BGH Beschluss v. - 4 StR 303/11

Bildung der Gesamtstrafe: Auswirkung der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität bei Einbeziehung einer früheren Verurteilung durch ein deutsches Gericht

Gesetze: Art 14 EUAuslÜbk, § 83h Abs 2 Nr 3 IRG, § 55 Abs 1 StGB

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 9 KLs 36 Js 680/09 - 22/10

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Herford vom verhängten Einzelstrafen und unter Auflösung der dort gebildeten Gesamtstrafe zu der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es bestimmt, dass die in Bulgarien erlittene Auslieferungshaft im Maßstab 1:1 auf die Strafe angerechnet wird. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. Die zu Gunsten des Angeklagten eingelegte und wirksam auf den Ausspruch über die Gesamtstrafe beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft, die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützt ist, hat Erfolg.

2Das Urteil hat keinen Bestand, soweit das Landgericht unter Einbeziehung der durch das Urteil des Amtsgerichts Herford vom verhängten Einzelstrafen eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe nach § 55 Abs. 1 StGB gebildet hat. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„Der Angeklagte ist aufgrund des Europäischen Haftbefehls vom (SA Bd. III, Bl. 670), der Bezug nimmt auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Bielefeld vom (SA Bd. III, Bl. 612) aus Bulgarien ausgeliefert worden (SA Bd. III, Bl. 687), nachdem das Bezirksgericht Burgas mit Beschluss vom wegen der im Haftbefehl aufgeführten Betäubungsmitteldelikte die Auslieferung bewilligt hatte (SA Bd. IV, Bl. 882).

Der Angeklagte hat der Durchführung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens widersprochen und auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet (SA Bd. IV, Bl. 882). Eine Auslieferungsbewilligung zur Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herford liegt bisher nicht vor.

a) Der das Auslieferungsrecht beherrschende Grundsatz der Spezialität - Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens, § 83h IRG - verbietet es grundsätzlich, die mangels Zustimmung der bulgarischen Behörden nicht vollstreckbare Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Herford in eine neue Gesamtstrafe einzubeziehen (Senat, Beschluss vom , 4 StR 345/97 m.w.N.; vgl. auch ).

b) Die Strafkammer weist zwar zu Recht darauf hin, dass § 83h Abs. 2 IRG im Hinblick auf Personen, die - wie vorliegend - von einem EU-Mitgliedsstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls überstellt worden sind, Ausnahmen vom Grundsatz der Spezialität vorsieht. Diese greifen jedoch für den vorliegenden Fall nicht durch.

Nach § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG entfällt die Spezialität, wenn die Strafverfolgung im konkreten Fall nicht zu einer Freiheitsbeschränkung führt. Diese - ursprünglich für Geldstrafen vorgesehene (vgl. Grützner/Pötz/Kreß, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 3. Aufl., § 83h IRG, Rdn. 5 m.w.N.) - Ausnahme dürfte nach der Entscheidung des (NStZ 2010, 35) zwar - wie vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg entschieden (Beschluss vom , 3 Ws 96/10 = StraFo 2010, 469) - einen Widerrufsbeschluss hinsichtlich einer Strafaussetzung zur Bewährung ermöglichen. Anderes muss jedoch für die Einbeziehung einer Strafe in eine Gesamtfreiheitsstrafe gelten, da - worauf die Staatsanwaltschaft in ihrer Revision zutreffend hinweist - die Sach- und Rechtslage nicht vergleichbar ist. Zwar bleiben bei einer nach § 55 StGB gebildeten Gesamtstrafe - anders als bei der Einheitsjugendstrafe nach § 31 JGG - die zugrunde liegenden Einzelstrafen in gewissem Umfang selbständig, dies ändert jedoch nichts daran, dass - im Falle der Rechtskraft - die Gesamtfreiheitsstrafe vollstreckt wird. Dies kann aber nur mit Zustimmung des ausliefernden Staates erfolgen (EuGH, aaO). … Rechtshilferechtlich zulässig wäre wohl allenfalls eine vollständige Zurückstellung der Vollstreckung der verhängten Gesamtstrafe. Dies würde jedoch zum einen eklatant dem Gebot widersprechen, die Vollstreckung unverzüglich nach Eintritt der Rechtskraft einzuleiten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 449 Rdn. 2), und wäre im Falle von Untersuchungshaft - wie vorliegend - praktisch nicht durchführbar, da die Untersuchungshaft mit der Rechtskraft des Urteils unmittelbar in die Strafhaft übergeht (BGHSt 38, 63).

c) Das Landgericht wird somit aus den für die abgeurteilten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtsfehlerfrei bestimmten Einzelstrafen von vier und fünf Jahren unter Beachtung des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden haben. Dies kann im Beschlusswege nach den §§ 460, 462 StPO erfolgen (§ 354 Abs. 1 b StPO). Im Falle einer nachträglichen Zustimmung Bulgariens zur Vollstreckung des Urteils des Amtsgerichts Herford wird - ebenfalls gemäß § 460 StPO - nachträglich eine neue Gesamtstrafe zu bilden sein (Senat, Beschluss vom , 4 StR 345/97).“

3Dem tritt der Senat bei. Nach der vom Generalbundesanwalt zitierten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom ist die in Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (= § 83h Abs. 2 Nr. 3 IRG) vorgesehene Ausnahme dahin auszulegen, dass bei einer "anderen Handlung" als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, nach Art. 27 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses um Zustimmung ersucht werden und diese Zustimmung spätestens dann eingegangen sein muss, wenn eine Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßnahme zu vollstrecken ist. Die übergebene Person kann wegen einer solchen Handlung verfolgt und verurteilt werden, bevor diese Zustimmung eingegangen ist, sofern während des diese Handlung betreffenden Ermittlungs- und Strafverfahrens keine freiheitsbeschränkende Maßnahme angewandt wird. Die Ausnahme des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c des Rahmenbeschlusses verbietet es jedoch nicht, die übergebene Person einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme zu unterwerfen, bevor die Zustimmung eingegangen ist, wenn diese Beschränkung durch andere Anklagepunkte im Europäischen Haftbefehl gerechtfertigt wird. Jedenfalls in der hier vorliegenden Fallgestaltung, in der Untersuchungshaft wegen der Taten vollzogen wird, derentwegen die Auslieferung bewilligt wurde, steht der Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe mit Einzelstrafen aus einer nicht von der Auslieferungsbewilligung umfassten Vorverurteilung bereits das vom Europäischen Gerichtshof angenommene Vollstreckungshindernis entgegen. In einem solchen Fall ginge nicht nur die Untersuchungshaft mit Rechtskraft (§ 34a StPO) in Strafhaft über (§ 449 StPO), sondern die Gesamtfreiheitsstrafe wäre infolge der Anrechnung nach § 51 Abs. 1 StGB bereits teilweise vollstreckt.

Mutzbauer                                        Roggenbuck                                         Cierniak

                              Bender                                                 Quentin

Fundstelle(n):
QAAAD-91366