BSG Urteil v. - B 14 AS 132/10 R

Sozialgerichtliches Verfahren - Beschränkung des Streitgegenstandes - Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Angemessenheitsprüfung - Wohnflächengrenze in Bremen - räumlicher Vergleichsbereich in Großstädten bzw Ballungszentren - Anwendung der Wohngeldtabelle - Zurückverweisung

Gesetze: § 95 SGG, § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 vom , § 22 Abs 1 S 2 SGB 2 vom , § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 vom , § 19 Abs 1 SGB 2 vom , § 8 WoGG 2 vom , § 31 SGB 10, § 50a SGG vom , §§ 50aff SGG, § 170 Abs 2 S 2 SGG, § 206 Abs 2 SGG vom

Instanzenzug: Az: S2 K 1016/05 Gerichtsbescheidvorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen Az: S2 A 317/06

Tatbestand

1Der Kläger begehrt von dem beklagten Jobcenter Leistungen für die Unterkunft und Heizung ausgehend von der von ihm tatsächlich gezahlten Bruttokaltmiete nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).

2Der Kläger bewohnt seit dem Jahr 2001 eine 48 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung in Bremen-W, für die er eine Bruttokaltmiete von 378,24 Euro zu zahlen hat. Bis zum bezog er Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), als Kosten der Unterkunft waren 245 Euro anerkannt, nachdem eine ihm eingeräumte insgesamt achtmonatige Frist zur Beschaffung einer sozialhilferechtlich angemessenen Wohnung abgelaufen war. Die Rechtsvorgängerin des jetzigen Beklagten (im Folgenden: "Beklagter") bewilligte dem Kläger für die Zeit vom 1.1. bis zum Leistungen nach dem SGB II, darunter 245 Euro für die Unterkunft und 31 Euro für die Heizung monatlich (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ).

3Das Verwaltungsgericht (VG) Bremen - Kammer für Sozialgerichtssachen - hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom ). Im Laufe des Berufungsverfahrens hat der Beklagte am dem Kläger für die umstrittene Zeit Leistungen für die Unterkunft in Höhe von 265 Euro monatlich bewilligt. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) der Freien Hansestadt Bremen - Senat für Sozialgerichtssachen - hat unter Änderung der angefochtenen Bescheide den Beklagten verurteilt, dem Kläger vom 1.1. bis zum Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 291,50 Euro zu bewilligen und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Streitgegenstand sei nur die Bewilligung höherer Kosten der Unterkunft nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, bei deren Prüfung in mehreren Schritten vorzugehen sei (Hinweis auf B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2; B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3).

4Die angemessene Wohnungsgröße für Ein-Personen-Haushalte reiche in der Stadt Bremen bis 48 qm nach der Neufassung der Richtlinien zur Durchführung der vertraglich vereinbarten Förderung der Modernisierung von Mietwohnungen in der Freien Hansestadt Bremen vom (Amtsblatt der Freien Hansestadt Bremen <Abl> 417). Der Wohnungsstandard müsse nach Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügen. Der räumliche Vergleichsmaßstab sei so zu wählen, dass der Leistungsberechtigte in seinem sozialen Umfeld verbleiben könne. Bei einer Großstadt wie Bremen mit rund 548 000 Einwohnern sei eine Differenzierung geboten. Angemessen als räumlicher Vergleichsmaßstab sei vorliegend der Stadtbezirk Bremen-West, in dem der Stadtteil W liege, in dem der Kläger wohne. In Bremen-West wohnten ca 88 600 Einwohner, er umfasse 15 Ortsteile, in denen ein Umzug zumutbar sei und er sei im Hinblick auf Wohnbebauung und Mietniveau ähnlich strukturiert. Die Ortsteile seien durch öffentliche Verkehrsmittel gut miteinander verbunden.

5Für die Stadt Bremen liege weder ein einfacher noch ein qualifizierter Mietspiegel vor. Der Beklagte habe auch kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung des Mietniveaus für eine sozialrechtlich angemessene Wohnung für Ein-Personen-Haushalte im Stadtbezirk Bremen-West erstellt. Das vom Beklagten vorgelegte Ergebnis einer Recherche aufgrund von Wohnungsanzeigen genüge den Anforderungen für ein schlüssiges Konzept nicht. Dem "GEWOS-Gutachten", in dem eine umfassende Erhebung des Mietwohnungsbestandes in Bremen erfolgt sei, könne der zu ermittelnde abstrakt angemessene Mietzins für den Stadtbezirk Bremen-West nicht entnommen werden, denn die Angaben zum Mietniveau bezögen sich auf die ganze Stadt. Daher seien nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (<BSG> Hinweis auf die Urteile vom , aaO) zur Bestimmung des abstrakt angemessenen Mietzinses die Werte der Tabelle zu § 8 Wohngeldgesetz (in der Fassung des Gesetzes vom , BGBl I 2954, im Folgenden: WoGG aF) zugrunde zu legen. Diese Werte seien durch die in den GEWOS-Gutachten über die Mietsituation in Bremen enthaltenen Erkenntnisse zu modifizieren. Der Beklagte habe vorliegend bei der Bemessung der Leistung für die Unterkunft § 8 WoGG aF und die Mietstufe IV angewandt, aber nicht die äußere rechte Spalte (Bezugsfertigkeit ab ), sondern die zweite von rechts (Bezugsfertigkeit vom bis zum ) und einen Betrag von 265 Euro als angemessen angesehen. Dem könne aufgrund der Untersuchungen des GEWOS-Institutes nicht gefolgt werden, weil ein unausgeglichenes Verhältnis zwischen der Anzahl der nach dem SGB II hilfebedürftigen alleinstehenden Personen und dem Bestand an Wohnraum zu diesem Mietpreis vorgelegen habe. Als angemessener Wohnungsbestand für Alleinstehende mit bis zu 50 qm seien insgesamt 16 100 Einheiten ermittelt worden, von denen 13 100 bis 14 500 von Haushalten nach dem SGB II und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) bewohnt wurden und weitere 310 Wohnungen leer standen. Die Anzahl der nicht angemessen wohnenden Alleinstehenden habe 5000 bis 5500 Personen betragen, für die folglich nur 1600 bis 3000 Wohnungen zur Verfügung gestanden hätten. Nach dem GEWOS-Gutachten und den Ausführungen der Sachverständigen S würde sich durch eine Anhebung der Mietobergrenze um 10 vH die Anzahl der angemessenen Wohnungen von 16 100 auf 24 000 erhöhen und ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Nachfrage und angemessenem Wohnungsbestand für Alleinstehende ergeben. Der angemessene Mietzins für den Kläger betrage daher monatlich (265 + 26,50 =) 291,50 Euro. Zwar beziehe sich das GEWOS-Gutachten auf die gesamte Stadt Bremen, der Übertragung auf den Stadtbezirk West stünden aber keine durchgreifenden Hinderungsgründe entgegen.

6Entgegen der Ansicht des Klägers beinhalte § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom (BGBl I 2954, im Folgenden: SGB II aF) keine Regel, nach der eine Absenkung der Unterkunftskosten erst sechs Monate nach Bezug von Leistungen nach dem SGB II möglich sei. Für den Kläger habe die Möglichkeit eines Umzugs bestanden, wie sich aus dem GEWOS-Gutachten und den Erläuterungen der Sachverständigen ergebe. Der Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, ihm günstigen Wohnraum nachzuweisen. Vielmehr sei es eine Obliegenheit des Klägers gewesen, sich um eine angemessene Unterkunft zu bemühen. Ein Umzug in eine kostengünstigere Wohnung sei dem Kläger auch zuzumuten gewesen. Dagegensprechende Gründe seien weder vorgetragen worden, noch ersichtlich.

7Mit der - vom BSG zugelassenen - Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und macht geltend: Nach den Feststellungen des OVG liege für die Stadt Bremen kein einfacher und kein qualifizierter Mietspiegel vor, auch habe der Beklagte kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung des Mietniveaus. Demgemäß sei der Bemessung der Leistung für die Unterkunft des Klägers zumindest der Mietzins nach der rechten Spalte in § 8 WoGG aF in Höhe von 325 Euro zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 %, also 357,50 Euro zugrunde zu legen (Hinweis ua auf B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3). Wäre das OVG seiner Verpflichtung nachgekommen, der Bemessung der Leistung für die Unterkunft ein schlüssiges Konzept zugrunde zu legen und sich ggf von dem Beklagten vorlegen zu lassen, hätte es den Beklagten verpflichten müssen, die tatsächlichen Unterkunftskosten des Klägers zu übernehmen.

8Der Kläger beantragt (sinngemäß),das Urteil des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom und den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom sowie den Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom und den Bescheid vom zu ändernund den Beklagten zu verurteilen, ihm Leistungen für die Unterkunft und die Heizung in Höhe von 423,24 Euro vom bis zum monatlich zu zahlen.

9Der Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

Gründe

10Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des OVG der Freien Hansestadt Bremen aufzuheben, weil der rechtlichen Auffassung des OVG in mehreren Punkten nicht gefolgt werden kann. Der Rechtsstreit ist zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) zurückzuverweisen, weil eine endgültige Entscheidung seitens des BSG mangels ausreichender Feststellungen nicht möglich ist.

11Streitgegenstand des Verfahrens ist nach den Anträgen des Klägers in den Vorinstanzen die "Übernahme seiner tatsächlichen Unterkunftskosten" und der diesen Anspruch regelnde Bescheid des Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom und der im Laufe des Berufungsverfahrens ergangene Änderungsbescheid vom . Eine Beschränkung des Streitgegenstandes auf die Leistungen für die Unterkunft und Heizung ist zulässig, soweit es sich bei der Verfügung über diese Leistungen um eine abtrennbare Verfügung (Verwaltungsakt iS des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch <SGB X>) des Gesamtbescheides handelt. Eine weitere Aufspaltung des Streitgegenstandes in die Leistungen für die Unterkunft und für die Heizung ist rechtlich nicht möglich, weil diese Leistungen eng miteinander verknüpft sind, zB über die Wohnungsgröße (vgl mit weiterer Begründung: B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1 RdNr 18 ff). Hierin hat sich durch die Neufassung des § 19 Abs 1 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom (BGBl I 453), das insofern zum in Kraft getreten ist, zumindest für laufende Verfahren über frühere Bewilligungsabschnitte nichts geändert.

12Die aufgezeigten Voraussetzungen für eine Beschränkung des Streitgegenstandes sind vorliegend erfüllt, weil insbesondere der Widerspruchsbescheid eine abtrennbare Verfügung über die Leistung für die Unterkunft und Heizung enthält. Soweit der vor dem VG und dem OVG nicht anwaltlich vertretene Kläger in seinen Sachanträgen "die tatsächlichen Unterkunftskosten" begehrt hat, ist hierin bei sachgerechter Auslegung seiner Anträge (vgl § 123 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) keine Beschränkung des Streitgegenstandes und Ausschluss der Leistung für die Heizung zu sehen, sodass sich für die streitgegenständliche Zeit aufgrund der tatsächlichen Bruttokaltmiete von 378,24 Euro plus des zu zahlenden Vorschusses für die Heizung von 45 Euro ein Betrag von 423,24 Euro ergibt.

13Ob der Kläger zu dem dem Grunde nach anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II gehört, kann nicht abschließend beurteilt werden, weil das Urteil des OVG zu einigen Grundvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (Alter, Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit) keine Feststellungen hinsichtlich des Klägers enthält.

14Die vorliegend umstrittenen Leistungen für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, das insofern vom bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht geändert wurde). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen Kontrolle (ständige Rechtsprechung vgl nur - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 <München>, jeweils RdNr 12 mwN). Zwischen der Leistung für die Unterkunft und der Leistung für die Heizung ist zu unterscheiden, wie schon im Wortlaut der Vorschrift mit der Verwendung des Plurals Leistungen sowie der Rechtsprechung des BSG zu entnehmen ist ( - BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; zuletzt - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 <Berlin> RdNr 18).

15Die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistung für die Heizung kann vom Senat nicht beurteilt werden, weil das Urteil des OVG insofern keine weitergehenden Feststellungen enthält, außer der dem Kläger von dem Beklagten bewilligten 31 Euro.

16Der Kläger könnte gegen den Beklagten einen Anspruch auf eine höhere Leistungen für die Unterkunft (Nettokaltmiete plus kalte Betriebskosten) als die ihm vom OVG zugesprochenen 291,50 Euro monatlich für die Zeit vom 1.1. bis zum haben, weil die Herleitung des Betrags nicht frei von Rechtsfehlern ist.

17Zur Ermittlung der Leistung für die Unterkunft, auf die der dem Grunde nach Leistungsberechtigte Anspruch hat, ist in mehreren Schritten vorzugehen: Zunächst ist die angemessene Leistung für die Unterkunft unter Zugrundelegung der sogenannten Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren abstrakt zu ermitteln (dazu 1.). Dann ist - falls insofern vom Leistungsberechtigten Einwände vorgebracht werden - zu prüfen, ob in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum eine solche abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte angemietet werden können (dazu 2.). Soweit die Aufwendungen des Leistungsberechtigten für seine Unterkunft die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft übersteigen, sind erstere solange zu berücksichtigen, wie es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel längstens für sechs Monate (§ 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aF, der durch die Einführung des neuen Satzes 2 durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom , BGBl I 1706, ohne inhaltliche Änderung zu Satz 3 wurde; zu dieser Voraussetzung unter 3.; vgl zu allen Voraussetzungen ua B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 19 ff; - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 <München>, jeweils RdNr 12 ff; - SozR 4-4200 § 22 Nr 26; - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30; - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 <Essen>; - SozR 4-4200 § 22 Nr 29; zuletzt: - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 <Berlin> RdNr 20 ff).

181. Die Höhe der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft des Klägers kann aufgrund der Feststellungen des OVG nicht beurteilt werden.

19Die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft ist entsprechend der soeben aufgezeigten Rechtsprechung in einem mehrstufigen Verfahren zu ermitteln: a) Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. b) Alsdann ist der maßgebliche örtliche Vergleichsraum festzulegen. c) Im nächsten Schritt ist unter Berücksichtigung des angemessenen einfachen Wohnungsstandards festzustellen, welche Nettokaltmiete pro qm Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraumes zu zahlen ist, um die nach der Produkttheorie angemessene Nettokaltmiete zu ermitteln. d) Zu der so ermittelten Nettokaltmiete sind noch die kalten Betriebskosten hinzuzurechnen.

20a) Die angemessene Wohnungsgröße beträgt für Alleinstehende in Bremen 48 qm.

21Zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen (ständige Rechtsprechung seit B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 19; zuletzt - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 <Berlin>). Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsbau verweisen § 27 Abs 4, § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom (BGBl I 2376, "Wohnraumförderungsgesetz", im Folgenden: WoFG) wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße auf die "Bestimmungen des jeweiligen Landes".

22Nach den Feststellungen des OVG ist nach der Neufassung der Richtlinien zur Durchführung der vertraglich vereinbarten Förderung der Modernisierung von Mietwohnungen in der Freien Hansestadt Bremen vom (Abl 417 ff) für einen Ein-Personen-Haushalt eine Wohnungsgröße bis 48 qm angemessen. An diese Regelung für die Belegung von gefördertem Wohnraum ist für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II aus den genannten Gründen anzuknüpfen.

23b) Der für den Kläger maßgebliche örtliche Vergleichsraum kann nach den derzeitigen Feststellungen des OVG nicht auf den Stadtbezirk Bremen-West beschränkt werden.

24Zur Begründung dieses von ihm angenommenen örtlichen Vergleichsraums hat das OVG angeführt, dass bei einer Großstadt wie Bremen mit rund 548 000 Einwohnern eine Differenzierung geboten sei. Das Mietniveau sei in den einzelnen Stadtteilen unterschiedlich hoch, es gebe Stadtteile, in denen 77 % der Mietwohnungen auf geringem Niveau liegen.

25Nach der Rechtsprechung des BSG ist Ausgangspunkt für die Bestimmung des Vergleichsraumes zunächst der Wohnort des Leistungsberechtigten. Der Vergleichsraum muss einen ausreichend großen Raum der Wohnbebauung umfassen, um ein entsprechendes Wohnungsangebot aufzuweisen und die notwendigen abstrakten Ermittlungen zu ermöglichen. Des Weiteren muss er aufgrund seiner räumlichen Nähe, seiner Infrastruktur, insbesondere seiner verkehrstechnischen Verbundenheit, einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden. Das BSG hat als solche Vergleichsräume die Städte München mit rund 1,36 Mio Einwohnern ( - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19) und Berlin mit rund 3,4 Mio Einwohnern angesehen ( - SozR 4-4200 § 22 Nr 42 RdNr 24). Es hat darauf hingewiesen, dass eine Beschränkung auf bestimmte Bezirke oder Ortsteile mit besonders verdichteter Bebauung und damit vorwiegend günstigem Wohnraum das Risiko einer Gettoisierung birgt.

26Dem folgend kann aus der Einwohnerzahl der Stadt Bremen kein zwingender Grund für eine weitere Unterteilung der Stadt abgeleitet werden. Dagegen spricht vielmehr die Feststellung des OVG, in bestimmten Stadtteilen würden 77 % der Mietwohnungen auf geringem Niveau liegen, was möglicherweise die Gefahr einer Gettoisierung birgt, und die weiteren Ausführungen des OVG zum maßgeblichen Datenbestand, bei denen oftmals auf die gesamte Stadt Bremen zurückgegriffen wurde. Ob die Stadt Bremen insgesamt die Voraussetzungen eines Vergleichsraumes erfüllt, wird das LSG zu prüfen haben.

27c) Welche unter Berücksichtigung eines einfachen Wohnungsstandards angemessene Nettokaltmiete pro qm Wohnfläche auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraumes für den Kläger zugrunde zu legen ist, kann aufgrund der Feststellungen des OVG nicht bestimmt werden.

28Unabhängig von der Beantwortung der Frage nach dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum (siehe zuvor) gibt es nach den Feststellungen des OVG für die Stadt Bremen weder einen einfachen noch einen qualifizierten Mietspiegel, und der Beklagte hat auch kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung des Mietniveaus für eine angemessene Wohnung für Ein-Personen-Haushalte aufgestellt. Ob aus dem GEWOS-Gutachten, das eine umfassende Erhebung des Mietwohnungsbestandes für die gesamte Stadt Bremen enthält, entsprechende Zahlen abgeleitet werden können, ggf in Verbindung mit weiteren Ermittlungen (vgl zB die Anhörung der Sachverständigen S und ihre sehr differenzierten Angaben zum Wohnungsbestand für Alleinstehende in Bremen), kann vom Senat mangels weiterer Feststellungen nicht beurteilt werden (vgl auch B 14/7b AS 44/06 R - RdNr 16).

29Nur wenn es nicht möglich ist, auf diesem Wege eine angemessene Nettokaltmiete zu bestimmen, kann zur Ermittlung der Leistung für die Unterkunft auf die Tabelle zu § 8 WoGG aF zurückgegriffen werden. Dieser Rückgriff auf § 8 WoGG führt jedoch nicht zu einem geeigneten Maßstab zur Bestimmung der angemessenen Leistung für die Unterkunft iS des § 22 SGB II, sondern beinhaltet nur eine Angemessenheitsgrenze nach oben, weswegen auch die rechte Spalte in der Tabelle zugrunde zu legen ist ( B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2; B 14/7b AS 44/06 R - RdNr 15; - SozR 4-4200 § 22 Nr 29 RdNr 21 f, 27).

30Gegen ein "Mischverfahren" wie es das OVG angewandt hat, bei dem von Werten aus der Tabelle nach § 8 WoGG aF ausgegangen wird und diese aufgrund bestimmter lokaler Erkenntnisse verändert werden, um ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Nachfrage und angemessenem Wohnungsbestand zu erreichen, spricht schon, dass ihm keine systematische Ermittlung der angemessenen Nettokaltmiete zugrunde liegt. Offen bleibt zB, warum von den Werten der zweiten Spalte von rechts in der Tabelle ausgegangen wird und nicht von denen in der ganz rechten oder dritten von rechts.

31d) Feststellungen zu den abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten fehlen.

322. Ob in dem maßgeblichen örtlichen Vergleichsraum eine solche abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte gemietet werden können, kann mangels entsprechender Feststellungen nicht beurteilt werden (vgl - <Freiburg>, zur Veröffentlichung vorgesehen).

333. Ob die Aufwendungen des Klägers für seine Unterkunft (Bruttokaltmiete von 378,24 Euro), wenn sie die abstrakt angemessene Leistung für seine Unterkunft übersteigen, nach § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II aF zu berücksichtigen sind, weil es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar war, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, kann ebenfalls nicht abschließend entschieden werden.

34Das OVG hat insofern zu Recht auf die schon durch den Sozialhilfeträger erfolgten Kostensenkungsinformationen hingewiesen ( B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2, jeweils RdNr 23; B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, jeweils RdNr 24). Individuelle Gründe, die seitens des Klägers einer Kostensenkung entgegenstehen, hat das OVG nicht festgestellt.

354. Der Rechtsstreit ist an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückzuverweisen. Zwar hat das OVG der Freien Hansestadt Bremen "das Urteil erlassen" (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG am Ende) und nicht das LSG Niedersachsen-Bremen. Die früheren §§ 50a ff SGG, nach denen aufgrund Landesrechts die Sozialgerichtsbarkeit in bestimmten sozialrechtlichen Materien durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ausgeübt wurde (eingeführt durch Gesetz vom , BGBl I 3302), sind jedoch mit Wirkung vom aufgehoben. Die Übergangsregelung in § 206 Abs 2 SGG sieht vor, dass Verfahren, die am bei den besonderen Spruchkörpern der Verwaltungsgerichte anhängig sind, bei diesen anhängig bleiben und entsprechend der bisherigen Rechtslage fortgeführt werden; für Rechtsbehelfe gegen die Entscheidung eines besonderen Spruchkörpers, die nach dem ergehen, ist jedoch das LSG zuständig. Entsprechend dieser vom Gesetzgeber getroffenen Regel, die anhängigen Verfahren in der jeweiligen Instanz in den besonderen Spruchkörpern zu belassen, nach Abschluss einer Instanz diese aber der üblichen Zuständigkeitsregelung zu unterwerfen, ist nunmehr für das zurückverwiesene Verfahren das LSG zuständig.

365. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:260511UB14AS13210R0

Fundstelle(n):
WAAAD-92174