BFH Beschluss v. - VIII B 190/11 BStBl 2012 II S. 243

Steuerpflicht von Erstattungszinsen, AdV

Leitsatz

Es ist ernstlich zweifelhaft, ob 2008 zugeflossene Erstattungszinsen zur Einkommensteuer der Jahre 2001 bis 2003 als Einnahmen aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG i.d.F. des JStG 2010 vom (BGBl I 2010, 1770) der Steuer unterliegen. Die Zweifel bestehen insbesondere wegen der rückwirkenden Anwendung der Vorschrift.

Gesetze: EStG § 20 Abs. 1 Nr. 7EStG § 52a Abs. 8 Satz 2AO § 233aFGO § 69 Abs. 3

Instanzenzug:

Gründe

1 1. Die gemäß § 128 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) statthafte Beschwerde des Antragsgegners und Beschwerdeführers (Finanzamt) ist unbegründet. Zu Recht hat das Finanzgericht (FG) der Antragstellerin und Beschwerdegegnerin wegen ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteuerbescheides 2008 vom Aussetzung der Vollziehung bewilligt.

2 a) Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes bestehen, wenn und soweit bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund des unstreitigen Sachverhalts, der gerichtsbekannten Tatsachen und der präsenten Beweismittel erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen oder Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (ständige Rechtsprechung, vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom I B 44/04, BFHE 206, 284, BStBl II 2004, 882; vom VIII B 107/04, BFHE 212, 285, BStBl II 2006, 523, m.w.N.).

3 b) Nach der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtungsweise hat die Vorinstanz derartige ernstliche Zweifel zutreffend bejaht. Die Frage, ob im Veranlagungszeitraum 2008 zugeflossene Erstattungszinsen nach § 233a der Abgabenordnung (AO) als Einnahmen aus Kapitalvermögen entsprechend § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) 2010 zu erfassen sind, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten. Gegen die durch das Jahressteuergesetz (JStG) 2010 eingefügte Neufassung des Gesetzes, die gemäß § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG in allen Fällen anzuwenden ist, in denen die Steuer —wie hier— noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist, werden sowohl einfachrechtliche als auch verfassungsrechtliche Bedenken, z.B. Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, erhoben (vgl. (E) Deutsche Steuer-Zeitung 2011, 775; , Betriebs-Berater 2011, 2966; ähnlich Zimmermann, Erfassung der Erstattungszinsen als Kapitaleinkünfte, Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2011, 651; Markl/Hölzl, Und (noch) kein Ende - die Steuerpflicht von Erstattungszinsen - Zweifel am Nichtanwendungsgesetz, Buchführung, Bilanz und Kostenrechnung 2011, 270; kritisch auch Musil, Die Ergänzung des Entstrickungstatbestands durch § 4 Abs. 1 Satz 4 EStG – Herrscht nun endlich Klarheit?, Finanz-Rundschau —FR— 2011, 545). Demgegenüber wird die Verfassungsmäßigkeit der Neuregelung und die Rechtmäßigkeit von deren Erstreckung auf noch „offene Altfälle” von Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums bejaht (vgl. , EFG 2011, 1687; , EFG 2011, 649; , juris; Mitschke, Keine verfassungsrechtlich unzulässige Rückwirkung der Entstrickungsregelungen des JStG 2010, FR 2011, 706; unklar Stöcker, Steuerpflicht von Erstattungszinsen – Abzug von Nachzahlungszinsen, Der AO-Steuerberater 2011, 79).

4 c) Der BFH hat über diese Fragen noch nicht entschieden. Die Senatsentscheidung vom VIII R 33/07 (BFHE 230, 109, BStBl II 2011, 503) trifft zu dieser Problematik keine Aussage und die zu der hier aufgeworfenen Frage beim BFH anhängigen Verfahren VIII R 1/11 (Vorinstanz FG Münster in EFG 2011, 649) und VIII R 36/10 (Vorinstanz , EFG 2010, 723) sind noch offen.

5 Insgesamt gesehen bedürfen diese umstrittenen und höchstrichterlich noch nicht endgültig geklärten Fragen weiterer eingehender Prüfung. Ihre abschließende Beurteilung muss jedoch dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Verwaltungsanweisungen:

Fundstelle(n):
BStBl 2012 II Seite 243
AO-StB 2012 S. 72 Nr. 3
BB 2012 S. 477 Nr. 8
BBK-Kurznachricht Nr. 6/2012 S. 258
BFH/NV 2012 S. 640 Nr. 4
BFH/PR 2012 S. 158 Nr. 5
BStBl II 2012 S. 243 Nr. 5
DB 2012 S. 378 Nr. 7
DStR 2012 S. 347 Nr. 7
DStRE 2012 S. 387 Nr. 6
EStB 2012 S. 84 Nr. 3
ErbStB 2012 S. 99 Nr. 4
FR 2012 S. 323 Nr. 7
GStB 2012 S. 109 Nr. 4
HFR 2012 S. 378 Nr. 4
KSR direkt 2012 S. 4 Nr. 4
KÖSDI 2012 S. 17762 Nr. 2
KÖSDI 2012 S. 17839 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 8/2012 S. 626
StB 2012 S. 98 Nr. 4
StBW 2012 S. 145 Nr. 4
StBW 2012 S. 161 Nr. 4
Ubg 2012 S. 195 Nr. 3
XAAAE-02345