BFH Beschluss v. - II S 9/11 (PKH)

Entscheidung über den Erlass von Säumniszuschlägen in einem eigenständigen Verfahren; Antrag auf Tatbestandsberichtigung bei Einwendungen gegen die Richtigkeit des Tatbestands; die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge für die Entscheidung maßgebend

Gesetze: AO § 218 Abs. 2, AO § 240, FGO § 92 Abs. 3, FGO § 94, FGO § 105 Abs. 3, FGO § 108 Abs. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Der Antragsteller beantragte in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) ausweislich der Niederschrift (§ 94 der FinanzgerichtsordnungFGO— i.V.m. §§ 159 ff. der ZivilprozessordnungZPO—),

2 „1. den Abrechnungsbescheid vom in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom dahingehend zu ändern, daß die Säumniszuschläge aufgehoben werden

3 2. die Umsatzsteuerbescheide 1996 bis 2000 dahingehend zu ändern, daß die Vorsteuerbeträge laut Betriebsprüfung 1998 anerkannt werden.

4 3. die Gewinnfeststellungsbescheide 1994 bis 2000 dahingehend zu ändern, daß die Zinszahlungen bzw. Rückstellungen anerkannt werden.“

5 In der Niederschrift heißt es ferner u.a., die Beteiligten seien sich darüber einig, dass über den Antrag auf Erlass (der Säumniszuschläge) in dem beim 1. Senat anhängigen Verfahren 1 K 1511/08 zu entscheiden sei. Mit Schreiben vom beantragte der Antragsteller, die Niederschrift insoweit zu ändern. Zur Begründung führte er einerseits aus, über den Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge sei im Verfahren 1 K 1512/06 zu entscheiden (Abschn. 1 des Schreibens), und andererseits, die in der Niederschrift zitierte Einigkeit habe nicht bestanden, „da in der Klage der Antrag auch die Anerkennung der Unbilligkeit auf die Säumniszuschläge zur Grunderwerbsteuer festgelegt“ gewesen sei (Abschn. 9 des Schreibens). Die Einzelrichterin teilte dem Antragsteller mit Schreiben vom mit, sie sehe keine Veranlassung für eine Ergänzung oder Berichtigung des Protokolls.

6 Das FG wies die Klage ausgehend von den in der Niederschrift angegebenen Klageanträgen ab.

7 Der Antragsteller beantragt, ihm für die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision Prozesskostenhilfe (PKH) zu gewähren. Das FG habe zu Unrecht nicht über den bereits in der Klageschrift gestellten Antrag auf Erlass der Säumniszuschläge entschieden. Dieser Antrag sei nicht Gegenstand des Verfahrens 1 K 1511/08. Der somit gegebene Verfahrensmangel müsse zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG führen.

8 II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH hat keinen Erfolg.

9 1. Nach § 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

10 2. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 FGO) sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

11 a) Der Antragsteller kann mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision nicht rügen, das FG habe den auf Erlass der Säumniszuschläge gerichteten Antrag zu Unrecht im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des Urteils übergangen. Der Antragsteller hätte vielmehr innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Urteils eine entsprechende Berichtigung des Urteilstatbestands gemäß § 108 Abs. 1 FGO beantragen müssen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 68/94, BFH/NV 1995, 240, und vom XI B 18/05, BFH/NV 2006, 1113). Einwendungen gegen die Richtigkeit des Tatbestands eines aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenen FG-Urteils können nicht als Verfahrensmangel im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren geltend gemacht werden; sie müssen vielmehr zum Gegenstand eines Antrags auf Tatbestandsberichtigung (§ 108 Abs. 1 FGO) gemacht werden (BFH-Beschlüsse vom XI S 29/10, BFH/NV 2011, 824, unter 4.b; vom VII B 124/10, BFH/NV 2011, 2112, unter II.4., und vom X B 100/10, BFH/NV 2011, 2098, unter 2.b, je m.w.N.). Zum Tatbestand i.S. § 108 Abs. 1 FGO gehören auch die von den Beteiligten gestellten Anträge (§ 105 Abs. 3 Satz 1 FGO; , BFH/NV 2004, 364; Brandt in Beermann/Gosch, FGO § 108 Rz 26; Lange in Hübschmann/Hepp/ Spitaler, § 108 FGO Rz 9; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 108 FGO Rz 4; Gräber/ Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 108 Rz 3).

12 b) Im Übrigen kommt es entgegen der Ansicht des Antragstellers für die Entscheidung über eine Klage nach mündlicher Verhandlung nicht auf die schriftsätzlich formulierten Klageanträge, sondern auf die in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträge an (§ 92 Abs. 3 FGO; , BFH/NV 1995, 218, und vom IV R 1/07, BFHE 222, 220, BStBl II 2009, 335, unter II.3.a; , BFH/NV 2004, 802; Lange, a.a.O., § 96 FGO Rz 182).

13 c) Mit der Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision kann eine Protokollberichtigung nicht erreicht werden (BFH-Beschlüsse vom II B 3/10, BFH/NV 2011, 415, unter 2.c, und vom III B 7/10, BFH/NV 2011, 1895, unter 1.).

14 d) Über die Frage, ob Säumniszuschläge (§ 240 der AbgabenordnungAO—) nach § 227 AO zu erlassen sind, ist nicht im Rahmen eines Abrechnungsbescheids (§ 218 Abs. 2 Satz 1 AO), sondern in einem eigenständigen Verfahren zu entscheiden (Grundsatz der Zweigleisigkeit; BFH-Beschlüsse vom VIII B 8/06, BFH/NV 2007, 2069; vom VIII B 42/05, BFH/NV 2007, 2305, und vom V B 16/09 u.a., BFH/NV 2011, 565).

15 3. Eine Kostenentscheidung ist nicht zu treffen. Gerichtskosten fallen nicht an.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 709 Nr. 5
UAAAE-03545