EuGH Urteil v. - C-464/10

Glücksspiele – Dienstleistungen eines Kommissionärs (Wettbürobetreibers), der im eigenen Namen, aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Kommittenten auftritt

Leitsatz

Die Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Annahme von Wetten, die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, im eigenen Namen, aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Unternehmens auftritt, dieses Unternehmen gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie so behandelt wird, als ob es dem genannten Wirtschaftsteilnehmer Wettdienstleistungen erbrächte, die unter die genannte Steuerbefreiung fallen.

Instanzenzug: Cour d'appel de Mons (Belgien) - (Verfahrensverlauf),

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem belgischen Staat und den Herren Henfling, Davin und Tanghe in ihrer Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Tiercé Franco-Belge SA (im Folgenden: TFB) wegen der Weigerung dieses Staates, die von den Wettannahmestellen für TFB erbrachten Dienstleistungen von der Mehrwertsteuer zu befreien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer "Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt".

Gemäß Art. 5 Abs. 1 und 4 Buchst. c dieser Richtlinie gelten als Lieferung eines Gegenstands "die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen", und "die Übertragung eines Gegenstands auf Grund eines Vertrags über eine Einkaufs- oder Verkaufskommission".

Art. 6 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"(1) Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des Artikels 5 ist.

...

(4) Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, werden so behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.

..."

In Art. 13 der Sechsten Richtlinie ("Steuerbefreiungen im Inland") heißt es:

"...

B. Sonstige Steuerbefreiungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

f) Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden;

..."

Nationales Recht

Art. 10 § 1 des Code de la taxe sur la valeur ajoutée (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: CTVA) bestimmt:

"Als Lieferung eines Gegenstands gilt die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen Gegenstand zu verfügen.

Dazu gehören u. a. die Fälle, in denen ein Gegenstand dem Erwerber oder Übernehmer in Erfüllung eines Übergabevertrags oder einer Anweisung zur Verfügung gestellt wird."

Art. 13 §§ 1 und 2 CTVA lautet:

"§ 1 Ein Einkaufskommissionär gilt als Käufer und, in Bezug auf seinen Kommittenten, als Verkäufer des durch seine Vermittlung gekauften Gegenstands; ein Verkaufskommissionär gilt als Verkäufer und, in Bezug auf seinen Kommittenten, als Käufer des durch seine Vermittlung verkauften Gegenstands.

§ 2 Als Kommissionär gilt nicht nur, wer in seinem eigenen Namen oder im Namen einer Firma für Rechnung eines Kommittenten handelt, sondern auch der Vermittler des Kaufs oder des Verkaufs, der in welcher Eigenschaft auch immer eine Rechnung, eine Lastschrift oder ein sonstiges gleichwertiges, auf seinen Namen ausgestelltes Schriftstück vom Verkäufer erhält bzw. dem Käufer aushändigt."

In Art. 18 § 1 CTVA heißt es:

"Als Dienstleistung gilt jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstands im Sinne des vorliegenden Gesetzbuchs ist.

Als Dienstleistung gilt unter anderem die Ausführung eines Vertrags mit folgendem Gegenstand:

...

3. Auftrag;

..."

Art. 20 § 1 Abs. 1 CTVA bestimmt:

"... [E]in Kommissionär und jeder sonstige Vermittler, der wie in Art. 13 § 2 vorgesehen handelt und Dienstleistungen erbringt, werden so behandelt, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten."

Gemäß Art. 44 § 3 Nr. 13 CTVA sind "Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz unter den Bedingungen und Beschränkungen, die vom König festgelegt werden", von der Mehrwertsteuer befreit.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

TFB ist eine am für insolvent erklärte mehrwertsteuerpflichtige Aktiengesellschaft mit Sitz in Belgien, die sich mit der Annahme von Wetten, insbesondere für Pferderennen in Belgien und anderen Staaten befasst.

Im Rahmen ihrer Tätigkeit bedient sie sich eines Netzes lokaler Agenturen, sogenannter "Wettbürobetreiber", das sich über das gesamte Königreich Belgien erstreckt. Diese Wettbürobetreiber sind für die Einnahme der Wetteinsätze für Pferderennen oder andere Sportereignisse, die Aufzeichnung der Wetten und die Ausstellung von Wettscheinen oder Tickets an die Wetter sowie für die Auszahlung der Gewinne zuständig.

Jeder Wettbürobetreiber ist durch einen sogenannten "Kommissionsvertrag" an TFB gebunden.

Gemäß diesem Vertrag steht das vom Wettbürobetreiber geführte Geschäft im Eigentum von TFB. Sie stellt ihm die Räumlichkeiten und die notwendige Stromversorgung zur Verfügung und sorgt für die Sach- und Gebäudeversicherung sowie für die Anbringung und die ordnungsgemäße Funktion des Firmenschilds.

Im genannten Vertrag ist auch festgelegt, dass TFB dem Wettbürobetreiber die Hard- und Software zur Verfügung stellt, mit der sämtliche getätigten Wetten und die Auszahlung der Gewinne registriert werden müssen. Der Wettbürobetreiber erhält die Hard- und Software und die Unterlagen von TFB unentgeltlich; sie bleiben ausschließliches Eigentum von TFB. Der Wettbürobetreiber verpflichtet sich, die ihm somit von TFB zur Verfügung gestellte Hard- und Software sorgfältig zu behandeln und ihr jegliche daran auftretende Funktionsstörung zu melden, wobei Reparatur und Wartung der Hard- und Software von TFB auf deren Kosten durchgeführt werden.

Außerdem ist der Wettbürobetreiber gemäß dem mit TFB geschlossenen "Kommissionsvertrag" verpflichtet, die Regelungen über die Wettannahme - insbesondere über Registrierung, Buchführung und Gewinnauszahlung - einzuhalten. Er verpflichtet sich, seine Agentur regelmäßig zu betreiben und im Rahmen von Veranstaltungen, die mit den Tätigkeiten oder den Produkten von TFB in Zusammenhang stehen, geöffnet zu halten. Er hat jedoch das Recht, über die Organisation seiner Agentur frei zu entscheiden und Personal einzustellen, um seine Verpflichtungen bestmöglich erfüllen zu können.

TFB gestattet dem Wettbürobetreiber, alle Arten von Wetten entgegenzunehmen, für die sie eine ordnungsgemäße Zulassung besitzt, sei es durch Gesetz oder durch Bevollmächtigung, und sie gestattet ihm, jede sonstige Tätigkeit auszuüben, soweit sie nicht gegen das Gesetz über Pferdewettagenturen verstößt und nicht für Rechnung eines unmittelbaren Wettbewerbers von TFB ausgeübt wird.

Gemäß den allgemeinen Bestimmungen der Regelung von TFB kann der Betreiber der Agentur, der als Einziger berechtigt ist, eine Wette zu registrieren, die Annahme einer Wette jederzeit ganz oder teilweise verweigern, ohne dies begründen zu müssen. Außerdem kann sich ein Wetter seinen Gewinn nur bei dem Wettbürobetreiber auszahlen lassen, bei dem er seine Wette abgeschlossen hat.

Der Wettbürobetreiber wird durch eine Provision in Höhe eines Prozentsatzes der für die registrierten Wetten getätigten Einsätze, nach Abzug der vorgenommenen Rückzahlungen, vergütet. Diese Provision wird monatlich, außerhalb des offiziellen Wettbetriebs, berechnet und bezahlt. Der Wettbürobetreiber stellt TFB für die von ihm erhaltenen Provisionen keine Rechnungen aus.

Auf der Vorderseite des Wettscheins, den ein Wettbürobetreiber einem Spieler ausstellt, um die Wette zu konkretisieren, stehen oben der Name des Wettbürobetreibers, seine Handelsregisternummer und seine Mehrwertsteuernummer. Außerdem steht auf der Vorderseite dieser Wettscheine an der Seite "Belgische Tiercé" und "Tiercé belge" (unten auf den Scheinen) und "Tiercé Franco Belge" (oben). Auf der Rückseite der Wettscheine steht: "Durch seine Teilnahme erklärt der Wetter, dass er die Regelungen der S.C. P.M.U. belge, der S.A. Tiercé Franco-belge und der Bingoal zur Kenntnis genommen hat und diese akzeptiert."

Bei einer im Juli 2000 eingeleiteten Kontrolle stellte die belgische Steuerverwaltung fest, dass für die von den Wettbürobetreibern in der Zeit vom bis eingenommenen Provisionen keine Mehrwertsteuer abgeführt worden war. Da sie der Auffassung war, dass die Wettbürobetreiber im Namen von TFB arbeiteten und ihre Tätigkeit daher mehrwertsteuerpflichtig sei, stellte sie im November 2001 an TFB eine Nachforderung hinsichtlich der für die genannten Provisionen geschuldeten Mehrwertsteuer, zuzüglich Geldbußen und Verzugszinsen.

TFB erhob beim Tribunal de première instance de Liège Klage auf Feststellung, dass die streitigen Provisionen nicht mehrwertsteuerpflichtig seien, weil die Wettbürobetreiber gemäß den Rechtsvorschriften über die Mehrwertsteuer als Kommissionäre anzusehen seien, die im Rahmen einer von dieser Steuer befreiten Dienstleistung tätig würden.

Das genannte Gericht gab der Klage mit Urteil vom statt. Dieses Urteil wurde auf die vom État belge erhobene Berufung hin von der Cour d'appel de Liège in allen Teilen mit Urteil vom bestätigt. Die Cour de cassation hob dieses Urteil auf und verwies die Sache zurück an das vorlegende Gericht.

Erstens prüfte dieses Gericht den Vertrag zwischen TFB und den Wettbürobetreibern und stellte fest, dass sich aus der Kombination der vertragseigenen und vertragsfremden Elemente ergebe, dass die Wettbürobetreiber von TFB im Rahmen eines Kommissionsvertrags und nicht einer Bevollmächtigung zur Annahme und Registrierung von Wetten verpflichtet worden seien. Außerdem folge aus Art. 13 § 2 CTVA, dass die Frage, ob der Vermittler als Bevollmächtigter und nicht als Kommissionär gehandelt habe, unerheblich sei. Im Ergebnis würden die Wettbürobetreiber aufgrund eines Kommissionsvertrags unmittelbar im eigenen Namen zur Erbringung einer Dienstleistung tätig, die die Registrierung von Wetten und die Auszahlung der Gewinne für Rechnung von TFB umfasse.

Zweitens versuchte das vorlegende Gericht, festzustellen, ob die Provisionen, die den Wettbürobetreibern von TFB gezahlt wurden, von der Mehrwertsteuer befreit sind. Da die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nach Ansicht der Cour d'appel de Mons eine Auslegung des Unionsrechts erfordert, hat sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Art. 6 Abs. 4 und 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen, dass sie der Gewährung einer Steuerbefreiung für Dienstleistungen eines Kommissionärs entgegenstehen, der im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Kommittenten, der von Art. 13 Teil B Buchst. f erfasste Dienstleistungen organisiert, auftritt?

Zur Vorlagefrage

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 6 Abs. 4 und 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie der Gewährung einer Befreiung von der Mehrwertsteuer für Dienstleistungen eines Kommissionärs entgegenstehen, der im eigenen Namen, aber für Rechnung eines Kommittenten, der von Art. 13 Teil B Buchst. f erfasste Dienstleistungen organisiert, auftritt. Diese Frage bezieht sich insbesondere darauf, wie das Verhältnis zwischen einem Unternehmen, das die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübt, und einem Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Annahme von Wetten im eigenen Namen, aber für Rechnung des genannten Unternehmens auftritt, im Hinblick auf die Mehrwertsteuer zu beurteilen ist.

Wetten, Lotterien und sonstige Glücksspiele mit Geldeinsatz sind gemäß Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie unter den Bedingungen und Beschränkungen, die von jedem Mitgliedstaat festgelegt werden, von der Mehrwertsteuer befreit.

Diese Steuerbefreiung ist durch praktische Erwägungen veranlasst, da sich Glücksspielumsätze schlecht für die Anwendung der Mehrwertsteuer eignen, und nicht, wie es bei bestimmten im sozialen Bereich erbrachten Dienstleistungen von allgemeinem Interesse der Fall ist, durch den Willen, diesen Tätigkeiten eine günstigere mehrwertsteuerliche Behandlung zu gewährleisten (vgl. Urteile vom , United Utilities, C-89/05, Slg. 2006, I-6813, Randnr. 23, und vom , Leo-Libera, C-58/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 24).

Wettumsätze im Sinne der genannten Vorschrift sind durch die Einräumung einer Gewinnchance an die Wettteilnehmer und im Gegenzug die Hinnahme des Risikos, diese Gewinne auszahlen zu müssen, gekennzeichnet (Urteil United Utilities, Randnr. 26).

Der Gerichtshof hat daraufhin festgestellt, dass Call-Center-Dienstleistungen, die zugunsten eines Organisators von Telefonwetten erbracht werden und die die Annahme der Wetten im Namen des Wettorganisators durch das Personal des Erbringers dieser Dienstleistungen einschließen, keine Wettumsätze im Sinne von Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie darstellen, so dass ihnen die in dieser Vorschrift vorgesehene Mehrwertsteuerbefreiung nicht zugutekommen kann (Urteil United Utilities, Randnr. 29).

Das Ausgangsverfahren unterscheidet sich jedoch in mehreren Punkten von dem, das zum Urteil United Utilities geführt hat. Zum einen ist nämlich die Tätigkeit der Wettbürobetreiber insbesondere insofern anders als die der genannten Call-Center, als Wettbürobetreiber den Wettern bekannt sind, die Annahme einer Wette jederzeit ganz oder teilweise verweigern können, ohne dies begründen zu müssen, und auch für die Auszahlung der Gewinne an die Wetter zuständig sind. Zum anderen betraf die Rechtssache, die zum genannten Urteil führte, die Annahme von Wetten im Namen des Wettorganisators, während sich die im Ausgangsverfahren aufgeworfene Frage ausdrücklich auf die Situation eines Wirtschaftsteilnehmers bezieht, der für die Annahme der genannten Wetten zwar für Rechnung des Wettorganisators, jedoch im eigenen Namen auftritt.

Ein solches Auftreten im eigenen Namen bedeutet, dass, anders als es in der Rechtssache, die dem Urteil United Utilities zugrunde lag, gemäß dessen Randnr. 27 der Fall war, das Rechtsverhältnis nicht unmittelbar zwischen dem Wetter und dem Unternehmen, für dessen Rechnung der hinzutretende Wirtschaftsteilnehmer tätig wird, sondern zwischen diesem Wirtschaftsteilnehmer und dem Wetter auf der einen und diesem Wirtschaftsteilnehmer und dem genannten Unternehmen auf der anderen Seite entsteht.

Was die Beurteilung eines solchen Auftretens in Bezug auf die Mehrwertsteuer angeht, bestimmt Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie, dass Steuerpflichtige, die bei der Erbringung von Dienstleistungen im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden, so behandelt werden, als ob sie diese Dienstleistungen selbst erhalten und erbracht hätten.

Diese Vorschrift begründet somit die juristische Fiktion zweier gleichartiger Dienstleistungen, die nacheinander erbracht werden. Gemäß dieser Fiktion wird der Wirtschaftsteilnehmer, der bei der Erbringung von Dienstleistungen hinzutritt und Kommissionär ist, so behandelt, als ob er zunächst die fraglichen Dienstleistungen von dem Wirtschaftsteilnehmer, für dessen Rechnung er tätig wird und der Kommittent ist, erhalten hätte und anschließend diese Dienstleistungen dem Kunden selbst erbrächte. In dem zwischen Kommittent und Kommissionär bestehenden Rechtsverhältnis werden also ihre jeweiligen Rollen als Dienstleister und als Zahler in Bezug auf die Mehrwertsteuer fiktiv vertauscht.

Da Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie in deren Abschnitt V ("Steuerbarer Umsatz") fällt und allgemein gefasst ist, ohne Beschränkungen in Bezug auf seinen Anwendungsbereich oder seine Tragweite zu enthalten, betrifft die mit dieser Vorschrift geschaffene Fiktion auch die Anwendung von nach der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiungen von der Mehrwertsteuer. Wenn demzufolge die Erbringung von Dienstleistungen, bei der der Kommissionär hinzutritt, von der Mehrwertsteuer befreit ist, gilt diese Befreiung auch im Rechtsverhältnis zwischen Kommittent und Kommissionär.

Dieses Ergebnis gilt auch für die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie für Wettgeschäfte vorgesehene Befreiung. Diese weist nämlich im Verhältnis zu anderen Befreiungen keine Besonderheiten auf, die es rechtfertigen könnten, den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 4 dieser Richtlinie einzuschränken und Wetten von ihm auszunehmen. Außerdem spielt es für die Anwendung der letztgenannten Vorschrift keine Rolle, dass der genannte Art. 13 Teil B Buchst. f für Vermittlungsleistungen keine Steuerbefreiung vorsieht, während eine solche in Art. 13 Teil B Buchst. a und d der Sechsten Richtlinie ausdrücklich vorgesehen ist.

Auch der Grundsatz der steuerlichen Neutralität spricht entgegen dem Vorbringen der belgischen Regierung nicht dagegen, auf das Verhältnis zwischen Kommittent und Kommissionär die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer anzuwenden, obwohl die Provision, die einem Bevollmächtigten gezahlt wird, der im Namen und für Rechnung des Vollmachtgebers handelt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Sechste Richtlinie selbst sieht nämlich, wie sich aus ihrem Art. 6 Abs. 4 ergibt, vor, dass für Dienstleistungen eines Kommissionärs, der im eigenen Namen, jedoch für Rechnung Dritter tätig wird, besondere Regeln gelten, die von denen für Dienstleistungen eines Bevollmächtigten abweichen, der in fremdem Namen und für fremde Rechnung tätig wird.

Hinsichtlich der von der belgischen Regierung aufgeworfenen Frage, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wettbürobetreiber bei der Annahme von Wetten tatsächlich im eigenen Namen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie tätig werden, ist festzustellen, dass die Vorlagefrage, die den Wortlaut dieses Absatzes aufgreift, auf der Prämisse beruht, dass die genannten Wettbürobetreiber in den Anwendungsbereich dieser Vorschrift fallen.

Es ist im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV Sache des nationalen Gerichts, bei dem ein Rechtsstreit über die Anwendung von Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie anhängig ist, unter Berücksichtigung des gesamten Sachverhalts und insbesondere der Natur der vertraglichen Verpflichtungen des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers gegenüber seinen Kunden zu prüfen, ob die genannte Voraussetzung für die Anwendung dieser Vorschrift erfüllt ist (vgl. in diesem Sinne in Bezug auf Art. 26 der Sechsten Richtlinie Urteile vom , Van Ginkel, C-163/91, Slg. 1992, I-5723, Randnr. 21, und vom , ISt, C-200/04, Slg. 2005, I-8691, Randnrn. 19 und 20).

Der Gerichtshof, der dazu aufgerufen ist, dem nationalen Gericht zweckdienliche Antworten zu geben, ist jedoch befugt, dem vorlegenden Gericht auf der Grundlage der Akten des Ausgangsverfahrens und der vor ihm abgegebenen schriftlichen und mündlichen Erklärungen Hinweise zu geben, die diesem Gericht eine Entscheidung ermöglichen (vgl. Urteile vom , International Transport Workers' Federation und Finnish Seamen's Union, C-438/05, Slg. 2007, I-10779, Randnr. 85, und vom , Bressol u. a., C-73/08, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 65).

Was die Tätigkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Wettbürobetreiber angeht, ist die in Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Bedingung, wonach der Steuerpflichtige im eigenen Namen, aber für Rechnung Dritter tätig werden muss, zwar - wie sich aus Randnr. 40 des vorliegenden Urteils ergibt - anhand der fraglichen vertraglichen Beziehungen auszulegen, jedoch ist es zum ordnungsgemäßen Funktionieren des durch die Sechste Richtlinie geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems erforderlich, dass das vorlegende Gericht konkret prüft, ob die genannten Wettbürobetreiber in Anbetracht aller gegebenen Umstände bei der Annahme von Wetten tatsächlich im eigenen Namen handelten.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere zu berücksichtigen, ob die Ausübung ihrer Tätigkeit eine behördliche Genehmigung erfordert, dass auf den von den Wettbürobetreibern ausgestellten Wettscheinen der Name von TFB erwähnt wird, dass die Kunden gemäß den Angaben auf diesen Wettscheinen die Regelungen dieser Gesellschaft akzeptieren, dass die von den Wettbürobetreibern geführten Geschäfte das Firmenschild der genannten Gesellschaft tragen, die deren Eigentümerin ist, und ob die Wettbürobetreiber vor dem streiterheblichen Zeitpunkt als Bevollmächtigte handelten. Ob möglicherweise eine nationale Vorschrift auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer existiert, die die in Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie vorgesehene rechtliche Fiktion über die in diesem Absatz vorgesehenen Kriterien hinaus ausdehnt, ist jedoch bei der Prüfung, ob die Wettbürobetreiber im eigenen Namen handelten, nicht zu berücksichtigen. Wenn nämlich die Voraussetzungen von Art. 6 Abs. 4 der Sechsten Richtlinie nicht erfüllt sind, kommt im Ausgangsverfahren eine Mehrwertsteuerbefreiung für Wetten nach Art. 13 Teil B Buchst. f dieser Richtlinie nicht in Betracht.

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen sind, dass, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Annahme von Wetten, die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, im eigenen Namen, aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Unternehmens auftritt, dieses Unternehmen gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie so behandelt wird, als ob es dem genannten Wirtschaftsteilnehmer Wettdienstleistungen erbrächte, die unter die genannte Steuerbefreiung fallen.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Die Art. 6 Abs. 4 und Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage sind dahin auszulegen, dass, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer bei der Annahme von Wetten, die nach Art. 13 Teil B Buchst. f der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, im eigenen Namen, aber für Rechnung eines die Tätigkeit eines Wettannehmers ausübenden Unternehmens auftritt, dieses Unternehmen gemäß Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie so behandelt wird, als ob es dem genannten Wirtschaftsteilnehmer Wettdienstleistungen erbrächte, die unter die genannte Steuerbefreiung fallen.

Fundstelle(n):
EAAAD-88931