NWB Nr. 31 vom Seite 2593

„Solidaritätszuschlag und kein Ende?”

Dipl.-Finanzwirt Dr. jur. Michael Balke | Richter im 7. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts, Hannover/Dortmund

BFH verweigert Steuerrechtsschutz gegen ungleichen Dauer-Soli

Es war angerichtet. Der II. Senat des BFH verhandelte mündlich am (ab 10 Uhr) in zwei Verfahren zur Frage der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 (SolZG 95). Die Klägerinnen, eine Rechtsanwältin in eigener Sache (Streitjahr 2005) und eine GmbH (Streitjahr 2007), waren argumentativ bestens bestückt. Es hätte ein schöner Tag für die Klägerinnen, für den effektiven Rechtsschutz, für die Gleichbehandlung der Bürger, für die Steuergerechtigkeit werden können. Auch die Rechtshygiene bei der Verteilung des Gesamtaufkommens zwischen Bund, Ländern und Gemeinden hätte deutlich gestärkt werden können. Schließlich hätte der steuerpolitische Wirrwarr um angedachte Steuersenkungen und um vertagte Steuerrechtsreförmchen gerichtet werden können. Leider wurden die Erwartungen der Klägerinnen und vieler Prozessbeobachter mit der Verkündung der Urteile (II R 50/09; II R 52/10) und der Verlesung der „wesentlichen” Urteilsgründe (ab 14 Uhr) tief enttäuscht.

Klägerseits wurde betont, dass der Soli als Ergänzungsabgabe i. S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nur so lange den Vorstellungen des historischen Verfassungsgebers von 1954/55 entsprach, wie er für einen Mehrbedarf des Bundes allein kurzfristig (wie etwa der einjährige Soli 1991/92) und „keineswegs für die Dauer” (vgl. BT-Drucks. 2/484 S. 4 f.) erhoben wird. Werde eine Ergänzungsabgabe auch nach zehn Jahren immer noch eingesetzt, sei sie in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen, dürfe mithin nicht mehr erhoben werden. Der Vorsitzende Richter des II. BFH-Senats wandte ein, der finanzielle Mehrbedarf des Bundes aufgrund der enorm kostenträchtigen deutschen Wiedervereinigung bestehe fort. Die Klägerseite reagierte schlagfertig: „Dieses Argument verdeutlicht den Fehleinsatz des Finanzierungsinstruments Ergänzungsabgabe”. Der damalige Verfassungsgeber habe nachweislich eine Ergänzungsabgabe trotz hoher Finanzlasten aufgrund des verlorenen 2. Weltkriegs nur für (kurzfristige) Bedarfsspitzen, nicht für Mammutaufgaben erlaubt.

Hinzu kommt, dass der historische Verfassungsgeber im Falle allgemeiner Tarifsenkungen, einen (Top-)Zuschlag für „nicht vertretbar” hielt (vgl. BT-Drucks. 2/484 S. 1). In den letzten Jahren sind aber die Steuersätze mehrfach erheblich gesunken bei fortgesetzter Erhebung des Soli-Zuschlags. Das passt nicht zusammen (vgl. auch Kanzler, NWB 28/2010 S. 2203; Nebe, NWB 40/2010 S. 3161; Birk, FR 2010 S. 1002; Drenseck in Schmidt, EStG, 30. Aufl., § 51a Anm. 4). Daneben ist die Regelung des § 51a Abs. 2 Satz 3 EStG zu beachten, nach der bei Zuschlagsteuern die Steuerermäßigung für Gewerbetreibende nach § 35 EStG „nicht anzuwenden” ist; Kirchensteuergesetze setzen dies um, nicht aber der hier zu überprüfende § 3 SolZG 95; generelle Soli-Ungleichbelastungen verschiedener Personengruppen werden so nicht vermieden (dazu die Pressemitteilung v. des markt intern Verlags; vgl. auch Lang, steuertip 29/11 S. 2). Auch das passt nicht. Rechtsanwältin Sieglinde Linderer aus Burghausen hat angekündigt, gegen die Entscheidung des II. BFH-Senats Verfassungsbeschwerde zu erheben. Gut so!

Michael Balke

Fundstelle(n):
NWB 2011 Seite 2593
NWB JAAAD-87512