BSG Urteil v. - B 2 U 19/10 R

(Gesetzliche Unfallversicherung - Entschädigung wegen einer Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 4111 - Stichtagsregelung - Inkrafttreten - maßgeblicher Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls - keine Rückwirkung gem § 6 Abs 3 S 2 BKV hinsichtlich der Rechtsfolge "Versicherungsfall" - Umfang der Zahlungsansprüche gem § 6 Abs 6 S 2 BKV - Erkrankungsfall vor dem - Verletztenrente - rückwirkende Leistungserbringung ab dem )

Leitsatz

1.Der Versicherungsfall einer Listen-Berufskrankheit (BK) kann nicht vor dem Zeitpunkt eintreten, zu dem ihre Aufnahme in die Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) in Kraft getreten ist.

2. § 6 Abs 6 S 2 BKV gewährt Zahlungsansprüche in dem Umfang, als wäre der Versicherungsfall der in § 6 Abs 1 bis 5 BKV genannten BKen bereits vor der jeweiligen Aufnahme in die BK-Liste eingetreten.

3. Bei der zum eingeführten BK Nr 4111 aufgrund einer vor dem eingetretenen Erkrankung ist die Verletztenrente unter Berücksichtigung von Zeiten ab zu zahlen.

Gesetze: § 7 Abs 1 SGB 7, § 9 Abs 1 SGB 7, § 56 Abs 1 S 1 SGB 7, § 72 Abs 1 Nr 2 SGB 7, § 6 Abs 1 BKV vom , § 6 Abs 3 S 1 BKV vom , § 6 Abs 3 S 2 BKV vom , § 6 Abs 6 S 2 BKV vom , Anl 1 Nr 4111 BKV

Instanzenzug: SG Gelsenkirchen Az: S 7 KN 302/09 U WA Urteil

Tatbestand

1Zwischen den Beteiligten ist der Umfang des Rechts auf eine Verletztenrente wegen einer Berufskrankheit nach Nr 4111 (im Folgenden: BK 4111) der Anlage (ab Anlage 1) zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig.

2Der Kläger war im Bergbau vorwiegend als Maschinenhauer tätig. Auf eine ärztliche Anzeige über den Verdacht des Vorliegens einer BK 4111 vom lehnte die Beklagte die Feststellung und Entschädigung dieser BK ab, weil der Versicherungsfall entgegen § 6 Abs 1 BKV (idF vom <aF>, BGBl I 2623) nicht nach dem eingetreten sei (Bescheid vom , Widerspruchsbescheid vom ). Der Kläger hat hiergegen Klage zum SG Gelsenkirchen erhoben.

3Durch Art 1 Nr 2 Buchst d iVm Art 2 der Zweiten Verordnung zur Änderung der BKV vom (2. BKV-ÄndV; BGBl I 1273) wurde zum § 6 Abs 3 Satz 2 BKV eingefügt. Danach waren, falls alle sonstigen Voraussetzungen der BK 4111 vorlagen, auch bereits vor dem eingetretene Erkrankungen als BK 4111 anzuerkennen, sofern sie einem Unfallversicherungsträger bis zum bekannt wurden. Die Beklagte stellte daraufhin während des Klageverfahrens das Recht auf eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH fest. Sie räumte Zahlungsansprüche für Zeiten ab ein und teilte mit, dass als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der "gilt" (Bescheid vom ).

4Das SG hat die Klagen, im Wesentlichen auf Verurteilung zur Zahlung der Verletztenrente bereits für Zeiten ab gerichtet, abgewiesen (Urteil vom ). Nach § 6 Abs 6 Satz 2 BKV könnten Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor dem Jahr erbracht werden, in dem der Antrag gestellt worden sei. Dieser Antrag hätte wirksam nicht vor dem gestellt werden können, da erst zu diesem Zeitpunkt durch die 2. BKV-ÄndV die Anerkennung einer vor dem eingetretenen Erkrankung als BK 4111 ermöglicht worden sei.

5Mit der Sprungrevision rügt der Kläger eine Verletzung des § 6 Abs 6 BKV. Die Vierjahresregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV gelte wegen des Sachzusammenhangs mit § 6 Abs 6 Satz 1 BKV lediglich im Falle bindender Bescheide oder rechtskräftiger Entscheidungen. Davon gehe auch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in einer Stellungnahme vom aus. Bei einem generellen Leistungsausschluss für Zeiten vor dem ginge die zum eingeführte Regelung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV über die Anerkennung einer vor dem eingetretenen Erkrankung als BK 4111 für viele Versicherte und Hinterbliebene ins Leere.

6Der Kläger beantragt,das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom sowie die Regelung über Zahlungsansprüche aus dem Recht auf Verletztenrente im Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom sowie des Änderungsbescheides vom abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Rente unter Berücksichtigung auch der Zeiten vom bis zum zu zahlen.

7Die Beklagte beantragt,die Revision zurückzuweisen.

8Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. § 6 Abs 6 Satz 2 BKV entspreche § 44 Abs 4 SGB X. Auf diese Vorschrift werde bereits im Entwurf der BKV vom (BR-Drucks 642/97) hingewiesen. Eine Differenzierung nach abgeschlossenen und nicht abgeschlossenen Verfahren hätte die Verordnungsgeberin eindeutig zum Ausdruck gebracht.

Gründe

9Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet. Das SG hat die zulässig kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklagen im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Die Regelung der Beklagten über die Zahlungsansprüche des Klägers im Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom und des Änderungsbescheides vom ist rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten. Ein Zahlungsanspruch unter Berücksichtigung auch von Zeiten vor dem steht ihm nicht zu.

10Der geltend gemachte Anspruch beurteilt sich nach den Vorschriften des SGB VII, denn der Versicherungsfall der BK 4111 ist nicht vor dem Inkrafttreten des SGB VII am eingetreten (Art 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz vom , BGBl I 1254, § 212 SGB VII). Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf eine Rente.

11Das Gesetz unterscheidet zwischen dem Anspruch auf Feststellung (sog Anerkennung) eines Versicherungsfalls iS des § 7 Abs 1 iVm §§ 8 oder 9 SGB VII (bis zum : §§ 548, 550, 551 RVO) und den aufgrund eines Versicherungsfalls ggf unter weiteren Voraussetzungen entstehenden Ansprüchen auf bestimmte Leistungen (vgl - SozR 4-5671 Anl 1 Nr 4302 Nr 2 RdNr 19 und vom - B 2 U 4/09 R - Juris RdNr 19). Der Versicherungsfall einer Listen-BK setzt voraus, dass die Verordnungsgeberin die Krankheit als BK in einem in Kraft getretenen Tatbestand der BKV bezeichnet hat und sämtliche Merkmale dieses Tatbestandes erfüllt sind (vgl - SozR 4-2700 § 9 Nr 17 RdNr 12). Das war beim Kläger nicht schon am , weder aufgrund eines feststellenden Verwaltungsakts (dazu 1.) noch kraft normativer Regelung (dazu 2.), oder am (dazu 3.), sondern erst seit dem der Fall (dazu 4.). Die Verletztenrente ist daher nach § 72 Abs 1 Nr 2 SGB VII ab , wegen der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV allerdings auch unter Berücksichtigung von Zeiten ab zu zahlen (dazu 5.).

121. Der Bescheid der Beklagten vom enthält keine feststellende Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X über einen am eingetretenen Versicherungsfall der BK 4111. Den rechtlichen Inhalt eines Verwaltungsaktes hat das Revisionsgericht in eigener Zuständigkeit festzustellen. Dabei ist Maßstab der Auslegung der "Empfängerhorizont" eines verständigen Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat ( B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, jeweils RdNr 11 mwN). Gemessen daran ist die Formulierung, als "Zeitpunkt des Versicherungsfalls gilt der ", nur ein Hinweis darauf, dass seit diesem Tag die eine rentenberechtigende MdE bedingende Erkrankung vorliegt. Unabhängig davon, dass der Versicherungsfall nur fiktiv angenommen worden ist ("gilt"), wird hierzu unter Ziffer 5 der Erläuterungen zum Bescheid vom ausgeführt, dass bei BKen für Leistungen als Zeitpunkt des Versicherungsfalls der Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Behandlungsbedürftigkeit oder, sofern dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der rentenberechtigenden MdE gilt. Zudem hat die Beklagte unter Ziffer 4 dieser Erläuterungen darauf hingewiesen, dass eine bereits vor dem eingetretene und einem Unfallversicherungsträger bis zum bekannt gewordene Erkrankung erst "ab dem " als BK 4111 anzuerkennen ist. Damit hat die Beklagte gerade nicht erklärt, dass bereits am sämtliche Voraussetzungen der BK 4111 infolge einer vor dem eingetretenen Erkrankung erfüllt gewesen wären.

132. Der Versicherungsfall der BK 4111 lag auch nicht kraft normativer Bestimmungen mit dem Eintritt der Erkrankung am vor. Nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 551 Abs 1 Satz 2 RVO iVm § 1 der Siebenten Berufskrankheiten-Verordnung vom (BKVO; BGBl I 721) sind BKen nur diejenigen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet (Listen-BK). In der Anlage zur BKVO war die BK 4111 indes nicht enthalten. Die Erkrankung "Chronische obstruktive Bronchitis oder Emphysem von Bergleuten unter Tage im Steinkohlebergbau bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von in der Regel 100 Feinstaubjahren [(mg/m³) x Jahre]" ist erst mit Wirkung zum (§ 8 Abs 1 BKV) als BK 4111 in die Anlage der BKV vom (BGBl I 2623) aufgenommen worden.

143. Allerdings war der Versicherungsfall der BK 4111 auch nicht mit dem Inkrafttreten der BKV am nach der § 551 Abs 1 Satz 2 RVO entsprechenden Nachfolgeregelung des § 9 Abs 1 Satz 1 SGB VII iVm § 1 BKV und der Anlage hierzu eingetreten. Allein mit dem Vorliegen der seit bestehenden Erkrankung am war, auch wenn sie infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit verursacht wurde, der Tatbestand der BK 4111 noch nicht erfüllt. Er setzte außerdem voraus, dass die Erkrankung nach dem aufgetreten war. Das ergibt sich aus § 6 Abs 1 BKV aF, wonach eine am bestehende Krankheit nach Nr 4111 nur dann auf Antrag als BK anzuerkennen ist, wenn der Versicherungsfall "nach dem " eingetreten ist. Der Versicherungsfall der BK 4111 hing zu Beginn seiner Einführung davon ab, dass zu dem genannten Stichtag der Betroffene noch nicht erkrankt war. Neben der Erkrankung an sich war daher auch ihr Auftreten nach dem Tatbestandsvoraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalls. Der Kläger war indes bereits am erkrankt.

15Dass trotz der Einführung der BK 4111 zum in § 6 Abs 1 BKV aF und in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF vom "Versicherungsfall nach dem " die Rede ist, steht dem nicht entgegen. Die Verordnungsgeberin hat den Begriff des Versicherungsfalls nicht in seiner gemäß § 7 Abs 1 SGB VII gesetzlichen Bedeutung, sondern untechnisch und gleichbedeutend mit "Erkrankung" verwendet. Der Versicherungsfall einer BK kann erst dann eintreten, wenn die BK durch ihre in Kraft gesetzte Aufnahme in die Anlage zur BKV überhaupt rechtlich existent ist. Die BK 4111 ist aber erst mit Wirkung zum in die Anlage zur BKV aufgenommen worden, so dass ein davor eingetretener Versicherungsfall ausscheidet. Den ungenauen Wortgebrauch hat die Verordnungsgeberin in dem zum eingeführten § 6 Abs 3 Satz 2 BKV vermieden. Danach ist die Anerkennung der BK 4111 für den Fall vorgesehen, dass die "Erkrankung" bereits vor dem eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum bekannt geworden ist. Auch unter dem "Versicherungsfall" iS des § 6 Abs 1 BKV aF und des § 6 Abs 3 Satz 1 BKV nF ist also der "Erkrankungsfall" zu verstehen.

164. Der Versicherungsfall der BK 4111 ist beim Kläger am eingetreten. Erst zu diesem Zeitpunkt ist deren Anerkennung für vor dem eingetretene Erkrankungen eröffnet worden. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen für die Feststellung eines Versicherungsfalls vor, tritt der Versicherungsfall frühestens zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Bundesregierung als Verordnungsgeberin aufgrund ihrer Ermächtigung in § 9 Abs 1 SGB VII mit Zustimmung des Bundesrates den BK-Tatbestand eingeführt hat.

17Die Regelung des § 6 Abs 1 BKV aF ist zum in § 6 Abs 2 BKV (Art 1 Nr 2 Buchst a und b und Art 2 der Verordnung zur Änderung der BKV vom <BGBl I 3541>) und zum in § 6 Abs 3 Satz 1 BKV (Art 1 Nr 2 Buchst a, b und d sowie Art 2 der 2. BKV-ÄndV) fortgeführt worden. Nach § 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist abweichend von § 6 Abs 3 Satz 1 BKV eine Erkrankung nach Nr 4111 auch dann als BK anzuerkennen, wenn die Erkrankung bereits vor dem eingetreten und einem Unfallversicherungsträger bis zum bekannt geworden ist. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt. Von der 1983 beim Kläger aufgetretenen Erkrankung hat die Beklagte 1998 Kenntnis erlangt.

18§ 6 Abs 3 Satz 2 BKV ist indes am in Kraft getreten (Art 2 der 2. BKV-ÄndV) und entfaltet daher erst ab diesem Tag Rechtswirkungen. Erst das Inkrafttreten einer Rechtsnorm gemäß Art 82 Abs 2 Satz 1 und 2 GG führt zur Wirksamkeit der Geltungsanordnung (vgl hierzu - SozR 4-2700 § 63 Nr 5 RdNr 17). § 6 Abs 3 Satz 2 BKV knüpft zwar an vor dem eingetretene Erkrankungen iS einer tatbestandlichen Rückanknüpfung (vgl hierzu - BVerfGE 72, 200, 242 f) an, enthält aber keine Rückbewirkung von Rechtsfolgen, weil sein Inkrafttreten nicht auf einen Zeitpunkt vor seiner Verkündung festgelegt wurde. Die mit "Rückwirkung" überschriebene Übergangsbestimmung regelt lediglich ab ihrem Inkrafttreten am eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf Sachverhalte iS der BK 4111, die vor ihrem Inkrafttreten eingetreten sind (vgl R - BSGE 102, 121 = SozR 4-2700 § 9 Nr 12, jeweils RdNr 17). Dadurch, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV die Anerkennung der BK 4111 unabhängig vom Zeitpunkt der rechtzeitig bekannt gewordenen Erkrankung ermöglicht, misst sich die Norm in zeitlicher Hinsicht keine Geltung bereits vor dem oder sogar vor dem , dem Tag des Inkrafttretens der BKV, zu. Vielmehr macht sie das nach ihrer Verkündung liegende Eintreten von Rechtsfolgen (Versicherungsfall BK 4111) auch von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig.

19Aus dem Entwurf der Bundesregierung zur 2. BKV-ÄndV ergibt sich nichts anderes. Darin wird ausgeführt, dass die zeitliche Begrenzung der rückwirkenden Anerkennung bereits bestehender Erkrankungsfälle bei der BK 4111 nicht sachgerecht sei (vgl BR-Drucks 242/09 S 12 zu Nr 2 Buchst d). Indem von der "rückwirkenden Anerkennung" die Rede ist, wird nicht schon der in der BKV nicht erklärte Wille verdeutlicht, dass die Rechtsfolge des Eintritts des Versicherungsfalls der BK 4111 wegen einer vor dem aufgetretenen Erkrankung bereits vor dem eintreten soll. § 6 Abs 3 Satz 2 BKV zielt darauf ab, entgegen dem früheren Recht ab dem die Anerkennung einer vor dem aufgetretenen Erkrankung als Versicherungsfall der BK 4111 zu eröffnen, ohne den Zeitpunkt der Einführung der BK 4111 zum oder der Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs zum in Frage zu stellen. Nicht die rückwirkende Anerkennung der BK 4111, sondern lediglich die Anerkennung der zurück-, vor dem liegenden Erkrankungen als BK 4111 sollte eingeräumt werden. Hätte die Bundesregierung bei einer vor dem aufgetretenen Erkrankung den Versicherungsfall der BK 4111 bereits vor dem einführen wollen, hätte es einer rückwirkenden Inkraftsetzung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV bedurft.

205. Wegen des am eingetretenen Versicherungsfalls der BK 4111 sind Zahlungsansprüche für Zeiten vor dem ausgeschlossen.

21Die Verletztenrente wird gemäß § 72 Abs 1 SGB VII von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem der Anspruch auf Verletztengeld endet (Nr 1) oder der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist (Nr 2). Danach ist die Verletztenrente dem Kläger mangels Anspruchs auf Verletztengeld ab zu zahlen. Allerdings sind aufgrund der Sonderregelung des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV bereits Zeiten ab zu berücksichtigen.

22§ 6 Abs 1 bis 5 BKV regelt die Anerkennung von BKen, die im Rahmen der Neufassung der BKV oder einer Änderungs-Verordnung zur BKV oder BKVO neu in die Anlage (1) aufgenommen oder bezeichnet worden sind. Diese neuen BKen sind auch dann festzustellen, wenn die Erkrankungen in der Vergangenheit eingetreten sind. Soweit die Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK nach § 6 Abs 1 bis 5 BKV erfüllt sind, stehen einer solchen Feststellung gemäß § 6 Abs 6 Satz 1 BKV bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen nicht entgegen. Während diese, hier mangels bestands- oder rechtskräftiger Ablehnung der BK 4111 nicht einschlägige Vorschrift allein die Anerkennung eines Versicherungsfalls betrifft, indem sie frühere bindende Bescheide und rechtskräftige Entscheidungen für nicht mehr rechtswirksam erklärt, legt § 6 Abs 6 Satz 2 BKV den Umfang des erst aufgrund der Inkraftsetzung des neuen BK-Tatbestandes entstandenen Leistungsanspruchs fest. Danach werden Leistungen rückwirkend längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren ab Beginn des Jahres erbracht, in dem der Antrag gestellt worden ist. Diese Vorschrift regelt nicht den durch Parlamentsgesetz in § 72 SGB VII bestimmten Rentenbeginn, dessen Modifikation der Verordnungsgeberin ohne gesetzliche Ermächtigung verwehrt ist. Sie räumt vielmehr Zahlungsansprüche in dem Umfang ein, als wäre der Versicherungsfall bereits vor dem Tag seiner rechtswirksamen Aufnahme in die BK-Liste, frühestens vier Jahre vor Beginn des Jahres der Antragstellung eingetreten.

23Im Falle der BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV werden Versicherte - und hier der Kläger - aufgrund des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV so gestellt, als wäre der Versicherungsfall bereits am und ein Leistungsanspruch am entstanden. Der in der letztgenannten Bestimmung geregelte Vierjahreszeitraum ist zwar vom Beginn des Jahres an zu rechnen, in dem ein Antrag gestellt worden ist. Da § 6 Abs 6 BKV nicht nur für einen speziellen BK-Tatbestand, sondern für sämtliche Fallgestaltungen des § 6 Abs 1 bis 5 BKV gilt, ist unter dem "Antrag" iS des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nur ein, aber auch jeder Antrag iS des § 6 Abs 1 bis 5 BKV zu verstehen, mit dem eine durch diese Vorschriften eingeführte Begünstigung durch Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs einer bestimmten BK auf vor deren Inkrafttreten eingetretene Sachverhalte geltend gemacht wird. Ein solcher Antrag des Klägers ist vom SG zwar nicht festgestellt worden. Die Vorschrift des § 6 Abs 6 Satz 2 BKV ist aber auch auf den in § 6 Abs 3 Satz 2 BKV geregelten Fall anzuwenden, dass einem Unfallversicherungsträger die vor dem eingetretene Erkrankung (bis zum ) auch ohne Antrag bekannt wird. Denn anders als die Regelungen in § 6 Abs 1, 2, 3 Satz 1, 4 und 5 BKV, die sämtlich einen Antrag auf Anerkennung der jeweils genannten BK voraussetzen, lässt § 6 Abs 3 Satz 2 BKV das rechtzeitige Bekanntwerden genügen. Dass sich § 6 Abs 6 Satz 2 BKV nach dem Willen der Verordnungsgeberin nicht auf die Fallgestaltung des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV erstrecken sollte, hat sie weder in der BKV noch im Entwurf zur 2. BKV-ÄndV (BR-Drucks 242/09) verdeutlicht. Da die BK 4111 iS des § 6 Abs 3 Satz 2 BKV allerdings rechtswirksam erst zum eingeführt worden ist, ist bei der Bemessung der Verletztenrente nur der zurückliegende Zeitraum bis zu berücksichtigen.

24Zu einer anderen Beurteilung führt nicht die vom Kläger vorgelegte Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vom . Dessen Einschätzung, an die der Senat nicht gebunden ist, verkennt, dass § 6 Abs 3 Satz 2 BKV nicht rückwirkend, sondern am in Kraft getreten ist.

25Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2011:170511UB2U1910R0

Fundstelle(n):
YAAAD-88570