BSG Beschluss v. - B 9 V 3/11 B

(Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - Klärungsbedürftigkeit - Anti-D-Hilfegesetz - MdE-Bewertung - Anwendbarkeit des § 30 Abs 2 BVG)

Gesetze: § 1 AntiDHG, § 3 Abs 4 S 1 AntiDHG, § 30 Abs 1 BVG, § 30 Abs 2 BVG, § 31 BVG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, §§ 160a Abs 2 S 3 SGG

Instanzenzug: Az: S 18 VM 1/03vorgehend Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen Az: L 10 VM 1/06 Urteil

Gründe

1I. Die 1957 geborene Klägerin begehrt in der Hauptsache die rückwirkende Gewährung einer höheren monatlichen Rente nach dem am in Kraft getretenen Gesetz über die Hilfe für durch Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis-C-Virus infizierte Personen (Anti-D-Hilfegesetz - AntiDHG) vom (BGBl I 1270) unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit.

2Mit bestandskräftigem Bescheid vom stellte das Amt für Familie und Soziales C. Versorgungsamt - fest, dass die Klägerin infolge einer in den Jahren 1978/1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe und den dabei verwandten infizierten Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesens des Bezirks Halle mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert worden ist. Weiter erkannte das Amt bei der Klägerin eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 vH infolge der HCV-Infektion an. Es gewährte der Klägerin eine Einmalzahlung von 12 000 DM sowie ab eine monatliche Rente nach einer MdE um 30 vH.

3Der Antrag der Klägerin vom , bei ihr ab unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine höhere MdE festzustellen, wurde mit der Begründung abgelehnt, das AntiDHG sehe dies nicht vor (Bescheid des Amtes für Familie und Soziales C. Versorgungsamt - vom in der Gestalt des Widerspruchbescheides des Sächsischen Landesamts für Familie und Soziales vom ).

4Die auf Rücknahme des Bescheides vom sowie auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 40 vH ab zunächst gegen den Freistaat Sachsen und nach einem Zuständigkeitswechsel gegen den Kommunalen Sozialverband Sachsen gerichtete Klage hatte vor dem Sozialgericht (SG) und dem Landessozialgericht (LSG) keinen Erfolg (; Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom ).

5Die Klägerin hat gegen die Nichtzulassung der Revision im vorgenannten Urteil des LSG Beschwerde eingelegt, die sie mit grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) und dem Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) begründet.

6II. Die Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

71. Soweit die Klägerin das Vorliegen einer Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) rügt, genügt die Beschwerde nicht den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG.

8Zur formgerechten Rüge einer Divergenz ist in der Beschwerdebegründung die Entscheidung, von der das LSG abweichen soll, zumindest so zu bezeichnen, dass sie ohne Schwierigkeiten auffindbar ist. Ferner ist deutlich zu machen, worin eine Abweichung zu sehen sein soll. Der Beschwerdeführer muss darlegen, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine die Berufungsentscheidung tragende Abweichung in deren rechtlichen Ausführungen enthalten sein soll. Er muss einen abstrakten Rechtssatz der vorinstanzlichen Entscheidung und einen abstrakten Rechtssatz aus dem höchstrichterlichen Urteil so bezeichnen, dass die Divergenz erkennbar wird. Es reicht dagegen nicht aus, auf eine bestimmte höchstrichterliche Entscheidung mit der Behauptung hinzuweisen, das angegriffene Urteil weiche hiervon ab. Schließlich ist darzulegen, dass die berufungsgerichtliche Entscheidung auf der gerügten Divergenz beruhe (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 21, 29).

9Diese Begründungserfordernisse hat die Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt; insbesondere hat sie nicht herausgearbeitet, inwiefern das LSG mit einem abstrakten Rechtssatz von einem abstrakten Rechtssatz in dem - (BSGE 22, 82 = SozR Nr 15 zu § 35 BVG) abgewichen sein soll. Vielmehr hat sie lediglich geltend gemacht, dass das LSG bei seiner Entscheidung die in dem vorgenannten Urteil aufgestellten Grundsätze nicht beachtet habe. Mit ihrem Vorbringen rügt sie demnach im Kern eine unzutreffende Rechtsanwendung, auf die eine Nichtzulassungsbeschwerde nicht gestützt werden kann (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 7 S 10).

102. Soweit die Klägerin als Zulassungsgrund eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend macht, genügt die Beschwerdebegründung zwar den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG. Die Beschwerde hat jedoch insoweit ebenfalls keinen Erfolg, denn die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.

11Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besitzt (vgl BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 39). Die Frage muss außerdem klärungsbedürftig sein. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf von vornherein praktisch außer Zweifel steht (vgl BSGE 40, 40 = SozR 1500 § 160a Nr 4) oder bereits höchstrichterlich entschieden ist (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 13, 65). Die von der Klägerin aufgeworfene Rechtsfrage ist in diesem Sinne nicht klärungsbedürftig.

12Die Klägerin hat die Rechtsfrage bezeichnet, ob bei der Bewertung der MdE (seit : Grad der Schädigungsfolgen - GdS) im Rahmen des AntiDHG neben § 30 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) auch § 30 Abs 2 BVG Anwendung findet.

13Zwar ist es richtig, dass diese Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist. Das BSG hat sich in seinem Beschluss vom - B 9 VJ 7/07 B - lediglich mit der Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" im Anwendungsbereich des AntiDHG auseinandergesetzt. Im Urteil vom - B 9 VJ 2/02 R - hat das BSG die Entstehungsgeschichte des AntiDHG aufgezeigt (vgl BSGE 92, 34 = SozR 4-3100 § 60 Nr 1, RdNr 11). Zu weiteren die Auslegung und Anwendung der Vorschriften des AntiDHG betreffenden Fragen hat sich das BSG (ebenso wenig wie die anderen obersten Bundesgerichte) noch nicht geäußert.

14Die Antwort auf die aufgeworfene Frage steht jedoch von vornherein außer Zweifel, denn sie ergibt sich eindeutig aus dem Gesetzestext (vgl hierzu etwa BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 7 RdNr 8). Das AntiDHG ordnet nicht wie andere Gesetze - etwa das Opferentschädigungsgesetz in § 1 Abs 1 Satz 1 oder das Infektionsschutzgesetz in § 60 Abs 1 Satz 1 - umfassend eine entsprechende Anwendung der Vorschriften des BVG an, sondern verweist nur in einigen Bestimmungen auf dort im einzelnen genannte Regelungen des BVG, so auch in § 3 Abs 4 Satz 1 AntiDHG. Dort wird hinsichtlich der Bestimmung der MdE (seit : GdS) nur auf § 30 Abs 1 BVG Bezug genommen, nicht jedoch auf § 30 Abs 2 BVG. Eine am Wortlaut orientierte Auslegung kann deshalb nur zu dem Ergebnis gelangen, dass im Rahmen des AntiDHG die Regelung über die besondere berufliche Betroffenheit (§ 30 Abs 2 BVG) keine Anwendung findet.

15Diese Auslegung kann sich zudem auf die Entstehungsgeschichte des AntiDHG stützen. In den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 14/2958 S 10 zu § 3) heißt es ausdrücklich: "Basis der Bewertung ist allein der tatsächlich bestehende Gesundheitsschaden. Eine Erhöhung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit nach § 30 Abs. 2 BVG ist nicht vorgesehen; diese wird pauschal in der Höhe der Rente berücksichtigt." Daraus ergibt sich zugleich, dass diese Frage vom Gesetzgeber nicht versehentlich offengelassen wurde, so dass mangels unbeabsichtigter Regelungslücke auch eine analoge Anwendung des § 30 Abs 2 BVG ausscheidet.

16Diese Auslegung entspricht außerdem dem Zweck des AntiDHG, einem begrenzten Personenkreis, nämlich Frauen, die im Beitrittsgebiet anlässlich der Durchführung einer dort gesetzlich vorgeschriebenen Anti-D-Immunprophylaxe in den Jahren 1978 und 1979 durch bestimmte Chargen mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden (vgl § 1 Abs 1 Satz 1 AntiDHG), durch ein spezielles Hilfegesetz aus "humanitären und sozialen Gründen" Leistungen, insbesondere finanzielle Hilfen (monatliche Renten nach § 3 Abs 2 AntiDHG und Einmalzahlungen nach § 3 Abs 3 AntiDHG), zu gewähren (vgl dazu BT-Drucks 14/2958 S 1, 7 f), deren Höhe sich nur hinsichtlich der Bestimmung der MdE (des GdS) nach der entsprechenden Regelung des BVG (§ 30 Abs 1) richtet; die vom Gesetzgeber festgelegten Geldbeträge sind bei entsprechender MdE (GdS) höher als bei der Grundrente nach § 31 Abs 1 BVG.

17Soweit die Klägerin meint, eine isolierte Anwendung des § 30 Abs 1 BVG entspreche nicht der höchstrichterlichen Rechtsprechung ( - BSGE 22, 82 = SozR Nr 15 zu § 35 BVG), verkennt sie, dass es in dem entschiedenen Fall um die Auslegung des Begriffes "erwerbsunfähig" im Sinne der damals geltenden Fassungen des § 35 Abs 1 Satz 3 bzw Satz 4 BVG ging. In diesem Zusammenhang hat das BSG klargestellt, dass bei einer solchen Rechtslage die Bewertung der MdE einheitlich zu erfolgen hat, nämlich nach den dort zweifelsfrei anwendbaren Bestimmungen des § 30 Abs 1 und Abs 2 BVG. Daraus lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass § 30 Abs 1 BVG nicht angewendet werden könne, ohne zugleich eine Wertung iS des § 30 Abs 2 BVG vorzunehmen. Das zeigt im Übrigen auch das Schwerbehindertenrecht, wo der Grad der Behinderung auch nur nach § 30 Abs 1 BVG - also ohne Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit - festzusetzen ist; § 69 Abs 1 Satz 5 SGB IX enthält ebenfalls nur eine auf § 30 Abs 1 BVG beschränkte Verweisung.

183. Nach alledem liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist deshalb unter Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter nach § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 1 SGG zurückzuweisen.

19Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:061011BB9V311B0

Fundstelle(n):
QAAAD-94775