BGH Beschluss v. - XII ZB 165/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Mindestanforderungen an die förmliche Verlautbarung eines Urteils; Sorgfaltspflichten des Rechtsanwalts bei Übertragung der Anfertigung der Rechtsmittelschrift auf das Büropersonal auf Grund Einzelanweisung

Leitsatz

1. Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Verkündungsmängel stehen dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden (im Anschluss an BGH, , GSZ 3/54, BGHZ 14, 39, 44 ff.).

2. Die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift gehört zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen. Auch bei einem so wichtigen Vorgang darf der Rechtsanwalt aber einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss. Dann müssen jedoch ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen werden, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Übersendung eines zulässigen Rechtsmittels unterbleibt (im Anschluss an den Senatsbeschluss vom , XII ZB 150/08, FamRZ 2009, 1132).

Gesetze: § 233 ZPO, § 310 Abs 1 S 1 ZPO, § 311 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Braunschweig Az: 3 UF 9/11vorgehend AG Duderstadt Az: 2 F 154/07

Gründe

I.

1Die Parteien streiten in dem seit dem anhängigen Verfahren um Trennungsunterhalt. Mit Beschluss vom hatte das Amtsgericht mit Zustimmung der Parteien das schriftliche Verfahren angeordnet und Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den bestimmt. Auf der Rückseite der letzten Seite des vom Abteilungsrichter unterzeichneten Urteils befindet sich der handschriftliche Zusatz:

"VT-Prot

Um 1110 erschien niemand.

Der Beschluss wurde verkündet"

2Der Zusatz ist vom Abteilungsrichter mit dem Datum 29/11 unterzeichnet. Unter dem Zusatz befindet sich folgende Verfügung des Geschäftsstellenbeamten:

"1.) Beschl ausf. an A'gegner Vertr. ./. EB

2.) Nach Rückkehr EB vollstreckbare Ausf. des Urteils

an A‘steller-Vertr. ./. EB"

3Auf der ersten Seite trägt das Urteil zwei weitere von dem Geschäftsstellenbeamten unterschriebene Vermerke und zwar zum einen:

"Verkündet am:

"

und zum anderen

"Eingang auf der Geschäftsstelle

am 30. NOV. 2010"

4Eine Urteilsausfertigung wurde dem Beklagtenvertreter am , eine vollstreckbare Ausfertigung dem Klägervertreter am zugestellt.

5Am ging eine an das Amtsgericht gerichtete "Beschwerde" "gegen das am verkündete Urteil" dort ein. Mit Verfügung vom leitete das Amtsgericht den Schriftsatz an das zuständige Oberlandesgericht weiter, wo er am einging.

6Mit einem dem Beklagtenvertreter am zugestellten Beschluss wies das Oberlandesgericht den Beklagten auf den verspäteten Eingang der Berufung hin. Mit einem am Montag, dem eingegangenen Schriftsatz begründete der Beklagte seine Berufung. Mit einem weiteren, am eingegangenen Schriftsatz beantragte der Beklagte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist.

7Das Oberlandesgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Beklagten.

II.

8Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (Senatsbeschluss vom - XII ZB 179/10 - FamRZ 2011, 100 Rn. 10).

9Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde des Beklagten ist nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

101. Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Berufungsfrist gegen das Urteil vom mit der Zustellung an den Beklagten am begonnen hat. Das angefochtene Urteil ist, wenn auch fehlerhaft, verlautbart worden und damit wirksam.

11a) Ein Urteil wird erst durch seine förmliche Verlautbarung mit allen prozessualen und materiell-rechtlichen Wirkungen existent. Vorher liegt nur ein - allenfalls den Rechtsschein eines Urteils erzeugender - Entscheidungsentwurf vor (BGHZ GSZ 14, 39, 44). Die Verlautbarung eines Urteils erfolgt grundsätzlich öffentlich im Anschluss an die mündliche Verhandlung oder in einem hierfür anberaumten Termin durch das Verlesen der Urteilsformel (§§ 310 Abs. 1 Satz 1, 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO, § 173 Abs. 1 GVG). Im schriftlichen Verfahren sind Urteile in einem nach § 128 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu bestimmenden Termin zu verkünden ( - FamRZ 2004, 1187 f.).

12Nach § 165 Satz 1 ZPO kann die Beachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Zu diesen Förmlichkeiten gehört gemäß § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO auch die Verkündung des Urteils. Diese erfolgt nach § 311 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch Vorlesung der Urteilsformel, die durch Bezugnahme auf die Urteilsformel ersetzt werden kann, wenn bei der Verkündung keine der Parteien anwesend ist (§ 311 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Die Angabe, welche dieser beiden Arten der Verkündung erfolgt ist, schreibt das Gesetz nicht vor. Dem Erfordernis des § 160 Abs. 3 Nr. 7 ZPO ist deshalb Genüge getan, wenn der Richter lediglich protokolliert, dass die anliegende Entscheidung verkündet worden ist, selbst wenn dies zu Zweifeln über die gewählte Form der Verlautbarung Anlass geben könnte ( - NJW 1985, 1782, 1783 und BGHZ 10, 327, 329).

13Auch im Übrigen stehen Verkündungsmängel nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem wirksamen Erlass eines Urteils nur entgegen, wenn gegen elementare, zum Wesen der Verlautbarung gehörende Formerfordernisse verstoßen wurde, so dass von einer Verlautbarung im Rechtssinne nicht mehr gesprochen werden kann. Sind deren Mindestanforderungen hingegen gewahrt, hindern auch Verstöße gegen zwingende Formerfordernisse das Entstehen eines wirksamen Urteils nicht (BGHZ GSZ 14, 39, 44 ff.; - NJW 1985, 1782, 1783). Zu den Mindestanforderungen gehört, dass die Verlautbarung von dem Gericht beabsichtigt war oder von den Parteien derart verstanden werden durfte und die Parteien von Erlass und Inhalt der Entscheidung förmlich unterrichtet wurden ( - FamRZ 2004, 1187, 1188 mwN).

14b) Nach diesen Grundsätzen liegt hier ein wirksames Urteil vor. Unabhängig von den im Einzelnen gerügten Verstößen gegen den notwendigen Inhalt des Verkündungsprotokolls nach § 160 ZPO liegt hier zweifelsfrei eine Verlautbarung des Gerichts vor.

15Dies musste von den Parteien auch so verstanden werden. Das Amtsgericht hatte mit Verfügung vom ein schriftliches Verfahren angeordnet und Verkündungstermin auf den bestimmt. Das vorliegende Urteil ist vom Abteilungsrichter unterzeichnet und ausweislich seines Vermerks am verkündet worden. Weil sich der Vermerk auf der Rückseite des Originalurteils befindet, kann trotz der falschen Bezeichnung als Beschluss auch kein Zweifel aufkommen, welche Entscheidung verkündet worden ist. Entsprechend hat auch die Geschäftsstelle die Verkündung des Urteils am vermerkt. Auf der Grundlage dieser Verkündung hat die Geschäftsstelle die Zustellung des Urteils an die Parteivertreter verfügt. Dem Beklagtenvertreter ist das "Urteil vom " sodann am zugestellt worden. Die Zustellung des Urteils hat er mit Empfangsbekenntnis bestätigt.

16Danach konnte für den Beklagten kein Zweifel daran bestehen, dass am - wie im Beschluss vom angekündigt - das Urteil verkündet worden war, das ihm am zugestellt wurde. Die weiteren Verkündungsmängel sind mit der Verlautbarung der Entscheidung nicht unvereinbar und stehen einem wirksamen Urteil deswegen nicht entgegen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 250/11 - NJW-RR 2012, 1 Rn. 14; - FamRZ 2004, 1187, 1188 und vom - VI ZR 205/83 - NJW 1985, 1782, 1783; BGHZ GSZ 14, 39, 44 ff.; BFHE 140, 514).

17c) Weil somit nach der Verkündung ein wirksames Urteil vorlag, kommt es auf die Frage einer Verlautbarung durch Zustellung des Urteils an Verkündungs statt nach § 310 Abs. 3 ZPO nicht an. Nur in diesen Fällen, in denen die Verlautbarung der Entscheidung durch Zustellung erfolgt, beginnt die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung an alle Parteien (Senatsbeschluss vom - XII ZB 90/94 - NJW 1994, 3359, 3360). Wird hingegen - wie hier - ein bereits durch Verkündung verlautbartes Urteil zugestellt, beginnt die Rechtsmittelfrist für jede Partei mit der Zustellung an sie. Weil das Urteil dem Beklagten am zugestellt wurde, lief die einmonatige Berufungsfrist des § 517 ZPO mithin am ab.

182. Zutreffend sind auch die weiteren Ausführungen des Berufungsgerichts, wonach das Rechtsmittel des Beklagten vom nicht rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingegangen ist.

19a) Weil für das Verfahren weiterhin das frühere Prozessrecht galt, war die Berufung nach § 519 Abs. 1 ZPO durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht, hier also bei dem Oberlandesgericht (§ 119 Abs. 1 Nr. 1 a GVG), einzulegen. Der Beklagtenvertreter hatte sein Rechtsmittel, das unzutreffend auch als Beschwerde bezeichnet war, hingegen an das nach dem hier noch anwendbaren früheren Recht unzuständige Amtsgericht geschickt. Beim zuständigen Oberlandesgericht ist das Rechtsmittel nach Weiterleitung durch das Amtsgericht erst am und somit verspätet eingegangen.

20b) Indem das Amtsgericht die Berufung des Beklagten lediglich im ordentlichen Geschäftsgang an das zuständige Oberlandesgericht weitergeleitet hat, hat es keine Verfahrensrechte des Beklagten verletzt.

21Der Richter ist einerseits aufgrund des Anspruchs auf ein faires Verfahren zur Rücksichtnahme auf die Parteien verpflichtet. Andererseits muss auch die Justiz im Interesse ihrer Funktionsfähigkeit vor zusätzlicher Belastung geschützt werden (BVerfG NJW 2006, 1579). Eine generelle Fürsorgepflicht des für die Rechtsmittelbegründung unzuständigen Gerichts, durch Hinweise oder andere geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern, besteht deswegen nicht (vgl. - WuM 2010, 592 Rn. 7). Geht eine fristgebundene Rechtsmittelbegründung oder ein entsprechender Verlängerungsantrag statt beim Rechtsmittelgericht bei dem erstinstanzlichen Gericht ein, ist dieses grundsätzlich lediglich verpflichtet, den Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang an das Rechtsmittelgericht weiterzuleiten.

22Geht der Schriftsatz so rechtzeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei darauf vertrauen, dass der Schriftsatz noch rechtzeitig beim Rechtsmittelgericht eingeht. Kommt das angerufene Gericht dem nicht nach, wirkt sich das Verschulden der Partei oder ihrer Verfahrensbevollmächtigten nicht mehr aus, so dass ihr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die eine Wiedereinsetzung begehrende Partei hat jedoch darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ihr Schriftsatz im normalen ordnungsgemäßen Geschäftsgang fristgerecht an das zuständige Rechtsmittelgericht hätte weitergeleitet werden können (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 371 Rn. 12 und vom - XII ZB 50/11 - FamRZ 2011, 1649 Rn. 20 ff.). Weil das Rechtsmittel des Beklagten hier erst einen Tag vor Fristablauf beim unzuständigen Gericht eingegangen ist, ist es den Gerichten nicht anzulasten, dass die Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang nicht zum rechtzeitigen Eingang beim Oberlandesgericht geführt hat.

23c) Der Beklagte war auch nicht ausnahmsweise berechtigt, sein Rechtsmittel nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch beim Amtsgericht einzulegen.

24Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs greift der Meistbegünstigungsgrundsatz in Fällen, in denen das Gericht eine der Form nach unrichtige Entscheidung gewählt hat. Dann steht den Parteien auch dasjenige Rechtsmittel zu, welches nach Art der ergangenen Entscheidung statthaft ist. Daneben bleibt das Rechtsmittel zulässig, das bei einer in der richtigen Form getroffenen Entscheidung statthaft gewesen wäre. Das Meistbegünstigungsprinzip stellt damit eine Ausprägung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der allgemeinen Gleichheit vor dem Gesetz und des Vertrauensschutzes dar. Über die Fälle einer inkorrekten Entscheidung hinaus kommt es daher auch dann zur Anwendung, wenn für den Rechtsmittelführer eine Unsicherheit über das einzulegende Rechtsmittel besteht, sofern diese auf einem Fehler oder einer Unklarheit der anzufechtenden Entscheidung beruht (Senatsbeschluss vom - XII ZB 125/06 - GuT 2009, 209 Rn. 17; BGHZ 152, 213 = NJW-RR 2003, 277 Rn. 46 und - WM 1994, 180).

25Mit der gleichen Begründung findet der Grundsatz der Meistbegünstigung Anwendung, wenn das Gericht für sein Verfahren zwar die Entscheidungsform zutreffend gewählt, inhaltlich aber ein unzutreffendes Verfahrensrecht angewandt hat. Denn auch in diesen Fällen ist das Vertrauen der Beteiligten auf das angewandte Verfahrensrecht schutzwürdig (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 553/10 - FamRZ 2011, 966 Rn. 13 und vom - XII ZB 100/11 - FamRZ 2011, 1575 Rn. 12 f.).

26Diese Voraussetzungen liegen hier allerdings nicht vor. Das Amtsgericht hat das bereits seit August 2007 anhängige Verfahren zutreffend weiter nach dem früheren Prozessrecht betrieben, ein schriftliches Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO angeordnet und durch Urteil entschieden. Die Parteien sind - wie es dem früheren Prozessrecht entspricht - als Klägerin und Beklagter bezeichnet. Entsprechend enthält die Entscheidung auch keine Rechtsmittelbelehrung. Die Entscheidung ist auch bei der Zustellung zutreffend als Urteil bezeichnet. Für die Parteien bestand im Zeitpunkt der Zustellung deswegen kein Zweifel daran, dass das Amtsgericht zutreffend nach dem früheren Prozessrecht entschieden hatte und deswegen das Rechtsmittel der Berufung beim Oberlandesgericht einzulegen war.

273. Schließlich hat das Oberlandesgericht dem Beklagten auch zu Recht eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die versäumte Berufungsfrist versagt.

28a) Die Prüfung der notwendigen Formalien für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels ist Aufgabe des Rechtsmittelführers. Ihm obliegt es deswegen auch, dafür Sorge zu tragen, dass das Rechtsmittel innerhalb der Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 468/10 - FamRZ 2011, 371 Rn. 8 und - VersR 1992, 1023 f.). Unter Verstoß gegen diese Anforderungen hat der Beklagtenvertreter das Rechtsmittel nicht an das zuständige Oberlandesgericht, sondern an das Amtsgericht gesandt, weswegen es schließlich verspätet beim zuständigen Oberlandesgericht eingegangen ist.

29b) Ein Rechtsanwalt darf allerdings grundsätzlich darauf vertrauen, dass seine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt. Deshalb ist er im Allgemeinen nicht verpflichtet, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 64/09 - FamRZ 2010, 1067 Rn. 11 und vom - XII ZB 154/09 - VersR 2011, 89 Rn. 16; - VersR 1996, 779).

30Zwar gehört die Anfertigung einer Rechtsmittelschrift zu den Aufgaben, die der Rechtsanwalt seinem angestellten Büropersonal nicht übertragen darf, ohne das Arbeitsergebnis selbst sorgfältig zu überprüfen (BGH Beschlüsse vom - IV a ZB 8/86 - VersR 1986, 1209 und vom - I ZB 2/82 - VersR 1982, 769 f.). Sie darf in einem so gewichtigen Teil wie der Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts auch gut geschultem und erfahrenem Büropersonal eines Rechtsanwalts nicht eigenverantwortlich überlassen werden. Der Prozessbevollmächtigte einer Partei muss die Rechtsmittelschrift deswegen vor der Unterzeichnung auf die Vollständigkeit, darunter auch auf die richtige Bezeichnung des Rechtsmittelgerichts, überprüfen (Senatsbeschluss vom - XII ZB 298/11 - zur Veröffentlichung bestimmt; - VersR 1993, 1381 f.).

31Auch bei einem so wichtigen Vorgang wie der Anfertigung einer Rechtsmittelschrift darf der Rechtsanwalt aber einer zuverlässigen Büroangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilen, deren Ausführung er grundsätzlich nicht mehr persönlich überprüfen muss ( - FamRZ 2009, 109 Rn. 9 f.). Das gilt insbesondere dann, wenn die weitere allgemeine Büroanweisung besteht, einen solchen Auftrag stets vor allen anderen Aufgaben zu erledigen. Denn in einem solchen Fall stellt die im Einzelfall erteilte zusätzliche Weisung, den Auftrag sofort und vor allen anderen Aufgaben auszuführen, grundsätzlich eine ausreichende Vorkehrung dagegen dar, dass die Eintragung der Frist in Vergessenheit gerät (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 102/08 - FamRZ 2009, 217 Rn. 14 und vom - XII ZB 190/07 - FuR 2008, 344 Rn. 12 ff.). Betrifft die Anweisung des Rechtsanwalts einen so wichtigen Vorgang wie die Erstellung einer Rechtsmittelschrift und wird sie nur mündlich erteilt, müssen ausreichende Vorkehrungen dagegen getroffen sein oder werden, dass die Anweisung in Vergessenheit gerät und die Übersendung eines zulässigen Rechtsmittels unterbleibt (Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 64/09 - FamRZ 2010, 1067 Rn. 11; vom - XII ZB 150/08 - FamRZ 2009, 1132 Rn. 19 ff. und vom - XII ZB 103/06 - FamRZ 2006, 1663 Rn. 9).

32c) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das Oberlandesgericht zu Recht ein Organisationsverschulden des Beklagtenvertreters angenommen.

33Er hat in seinem Wiedereinsetzungsgesuch darauf hingewiesen, dass die zuständige Kanzleiangestellte aufgrund des stattgefundenen Kanzleiumzugs, der hiermit verbundenen zahlreichen Aufgaben und der starken Frequentierung der Kanzlei durch diverse Lieferanten, technische Dienstleister und sonstigen Publikumsverkehr überlastet gewesen und die Anweisung zur Änderung der falsch erstellten Rechtsmittelschrift darüber in Vergessenheit geraten sei. In einer solchen Situation, in der die unverzügliche Korrektur nicht sichergestellt war, durfte der Prozessbevollmächtigte sich nicht allein auf die Kanzleiangestellte verlassen, sondern hätte die unverzügliche Korrektur der einseitigen Rechtsmittelschrift verlangen müssen und diese erst danach unterzeichnen dürfen, um eine vorzeitige Löschung der Rechtsmittelfrist zu verhindern. Einen so wichtigen Vorgang wie das Absenden einer Rechtsmittelschrift durfte der Rechtsanwalt seiner in der konkreten Situation ersichtlich überforderten Mitarbeiterin nicht allein überlassen. Das sich daraus ergebende Organisationsverschulden des Beklagtenvertreters ist dem Beklagten nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

344. Weil der Beklagte die Berufungsfrist nicht schuldlos versäumt hat, hat das Oberlandesgericht ihm die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 233 ZPO zu Recht versagt. Auch die Verwerfung der Berufung nach § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO ist deswegen nicht zu beanstanden.

Hahne                                                     Dose                                             Klinkhammer

                            Günter                                         Nedden-Boeger

Fundstelle(n):
NJW 2012 S. 1591 Nr. 22
NJW 2012 S. 8 Nr. 12
TAAAE-06120