 neben einer Auftragsbestätigung der Beklagten ein Angebotsschreiben der Spedition I. nebst Preisliste für Transportdienstleistungen zugesandt worden. Die Beklagte zu 1 nenne, empfehle und vermittle interessierten Kunden ausnahmslos diese Spedition. So gut wie jede Lieferung nach Deutschland erfolge durch diese Spedition. Diese sei am selben Ort wie die Beklagte zu 1 und in deren unmittelbarer Nähe ansässig. Sie sei der Beklagten zu 1 wirtschaftlich voll zuzurechnen.

4Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagten verletzten das Verbreitungsrecht an den Möbelmodellen "LC 1" (Stuhl), "LC 3" (Sessel und Sofas), "LC 6" (Tisch), "LC 7" (Drehstuhl) und "LC 8" (Drehhocker). Sie hat die Beklagten deshalb auf Unterlassung, Feststellung ihrer Schadensersatzpflicht sowie Auskunftserteilung und Rechnungslegung in Anspruch genommen. Das Berufungsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstreben die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage. Mit ihrer Anschlussrevision, deren Zurückweisung die Beklagten beantragen, verfolgt die Klägerin einen vom Berufungsgericht abgewiesenen Unterlassungsantrag sowie die darauf bezogenen Anträge auf Feststellung der Schadensersatzpflicht sowie auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung weiter.

5II. Die Aussetzung des Verfahrens ist in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO auch ohne gleichzeitiges Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union grundsätzlich zulässig, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits von der Beantwortung derselben Frage abhängt, die bereits in einem anderen Rechtsstreit dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt wurde (, juris Rn. 8).

61. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat im Verfahren 1 StR 213/10 (GRUR 2011, 227) dem Gerichtshof der Europäischen Union mit Beschluss vom folgende Frage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt:

Sind die den freien Warenverkehr regelnden Art. 34, 36 AEUV dahin auszulegen, dass sie einer aus der Anwendung nationaler Strafvorschriften resultierenden Strafbarkeit wegen Beihilfe zum unerlaubten Verbreiten urheberrechtlich geschützter Werke entgegenstehen, wenn bei einem grenzüberschreitenden Verkauf eines in Deutschland urheberrechtlich geschützten Werkes kumulativ

- dieses Werk aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union nach Deutschland verbracht und die tatsächliche Verfügungsgewalt an ihm in Deutschland übertragen wird,

- der Eigentumsübergang aber in dem anderen Mitgliedstaat erfolgt ist, in dem urheberrechtlicher Schutz des Werkes nicht bestand oder nicht durchsetzbar war?

72. Die Antwort auf die Vorlagefrage hängt von der Beantwortung der Vorfrage ab, ob im territorialen Anwendungsbereich der deutschen Urheberrechtsvorschriften eine Verletzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts des Urhebers im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vorliegt. Sollte eine Rechtsverletzung vorliegen, stellt sich als Nächstes die Frage, ob die Anwendung von Art. 36 AEUV zu einer Abschottung des Binnenmarkts oder zu einem unverhältnismäßigen oder willkürlichen Eingriff in den Handel führen würde (vgl. Rn. 4 f. und 19 f. der Schlussanträge des Generalanwalts N. J.vom im Vorlageverfahren).

83. Die Vorlagefrage und die Vorfrage sind auch im vorliegenden Fall entscheidungserheblich. Dem Vorlageverfahren und dem vorliegenden Verfahren liegen in den maßgeblichen Punkten weitgehend übereinstimmende Sachverhaltsgestaltungen zugrunde. Der Senat hält es daher für angemessen, das vorliegende Verfahren in entsprechender Anwendung von § 148 ZPO wegen Vorgreiflichkeit des beim Gerichtshof anhängigen Rechtsstreits auszusetzen.

Fundstelle(n):
FAAAE-12327