BAG Beschluss v. - 7 ABR 8/10

Teilnahmerecht von Auszubildenden eines reinen Ausbildungsbetriebes an Betriebsversammlungen des Einsatzbetriebes

Leitsatz

1. Auszubildende eines reinen Ausbildungsbetriebs, die ihre praktische Ausbildung vollständig oder teilweise in dem Betrieb eines anderen Unternehmens des Konzerns absolvieren, sind berechtigt, an Betriebsversammlungen in diesem Einsatzbetrieb teilzunehmen.

2. Der aufgrund eines geänderten Zuordnungstarifvertrags neu gewählte Betriebsrat tritt in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren in die Verfahrensstellung des bis dahin beteiligten Betriebsrats ein.

Gesetze: § 42 Abs 1 S 1 BetrVG, § 5 Abs 1 S 1 BetrVG, § 3 Abs 1 BetrVG, § 14 Abs 2 S 2 AÜG, § 44 BetrVG, § 83 Abs 3 ArbGG

Instanzenzug: ArbG Bielefeld Az: 6 BV 86/08 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 10 TaBV 55/09 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über das Recht der Auszubildenden eines reinen Ausbildungsbetriebs, an Betriebsversammlungen in einem Betrieb teilzunehmen, dem sie zur praktischen Ausbildung zeitweilig zugewiesen sind.

2Die zu 2. und 3. beteiligten Arbeitgeberinnen sind Unternehmen der Telekommunikationsbranche. Die zu 3. beteiligte Arbeitgeberin (im Folgenden: Stammarbeitgeberin) unterhält an ihrem Sitz in Bonn einen Betrieb, in dem sie sich ausschließlich mit der Ausbildung der im Konzern beschäftigten Auszubildenden befasst (im Folgenden: Stammbetrieb). Hierzu schließt sie die Ausbildungsverträge mit den Auszubildenden. Dem Stammbetrieb sind über das Bundesgebiet verteilt 33 Ausbildungszentren zugeordnet. Für die theoretische Ausbildung von insgesamt über 10.000 Auszubildenden sind circa 1.300 Stammarbeitnehmer zuständig. Die Stammarbeitgeberin ist Konzernmutter der zu 2. beteiligten Arbeitgeberin, die bundesweit Callcenter betreibt (im Folgenden: Einsatzarbeitgeberin). In deren Betrieben (im Folgenden: Einsatzbetriebe) findet die praktische Ausbildung der Auszubildenden statt. Aufgrund eines zwischen der Einsatzarbeitgeberin und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft e.V. (im Folgenden: Gewerkschaft ver.di) geschlossenen Zuordnungstarifvertrags für die Deutsche Telekom Kundenservice GmbH (ZTV 2008) waren bei ihr acht Regionalbetriebe und die in Bonn ansässige Zentrale als selbständige betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten festgelegt. Dazu gehörten die Deutsche Telekom Kundenservice GmbH Region West (im Folgenden: Region West), die Deutsche Telekom Kundenservice GmbH Region Nord (im Folgenden: Region Nord) und die Deutsche Telekom Kundenservice GmbH Region Nord-West (im Folgenden: Region Nord-West). Für diese war jeweils ein Betriebsrat errichtet.

3Zur Regelung der Mitbestimmung in ihrem Betrieb schloss die Stammarbeitgeberin mit der Gewerkschaft ver.di am den Tarifvertrag Mitbestimmung Telekom Ausbildung (im Folgenden: TV 122). In § 3 Abs. 1 Satz 1 TV 122 ist die Bildung einer Auszubildendenvertretung vorgesehen, deren Stellung und Rechte sich grundsätzlich nach den für Jugend- und Auszubildendenvertretungen iSd. BetrVG geltenden Bestimmungen richten.

Für die Auszubildenden der Stammarbeitgeberin gilt ferner der Manteltarifvertrag für die Auszubildenden der Deutschen Telekom (im Folgenden: MTV Azb). Auszugsweise heißt es darin:

5Die Einsatzarbeitgeberin und der für die Region Nord-West errichtete Betriebsrat schlossen für diesen Betrieb am eine Betriebsvereinbarung Arbeitszeit (im Folgenden: BV Az), die Regelungen zu der Arbeitszeit der Auszubildenden enthält.

6Für den beraumte der für die Region Nord-West errichtete Betriebsrat eine außerordentliche Betriebsversammlung an. Zu dieser lud er auch die 164 dem Betrieb Nord-West zur praktischen Ausbildung zugewiesenen Auszubildenden ein. Die Stammarbeitgeberin untersagte den Auszubildenden eine Teilnahme an dieser sowie an künftigen während der Arbeitszeit stattfindenden Betriebsversammlungen.

7In dem daraufhin von dem Betriebsrat der Region Nord-West eingeleiteten Beschlussverfahren hat dieser die Auffassung vertreten, die Auszubildenden seien nach § 42 Abs. 1 BetrVG berechtigt, an Betriebsversammlungen im Einsatzbetrieb teilzunehmen. Sie seien als Arbeitnehmer des Betriebs anzusehen, auch wenn sie zur Einsatzarbeitgeberin nicht in vertraglichen Beziehungen stünden. Entscheidend sei die organisatorische Eingliederung während der Praxisausbildung.

Der für die Region Nord-West errichtete Betriebsrat hat - soweit für das Rechtsbeschwerdeverfahren noch von Interesse - beim Landesarbeitsgericht zuletzt beantragt

9Einsatz- und Stammarbeitgeberin haben beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, die Auszubildenden hätten kein Recht zur Teilnahme an Betriebsversammlungen in den Einsatzbetrieben. Zu der Einsatzarbeitgeberin bestünde kein Ausbildungsverhältnis. Die betriebliche Vertretung der Interessen der Auszubildenden sei durch den TV 122 ausreichend gewährleistet.

10Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des für die Region Nord-West errichteten Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde hat der für die Region Nord-West errichtete Betriebsrat seinen Antrag weiterverfolgt. Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Einsatzarbeitgeberin und die Gewerkschaft ver.di am einen neuen Zuordnungstarifvertrag (im Folgenden: ZTV 2010) geschlossen. Durch diesen wurde die Zahl der Regionen, für die jeweils ein Betriebsrat zu bilden ist, von acht auf fünf Regionen reduziert. Die ehemalige Region Nord-West wurde aufgelöst. Deren Standorte Hannover, Oldenburg, Leer und Uelzen wurden der Region Nord, die Standorte Bielefeld, Münster, Osnabrück und Detmold der Region West zugeordnet. Im Mai 2010 fanden auf der Grundlage des ZTV 2010 Betriebsratswahlen statt. Dementsprechend wurde für die Regionen Nord und West jeweils erneut ein Betriebsrat, für die ehemalige Region Nord-West dagegen kein Betriebsrat mehr gewählt. Der Senat hat daraufhin am Rechtsbeschwerdeverfahren als Beteiligten zu 1a. den Betriebsrat der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH Region West (im Folgenden: Betriebsrat Region West) und als Beteiligten zu 1b. den Betriebsrat der Deutschen Telekom Kundenservice GmbH Region Nord (im Folgenden: Betriebsrat Region Nord) beteiligt.

Die Betriebsräte Region West und Region Nord haben ihren Sachantrag im Rechtsbeschwerdeverfahren dahin gefasst

12Einsatz- und Stammarbeitgeberin beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

13B. Die Rechtsbeschwerde der Betriebsräte Region Nord und Region West, die das Verfahren als Funktionsnachfolger des ehemaligen Betriebsrats der Region Nord-West fortführen, ist begründet. Die Auszubildenden, die ihre praktische Ausbildung in den Betrieben Region West und Region Nord durchlaufen, sind berechtigt, an den in dem jeweiligen Einsatzbetrieb während ihrer Ausbildung stattfindenden Betriebsversammlungen teilzunehmen.

14I. Die im Mai 2010 neu gewählten Betriebsräte der Region West und der Region Nord führen das (Rechtsbeschwerde-)Verfahren als Funktionsnachfolger des ehemaligen Betriebsrats der Region Nord-West fort.

151. Endet aufgrund einer Neuwahl das Amt eines Betriebsrats, wird nach dem Prinzip der Funktionsnachfolge und dem Grundgedanken der Kontinuität betriebsverfassungsrechtlicher Interessenvertretungen der neu gewählte Betriebsrat Funktionsnachfolger seines Vorgängers und tritt in dessen Beteiligtenstellung in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ein (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. zuletzt  - Rn. 11 mwN, AP SGB IX § 81 Nr. 17 = EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 14; - 7 ABR 69/09 - Rn. 11 mwN, EzA ArbGG 1979 § 83a Nr. 9). Dies gilt sowohl im Falle der gesetzlichen als auch der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG gewillkürten Betriebsverfassungsstrukturen. Eine Funktionsnachfolge findet grundsätzlich nicht nur bei einem unveränderten Betriebszuschnitt, sondern auch beim Übergang von den gesetzlichen zu gewillkürten Betriebsverfassungsstrukturen, bei der Änderung eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG sowie bei der Rückkehr zu den gesetzlichen Betriebsverfassungsstrukturen statt. Sie liegt im Interesse beider Betriebsparteien und ist wegen der Kontinuität der betrieblichen Interessenvertretung geboten. Ebenso gelten grundsätzlich die für die jeweiligen betriebsverfassungsrechtlichen Einheiten geschlossenen Betriebsvereinbarungen fort ( - Rn. 14, DB 2011, 2498). Entstehen aufgrund des Abschlusses, der Änderung oder der Beendigung eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG aus einer betriebsverfassungsrechtlichen Einheit mehrere Einheiten, so werden mehrere Betriebsräte Funktionsnachfolger des einen bisherigen Betriebsrats. Werden umgekehrt mehrere eigenständige betriebsverfassungsrechtliche Einheiten zu einer Einheit zusammengefasst, so wird der in dieser Einheit neu gewählte Betriebsrat Funktionsnachfolger der bisherigen Betriebsräte. Voraussetzung für eine Funktionsnachfolge ist allerdings, dass die vor und nach der Änderung von den Betriebsräten jeweils repräsentierten organisatorischen Einheiten zuverlässig voneinander abgegrenzt werden können. Die nach Abschluss, Änderung oder Ende eines Tarifvertrags nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis Nr. 3 BetrVG errichteten Betriebsräte treten dann jeweils die Funktionsnachfolge der Betriebsräte an, die diese Einheiten zuvor repräsentiert haben (vgl.  - Rn. 11, aaO).

162. Danach sind in vorliegendem Verfahren die auf der Grundlage des ZTV 2010 im Mai 2010 neu gewählten Betriebsräte Region West und Region Nord automatisch Rechtsbeschwerdeführer geworden. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass die vor und nach der Änderung des ZTV jeweils repräsentierten organisatorischen Einheiten zuverlässig voneinander abgegrenzt werden können. Die Standorte Hannover, Oldenburg, Leer und Uelzen wurden der Region Nord, die Standorte Bielefeld, Münster, Osnabrück und Detmold der Region West zugewiesen. Die Betriebsräte Region West und Region Nord sind daher Funktionsnachfolger des ehemaligen Betriebsrats Nord-West und repräsentieren neben den von ihnen bereits zuvor repräsentierten Standorten auch die ihnen durch den ZTV 2010 neu zugeordneten Standorte.

17II. Die statthafte Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Die zulässigen Feststellungsanträge der beiden Betriebsräte sind begründet. Die Auszubildenden der Stammarbeitgeberin sind berechtigt, an den Betriebsversammlungen der Betriebe teilzunehmen, in denen sie jeweils ihre praktische Ausbildung absolvieren.

181. Die zuletzt gestellten Anträge sind zulässig.

19a) Die Anträge sind hinreichend bestimmt.

20aa) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss eine Klageschrift ua. einen „bestimmten Antrag“ enthalten. Diese Bestimmung gilt auch im Beschlussverfahren. Ein Antrag im Beschlussverfahren unterliegt insoweit denselben Anforderungen wie im Urteilsverfahren ( - Rn. 22, BAGE 128, 358). Dementsprechend muss der Verfahrensgegenstand so genau bezeichnet werden, dass die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden kann ( - Rn. 14, EzA ZPO 2002 § 253 Nr. 4).

21bb) Diese Voraussetzungen sind nach der gebotenen Antragsauslegung erfüllt. Die beiden Betriebsräte begehren die Feststellung, dass die Auszubildenden, die ihre praktische Ausbildung in den Betrieben Region West und Nord durchlaufen, berechtigt sind, wie alle anderen Arbeitnehmer an den von den Betriebsräten einberufenen Betriebsversammlungen teilzunehmen. Allerdings haben weder die Einsatz- noch die Stammarbeitgeberin das Recht der Auszubildenden in Abrede gestellt, außerhalb ihrer vergüteten Arbeitszeit als Gäste an Betriebsversammlungen in den Betrieben der praktischen Ausbildung teilzunehmen. Sie sperren sich auch nicht dagegen, dass die Auszubildenden für die Teilnahme an den Betriebsversammlungen Urlaub beantragen. Dementsprechend geht es den Beteiligten in vorliegendem Verfahren nur um die gerichtliche Klärung, ob die Auszubildenden aus eigenem Recht während der Arbeitszeit und unter Fortzahlung der Ausbildungsvergütung an den jeweiligen Betriebsversammlungen teilnehmen dürfen. Diese Streitfrage kann mit Rechtskraftwirkung zwischen den Beteiligten entschieden werden.

22b) Die im Rechtsbeschwerdeverfahren vorgenommene Antragsänderung ist ausnahmsweise zulässig.

23aa) Nach dem auch für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren maßgeblichen sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff wird der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag (Klageantrag) und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt (Klagegrund) bestimmt. Der Verfahrensgegenstand ändert sich dementsprechend iSv. § 263 ZPO auch dann, wenn zwar nicht der gestellte Antrag als solcher, aber der ihm zugrunde liegende Lebenssachverhalt ein anderer geworden ist ( - Rn. 16 mwN, EzA ArbGG 1979 § 83a Nr. 9). Aus § 559 Abs. 1 ZPO folgt, dass in der Revisions- und Rechtsbeschwerdeinstanz eine Antragsänderung grundsätzlich ausgeschlossen ist. Ausnahmsweise hat die Rechtsprechung eine Antragsänderung in Fällen des § 264 Nr. 2 ZPO sowie dann zugelassen, wenn sich der neue Sachantrag auf den in der Berufungs- oder Beschwerdeinstanz festgestellten Sachverhalt und auf den unstreitigen Partei- oder Beteiligtenvortrag stützt. Unschädlich ist es außerdem, wenn eine Änderung des Lebenssachverhalts allein in einer für Inhalt und Umfang des Streitstoffs folgenlosen Rechts- oder Funktionsnachfolge besteht ( - Rn. 20, aaO).

24bb) Hier haben sich sowohl der konkret gestellte Antrag als auch der zugrunde liegende Lebenssachverhalt geändert. Der Antrag des ehemaligen Betriebsrats der Region Nord-West bezog sich darauf, ob Auszubildende, die von ihm repräsentierten Standorten zugewiesen waren, an den dortigen Betriebsversammlungen teilnehmen dürfen. Die von den Betriebsräten der Regionen Nord und West im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Anträge betreffen dagegen jeweils von ihnen durchgeführte Betriebsversammlungen. Diese Änderungen des Streitgegenstands sind ausnahmsweise zulässig. Das „rechtliche Prüfprogramm“ ist durch die Änderungen des Lebenssachverhalts, der in der geänderten Antragsfassung zum Ausdruck kommt, nicht betroffen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist weiterhin das - jedenfalls - von der Stammarbeitgeberin bestrittene Recht der Auszubildenden, an Betriebsversammlungen in dem für die praktische Ausbildung zuständigen Betrieb teilzunehmen. An den hierfür beachtlichen rechtlichen Regelungen und den dabei maßgeblichen tatsächlichen Umständen hat sich nichts Wesentliches geändert.

25c) Die Voraussetzungen des im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ebenfalls anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO liegen vor.

26aa) Die Frage, ob die Arbeitgeberin die Teilnahme der Auszubildenden an der Betriebsversammlung dulden muss, betrifft ein betriebsverfassungsrechtliches Rechtsverhältnis. Nach § 43 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 sowie Abs. 3 Satz 1 BetrVG ist der Betriebsrat für die Einberufung der Betriebsversammlungen zuständig. Daran ändert sich nichts dadurch, dass das Recht, an einer Betriebsversammlung teilzunehmen, den einzelnen Arbeitnehmern und Auszubildenden zusteht. Die Betriebsversammlung hat wesentliche Bedeutung für die Kommunikation des Betriebsrats mit der Belegschaft und damit kollektiven Bezug. Sie dient der Unterrichtung und Aussprache zwischen Betriebsrat und Belegschaft (vgl.  - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 62, 192).

27bb) Die beiden Betriebsräte haben ein eigenes berechtigtes Interesse an der Feststellung, ob Auszubildende an den von ihnen einberufenen Betriebsversammlungen teilnehmen dürfen. Aufgrund der unverändert gegenläufigen Rechtsstandpunkte der Beteiligten wird sich der Konflikt bei jeder zukünftigen Einladung zu einer Betriebsversammlung erneut stellen.

28cc) Das Feststellungsinteresse der beiden Betriebsräte besteht nicht nur im Verhältnis zur Einsatzarbeitgeberin. Es besteht auch gegenüber der Stammarbeitgeberin, die den Auszubildenden untersagt hat, während der Dienstzeit an den Betriebsversammlungen in den Einsatzbetrieben teilzunehmen. Dem steht nicht entgegen, dass die beiden Betriebsräte in keinem unmittelbaren betriebsverfassungsrechtlichen Verhältnis zur Stammarbeitgeberin stehen. Gegenstand eines Feststellungsantrags kann auch ein zwischen einem Beteiligten und einem Dritten bestehendes Rechtsverhältnis sein (vgl.  - zu B II 2 der Gründe, BAGE 50, 37). Die beiden Betriebsräte haben ein berechtigtes Interesse daran, dass die begehrte Feststellung auch Wirkung gegenüber der Vertragsarbeitgeberin der Auszubildenden entfaltet.

292. Die Anträge sind entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts begründet. Die der Einsatzarbeitgeberin zur praktischen Ausbildung zugewiesenen Auszubildenden sind berechtigt, an den von den jeweils für ihren Standort zuständigen Betriebsräten der Region West und der Region Nord einberufenen Betriebsversammlungen teilzunehmen. Ein solches Recht folgt allerdings nicht unmittelbar aus §§ 42, 44 BetrVG. Die der Einsatzarbeitgeberin zugeordneten Auszubildenden gehören mangels eines mit ihr geschlossenen Vertragsverhältnisses nicht im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG zu den Arbeitnehmern des Einsatzbetriebs. Es besteht insoweit jedoch eine gesetzliche Regelungslücke, die durch eine entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG zu schließen ist.

30a) Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Halbs 1 BetrVG besteht die Betriebsversammlung aus den Arbeitnehmern des Betriebs. Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift sind nach § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG Arbeiter und Angestellte einschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten. § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG umfasst nur solche Personen, mit denen der Ausbildende einen auf die Ausbildung gerichteten Vertrag geschlossen hat (vgl.  - Rn. 13 mwN, AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2). Daneben setzt die Arbeitnehmereigenschaft eines zu seiner Berufsausbildung Beschäftigten im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 BetrVG voraus, dass dieser in den Betrieb des Ausbildenden eingegliedert ist (vgl.  - Rn. 14 mwN, aaO). Hiernach gehören die der Einsatzarbeitgeberin zur praktischen Ausbildung zugewiesenen Auszubildenden nicht zu deren Arbeitnehmern. Es fehlt an dem hierzu erforderlichen Vertragsverhältnis zwischen ihnen und der Einsatzarbeitgeberin.

31b) Das BetrVG enthält für Auszubildende, die zu dem Inhaber eines reinen Ausbildungsbetriebs in einem Vertragsverhältnis stehen und von diesem zur praktischen Ausbildung in den Betrieb eines anderen Betriebsinhabers entsandt werden, hinsichtlich der dort stattfindenden Betriebsversammlungen eine unbewusste, planwidrige Regelungslücke. Diese ist durch die entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG zu schließen.

32aa) Der Gesetzgeber hat die atypische Situation, in welcher der Inhaber eines reinen Ausbildungsbetriebs die Auszubildenden zur praktischen Ausbildung zeitweilig in den Betrieb eines anderen Arbeitgebers entsendet, hinsichtlich der dort stattfindenden Betriebsversammlungen nicht geregelt. Er hat zwar in § 51 Abs. 1 BBiG die Möglichkeit der Wahl einer besonderen Interessenvertretung vorgesehen (vgl. dazu  - Rn 21 ff. mwN, AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 5 Nr. 2). Dies betrifft aber nicht die Frage der Teilnahme von Auszubildenden an Betriebsversammlungen in Betrieben, in die sie zur praktischen Ausbildung entsendet werden.

33bb) Die Regelungslücke ist planwidrig und ersichtlich vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt.

34(1) Betriebsversammlungen dienen vor allem der Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft (vgl.  - zu B II 2 b aa der Gründe, BAGE 62, 192). Auf ihnen können alle in § 45 Satz 1 BetrVG genannten Angelegenheiten behandelt werden. Nach § 45 Satz 2 BetrVG können dem Betriebsrat Anträge unterbreitet, und es kann zu seinen Beschlüssen Stellung genommen werden. Das Erfordernis der wechselseitigen Kommunikation zwischen Betriebsrat und Belegschaft betrifft nach der gesetzlichen Konzeption auch Arbeitnehmer, die zwar nicht in einem Vertragsverhältnis zum Arbeitgeber stehen, aber zum Zwecke der Arbeitsleistung in dessen Betrieb eingegliedert sind. Das macht insbesondere § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG deutlich. Danach sind Leiharbeitnehmer ua. berechtigt, an den Betriebsversammlungen im Entleiherbetrieb teilzunehmen. Damit trägt der Gesetzgeber ersichtlich dem Umstand Rechnung, dass es im Entleiherbetrieb zahlreiche Themen gibt, die zu den in § 45 Satz 1 BetrVG genannten Angelegenheiten gehören und die nicht nur für die Vertragsarbeitnehmer des Inhabers des Entleiherbetriebs, sondern ebenso für die dort beschäftigten Leiharbeitnehmer von Bedeutung sind. Dazu gehören zB Fragen der Ordnung des Betriebs (§ 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG), der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung (§ 87 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 BetrVG), die Einführung und Anwendung technischer Einrichtungen zur Überwachung von Verhalten und Leistung der Arbeitnehmer (§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG) sowie Regelungen über die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten und über den Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG).

35(2) Auszubildende, die mit dem Inhaber eines reinen Ausbildungsbetriebs ein Vertragsverhältnis haben und von diesem zur praktischen Ausbildung in den Betrieb eines anderen Betriebsinhabers entsandt werden, befinden sich - jedenfalls unter den vorliegenden Umständen - hinsichtlich der Teilnahme an Betriebsversammlungen im Einsatzbetrieb in einer vergleichbaren Lage wie Leiharbeitnehmer im Entleiherbetrieb. Auch sie nehmen in erheblichem Umfang am betrieblichen Geschehen teil, ohne zu den Arbeitnehmern im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG zu gehören. Auch sie sind in erheblichem Umfang von Themen betroffen, die in Betriebsversammlungen erörtert werden können. Bereits der Einsatz des Auszubildenden im Einsatzbetrieb stellt sich für diesen als mitbestimmungspflichtige Einstellung im Sinne von § 99 Abs. 1 BetrVG dar (vgl.  - Rn. 18 f., EzA BetrVG 2001 § 99 Einstellung Nr. 10). Der Inhaber des Einsatzbetriebs nimmt während des praktischen Einsatzes der Auszubildenden in seinem Betrieb diesen gegenüber jedenfalls einen Teil der Arbeitgeberstellung wahr. Er besitzt zumindest insoweit Personalhoheit, wie er den Auszubildenden durch seine betrieblichen Fachkräfte Anweisungen hinsichtlich Ort und Zeit ihrer Tätigkeit erteilt (vgl.  - Rn. 19, aaO). Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 MTV Azb richtet sich die regelmäßige wöchentliche Ausbildungszeit nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der vollbeschäftigten Arbeitnehmer des jeweiligen Betriebs. Nach § 25 Abs. 2 MTV Azb werden Beginn und Ende der täglichen Ausbildungszeit und der Pausen betrieblich im Einvernehmen mit dem Betriebsrat des jeweiligen Einsatzbetriebs entsprechend § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG geregelt. Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 MTV Azb können durch Betriebsvereinbarung des Einsatzbetriebs Regelungen zur Ausbildungszeit geschlossen werden. Demgemäß haben der ehemals für die Region Nord-West errichtete Betriebsrat und die Arbeitgeberin die BV Az vom geschlossen, die Regelungen zur Arbeitszeit der Auszubildenden enthält. Auch die Überwachungspflicht des Betriebsrats des Einsatzbetriebs nach § 75 Abs. 1 BetrVG erstreckt sich auf die im Einsatzbetrieb beschäftigten Auszubildenden.

36(3) Der Gesetzgeber hat diese planwidrige Regelungslücke ersichtlich nicht beabsichtigt. Er hat erkennbar die außergewöhnliche Situation eines auf diese Weise „aufgespaltenen Ausbildungsverhältnisses“ nicht im Auge gehabt.

cc) Die Regelungslücke ist durch die entsprechende Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 AÜG zu schließen. Diese für Leiharbeitnehmer geltende Regelung entspricht unter den vorliegenden Umständen der Interessenlage im Verhältnis von Stammarbeitgeberin, Einsatzarbeitgeberin, Betriebsrat im Einsatzbetrieb und Auszubildenden. Die Ausfüllung der gesetzlichen Regelungslücke ist nicht wegen des TV 122 entbehrlich. Zum einen ist ein Tarifvertrag rechtssystematisch nicht geeignet, eine gesetzliche Regelungslücke zu schließen. Zum anderen regelt der TV 122 kein Teilnahmerecht der Auszubildenden im Einsatzbetrieb. Der TV 122 schafft allerdings in einem gesetzlich nicht geregelten Bereich eigene Vertretungsstrukturen und Kompetenzen. Er greift dazu nicht in gesetzliche Organisationsstrukturen und Befugnisse von Vertretungsgremien ein und begegnet deshalb keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl.  - zu B I 1 b der Gründe, BAGE 111, 350; - 7 AZR 450/07 - Rn. 32). Er sieht die Bildung eines Vertretungsgremiums für die Auszubildenden im Stammbetrieb vor und schließt damit die Vertretungslücke, die dadurch entsteht, dass die Auszubildenden - mangels Eingliederung - nicht zu den Arbeitnehmern dieses reinen Ausbildungsbetriebs gehören. Auch haben die Auszubildendenvertretungen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 TV 122 grundsätzlich die gleichen Rechte wie die Jugend- und Auszubildendenvertretungen nach dem BetrVG und daher auch das Recht, Auszubildendenversammlungen durchzuführen (vgl. § 71 BetrVG). Das Teilnahmerecht an Versammlungen der Auszubildendenvertretungen kann jedoch ein Recht zur Teilnahme an Betriebsversammlungen im Einsatzbetrieb nicht ersetzen. Hierdurch wird keine betriebsöffentliche Kommunikation zwischen den Auszubildenden und dem Betriebsrat des Einsatzbetriebs ermöglicht.

Fundstelle(n):
DB 2012 S. 1158 Nr. 20
SAAAE-00731